SWR Kultur lesenswert - Literatur

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Dec 17, 2023 • 7min

Paul Feyerabend – Historische Wurzeln moderner Probleme

Mit seinem Slogan „anything goes“ festigte Paul Feyerabend sein Image als unbequemer Denker. Der österreichische Wissenschafts-Philosoph war ein eifriger Kritiker des etablierten Wissenschaftsbetriebs. Am 13. Januar 2024 wäre Paul Feyerabend 100 Jahre alt geworden, jetzt bereits ist ein Band mit neuen Texten von ihm herausgekommen: „Historische Wurzeln moderner Probleme“ ist ein spannendes Zeitdokument, aber auch erstaunlich aktuell. Bereits als Wiener Oberschüler galt Paul Feyerabend als eifrig und vorlaut und war nie um eine provokante Einlassung verlegen. Viele Jahre später und erst recht als streitbarer Autor und Akademiker wurde sein philosophisches Programm, die Kritik am strengen Methodenzwang der Wissenschaft, zum Markenzeichen seiner Forschung. In einem letzten Fernsehinterview, das er 1993 gab, spitzte er wie gewohnt zu: Was ist das: die Wahrheit!? Ich verstehe es völlig, wenn mir jemand sagt, also gestern hast Du mich wirklich angelogen. Aber: Was Die Wahrheit ist, da hab ich keine Ahnung. Es scheint mir aber wo das Wort DIE WAHRHEIT auftaucht, dass derjenige Mensch, der von der Wahrheit spricht, immer seine Privatphilosophie darunter mit einschiebt und sagt: Da es so und so ist, müssen wir es eben so machen, nicht wahr? Quelle: Paul Feyerabend Neben seinem Hauptwerk „Wider den Methodenzwang“ galten „Wissenschaft als Kunst“ und „Erkenntnis für freie Menschen“ als Feyerabends bekannteste Bücher. Mit ihren griffigen Thesen und Polemiken gegen die Allmacht wissenschaftlicher Institutionen rüttelten sie am Selbstverständnis einer eurozentrierten Weltsicht. Das „enfant terrible" des Wissenschaftsbetriebs Nun gibt es Neuigkeiten von Paul Feyerabend, dem enfant terrible des  Wissenschaftsbetriebs. In der Paul-Feyerabend-Sammlung des Philosophischen Archivs der Universität Konstanz haben die Philosophen Michael Hagner und Michael Hampe unlängst Tonband-Mitschnitte von Vorlesungen entdeckt, die Paul Feyerabend im Frühjahr 1985 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich gehalten hat. In zwölf Vorlesungen bilanziert hier Feyerabend noch einmal seine Kritik am Fortschrittsglauben westlicher Rationalität. Mitherausgeber Michael Hagner: Also es hat wirklich etwas von einer Show. Das Problem ist nur, dass man das sehr schwer in eine schriftliche Form transferieren kann, weil es einfach sehr von der Spontaneität und manchmal sicherlich auch von der Gestik und Mimik lebt, die wir natürlich nicht rekonstruieren können. Da haben wir keinen Zugang dazu. Das heißt also, davon haben wir nicht so viel hinüberretten können in unserer Edition. Aber wir haben natürlich auch alles dafür getan, dass dieser Text nicht in einen Friedhof verwandelt wird. Quelle: Michael Hagner Ein Jonglieren zwischen Kant und Quantentheorie Quicklebendig ist der Text, sprunghaft, alles andere als ein Abbild einer trockenen Vorlesung. Paul Feyerabend jongliert zwischen seiner philosophischen Materie, die er als „Minestrone“ bezeichnet, ein Kessel buntes, zwischen Kant und Quantentheorie, der auch den Geist der 1968iger Jahre atmet, wenn Feyerabend zu Beginn einer Vorlesung ausdrücklich zur Mitwirkung aufruft: Sie können und sollen mich immer unterbrechen, wenn Sie sich danach fühlen. Und was ich noch sagen möchte: Bei der Diskussion sollte eigentlich jeder, der teilnimmt, darunter auch ich, Abstand zu seinen Gefühlen halten. Das gelingt mir nicht immer. Ich stürze mich da ins Kampfgetümmel wie ein Wilder. Quelle: Paul Feyerabend In seinen Vorlesungen ist Feyerabend auf der Höhe seines Ruhmes, und dabei nicht unumstritten in seiner Art, sich lässig zu inszenieren. Er ist Kult, aber kein Guru, da Feyerabend sich keiner Schule verpflichtet fühlt und auch keine ins Leben gerufen hat. Mitte der 1980iger Jahre ist die Zeit kurz vor der Tschernobyl-Katastrophe, das Ende des Kalten Krieges bahnt sich an, und das Internetzeitalter steht vor der Tür. Fragen der Klimakatastrophe, und Kritik an einem arroganten und selbstgefälligen Eurozentrismus spielen in diesem Vorlesungs-Zyklus eine zentrale Rolle. Aber auch Fragen der Ethik, wie Feyerabend am Beispiel von Tierversuchen emotional diskutiert. Nehmen wir Tierversuche. Ein von mir sehr geliebter Mensch ist von einer schweren Krankheit bedroht. Es scheint von einer großen Wahrscheinlichkeit zu sein, dass wenn man einen bestimmten Tierversuch anstellt, der dieses Tier umbringt und diese Person eben rettet. Vor solch eine Entscheidung möchte ich die Leute gestellt sehen, nicht im Allgemeinen. Ich bin gespannt wie ein Antivivisektionist, wie die Leute sich da entscheiden werden. Ich würde mich für die geliebte Person entscheiden, was denn sonst. Quelle: Paul Feyerabend Ein Kind seiner Zeit Paul Feyerabend war sicher auch ein Kind seiner Zeit, denn gerade die Form einer ökologisch formulierten Wissenschaftskritik entsprang zu Teilen der ökologisch-alternativen Denkwelt der 1970iger Jahre, die an ihrer Aktualität bis heute nichts eingebüßt hat. Damals formten sich die ersten „Grünen Parteien“, der Umweltschutz und die Anti-Atom-Bewegung standen ganz oben auf der Agenda. Michael Hagner: Ein Beispiel ist die Frage, die in den 1980er Jahren ein großes Thema war: der Saure Regen, der den Tod der Wälder hervorruft. Und da sagt er: Ja, jetzt haben wir diese Diagnose, und die Grünen haben vollkommen recht. Aber natürlich darf man nicht erwarten, dass jetzt sich die Politik erst einmal umstellt und dass da also Gesetze gemacht werden und diese Situation versucht wird zu verändern. Es sei denn, wenn ökonomische Interessen davon betroffen sind. Das heißt, dass also erst, wenn es quasi den Leuten an den Geldbeutel geht, erst wenn eine unmittelbare Beeinträchtigung der sozialen, ökonomischen Situation droht, dann kommt es zu Veränderungen. Das heißt, Feyerabend sieht sehr klar, dass Grüne Politik ohne ökonomische Grundlagen und ohne diesen Faktor überhaupt nicht realistisch ist. Quelle: Michael Hagner „Anything Goes“ Blickt man heute zurück auf Paul Feyerabends berühmten Slogan vom „Anything Goes“ – Alles ist möglich – darf man den kulturellen Kontext der 1968iger Jahre nicht außer Acht lassen. Die kapitalismuskritische Alternativbewegung mit ihren alternativen Lebensentwürfen und Denkkonzepten hat das rationalistische Weltbild des Westens nachhaltig in Frage gestellt. Die Nähe zu dieser Bewegung brachte Feyerabend auch den Ruf eines Scharlatans ein, der mythische Praktiken, Alternativmedizin und Regentänze auf Augenhöhe mit streng rationalen Denksystemen bringen wollte. Dabei meint Feyerabend nicht, dass alles möglich ist, aber vieles mit bedacht werden sollte. Michael Hagner gibt daher noch einmal zu bedenken: Ich glaube, man kann Feyerabend nicht in Anspruch nehmen, dafür, dass die Astrologie ganz toll ist, dass die Homöopathie ganz toll ist, dass die Regentanz ganz toll sind. Das ist ein Missverständnis, sondern es ist eher die Frage: Was aus welcher Position heraus kritisieren wir da eigentlich? Müssen wir uns nicht erst einmal an die eigene Nase fassen und schauen Welche Arten von Wissen bieten wir den Menschen an? Und was haben die eigentlich davon? Er sagt: Wir müssen diese Vorteile untersuchen, wir müssen schauen, was bringt es und was bringt es nicht. Und wenn wir irgendwelchen Leuten, die nur eine Erkältung haben, gleich Antibiotika geben, dann schaden wir ihnen. Ganz einfach. Quelle: Michael Hagner So erleben wir in den rekonstruierten Texten der Züricher Vorlesungen einen streitbaren, polemischen Philosophen, den wir beim Denken, Formulieren, Assoziieren beobachten können. Kein Wissenschaftsfeind spricht da, sondern ein Denker, dem fest gemauerte Theorien und Ideologien suspekt waren. Paul Feyerabend war ein leidenschaftlicher Freigeist und Aufklärer, der nach Wissens-Alternativen suchte, auch wenn sie dem Wissensbetrieb nicht gefielen. Es lohnt sich anhand der wiederentdeckten Vorlesungen Feyerabend als einen streitbaren und unbequemen Hochschullehrer kennenzulernen, der mit ätzendem Witz auf Probleme aufmerksam gemacht hat, die heute genauso aktuell sind wie 1985.
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Dec 17, 2023 • 6min

Natascha Wodin – Der Fluss und das Meer

Dass viele Menschen in Deutschland eine Stadt mit dem Namen Mariupol bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine verorten konnten, ist sicher Natascha Wodin zu verdanken. Die Mutter im „Reisswolf zweier Diktaturen“ 2017 erhielt sie für ihren Roman „Sie kam aus Mariupol“ den Preis der Leipziger Buchmesse und machte darin das Schicksal ihrer Mutter öffentlich, die als ukrainische Zwangsarbeiterin in einem Leipziger Rüstungsbetrieb landete. Eine Frau, die in „den Reisswolf zweier Diktaturen“ geraten war. Folgt man Natascha Wodins Erzählung „Der Fluss und das Meer“ wäre das Mariupol von heute mit seinen vom Krieg zertrümmerten Häusern dieser Mutter  nicht einfach nur ein vertrauter Anblick.  „Es ist wie ein dritter Mordversuch an meiner Mutter“, schreibt sie. Hinter dieser Anklage steht die Gewissheit: alles, was das letzte Jahrhundert an Grässlichem und Schändlichem zu bieten hatte, hat diese Frau gesehen und letztlich in den Suizid getrieben: den russischen Bürgerkrieg, eine grausame Hungersnot, Stalins Terror und schließlich die Verbrechen der deutschen Wehrmacht. Ein freies Leben war ihr nicht vergönnt. Vor diesem Hintergrund ist die Vision der Ich-Erzählerin nur ein schaler Trost: Zwischen 1960 und 1992 wurde in Deutschland der Rhein-Main-Donau-Kanal gebaut, in den auch der Teil der Regnitz integriert wurde, in dem meine Mutter einst ihr Leben gelassen hat. In meiner Vorstellung fließen seitdem Tag für Tag ein paar Tropfen der fränkischen Regnitz ins Asowsche Meer. Ganz allmählich kehrt meine Mutter mit dem Wasser der Donau zurück in ihre alte Welt, die Tropfen der Regnitz erreichen über Ungarn, Bulgarien, Rumänien das Schwarze Meer, passieren die Meerenge von Kertsch und gehen ein ins Asowsche Meer, in dem meine Mutter vielleicht einmal gebadet hat und dessen Wellen immer noch ans Ufer von Mariupol schlagen. Quelle: Natascha Wodin – Der Fluss und das Meer „Der Fluss und das Meer“- in ihrer Erzählung schnürt Natascha Wodin noch einmal die ganze Tragik, die das Leben ihrer Mutter bestimmt, in wenigen sehr dichten Momenten zusammen. Sie tut das in der für sie typisch lakonischen Art, beiläufig und zugleich voller Wucht. Dabei spannt sie den Bogen schmerzhaft bis in die Gegenwart. Literarische Identitätssuche Natascha Wodin hat diese Erzählung in diesem Jahr für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geschrieben. Weitere drei der insgesamt fünf Erzählungen wurden bereits zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit veröffentlicht, aber für die neue, jetzt im Rowohlt Verlag erschienene Ausgabe noch einmal überarbeitet. Die Auswahl der Texte gleicht einer Suchbewegung, einer literarischen Identitätssuche. In der Erzählung „Nachbarinnen“ begegnen wir einer Ich-Erzählerin – unschwer als Alter Ego ihrer Autorin zu erkennen - , die durch Heirat ihre Existenz „als menschlicher Nachkriegsabfall“ hinter sich gelassen zu haben scheint. Dank der neuen Verbindung findet sich das Zwangsarbeiterkind aus dem fränkischen Forchheim auf einmal in einem gehobenen Villenvorort von München wieder. Alles bestens, also. Nein. Wir sind in den 60er Jahren. Eins verwahrloste Nachbarhäuschen stört die Spießerseele, vor allem stört die Nachbarin selbst „in ihrem verwilderten“ Körper. So was wie die „hätte man unter Hitler vergast“, schimpft die Vermieterin der Ich-Erzählerin.  Und während die Ich-Erzählerin mit Dirndl und Opernbesuch auf jede nur erdenkliche Weise um Anpassung und damit um Anerkennung ringt, erlaubt sich Frau Meisinger von nebenan mit ihrer provozierenden Erscheinung und ihrem ewig bellenden Hund einfach nur an der „falschen Stelle“ zu sein. Die Geschichte nimmt kein gutes Ende. Selbstkritisch vermerkt die Ich-Erzählerin im Rückblick: An Schlaflosigkeit leide ich bis heute, und in besonders unruhigen Nächten höre ich wieder Bellos Bellen. Ich bin wieder die junge Frau von damals, die glaubt, Ihre Mörderin zu sein, Frau Meisinger. Sie waren gestorben, weil ich es gewollt hatte. Ich hatte Ihren Tod nicht nur nicht verhindert, ich hatte ihn herbeigeführt – mit der Macht meines Wünschens, mit meinem unbändigen Willen, die Vergangenheit für immer aus meinem Leben zu verbannen. Ich hatte in Ihnen mich selbst umgebracht, diejenige, die ich nie wieder sein wollte. Quelle: Natascha Wodin – Der Fluss und das Meer Ein schonungsloses Geständnis, mit dem sich die Ich-Erzählerin direkt an die vor ihrer Nase in Einsamkeit und Elend verstorbene Nachbarin wendet. Ein Eingeständnis aber auch der eigenen Verwundung: zu erkennen, wie unheilvoll das Kindheitstrauma - Ausgrenzung, Diffamierung, Tod der Mutter, Gewalt des Vaters – fortwirkt. Wieder ein Zeitsprung. In „Notturno“ umkreist Natascha Wodin eine lange, sehr intensive Brieffreundschaft, die die Ich-Erzählerin mit einem in der geschlossenen Psychiatrie untergebrachten Mann führt: Heiner Fuchs, der auch aus ihrer Heimat F. kommt, der wohl, in dieselbe Schule gegangen ist. Das „Desaster“ beider Leben verbindet, es entwickelt sich eine zarte Romanze, die durch die gemeinsame Leidenschaft für Musik, für Schuberts Notturno insbesondere, an Fahrt gewinnt. Aber auch diese Umarmung misslingt, scheitert an der Unfähigkeit, die eigenen inneren Ketten zu sprengen. Existentielle Erfahrung in Sri Lanka Mit der Erzählung „Das Singen der Fische“ nimmt uns Natascha Wodin mit auf eine Reise nach Sri Lanka, irgendwann in den 1970er Jahren. Eine existentielle Erfahrung: die Ich-Erzählerin schleppt sich von Fieber, Durchfall und Erbrechen geplagt durch eine paradiesische Hölle. Armut und Elend oft gepaart mit einer zweifelhaften Leichtigkeit des Lebens werfen bei ihr wieder einmal die alten bohrenden Fragen auf verbunden mit der Erkenntnis: Was konnte ich als Kind russisch-ukrainischer Zwangsarbeiter gemeinsam haben mit den deutschen Studenten der 68er-Generation? Mein Deutschland war nie das ihre gewesen, sie rebellierten gegen Verhältnisse, die ich nicht kannte, gegen Täter-Eltern, die nicht die meinen waren, gegen Wohlstandseltern, die ich nie gehabt hatte. Ich wollte so sein wie sie, ich wollte dazugehören, aber ich konnte nicht zu etwas gehören, das ich in seinem Wesen weder kannte noch verstand. Ich gehörte zu gar nichts. Weder zu Deutschland noch zu Russland oder zur Ukraine und immer weniger auch zu mir selbst. Ich gehörte zu Sri Lanka. Hier war ich in meiner eigenen inneren Wildnis angekommen, in genau jener Fremde, in der ich immer schon war. Quelle: Natascha Wodin – Der Fluss und das Meer „Der Fluss und das Meer“ – der neue Erzählband von Natascha Wodin schlägt inhaltlich zwar keine neuen Kapitel auf. Es ist die Suche nach dem inneren Grund, ein Ringen um Erkenntnis, eine Sehnsucht nach Heilung. Das ist schonungslos – für die Ich-Erzählerin, bisweilen auch für die Leserinnen und Leser. Doch es ist eine starke, nachhaltige Prosa: wortkarg und wortgewaltig zugleich.
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Dec 17, 2023 • 2min

Huguette Couffignal – Die Küche der Armen. Mit 300 Rezepten aus aller Welt

Hunger ist der alte Gefährte der Menschheit. Und Kochen darum ein Kampf der Ärmsten ums Überleben. Davon erzählt die französische Schriftstellerin Huguette Couffignal. Eine beeindruckende Reise um die Welt der Armen in 300 Rezepten.
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Dec 17, 2023 • 11min

Igal Avidan – „…und es wurde Licht!“ Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel

In seinem Buch „…und es wurde Licht“ zeigt er, wie arabische und jüdische Israelis versuchen, Gewalt und Feindschaft hinter sich zu lassen. Eine Reportagen, die hoffen lassen.
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Dec 17, 2023 • 6min

Was liest die Welt zu Weihnachten? ARD KorrespondentInnen berichten

Wir blicken jetzt mal über den pudergezuckerten Tellerrand der deutschen Adventszeit in die weite Welt. Für die ARD arbeiten rund um den Globus Korrespondentinnen und Korrespondenten in den verschiedensten Ländern. Und weil Weihnachten einerseits an ziemlich vielen Orten weltweit gefeiert wird, aber doch auch ziemlich verschieden, wollten wir von den Kolleginnen und Kollegen wissen: was wird gelesen, über welche Bücher wird gesprochen vor und an Weihnachten? Eine literarische Weltreise Wir reisen nach Polen, nach Nicaragua, nach Schweden, den Anfang aber macht Südafrika – da ist Weihnachten ein vergleichsweise junges Fest, mitgebracht von den Missionaren und Kolonialherren aus Europa. Die haben auch die weihnachtlichen Bräuche, Musik und Lektüre geprägt. In den Buchhandlungen liegen Bücher von Charles Dickens und J.K. Rowling. Für Kinder im Alter zwischen 5 und 8 gibt es das Buch „Der Storch im Affenbrotbaum – die afrikanischen zwölf Weihnachtstage“. Karin Wehrheim in Johannesburg gibt uns eine kleine Inhaltsangabe. Julia Wäschenbach war das zuletzt aus Stockholm. Außerdem haben uns Anne Demmer aus dem Studio Mexiko und Martin Adam in Warschau erzählt, welche Literatur vor und an den Feiertagen gerade wichtig ist.
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Dec 17, 2023 • 1min

Şeyda Kurt — HASS. Von der Macht eines widerständigen Gefühls

„Von der Macht eines widerständigen Gefühls" lautet der Titel des zweiten Buches der Autorin. In „Radikale Zärtlichkeit" setzte sie sich noch mit den politischen Aspekten gesellschaftlicher Liebesnormen auseinander, während Kurt in „HASS" die Zusammenhänge zwischen Hass und Herrschaft ergründet. Das sei klug und revolutionär, findet Kristina Remmert — und damit gehört „HASS" für sie unbedingt auf den Gabentisch.
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Dec 17, 2023 • 7min

Philippa Perry – Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Liebsten würden es lesen

„Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Liebsten würden es lesen“ ist zwar nicht immer voller Überraschungen, aber hilfreich für ein paar harmonische Feiertage und das Beziehungsleben darüber hinaus. Gespräch mit Anja Brockert.
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Dec 17, 2023 • 8min

Sean Sherman – Der Sioux-Chef. Indigen Kochen

Cola, Fritten, Burger – die amerikanische Küche hat keinen guten Ruf. Einer, der ganz bewusst dagegen ankocht, ist der Restaurantbetreiber und Koch Sean Sherman. Als Vertreter der indigenen Bevölkerung wirbt er mit seinem Kochbuch „Der Sioux-Chef“ für traditionelle Gerichte – und trifft damit auch hierzulande offenbar bei vielen genau den Geschmack. Eines, was man über den Koch Sean Sherman wissen muss: Er ist ein Profi. Hello, my name is Sean Sherman, I am a Chef. I am here to talk about native American Food. Quelle: Sean Sherman Er ist nicht nur ein Profi-Koch, nicht nur der Sioux-Chef, der die indigene Küche Nordamerikas wieder auf den Speiseplan der Welt bringen möchte – er ist auch ein Medien-Profi. Hier zum Beispiel ist er Gast bei einem TED-Talk. I was born and raised in Pine Ridge, Minnesota, I started my company called the Sioux Chef – it’s a game with words – in 2014. Quelle: Sean Sherman Beim Ted Talk trägt Sherman ein schwarzes Jackett, ein schwarzes T-Shirt – und die langen dunklen Haare zu zwei Zöpfen geflochten. Dieses Outfit ist eine Mischung aus Start-up und Tradition, ähnlich wie seine Küche ist Shermans Kleidung ein Statement. Auch beim Interview für SWR2 lesenswert in einem Hotel in Berlin trägt Sherman wieder dunkle Kleidung und Zöpfe, seine Botschaft bringt er routiniert rüber. Also, ich heiße Sean Sherman, ich komme aus dem Reservat Pine Ridge in South Dakota. Und ich bin gerade in Berlin, weil mein Kochbuch auf Deutsch erscheint, es heißt: „Der Sioux Chef. Indigen kochen“. Quelle: Sean Sherman Es ist ein kleines Wunder, dass Sherman hier in Berlin sitzt, dass er indigenes Essen kocht und auch dass er überhaupt eine Karriere als Koch begonnen hat. Für einen Jungen, der 1974 in einem Reservat geboren wurde, ist all das nicht selbstverständlich: Pine Ridge ist das drittgrößte Reservat in den USA und seit seiner Gründung um 1900 ist es auch die ärmste Gegend des Landes. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent und es gibt viele gesundheitliche Probleme wegen des schlechten Essens dort und auch sonst gibt es viele Probleme dort. Meine Familie lebt noch immer dort. Mit meiner Arbeit versuche ich, Lösungen für diese Probleme zu finden. Quelle: Sean Sherman Eines der vielen Probleme in Reservaten wie Pine Ridge ist die Ernährung, sagt Sherman: Im Reservat leben die meisten Familien von den Lebensmittelhilfen der Regierung. Also von Dosenfleisch, Dosengemüse, Dosenobst, Milchpulver, haltbarem Käse und großen Flaschen Mais-Sirup. Quelle: Sean Sherman Kochen war für Sean Sherman schon in jungen Jahren eine Berufung – er arbeitete in verschiedenen Restaurants, lernte französisch zu kochen, italienisch, spanisch. Und – so erzählt er es - irgendwann ging ihm auf: Es gibt so gut wie keine Restaurants für die Küche der native americans. In seinem Kochbuch, das unter dem Titel „Der Sioux Chef. Indigen kochen“ gerade auf Deutsch erschienen ist, beschreibt Sherman diese Erkenntnis: Was hatten meine Vorfahren gegessen, bevor die Europäer auf unserem Land auftauchten? (…) Ich wollte unbedingt alles über die Pflanzen und ihre Verwendungsweisen wissen. Es gab für mich von da an kein „Unkraut“ mehr – diese Pflanzen waren Nahrungs- und Heilmittel. Ich fing an zu begreifen, dass auf unserer Welt alles in der Natur einen Zweck hat, fing an, Respekt für Pflanzen und Tiere, unsere Nahrungsquellen, zu entwickeln. Quelle: Sean Sherman – Der Sioux-Chef. Indigen Kochen Shermans Kochbuch ist das Ergebnis einer langen Recherche, er las in botanischen Büchern, darüber wie die native americans die Pflanzen und Wildtiere Nordamerikas zubereitet haben. Oder besser: zubereitet haben könnten. Denn auch wenn er lange Gespräche mit den Ältesten verschiedener Ethnien führte – vieles von dem Wissen über die ursprüngliche Küche war nicht mehr vorhanden. Denn mit der räumlichen Eroberung Nordamerikas ging auch eine kulinarische Verdrängung einher – sagt der Ethnologe und Journalist Sebastian Scheelhaas, der vor allem zur Indigenen Ernährung in Nordamerika geforscht hat. Für ihn öffnen indigene Köche wie Sean Sherman ein Fenster in eine Welt, über die man meist nur wenig weiß. Was kriegt man denn mit von indigenen Gesellschaften? Man kriegt irgendwas über Landclaims mit, irgendwas von wegen, dass sie irgendwie nicht arbeiten müssten angeblich und alle so negative Stereotypen. Aber die tatsächliche Lebenswelt und die Kulinarik, die lernt man eigentlich so gut wie nicht kennen, weil die an Orten stattfindet, zu denen man keinen Zugang hat, Reservationen zum Beispiel. Reservationen zum Beispiel. Bücher wie das von Sherman öffnen ein Fenster in eine Welt, in die man sonst nicht blicken kann. Und ermöglichen damit, das eigene Bild, was man von indigenen Gesellschaften hat, extrem zu diversifizieren. Ob das authentisch ist, ist die falsche Frage – es gibt kein authentisches Indigenes. Quelle: Sebastian Scheelhaas Sherman selbst versteht unter indigener Küche keine ethnologisch korrekte Museumsküche, eher ein Experiment, in seinem Kochbuch „Der Sioux-Chef“ verwendet er wilde Zwiebeln, wilden Knoblauch, Knollen, Kartoffeln. Aber auch Gräser, Gewürze, Beeren, Wachteleier, Elch, Bison und Ente – das sind einige der Hauptzutaten seiner Küche. … hyperlokal, ultrasaisonal, megagesund: ohne industriell verarbeitete Lebensmittel, ohne Zucker, ohne Weizen (oder Gluten), ohne Milchprodukte oder tierische Produkte mit hohem Cholesterinwert. Sie ist von Natur aus niedrigglykämisch, eiweißreich, salzarm, vorwiegend pflanzlich, mit vielen Körnern, Saaten und Nüssen. Vor allem aber ist sie mehr als köstlich. (…) Es ist eine Ernährungsweise, die uns alle so unmittelbar und profund wie möglich mit der Natur und miteinander verbindet. Quelle: Sean Sherman – Der Sioux-Chef. Indigen Kochen Zu Shermans Buch-Promotiontour in Europa gehört auch ein Dinner im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Der Saal des Restaurants „Weltwirtschaft“ ist ausgebucht, an meinem Tisch sitzen drei junge Frauen. Das Menü beginnt mit Süßkartoffel, Ahorn Chilli-Crisp und frittiertem Salbei. Warm, süss und cremig. Später gibt es Kürbis-Apfel-Suppe, Maisbrei und gebratene Ente, mariniert mit Ahornsirup und Zeder. Lilly, Therinka, Pheli und ich finden: alles schmeckt sehr nach dem, was es ist. Der Kürbis schmeckt vor allem nach Kürbis, die Ente nach Ente. Lilly sagt, es schmecke sogar „clean“. Mir fehlt etwas Salz und Pfeffer. Was während des Dinners auch deutlich wird: Sean Sherman ist nicht nur Koch und Marketing-Profi – er hat eine politische Agenda, sein Kochbuch ist Teil einer indigenen Bewusstseinswerdung. Dieses Essen ist politisch, denn es erzählt eine andere Geschichte als die US-Regierung. Die US-Regierung stellt die eigene koloniale Geschichte besser da als sie war. Denn tatsächlich gibt es noch immer so viel Schmerz und Trauma, dass durch den Kolonialismus und die US-Form der Vernichtung entstanden ist, durch die Vertreibung der Indigenen. Die USA haben noch immer nicht verarbeitet, dass sie nur deshalb eine Weltmacht sind, weil sie riesige Ländereien von den Indigenen geraubt haben. Land, das den Indigenen seit Generationen gehörte. Und gleichzeitig haben sie sehr viele Menschen aus Afrika verschleppt, die dann das aufgebaut haben, was heute die Vereinigten Staaten sind. Quelle: Sean Sherman Essen ist also nicht nur Essen – es ist eine Haltung. Wobei – neben dem Bedürfnis nach Salz und Pfeffer bleibt auch der Nachgeschmack eines Zweifels haften. Denn: immerhin sitzen beim Dinner im Haus der Kulturen der Welt nicht nur Lilly, Therinka, Pheli und ich am Tisch, sondern auch die eigene Prägung, literarische Figuren wie Winnetou und die sehr alte Idee vom edlen Wilden. Was bleibt, ist die vage Befürchtung, dass man sich hier auch den antikolonialen Gestus als exotische Zutat übers Essen träufelt.
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Dec 17, 2023 • 1min

Vigdis Hjorth – Die Wahrheiten meiner Mutter

Zum Fest der Liebe ein radikales Gegenprogramm: Die norwegische Autorin Vigdis Hjorth schreibt mit „Die Wahrheiten meiner Mutter“ eine unfassbar intensive Familiengeschichte, in der eine mittlerweile 60-Jährige Tochter um die Liebe ihrer greisen Mutter kämpft.
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Dec 17, 2023 • 1h 57min

SWR2 lesenswert Magazin u.a. mit dem neuen Buch von Dirk Schümer

Eine Woche vor Weihnachten schenken wir Ihnen ein extra langes SWR2 lesenswert Magazin – zwei Stunden statt wie sonst eine, picke-packe-voll mit Neuerscheinungen und spannenden Wieder-Entdeckungen. Natascha Wodin, die 2017 mit „Sie kam aus Mariupol“ den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, beeindruckt in „Der Fluss und das Meer“ mit neuen Erzählungen. Dirk Schümer hat mit „Die schwarze Lilie“ seinen zweiten Mittelalter-Krimi geschrieben. Im Interview erzählt er von der persönlichen Begegnung mit seinem Vorbild Umberto Eco. Rainer Maria Rilke ruft in seinen fulminanten „Duineser Elegien“ die Engel an – große Lyrik jetzt neu herausgegeben. Mit den himmlischen Boten beschäftigt sich auch der große Essayist Eliot Weinberger in seiner feinen Textsammlung „Engel und Heilige“. 2024 wäre Paul Feyerabend, das enfant terrible der deutschen Philosophie, 100 Jahre alt geworden. Seine gerade erschienene Vorlesung von 1985 „Historische Wurzeln moderner Probleme“ ist erstaunlich aktuell. Der israelische Autor Igal Avidan erklärt in „…und es wurde Licht“, wie Araber und Juden friedlich zusammenleben können. Darum, wie man Beziehungen pflegt und Freundschaften erhält, geht es der bekannten englischen Psychotherapeutin Philippa Perry mit ihrem neuen Buch. Außerdem kriegen Sie Kochtipps zum Fest von Sean Sherman, Native American und Star-Koch aus den USA. Die Rezepte in „Der Sioux-Chef“ lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. ARD-KorrespondentInnen erzählen, welche Bücher in anderen Ländern der Welt die Literaturszene vor Weihnachten beschäftigen. Und die SWR-Redaktion liefert persönliche Buchtipps zum Selberlesen oder Verschenken: Natascha Wodin – Der Fluss und das MeerRowohlt Verlag, 192 Seiten, 22 Euro ISBN 978-3-498-00376-0 Rezension von Silke Arning Dirk Schümer – Die schwarze LilieZsolnay Verlag, 608 Seiten, 28 Euro ISBN 978-3-552-07356-2 Gespräch mit Dirk Schümer Winter- und Weihnachts-Lektüren Tipps der SWR2 Literatur-Redaktion Sean Sherman – Der Sioux-ChefAus dem Amerikanischen von Sabine Franke Kanon Verlag, ca. 232 Seiten, 38 Euro ISBN 978-3-98568-082-5 Reportage von Kochtermin mit dem Autor im HKW Berlin von Daniel Stender Eliot Weinberger – Engel und HeiligeAus dem Englischen von Beatrice Faßbender Berenberg Verlag, 168 Seiten, 28 Euro ISBN 978-3-949203-68-8 Lesung von Eva Irion Rainer Maria Rilke – Duineser Elegien und zugehörige Gedichte 1912-1922 Herausgegeben von Christoph König Wallstein Verlag, 494 Seiten, 39 Euro ISBN 978-3-8353-5465-4 Lesung und Gespräch mit Frank Hertweck Paul Feyerabend – Historische Wurzeln moderner ProblemeSuhrkamp Verlag, 600 Seiten, 40 Euro ISBN 978-3-518-58805-5 Rezension von Sven Ahnert (mit O-Tönen des Herausgebers Michael Hagner) Igal Avidan – „… und es wurde Licht!“ Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel Berenberg Verlag, 256 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-949203-59-6 Gespräch mit Igal Avidan Was liest die Welt zu Weihnachten? ARD-KorrespondentInnen berichten Beiträge von Martin Adam (Polen), Anne Demmer (Mexiko), Julia Wäschenbach (Stockholm), Karin Wehrheim (Südafrika) Philippa Perry – Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Liebsten würden es lesen Aus dem Englischen von Corinna Rodewald und Claudia MaxUllstein Verlag, 240 Seiten, 22,99 Euro ISBN 978-3-55-020259-9 Gespräch mit Anja Brockert Musik:Jiska – At the duck pond Label: Believe Digital Altin Gün – Goca Dünya Label: Kuroneko Altin Gün – Aşk Label: Glitterbeat Records Dilla – Also bin ich Label: Four Music Wolfgang Haffner & Till Brönner – The peace inside Label: Act Till Brönner – Jesus to a child Label: Sony Classical Jeff Goldblum & Haley Reinhart – My Baby just cares for me Label: Decca Joni Mitchell – River Label: Reprise Records

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