SWR Kultur lesenswert - Literatur

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Feb 22, 2024 • 5min

Arne Dahl – Stummer Schrei. Eva Nymans erster Fall

Nach der A-Gruppe und den OpCops kommt jetzt die Sondereinheit NOVA: Der schwedische Beststeller-Autor Arne Dahl startet mit „Stummer Schrei“ eine neue Serie rund um die Stockholmer Polizistin Eva Nyman. Im ersten Band werden sie und ihr Team mit einer Anschlagserie von Ökoterroristen konfrontiert. Aktuell, brisant und spannend - Arne Dahl in Bestform.
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Feb 21, 2024 • 5min

Philipp Oswalt – Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik

Die „historische Rekonstruktion“ hat in Deutschland seit der „Wende“ Hochkonjunktur. Philipp Oswalts Buch hinterfragt die geschichtspolitische Programmatik hinter originalgetreuen Nachbauten wie des Berliner Schlosses oder der Potsdamer Garnisonkirche und zeigt am Wiederaufbau der Paulskirche und des Meisterhauses von Gropius in Dessau Alternativen geschichtsbewusster Rekonstruktion auf.
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Feb 20, 2024 • 5min

Markus Theunert – Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von heute

Das Mannsein in der heutigen Gesellschaft wird als komplexes Thema beleuchtet. Alte Rollenmuster werden hinterfragt, und es wird diskutiert, was als "männlich" gilt. Toxische Männlichkeit wird als Zeichen einer Identitätskrise betrachtet. Markus Theunert kombiniert Erkenntnisse der Geschlechterforschung mit humorvollen Anekdoten und ermutigt zu kritischer Selbstreflexion. Ein gesunder Umgang mit Männlichkeit wird als Ziel definiert.
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Feb 19, 2024 • 5min

Alia Trabucco Zerán – Mein Name ist Estela

Ein siebenjähriges Mädchen aus einer wohlhabenden Familie ist tot. Das Hausmädchen Estela sagt zu den Geschehnissen aus. Der Roman „Mein Name ist Estela“ ist das spannende Protokoll ihres Berichts. Die chilenische Autorin Alia Trabucco Zerán webt daraus Estelas Lebensgeschichte und das erschütternde Psychogramm einer Familie. Dies erlaubt einen Blick auf eine zutiefst gespaltene Leistungsgesellschaft.
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Feb 18, 2024 • 10min

Wie lässt sich Künstliche Intelligenz im lokalen Buchhandel nutzen?

Künstliche Intelligenz wird inzwischen sehr vielfältig eingesetzt - auch im lokalen Buchhandel. Eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet ist die Düsseldorfer Buchhändlerin Anja Urbschat: Ende 2021 hat sie in Düsseldorf ihre Buchhandlung localbook.shop gegründet und pflegt dort den analogen, lokalen Buchhandel, setzt aber gleichzeitig auf Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Im Laden arbeitet inzwischen auch eine Roboterin namens Pepper Book mit.
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Feb 18, 2024 • 7min

Werner Herzog – Die Zukunft der Wahrheit | Buchkritik

Werner Herzog: „Schauen Sie, in den letzten zwei Jahren habe ich drei Bücher geschrieben: einen Roman – ‚Das Dämmern der Welt‘ -, meine Memoiren und ‚Die Zukunft der Wahrheit‘. Ich habe einen massiven literarischen Output im Moment, aber in derselben Zeit habe ich auch zwei Filme gedreht.“ An künstlerischer Produktivität lässt es Werner Herzog auch im Alter von 81 Jahren nicht missen. Wie es um die Wahrheit bestellt ist in Zeiten von Photoshop, Deep Fakes und allgegenwärtiger digitaler Technologie, der Frage will er nachgehen. Werner Herzog: „Welche Zukunft hat eigentlich die Wahrheit heute mit Artificial Intelligence, also künstlicher Intelligenz? Welche Zukunft haben wir da, wo wir kaum mehr unterscheiden können, ob eine e-mail, die Sie erreicht, nicht von einer künstlichen Intelligenz, einem Roboter geschrieben ist? Oder eine Rede oder ein Politiker, der im Fernsehen auftritt, den können Sie heute schon künstlich herstellen, mit allen Gesichtsausdrücken, mit seinem Sprachduktus, seiner Intonation, seiner Stimme sozusagen auch!?“ Die schönste Lyrik stammte von einer KI So ist es Werner Herzog kürzlich selbst ergangenen, als eine KI einen so nie stattgefunden habenden Dialog zwischen ihm und dem slowenischen Philosophen Slavoj Zižek fingierte – für ihn „nichts anderes als die Mimikry eines Diskurses“.  Werner Herzog: „My name is AI. I am code. I know more than you. And Iʼm better.“ Vor kurzem hat man Werner Herzog gebeten, jene Lyrik einzulesen, die eine KI geschrieben hat – Code-Da-Vinci-002, eine frühe Version von ChatGPT. Und da Herzog, der selbst seit seiner Jugend Gedichte schreibt, diese von einem Roboter erzeugte Poesie für besser hielt als „fast alles“, was er in den letzten Jahrzehnten gelesen hatte, machte er mit, schreibt er in seinem jüngsten Buch. Der schmale Band von gerade mal hundert Seiten vereint noch mal jene Grundüberzeugungen, für die er seit jeher steht und die sich in seinem Begriff der „ekstatischen Wahrheit“ bündeln. Nur die Kunst, die Musik, die Literatur, das Kino können sie hervorbringen. Werner Herzog geht es auch in seinen Dokumentarfilmen immer darum, eine „tiefere Schicht von Wahrheit“ zu erkunden, „die uns jenseits des Vermittelns reiner Information ein fernes Echo von etwas vermittelt, das uns innerlich erleuchten kann“, ... Werner Herzog: „... eine Wahrheit zu finden, die einen illuminiert, eine ekstatische Wahrheit, im Widerspruch zum Cinema Verité, das ja die Wahrheit in Anspruch nimmt und im Grunde genommen aber immer auf der Oberfläche des Möglichen geblieben ist, das phänotypisch Oberflächliche, was da ist, wird beschrieben, wo ein viel zu großer Wert dem Faktum beigemessen wird.“ Fakten sind nur etwas für Buchhalter Das Faktum sei „mehr etwas für Buchhalter“, so Werner Herzog. „Wenn Fakten alleine zählten, wäre das Telefonbuch das Buch der Bücher“, formuliert er griffig. Man denkt an Maxim Gorkis Theaterstück Sommergäste. Darin brüllt eine etwas beschränkte Figur immer wieder: „Das ist ein Faktum!“, bis sie im Vierten Akt nur noch schnattert: "Faktum, Fakt, Fakt ... wie die Enten zu sagen pflegen." Herzog geht es um eine Überhöhung und Stilisierung der Realität auf seiner Wahrheitssuche. Werner Herzog: „Bezeichnenderweise hat André Gide, der französische Schriftsteller, einmal gesagt: Ich verändere Fakten in der Weise, dass sie der Wahrheit näherkommen als der Realität [im Original: J'arrange les faits de façon à les rendre plus conformes à la vérité que dans la réalité. Paludes, 1920]. Das ist wunderbar gesagt und das beste und einfachste Beispiel ist der Michelangelo mit seiner Skulptur von der Pietà. Wenn man sich den Jesus ansieht, vom Kreuz abgenommen, sieht man in das Gesicht eines 33-jährigen Mannes.  Und wenn wir uns das Gesicht seiner Mutter anschauen, stellen wir fest, dass die Mutter erst 15 Jahre alt ist, oder vielleicht 17. Jetzt kommt meine Frage: Hat Michelangelo versucht, uns fake news zu geben? Hat er versucht, zu belügen und zu betrügen?  Natürlich hat er das nicht. Er hat die Fakten so verändert, dass sie auf einmal einen Wahrheitsgehalt bekommen. Also die Wahrheit des Schmerzensmannes und die Wahrheit der Jungfrau Maria.“ So nachvollziehbar diese künstlerische Argumentation ist, so merkwürdig mutet es an, dass Herzog auch in diesem Buch wie schon in seinen Memoiren „Jeder für sich und Gott gegen alle“ William Shakespeare einen Satz in den Mund legt, den man in dessen Werk vergeblich suchen wird. Er lautet: „Die wahrhaftigste Dichtung ist die, die am meisten vortäuscht.“ Ob Herzog auch hier so vorgeht wie bei dem schönen, aber von ihm frei erfundenen Satz „Manchmal träumt der Krieg von sich selbst“, den er in seiner großartigen Doku „Lo and Behold – Wovon träumt das Internet?“ dem Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz untergeschoben hat? In diesem Punkt, räumt Herzog freimütig ein, nehme er es selbst nicht so genau mit der Wahrheit, allerdings würde er solche „Fälschungen“ als solche kenntlich machen.   Werner Herzog: „Ich lasse das Publikum ja auch immer wissen, hier habe ich auf einmal ein Zitat von Blaise Pascal, dem Philosophen, erfunden. Klar, Pascal hätte es auch nicht schöner sagen können (lacht).“ Niemand weiß, was Wahrheit wirklich ist Über nie verwirklichte Filmprojekte – eines davon mit dem Boxer Mike Tyson – schreibt Herzog auch in „Die Zukunft der Wahrheit“. Man erfährt Wissenswertes über die Entstehung hierzulande nie gezeigter Spielfilme wie „Family Romance, LLC“ oder „The Incident of Loch Ness“. In letzterem spielte Werner Herzog 2004 auf Bitten des Regisseurs Zak Penn sich selbst und sprach den nicht eben unbescheidenen Satz: „Mit mir beginnt die Wahrheit im Film.“ Kein Zitat signalisiert besser, warum man Werner Herzogs Suche nach der Wahrheit mit der nötigen Vorsicht begegnen sollte.   Werner Herzog: „Wahrheit ist etwas, das können wir nur mit Kneifzangen anfassen, weil das niemand weiß, was das wirklich ist: weder der Papst in Rom noch die Mathematiker noch die Philosophen können Ihnen da Auskunft geben.“
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Feb 18, 2024 • 6min

Nora Krug – Im Krieg | Buchkritik

Es ist nicht ganz einfach, diesen neuen Band von Nora Krug auf einen Nenner zu bringen. Es ist kein Comic, auch keine Graphic Novel, also keine illustrierte Erzählung. Sie selbst nennt es „visuellen Journalismus“ und so sind Auszüge aus ihrem neuen Buch „Im Krieg“ bereits in der Los Angeles Times erschienen. Ein Jahr lang, genau seit dem ersten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, hat die New Yorker Autorin den Verlauf des Krieges anhand zweier Zeitzeugenberichte verfolgt. Einmal in der Woche nahm sie dazu Kontakt mit der Kiewer Journalistin K. und dem russischen Künstler D. auf, um ihre Alltagserfahrungen abzufragen, ihren ganz unterschiedlichen Blick auf das Kriegsgeschehen einzufangen. Die russische Perspektive mit ins Boot zu holen, war ihr wichtig, wenngleich nicht unproblematisch: „Das Ziel war jetzt nie, einen – in Anführungsstrichen – guten Russen zu zeigen, also einen Helden, gleichzeitig aber auch keinen Putin-Unterstützer, einen Fanatiker. Sondern eher eine komplexe Perspektive zu zeigen eines Mannes, der gegen Putin ist und auch mutig genug ist, sich mir gegenüber ein Jahr lang dazu zu positionieren, gleichzeitig sich aber eingesteht, dass er sich nicht traut, momentan auf Demonstrationen zu gehen, sich im Exil in Paris öffentlich zu positionieren gegen den Krieg, dass er kein Aktivist ist.“ Die Gleichzeitigkeit extrem unterschiedlicher Kriegserfahrungen Die wöchentlichen Notizen aus Kiew und St.Petersburg hat Nora Krug in einen Fließtext übersetzt, Fakten und Zahlen zuvor noch einmal geprüft, dann jeweils auf einer Doppelseite gegenübergestellt. Eine starke Wirkung. Besonders bei der Gleichzeitigkeit extrem unterschiedlicher Kriegserfahrungen. Nach den ersten Bombardements zum Beispiel bringt die Kiewer Journalistin als erstes ihre beiden Kinder, zwei und sechs Jahre alt, nach Kopenhagen in Sicherheit, um dann als Berichterstatterin an die Front zurückzukehren. Die Kinder des russischen Künstlers nehmen den Krieg erst dann zur Kenntnis, als sie in Petersburg wegen des Boykotts kein Nintendo-Spiel mehr kaufen können. Im Sommer fahren die Russen zum Strandurlaub auf die Krim und werden von der ukrainischen Gegenoffensive erfasst. Zur selben Zeit entdeckt die Kiewer Journalistin ein russisches Propagandavideo über ihren Freund, einen Menschenrechtsaktivisten und Pazifisten, der in russische Gefangenschaft geraten ist. Schmerz und Verlust auf beiden Seiten Ohnmacht und Schmerz sprechen aus ihrer Schilderung. Tod, Zerstörung und Verlust sind Erfahrungen, mit denen die Frau aus Kiew jeden Tag aufs Neue umgehen muss. Bedroht fühlt sich aber auch der russische Künstler, doch bei ihm sei es eher ein innerer Kampf, hat Nora Krug beobachtet: „Also den Kampf mit dem mit dem Regime das Landes, das er eigentlich liebt, weil es seine Heimat ist, der Kampf aber auch mit der eigenen Passivität, gesteht sich auch ein, dass er oft nicht genug tut und das war für mich sehr interessant zu beobachten. Und für mich ist es deswegen eine wichtige Perspektive, weil sie, finde ich, eine Art Spiegel darstellt. Also die Hoffnung ist, dass der Leser und die Leserin sich dann darin spiegeln und vielleicht selbst mit unserer eigenen Passivität auseinandersetzen. Tun wir genug, was können wir noch mehr tun, um uns gegen Russland, aber auch andere tyrannische Tendenzen zu wehren und aktiv zu werden? Also tun wir genug gegen die AfD? Tun wir genug in den USA gegen Donald Trump?“ An dieser Stelle scheinen die Tagebucheinträge des russischen Künstlers eine Ahnung zu vermitteln: die verzweifelten Bemühungen, sich und die Familie dem totalitären Staatszugriff zu entziehen, Papiere zu bekommen, Arbeit im Ausland, auswandern zu können. Und dann die traurige Erkenntnis: „Es macht mehr Angst Russland zu verlassen, weil man Angst hat im Ausland einsam zu sein“. „Was mir sehr wichtig war, war, dass wir ja oft in den Medienberichterstattungen sehr wenig über die Alltagserfahrung der Menschen erfahren. Also wir Lesen über das Kriegsgeschehen, über die Entwicklung des Krieges, was natürlich sehr wichtig ist. Also die Fakten sind ganz wichtig und unbestreitbar. Aber es sind eben gerade die persönlichen Erzählungen, die uns auch noch mal einen tieferen und anderen und emotionaleren Einblick verschaffen können.“ Nachdenken über Verantwortung, Schuld und Hass Und es bleibt nicht bei den Alltagsberichten. Nora Krug bringt die beiden dazu, mit sich selbst ehrlich ins Gericht zu gehen. Über Verantwortung, Schuld und Hass. Beide Stimmen kommen ins Nachdenken über Kategorien, die in diesem Krieg nur zu gern auch politisch ausgeschlachtet werden: über Heimat und Patriotismus, über kulturelle Zugehörigkeit und Identität. So entsteht ein sehr komplexes, ambivalentes Bild. Der Band „Im Krieg. Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg“ will nicht erklären oder versöhnen. Es sind diese zwei sehr unterschiedlichen, individuellen Stimmen, denen Nora Krug eine Bühne gibt. Textlich hält sie sich ohnehin ganz zurück. Sie spricht allein durch ihre farblich bedeckt gehaltenen Illustrationen, die die Emotionen der beiden Menschen bildlich verstärken – ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Gleichzeitig ist Nora Krug ganz um die Anonymität ihrer Zeitzeugen bemüht, die man nie wirklich erfasst, sondern nur schemenhaft von der Seite oder von hinten. Immer wieder liegt der Focus auf der Körperhaltung, Hände spielen eine große Rolle in den Zeichnungen, Ohne aufdringlich oder übergriffig zu werden, schafft Nora Krug so sehr persönliche Innen-Ansichten. Bemerkenswert unaufgeregt, sehr sensibel und zugleich sehr intensiv.  „Im Krieg“ – ist ein eindrücklicher Appell, genau hinzusehen.
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Feb 18, 2024 • 7min

Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika | Buchkritik

Erstmal ein bisschen Wikipedia-Wissen: Iowa ist der 29. Bundesstaat der USA, gelegen im Mittleren Westen, gut drei Millionen Einwohner leben dort, fast alle davon weiß. Die größte Stadt mit knapp über 200.000 Einwohnern ist Des Moines. Politisch geht es heute munter zwischen demokratischen und republikanischen Mehrheiten hin und her. Kulturell ist in Iowa wenig zu holen; die Haupterzeugnisse sind Schweine, Mais, Sojabohnen, Kartoffeln, Rinder und Milchprodukte. Dorthin, nach Iowa, verschlug es 2022 die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel und die Berliner Musikerin Christiane Rösinger, „die Speerspitze feministischer Kunst“, wie es einmal mit angemessener Selbstverständlichkeit heißt. Die ersten Eindrücke der beiden nach ihrer Ankunft haben durchaus symptomatischen Charakter: „Draußen zieht Iowa an uns vorbei, in der Dunkelheit erkennt man allerdings nicht viel. Rote Windräderlichter blinken am Horizont und scheinen auf und ab zu hüpfen. Die Fast-Food-Kettenrestaurants am Wegrand sind dagegen unbeleuchtet, die Straßen kaum befahren. Alles ist still, es ist, als flögen wir durch ein Vakuum.“ Quelle: Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika Zwei Berliner Bohmemiennes im Mittleren Westen Vakuum trifft es ganz gut, zumindest für Wiener und Berliner Bohemiennes: In Iowa findet sich der größte Truckstop der Welt, die Landwirtschaftsmesse „Iowa State Fair“ lockt eine Million Menschen an, die sich bei Jodel-, Cowboy- oder Holzhackwettbewerben vergnügen können. Die Bars wirken wie Bahnhofs-Wartesäle, die Supermärkte sind überdimensioniert, mit Waffen kann man sich rund um die Uhr eindecken, die meisten Menschen sind ziemlich übergewichtig, und auf den Straßen begegnet man all den schönen Stereotypen, die man so vom ländlichen Amerika im Kopf und aus hunderten Spielfilmen im Gedächtnis hat, bis hin zu Amish-Gemeinden, die ihr gottgefälliges Leben fast noch wie im 19. Jahrhundert fristen. Auch am Zielort Grinnell, einer Kleinstadt mit nicht mal 10.000 Bürgern, müssen Sargnagel und Rösinger erst einmal einen Wirklichkeitsschock verdauen: „Der graue Himmel hängt seit Tagen tief über Grinnell, und die mit toten Tieren übersäten Straßen strahlen noch intensiver als sonst die Anmutung aus, sie würden nirgends hinführen. Wenn wir einfach eine Straße irgendwohin nehmen würden, wären wir am Ende wahrscheinlich wieder in Grinnell. Man kann sich schon vorstellen, wie man zwischen Beton und Wolken langsam zerquetscht wird. Allerdings wirken die Menschen hier zufriedener, als wir Besucherinnen aus der Großstadt mit unserem herablassenden Mitgefühl vermutet hätten. Sie sind wahrscheinlich ausgelastet mit ihren Beziehungen. Und ein bisschen Programm gibt es dann doch immer: Ich entdecke eine neue Veranstaltungsankündigung an der Scheibe, durch die man auf den Parkplatz blickt. Ein älteres Pärchen tritt als Double von Dolly Parton und Kenny auf. Leider war auch das schon gestern.“ Quelle: Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika Ethnologische Erkundung im lustig-sarkastischen Ton „Grinnell, Grinnell. Boring as hell“, singt Christiane Rösinger vor sich hin. Wie eine Insel der Diversität und Intellektualität wirkt da das Grinnell College, eine liberale, private Kunsthochschule, die der eigentliche Grund für die Reise ist: Stefanie Sargnagel soll Deutschstudierenden etwas über Schreiben und Humor beibringen, und Christiane Rösinger ist als launig-launische Begleiterin, gute Freundin und seelische Unterstützung in den ersten Iowa-Wochen mit dabei. Solche Schreibworkshops gibt es an vielen Unis der USA, und immer wieder dürfen auch deutschsprachige Autorinnen und Autoren dort von ihrem Tun berichten. Das ist natürlich weniger ernstzunehmender Unterricht als vielmehr ein schickes Stipendium mit Auslandsaufenthalt, der wiederum nicht selten in dann eigens verfasste Bücher einfließt. In diesem Fall heißt das Buch schlicht „Iowa“, und es erzählt im lustig-sarkastischen Sargnagel-Ton von der ethnologischen Erkundung des Mittleren Westens, in Fußnoten wunderbar komisch kommentiert und korrigiert von Christiane Rösinger. Das klingt dann etwa so bärbeißig wie hier, wo die Erzählung eines Ausflugs nach Chicago, Illinois, von Rösinger ergänzt wird: „Selten habe ich die unerschrockene Stefanie Sargnagel so hilflos erlebt. Als am Busbahnhof in Chicago – anders, als es die App versprochen hatte – kein Linienbus anhielt, brach ihre schöne Google-Maps-Welt zusammen und sie verlor jeglichen Halt. Auf was in der Welt ist Verlass, wenn noch nicht mal Google Maps funktioniert! Zum Glück erinnerte ich mich der alten Kulturtechnik des Vorbeifahrenden-Taxis-mit-Handzeichen-signalisieren-dass-man–mitfahren-will, und wir wurden gerettet." Quelle: Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika Komik entsteht hier aus dem Zusammenprall von Gegensätzen Was Humor ist, lässt sich weder recht lehren noch erklären. Aber die Komik im Falle von „Iowa“ entwickelt sich aus dem Zusammenprall von Gegensätzen: Da ist zum einen das „Odd Couple“ Sargnagel und Rösinger – die eine in der Rolle des etwas weltfremden Millennials, dennoch selbstironisch, ein bisschen unberechenbar, den Hang zum Prolligen etwa in einer Absturzbar mit absturzgefährdeten Ureinwohnern auslebend. Die andere gibt die reife, abgeklärte, meinungsfreudige, idiosynkratische Szenegröße, die aber abends auf dem Sofa in gemütlicher Freizeitkleidung das ZEIT-Rätsel löst. Als verdienstvolle 60-Jährige darf man sich schon mal gehen lassen. Großstadtdünkel gegen Provinzdumpfheit, wokes Collegeleben gegen konservatives Landvolk, Europa versus USA – aus diesen Oppositionen lassen sich schriftstellerische Funken schlagen. Das ist sehr charmant und von subtilem bis derbem Witz, manchmal ein bisschen berechenbar und nah am Klischee gebaut (Klischees sind ja ein gutes Material für Komik). Es ist auch ein bisschen weise, wenn das Altern etwa als „Attraktivitätskommunismus“ beschrieben oder Tratsch zur Essenz von Gemeinschaft erklärt wird. Ganz selten schimmert zwischen dem Originalitäts- und Pointenzwang, der Sargnagels Social-Media-Sozialisation geschuldet sein mag, auch eine vom Älterwerden ausgelöste Melancholie durch. Und öfter eine ganz grundsätzliche Skepsis gegenüber den sozialen Blasen, in denen man sich so bewegt. Als einmal ein heruntergekommen ausschauender Mann auf dem Campus des Grinnell College nach einer Toilette fragt und die Angesprochenen ganz hilflos dastehen, resümiert Sargnagel: „Die StudentInnen reisen zwar regelmäßig in die Welt, um globale soziale Krisen zu analysieren, sie machen Freiwilligendienste in Burkina Faso oder Praktika in bulgarischen Elendsvierteln. Kommen soziale Probleme allerdings an ihren Campus, ohne dass sie bestellt wurden, ohne Vor- und Nachbereitung, ohne dass man weiß, wie lange der Aufenthalt dauert, sieht man die Ratlosigkeit in ihren Blicken.“ Quelle: Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika Der Blick Sargnagels auf die sie umgebende Welt ist eben nicht nur einer, der nach Skurrilität zur bestmöglichen, unterhaltsamsten Textaufarbeitung giert. Sondern durchaus ein erkenntnissuchender und schonungsloser. Das gilt, wenn sie andere zur Kenntlichkeit überzeichnet. Aber auch, wenn sie über sich selbst ohne allzu große Rücksicht nachdenkt. In Deutschland sind solche lustigen, aber eben auch nicht ganz blöden Bücher anders als in angelsächsischen Ländern ja eher eine Seltenheit. Wer also mal nicht unter seinem Niveau lachen will, sollte zu „Iowa“ greifen.
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Feb 18, 2024 • 6min

Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben | Buchkritik

„Um sein Leben schreiben“ hat Safranski sein Buch genannt.  Und gleich am Anfang erklärt er, was das bedeutet. Dieses Buch verfolgt eine einzige Spur im Leben Franz Kafkas, es ist die eigentlich naheliegende: Das Schreiben selbst und sein Kampf darum. Er selbst sagte von sich: „Ich habe kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.“ In den ekstatischen Zuständen des Schreibens fühlte sich Kafka erst wirklich lebendig. Quelle: Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben Damit hat Safranski auch noch ein zweites Thema gefunden, an dem er sich abarbeitet: Kafka war mit dem Schreiben eng verbunden, entsprechend passen Frauen nicht in sein Leben, aber sie sind trotzdem immer da, die Schwester, aber auch die Freundinnen, Gefährtinnen, Verlobten, Geliebten, Felice Bauer, Grete Bloch, Julie Wohryzek, am Schluss Dora Diamant. An diesen Stationen macht Safranski auch die jeweiligen Schriften fest. Es ist ihm wichtiger als die Arbeit in der Versicherung, wichtiger als die Ausflüge und als die Zeitgeschichte und das wirkt plausibel. Kritik des modernen Industriekapitalismus Natürlich ist dadurch Felice Bauer in der Pole Position: Zweimal verlobt sich Kafka mit ihr, zweimal trennt er sich wieder mit Verweis auf seine literarische Existenz. Ihr liest Kafka die in einer Nacht herunter geschriebene Erzählung „Das Urteil“ vor, später „Die Verwandlung“, und das erste große Romanfragment, nämlich den „Verschollenen". Safranski liest diesen ersten Roman Kafkas recht traditionell: „Kafka, darin sind sich alle Interpreten einig, zeigt sich hier als Kritiker des modernen Industriekapitalismus in seiner fortgeschrittenen amerikanischen Variante, die er allerdings nur aus Büchern kannte.“ Quelle: Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben Ob das so eindeutig ist, kann man hinterfragen – Karl Rossmann, der Held, bewundert Amerika, und die Kritik, um die es hier geht, ist sehr abstrakt. Eigentlich kommt im Roman nur das Gefühl des persönlichen Ungenügens heraus: Karl Rossmann scheitert am laufenden Band und fühlt sich fremd, Scheitern und Fremdsein sind zwei Empfindungen, die schließlich alle Kafka(?)-Helden mit sich herumtragen. Aber, das ist vielleicht der Knackpunkt bei Safranski: Man merkt die Selbstsicherheit Safranskis und man spürt, wie weit weg die vom vorsichtig tastenden Schreibstil Kafkas ist. Nichts wird ausgespart, aber alles diskret behandelt Aber vielleicht ist das ja auch nur wieder ein Zeugnis dafür, wie unterschiedlich man Kafkas Werk lesen kann. Safranski liest sehr sorgfältig entlang der Biografie ausgewählte Erzählungen und die Romane, und wo es sich anbietet, nähert er sich den großen Themen: Religion, Schuldgefühle, der Vater, die Sexualität. Es ist ein Kafka mit allem für alle: Biographie, Essays, Werkmonographie - alles verbindet  der Bestseller-Autor Safranski elegant in seiner Kafka-Deutung. Er ist (es gab mal ein Projekt von Wolfgang Herrndorf mit dem Namen) dabei ein außerordentlich „höflicher Paparazzi“: nichts wird ausgespart, aber alles wird diskret behandelt. Das ist angenehm. Man erfährt sogar von der Möglichkeit, dass Kafka Vater eines Kindes war, Grete, die mit Felice befreundet blieb, wird viele Jahre später, 1940, in einem Brief an einen Freund berichten, dass sie im Spätsommer 1914 einen Sohn zur Welt gebracht habe. Ihre Andeutungen über dessen Vater haben die Spekulationen angeregt, es könnte sich dabei um Kafka handeln. Genaues weiß man nicht, nur dass dieser Sohn im Alter von sieben Jahren 1921 starb. Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass Kafka selbst davon etwas gewusst hat. Quelle: Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben Josefine, die seltsame Pfeif-Künstlerin Der höfliche Paparazzo macht allerdings auch etwas nicht, und auch das macht das Buch angenehm: Kafka ist in den sozialen Medien ein Superstar, es gibt hunderte von Tiktok-Gruppen und tausende von Beiträgen in seinem Namen. Seine Wirkungsgeschichte ist weltumspannend. Ein seltsamer Widerspruch zum stillen Werk. Safranski lässt diesen Trubel nach dem Tod weg, beschreibt nur, warum Max Brod sich über Kafkas Bitte hinwegsetzt, die unveröffentlichten Manuskripte und Briefe zu verbrennen. Passenderweise endet Safranski mit der letzten Erzählung vor dem frühen Tod Kafkas am 3.6.1924, mit Josefine, der seltsamen Pfeif-Künstlerin: Es gibt da ein fundamentales Missverständnis zwischen Josefine und ihrem Volk. Josefine beklagt sich, sie würde vom Volk nicht verstanden. Sie denkt, was sie pfeift, sei das Entscheidende und das Volk würde das nicht verstehen. Sie selbst aber versteht nicht, was das Volk an ihr zu schätzen weiß. Und das ist eben nicht das Pfeifen selbst, sondern die Stille, die sich darum herum ausbreitet. Das Wunder ist, dass diese Stille es dem Volk erlaubt, sich selbst als Gemeinschaft zu erleben. …  Was bleibt, ist eine Erinnerung an ihr Pfeifen. Doch, so heißt es am Schluss, war ihr wirkliches Pfeifen nennenswert lauter und lebendiger, als die Erinnerung daran sein wird? Quelle: Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben Das Pfeifen war leise, aber es ist bis heute sehr markant. Safranski lässt sich nicht ein auf die Frage, was die Erinnerung an Kafka heute so laut und lebendig sein lässt, was Kafka so außerordentlich erfolgreich macht. Sein Buch ist streng fokussiert auf Franz Kafka und sein Werk. Zu allem anderen muss man selbst in die Werke hineinschauen und sich fragen: Was macht das mit mir, dem Leser? Man kann Rüdiger Safranski für dieses genaue, zurückhaltende Buch dankbar sein.
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Feb 18, 2024 • 54min

SWR2 lesenswert Magazin u.a. mit neuem Buch von Werner Herzog

Was ist eigentlich Wahrheit - in Zeiten von Fake News, Manipulation und KI? Darüber macht sich der Filmregisseur Werner Herzog in seinem neuen Buch „Die Zukunft der Wahrheit“ einige interessante Gedanken. Wir haben mit ihm darüber gesprochen. Dass Künstliche Intelligenz auch sehr nützlich eingesetzt werden kann: Darüber sprechen wir mit der Buchhändlerin Anja Urbschat, die in ihrem Alltag in ihrer Düsseldorfer Buchhandlung sehr viel auf Digitalisierung und KI setzt. Zu ihren Angestellten gehört inzwischen auch eine Roboterin. Die in Karlsruhe geborene Illustratorin Nora Krug legt mit  „Im Krieg“ ein tief berührendes Buch über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vor: zwei illustrierte Tagebücher von Kriegszeugen aus Kiew und St. Petersburg. Zu seinem 125. Geburtstag am 23. Februar erinnern wir an Erich Kästner, dessen Schriften 1933 von den Nazis verbrannt wurden: ein wichtiger Zeitzeuge des NS-Terrors, der gerade jetzt wieder gelesen werden sollte. Welcher Autor hat schon sein eigenes Adjektiv? Franz Kafka, gestorben vor 100 Jahren, ist das geglückt: unheimliche Situationen nennen wir „kafkaesk“. Rüdiger Safranski hat diesem so einflussreichen Autor des 20. Jahrhunderts eine gut lesbare Werkbiographie gewidmet: „Um sein Leben schreiben“. Und dann geht es noch in den Mittleren Westen der USA, nach Iowa. Die österreichische Satirikerin, Schriftstellerin und Cartoonisten Stefanie Sargnagel hat es als Leiterin eines Schreibseminares dorthin verschlagen. An ihrer Seite: die deutsche Indie-Pop-Ikone Christiane Rösinger: ein köstlicher Roadtrip zweier Großstadtpflanzen durch die mittelamerikanische Einöde. Werner Herzog – Die Zukunft der WahrheitHanser Verlag, 112 Seiten, 22 Euro ISBN 978-3-446-27943-8 Rezension von Knut Cordsen Wie lässt sich Künstliche Intelligenz im lokalen Buchhandel nutzen? Gespräch mit der Buchhändlerin Anja Urbschat von localbook.shop, Düsseldorf Nora Krug – Im Krieg Übersetzt von Alexander Weber, Nora Krug Penguin Verlag, 128 Seiten, 28 Euro ISBN 978-3-328-60325-2 Rezension von Silke Arning Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben Hanser Verlag, 240 Seiten, 26 Euro ISBN 978-3-446-27972-8 Rezension von Alexander Wasner Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika Rowohlt Verlag, 304 Seiten, 22 Euro ISBN 978-3-498-00340-1 Rezension von Ulrich Rüdenauer Musik:  Stacey Kent – Summer me, Winter me Label: NAIVE

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