SWR Kultur lesenswert - Literatur

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Jul 21, 2024 • 2min

Sommer-Lesetipp: T. C. Boyle – Blue Skies

Mehr wettergeprägte Bücher
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Jul 21, 2024 • 6min

Jessica Lind – Kleine Monster | Buchkritik

Man darf sich Pia, Jakob und ihren kleinen Sohn Luca eigentlich als eine glückliche Familie vorstellen. Bis zu jenem Tag, an dem Lucas Grundschullehrerin die Eltern zu einer Unterredung in die Schule bittet. Etwas ist passiert. Ein Zwischenfall mit einer Mitschülerin, als Luca mit ihr allein im Klassenzimmer war. Mädchen, so sagt die Lehrerin, denken sich so etwas nicht aus. Der Vorfall, dessen Details Jessica Lind ganz bewusst im Vagen lässt, hat Folgen. Zunächst einmal werden Jakob und Pia stillschweigend aus der Eltern-WhatsApp-Gruppe der Klasse entfernt. Dort, so wissen sie, wird nun über ihren Sohn geredet, ohne dass sie ihn verteidigen können. Was hat der eigene Sohn getan? Vor allem aber in Pia, der Ich-Erzählerin von „Kleine Monster“, nisten sich Zweifel gegenüber ihrem Sohn ein. Verschweigt Luca den Eltern etwas? Sind Kinder so unschuldig, wie die Eltern stets glauben? Oder stecken in ihnen tatsächlich, wie der Romantitel suggeriert, manipulative „Kleine Monster“? Jessica Lind beschreibt den Wandel, der in ihrer Ich-Erzählerin schleichend vonstatten geht, folgendermaßen: Jessica Lind erzählt: „Zu Beginn ist Pia eine ganz normale Mutter, die ihren Sohn Luca über alles liebt, doch durch diesen Vorfall in der Schule beginnt sie ihn mit anderen Augen zu sehen und fragt sich, ob er irgend etwas vor ihr verbirgt. Gleichzeitig erinnert sie sein Verhalten an ihre eigene Kindheit und das Aufwachsen mit ihren Schwestern. Sie sieht vor allem ihre Adoptivschwester Romi in ihm, und um Romi war immer ein Geheimnis. Ihre Schwester hatte sie irgendwie nie ganz verstanden, das ist aber keine Frage der Liebe an sich. Pia fühlt sich für Luca verantwortlich und deswegen sieht sie es als ihre Aufgabe, hinter sein Geheimnis zu kommen.“ „Kleine Monster“ ist ein raffiniert gebauter, doppelbödiger Roman. Denkt man zunächst, dass Jessica Lind wieder einmal den Versuch unternehmen könnte, das Zeitgeistthema „Regretting Motherhood“ einem Roman überzustülpen, zeigt sich bald, dass es Lind um etwas Anderes geht. Der zweite Handlungsstrang des Romans erzählt von Pias Aufwachsen und von ihrem Verhältnis zu den eigenen Eltern. Pia war die älteste von drei Schwestern. Romi, die mittlere Schwester, kam als Adoptivkind in die Familie und versuchte seit der frühen Kindheit ihren eigenen Weg zu gehen. Linda, die jüngste Schwester, der Pias Sohn Luca verblüffend ähnlich sieht, ist im Alter von vier Jahren in einem See in der Nähe ihres Elternhauses ertrunken. Pia lag zu diesem Zeitpunkt krank im Bett; Romi hat, so wird es erzählt, noch versucht, die Schwester zu retten. Tragischer Unfall ist das Herz des Romans Dieser tragische Unfall ist das heimliche, traumatische Zentrum des Romans. Er bestimmt Pias Blick auf Erziehung, Partnerschaft und ein Familiengefüge, das nach dem Tod der Schwester zu implodieren drohte. Die Eltern wurden hart, peinigten die Kinder, vor allem Romi, so lange mit Strafen, ellenlangen Verbotslisten und Züchtigungen, bis diese sich lossagte und das Haus verließ. Jessica Lind hat an der Wiener Filmakademie Drehbuch studiert. Und auch wenn sie hin und wieder etwas überexplizit wird und die Handlungsmotive ihrer Figuren eine Spur zu deutlich kommentiert, hat Lind andererseits ein gutes Gespür für den Aufbau von Szenen und auch für Dialoge. Sei es in Pias Kommunikation mit ihrer Mutter, sei es in der Auslotung ihrer Beziehung zu Jakob oder auch im Umgang mit ihrem Sohn Luca – Lind inszeniert die Institution Familie als eine permanente Konkurrenzsituation. Um ein Buhlen um Zuwendung, Aufmerksamkeit, Zeit und Status. Zugleich aber bewertet Pia ihre Erinnerung an ihre Kindheit noch einmal neu, wie Jessica Lind erklärt: „Ich glaube, Pia ist am Anfang gar nicht bewusst, wie sehr sie das Trauma ihrer Kindheit begleitet und wie sehr es auch ihr Verhalten prägt. Dieser Prozess, dass sie sich mit der Vergangenheit beschäftigt, sich ihre eigene Kindheit noch einmal anschaut und beginnt, Sachen neu zu bewerten – das passiert erst im Laufe des Romans und ist auch das Zentrum der Geschichte. Ich glaube, dass wir in unserem Dreißigern, egal ob wir Kinder haben oder nicht, plötzlich mit anderen Augen auf unsere Kindheit blicken und vielleicht draufkommen, dass manches, was wir sicher geglaubt haben, doch zumindest mit einem anderen Beigeschmack, mit einer anderen Note auch noch betrachtet werden kann.“ Ein Text voller Falltüren Auch diese Einsicht hebt „Kleine Monster“ über eine rein privatistische Geschichte heraus ins Allgemeingültige. Der Roman wirft auch die Frage auf, inwieweit Generationen untereinander fair und gerecht übereinander urteilen. Das Geschehen bekommen wir ausschließlich durch den Filter von Pias Weltsicht präsentiert. Eine Weltsicht, in der durchaus auch finstere, zerstörerische Tendenzen Platz haben. Vor dem Spiegel übt Pia das Lächeln, denn wenn sie lächele, so sagt sie es, sehe man ihr ihre Gedanken nicht an. Auf engem Raum von rund 250 Seiten ist „Kleine Monster“ ein an der Oberfläche eher distanziert-kühler Text, in dem sich immer wieder Falltüren öffnen. Das weiß auch die Autorin: „Generell ging es mir bei „Kleine Monster“ darum, dass große Gefühle in Familien eben sehr nah beieinander liegen können. Liebe und Hass, Nähe und Distanz sind nur zwei Beispiele, und sich das anzuschauen in diesem Schmelztiegel Familie, wo das Ganze auch hochkochen kann, das interessiert mich sehr und deswegen mache ich das auch gerne zum Schauplatz meiner Geschichten.“ Einer Geschichte, die im Fall von „Kleine Monster“ auf hintergründige Weise zu überzeugen vermag.
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Jul 21, 2024 • 7min

Joann Sfar – Der Götzendiener | Buchkritik

Natürlich hat der Comic-Autor Joann Sfar mehrere Götter. Einer von ihnen ist Serge Gainsbourg. Am 2. März 1991 erfuhr ich in einer Seilbahn vom Tod Serge Gainsbourgs. Ich bin in dem Wintersportort, in dem meine Mutter siebzehn Jahre zuvor gestorben ist. Ich nehme Gainsbourgs Tod zu ernst. Irgendwas läuft hier schief. Ich wusste kaum etwas vom Tod meiner Mutter, also weine ich um Serge Gainsbourg. Quelle: Joann Sfar – Der Götzendiener Comic über die Leere nach dem Tod der Mutter Über Serge Gainsbourg hat Joann Sfar 2010 einen Spielfilm gedreht. Doch die Trauer um das tote Idol steht hier für eine andere Trauer: Joann Sfars Mutter ist gestorben als er drei Jahre alt war. Jahrelang verschwieg ihm sein Vater, ein angesehener Rechtsanwalt in Nizza, ihren Tod. Die Mama sei verreist. In seinem neuesten autobiografischen Band „Der Götzendiener“ setzt sich der Comic-Zeichner Joann Sfar mit der Leere auseinander, die der Tod seiner Mutter hinterlassen hat. Ein Elefant im Raum. Ich kann ohne Ende essen. Ich fühle mich nie voll. Manchmal tusche ich sogar schwarze Flächen mit einer Schreibfeder. Das ist sehr befriedigend. Aber es hört nie auf. Quelle: Joann Sfar – Der Götzendiener Gespräche prägen diesen Band, Gespräche von Joann Sfar mit seinem Psychotherapeuten und einem Rabbi in Nizza. Aber Theologie und Psychoanalyse bilden nur einen Rahmen. Wirklich persönlich ist dieser Comic, weil Joann Sfar sich auf die Suche macht, nach den Ursprüngen seiner Kunst. Warum ist er Zeichner geworden? Mit dem Zeichnen und Malen haben jedenfalls die wenigen Erinnerungen an seine Mutter zu tun. Suche nach den Ursprüngen seiner Kunst Zum Beispiel Asterix: Meine Mutter lebt da noch. Ich male mit dem Kugelschreiber in ihren Asterix-Erstausgaben herum. Nicht, um sie zu beschädigen. Sondern, weil ich betört bin von Uderzos Zeichnungen und davon träume, das auch zu können. Oder besser, mich auf die eine oder andere Weise an seinen Zeichnungen zu beteiligen. Aber diesmal bekomme ich wenige Komplimente. Und auch nicht, als Mama geweint hat, weil ich die weißen Tiere auf einer Kinderdecke ausgemalt hatte. Ich sehe meine Mutter mit hochgekrempelten Jeans im Bad, wie sie weinend die Decke reinigt. Ich weiß, dass es meine Schuld ist, und es macht mich noch heute traurig. Denn es ist eine der lebendigsten Erinnerungen an sie. Quelle: Joann Sfar – Der Götzendiener Wenn sein Therapeut ihn auf das Fehlen der Mutter anspricht, antwortet Sfar, dass er lieber ein Buch darüber zeichnen würde. Das Zeichnen, das Leben in Bildern, das Leben als Bildermacher: Wenn es die Leere füllt, wird es dann zum Lebensersatz, eine Flucht vor dem Leben? Wenn du ein Bild mehr liebst als die Wirklichkeit, bist du verloren. Hier ein konkretes Beispiel: Ich bin bei einer Brünetten und verschüchtert. Sie will unbedingt, dass ich mit ihr schlafe. Wir haben uns gerade kennengelernt. Ich fühle mich unwohl. Sie anzusehen, würde mir reichen. Sie macht alles viel schneller als ich. Sie ist vor mir nackt. Das stresst mich. Ich ziehe mich mental zurück. Ich fange an, sie in meinem Kopf zu zeichnen. Wussten Sie das? Dass ein Zeichner sogar ohne Stift in der Hand zeichnet? Wenn ich zeichne, krieg ich keinen hoch. Mit einer Autorität wie der von Francois Mitterand oder meiner Großmutter väterlicherseits, erklärt sie: Und doch wird es passieren müssen! Schließe die Augen! Und sobald ich die Augen schließe, krieg ich einen hoch. Verstehen Sie? Zeichnen und Leben, beides gleichzeitig ist nicht so einfach. Quelle: Joann Sfar – Der Götzendiener Der Comiczeichner – ein Götzendiener? Eine typische Joann Sfar Szene. Auch, was den Humor betrifft. Denn unten auf der Seite mit der Sex-Szene, die von der Kunst handelt, die dem Leben in die Quere kommt, zeichnet Sfar eine Katze, die einen Vogel gefräßig anschaut und ihm zuraunt: Schließ die Augen! Und vom kleinen Witz springt Joann Sfar dann unvermittelt zum nächsten großen Thema: Neben der Trauer und dem schwierigen Verhältnis von Kunst und Leben befragt Sfar auch seine jüdische Identität. „Götzenanbetung ist, wenn man sich lieber einem Bild anvertraut als der Welt.“ Sagt der befreundete Rabbi zu dem jungen Comiczeichner. Das zweite Gebot Moses, das Bilderverbot: vielleicht folgt es auch der lebensklugen Einsicht, dass ein Glaube, der sich perfekte Bilder macht und in der bildlichen Perfektion erstarrt, das Leben mit erstarren lässt. Bin ich als Comiczeichner dann ein Götzendiener, der „sich in eine Welt flüchtet, die nicht diese Welt ist“? Fragt sich der junge Joann Sfar. Und die existentialistische Frage zieht sich durch den Band. Joann Sfar hat Philosophie studiert. Aber so grundsätzlich er die Fragen von Tod und Leben und Kunst stellt, so spielerisch sind seine Antworten. Denn alle Antworten liegen in den Zeichnungen selbst. Sfar ist für seinen ungenau-krakeligen, expressiven Stil berühmt. Die Rahmen der Panelbilder sind nicht präzise geometrisch gezogen, sondern mit freier Hand und erinnern an die Form von Sprechblasen. Das heißt, jedes Bild ist gewissermaßen eine große Sprechblase. Deutlicher geht es kaum, wenn man als Comicautor vor allem seine Zeichnungen sprechen lassen will. Zeichnen ist Leben Mitten im neuen Band stellt Joann Sfar die Frage, ob das Zeichnen selbst seine Religion ist. Und die Antwort enthält den ganzen Joann Sfar. Denn er erzählt mit wilden Strichen, wie im Mittelalter ein paar anarchistische Mönche, den altfranzösischen Fuchsroman, den „Roman de Renart“, mit seinen humoristischen Parabeln verfassen. Das ist so kindlich wie ironisch, so abenteuerlustig wie fantasievoll. Man versteht sofort, warum die klassischen Superhelden und B-Movie-Monster für Sfar so wichtig sind, wie seine philosophischen Studien. „Schreiben wir, was wir sehen. Also Quatsch!“ ist das Motto der mittelalterlichen Klosterschreiber. Und ganz in diesem Sinne antwortet Joann Sfar auf die Frage, ob es schlimm sei, sich in eine Welt zu flüchten, die nicht diese Welt ist: Nein! Ich liebe es! Man muss in der Küche arbeiten, oder im Wohnzimmer, inmitten seiner Liebsten. Man braucht Cafés, Bänke, den Wind und dass man unentwegt gestört wird. Das Zeichnen wird nicht abhandenkommen. Zu versuchen, weniger zu zeichnen, wenn man es so sehr liebt, ist morbid. Wenn Du das Gefühl hast, bei deinen Toten zu sein, wenn du schreibst, brich alles ab. Zeichnen, das ist das Leben! Quelle: Joann Sfar – Der Götzendiener
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Jul 21, 2024 • 1min

Sommer-Lesetipp: Martin Mosebach – Der Mond und das Mädchen

Das Buch erschien 2007, als Martin Mosebach den Büchner-Preis bekam und wurde damals für den ersten Deutschen Buchpreis nominiert. Mehr wettergeprägte Bücher
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Jul 21, 2024 • 8min

Alle sieben Jahre eine Plage. Comic „Alles Gute“ von Lena Steffinger | Gespräch

Zwischen Hysterie und Kommerz Von diesem Zustand zwischen Vorbereitung und Unwissenheit, Hysterie und Kommerz erzählt die Stuttgarter Comiczeichnerin Lena Steffinger in ihrem Band „Alles Gute“. Inspiriert dazu hat sie das Leben in der Corona-Pandemie: „Ich mir hab mir gedacht, es wäre ganz praktisch, wenn ein Unglück nur alle sieben Jahre passiert, aber gleichzeitig habe ich mich gefragt, ist das wirklich eher gut oder eher schlecht. Es ging um die Regelmäßigkeit und die Vorhersagbarkeit und was das mit den Menschen macht“ sagt Lena Steffinger im Gespräch mit SWR Kultur.
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Jul 21, 2024 • 10min

Ausbruch aus dem Leben mit Mitte Vierzig – Furioser Roman von Miranda July „Auf allen Vieren“ | Gespräch

Das Buch erkundet die komplexen Sehnsüchte von Frauen jenseits von Hochzeit und Familiengründung und widmet sich einem Lebensabschnitt, der sonst in der Literatur kaum Beachtung findet: der Perimenopause, der Dekade vor dem Einsetzen der Wechseljahre. Ein Buch, das selbstbestimmt und wahrhaftig von Sexualität und vielfältigem Begehren handelt, das sich von den Konventionen der Ehe nicht mehr bändigen lässt. Ein utopisches Nachdenken über den Raum, den Frauen brauchen, um ihr Leben neu zu definieren – meint Eva Marburg im Gespräch.
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Jul 21, 2024 • 55min

Erhitzte Gemüter – Wetter, das literarische Heldinnen auf dumme Gedanken bringt

Wir gratulieren zu 60 Jahre Verlag Klaus Wagenbach, sprechen über den neuen Comic von Joann Sfar und über Miranda Julys Roman „Auf allen Vieren".
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Jul 21, 2024 • 13min

„Wir machen Bücher aus Leidenschaft“ – Der Klaus Wagenbach Verlag wird 60

Kunstgeschichte und Netzphänomene Im Gespräch mit SWR Kultur sagt Schüssler, es sei bis heute das große Anliegen des Verlages, Bücher aus Leidenschaft zu machen: „Wir brennen für bestimmte Themen und versuchen, diese Themen und diese Bücher durchzusetzen. Und neben einer Vasari-Gesamtausgabe mit den Texten des „Vaters der Kunstgeschichte“ machen wir auch leichte Dinge und spielerische Dinge. Und wir machen Dinge, die auch in die Zukunft gucken. Also nicht nur nach hinten.“ Ein Beispiel. Die Reihe „Digitale Bildkulturen“ mit Texten über Phänomene wie Emojis, Memes oder Netzfeminismus. Italien-Reise prägte Klaus Wagenbach Ein anderer wichtiger Schwerpunkt: italienische Literatur. Kaum ein anderer deutschsprachiger Verlag hat so viel italienische Literatur im Programm wie der Klaus Wagenbach Verlag. Der Grund dafür sei eine sehr persönliche Geschichte. Klaus Wagenbach radelte von Frankfurt aus mit dem Fahrrad durch ganz Italien. Sein Interesse sei zu einem die Kunstgeschichte gewesen und zum anderen ein politisches: „Es hat ihn interessiert, wie eine Nation mit der faschistischen, mit der nazistischen im deutschen Falle, Vergangenheit umgeht. Also der Unterschied zwischen Italien und Deutschland, und es hat ihn dann nicht mehr losgelassen, und so ist er bei Italien geblieben“, so Schüssler. 60 Jahre Wagenbach heißt 20 Jahre Susanne Schüssler 2003 übernahm Susanne Schüssler die Verlagsleitung. Was auffällt: Viele junge italienische Autorinnen prägen das Programm des Wagenbach Verlages. Der Verdienst von Susanne Schüssler? Das ist so passiert, sagt die Verlegerin: „Die italienische Literatur wie wahrscheinlich alle Literaturen war sehr männlich geprägt, über lange Zeit und ohne es zu wollen oder zu forcieren, ist uns plötzlich aufgefallen, dass wir hauptsächlich Frauen ins Programm genommen haben, nicht nur in Italien, sondern auch in anderen Sprachen. Wir sind sehr, sehr weiblich in unserem Programm geworden, und es macht Spaß. Und es sind andere Erzählerinnen, die ein bisschen anders schreiben und auch andere Themen haben.“
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Jul 21, 2024 • 2min

Sommer-Lesetipp: Caroline Wahl – Windstärke 17

Bereits mit ihrem Debüt „22 Bahnen“ erzielte Caroline Wahl große Erfolge. Der klare und rhythmische Erzählstil der Autorin überzeugt viele Lesende. Das prägende Element in beiden Romanen: Wasser. In der Fortsetzung, „Windstärke 17“, zieht sich der Himmel nochmal mehr zusammen und das unruhige Inselwetter kommt dazu. Für Katrin Ackermann ist die Geschichte um Ida mitreißend, nah am Leben und trotz der traurigen Momente auch erfrischend. Ihr stürmischer Lesetipp für den Sommer: „Windstärke 17“ von Caroline Wahl. Mehr wettergeprägte Bücher
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Jul 18, 2024 • 4min

Ruth Hoffmann – Das deutsche Alibi | Buchkritik

So richtig verwunderlich ist es nicht, dass man sich in der frühen Bundesrepublik recht schwer tat mit der Bewertung des Widerstands gegen das Dritte Reich. Die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen wurde rasch ad acta gelegt; ehemalige Nazis waren schon kurz nach Kriegsende entlastet und ins neue System eingebunden worden – nicht nur für diese galten die Elsers, Scholls und Stauffenbergs als Landesverräter. Zudem gab es ja einen neuen Feind, dem man sich mit bewährten Kräften entgegenstemmen musste – den Kommunismus. Eine allzu starke Beschäftigung mit den zahlreichen Tätern und Mitläufern, den Opfern oder Oppositionellen passte da nicht ins Bild.   Der Widerstand als Stachel im Fleisch der deutschen Nachkriegsgesellschaft  Die Journalistin Ruth Hoffmann untersucht in ihrem ausgezeichnet recherchierten Buch „Das deutsche Alibi“ diesen blinden Fleck sowie den später politisch instrumentalisierten Mythos „Stauffenberg-Attentat“. Noch bis in die 50er Jahre hinein…   …standen mit wenigen Ausnahmen also nicht die Verfolger und Henker am Pranger, sondern ihre Opfer. Während für die einen Pensionen gezahlt, Rechtsbeistand geleistet und Ehrenerklärungen abgegeben wurden, waren die anderen weiterhin Verleumdungen ausgesetzt – und die Regierung ließ es geschehen. Quelle: Ruth Hoffmann – Das deutsche Alibi Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus war ein…   …Stachel im Fleisch der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Quelle: Ruth Hoffmann – Das deutsche Alibi Absolution fürs „verführte Volk“  Die Unfähigkeit zu trauern verband sich mit dem Unwillen, Scham angesichts der begangenen Verbrechen zu empfinden. Nur langsam änderte sich daran etwas. Die Helden des 20. Juli 1944 hätten den Versuch unternommen, „den Staat der mörderischen Bosheit zu entreißen“, sagte Theodor Heuss zum zehnjährigen Jubiläum des Attentats; dem „verführten“ Volk erteilte aber auch er die Absolution. Angesichts der vorangegangenen Scheuklappenmentalität war Heuss‘ Bekenntnis jedoch schon ein Fortschritt: Konservativen Kreisen fiel es zwar nicht leicht, den Widerstand zu würdigen – zu sehr stand der im Ruch des Landesverrats; aber mit den Offizieren rund um Stauffenberg konnten sie einigermaßen leben. Immerhin ließ sich deren Haltung gut in ein bürgerliches Narrativ von deutschem Geist und patriotischer Gesinnung integrieren.  Wie um die Deutung dieses Ereignisses und des Widerstands insgesamt gerungen wurde, wie die Beurteilung auch den Kalten Krieg zwischen West- und Ostdeutschland bestimmte, wie man um Worte feilschte und Redner sich wanden, wie die Hinterbliebenen der Widerständler ihre je eigenen Kämpfe gegen das Vergessen oder das richtige Gedenken führten – das zeigt Hoffmann penibel genau auf. Die Kultur des Erinnerns bettet sie in die jeweiligen politischen Kontexte ein und würdigt einzelne Protagonisten. Über die Jahre verfestigte sich so das immer gleiche Muster: Widerstand, das war der 20. Juli 1944. (…) und von einer Schuld der Deutschen war praktisch nie die Rede Quelle: Ruth Hoffmann – Das deutsche Alibi Historische Erkenntnisse jenseits ideologischer Ambitionen fehlen  Selbst nach dem Fall der Mauer änderte sich nicht viel – die Instrumentalisierung des 20. Juli für konservative Zwecke setzte sich fort. Der Widerstand linker Gruppen wurde kaum betrachtet, er passte noch immer nicht ins Bild eines konservativen Geschichtsverständnisses, das während Helmut Kohls Regierungszeit neue Konjunktur erfuhr. Dass der zivile Teil des 20. Juli und das politisch höchst heterogene Netzwerk der Verschwörer bis heute unterbelichtet bleiben und inzwischen die AfD und die Neue Rechte das Datum ungeniert für sich reklamieren können – als Aufstand echten deutschen Patriotismus – scheint nach Hoffmanns Ausführungen fast folgerichtig: Über Jahrzehnte wurde versäumt, historische Erkenntnisse jenseits ideologischer Ambitionen in die offizielle Erinnerungsrhetorik einzubringen. Das ist das große Verdienst von Ruth Hoffmanns dazu noch exzellent geschriebener Studie – aufzuzeigen, wie der Mythos vom „Stauffenberg-Attentat“ die Komplexität des Widerstands überlagert hat und zum „selbstgerechten Narrativ der Konservativen“ geworden ist.

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