

SWR Kultur lesenswert - Literatur
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Aug 22, 2024 • 4min
Steffen Mau – Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt
Dass der Osten und der Westen Deutschlands zusammenwachsen, weil sie zusammengehören, das glaubte nach dem Mauerfall nicht nur Willy Brandt. Ganz unrecht hatte der frühere Bundeskanzler sicher nicht. In vielerlei Hinsicht hat der Osten zum Westen aufgeschlossen.
Der Aufbau Ost war ein Nachbau West
Aber es gibt auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gravierende Unterschiede und Irritationen. Der Soziologe Steffen Mau spricht von einer „andauernden Zweiheit in der Einheit“. Aber warum ist das so?
Erstmal haben sich zwei sehr unterschiedliche Gesellschaften verbunden. Und dann war die Wiedervereinigung selbst ein Ereignis der Ungleichheit, in dem der Westen dominant war, auch häufig die Spielregeln vorgegeben hat, und der Osten gesagt hat, wir treten zu euch bei. Und dann hat man im Osten viele Jahre der Transformation mit Massenarbeitslosigkeit, Deindustrialisierung in der Fläche, auch vielen sozialen Disruptionen. Und die haben auch Folgeschäden hinterlassen.
Quelle: Steffen Mau – Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt
Scharfe, aber trotzdem sachliche und ausgewogene Analyse
Der Aufbau Ost war ein Nachbau West, fasst Steffen Mau die Entwicklung nach der Wiedervereinigung pointiert zusammen. Der Osten sei nicht in seiner Eigenheit begriffen worden, sondern nur als Abweichung. Es gibt viele solch einprägsamer Sätze in dem souveränen Buch. Steffen Maus Analyse ist scharf, aber nicht polemisch.
Der Ton ist bei aller spürbaren Dringlichkeit angenehm sachlich und ausgewogen. Mau setzt sich dabei auch mit den Bestsellern von Dirk Oschmann und Katja Hoyer auseinander und zugleich deutlich von diesen ab. Er sieht sie als „Mentalpflegetexte“, die die Leser nicht fordern, sondern nur in ihren Alltagsgefühlen bestätigen.
Der Soziologe widmet sich ausführlich Aspekten der politischen Kultur und kultureller Mentalitäten. Er schaut aber auch auf Sozialstrukturen und demografische Entwicklungen.
Ostdeutschland ist ein Land der kleinen Leute geblieben, auch mit einfachen arbeitnehmerischen Mentalitäten. So eine gehobene Mittelschicht hat sich im Osten nicht ausgeprägt. Das ist extrem wichtig für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Was sind die tragenden Milieus? Wie werden soziale Veränderungen verarbeitet? Und das sieht im Osten und Westen jeweils anders aus.
Quelle: Steffen Mau – Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt
Eigenes Demokratieverständnis im Osten
Als demokratieverdrossen sieht Mau die Ostdeutschen nicht. Vielmehr habe sich in Wendezeiten ein anderes Demokratieverständnis herausgebildet. Während die etablierten politischen Parteien im Osten bis heute kaum verwurzelt seien, spiele die Straße eine wichtige Rolle, um Frust abzulassen und sich politisch zu artikulieren.
Ich glaube, in Ostdeutschland gibt es so ein Demokratieideal, das an so eine Idee des Volkes Wille anhängt. Dass man das Gefühl hat, man will so unmittelbar seine Interessen vertreten. Das funktioniert in einer parlamentarischen Demokratie, in einer Parteiendemokratie nicht besonders gut.
Weil die stark regelgebunden ist, weil es da langwierige Verfahren gibt, Abstimmung, Kompromissfindung. Das bringt viele Ostdeutsche auf die Straße, die denken dann, jetzt muss die Politik das machen, was wir sagen, weil wir Forderungen aufstellen.
Der Autor belässt es nicht bei der Diagnose. Der Vormarsch der AfD zwinge geradezu dazu, über eine Frischluftzufuhr für die Demokratie nachzudenken. Steffen Mau empfiehlt, sogenannte Bürgerräte zu etablieren. Der Soziologe meint damit per Losverfahren ausgewählte Gremien, die sich über politische Sachthemen austauschen und versuchen, Kompromisse zu finden.
Die Stärke dieses Models ist sicher, dass es immun ist gegen den Vorwurf, dass sich ein Elitenkartell etwas ausgedacht hat. Und dann gibt es die Einübung in die demokratische Praxis, indem man eben einander zuhören muss, indem man sich mit Respekt begegnet
Quelle: Steffen Mau – Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt
Gerade weil die Not im Osten groß ist, könnte hier auch das Rettende wachsen, hofft der Autor. Steffen Mau betrachtet den Osten als „Labor der Demokratie“, in dem „alternative Formen der Partizipation“ erprobt werden.
Solche Modelle in den Westen zu übertragen, könnte ein später Beitrag der Ostdeutschen dazu sein, die Demokratie weiterzuentwickeln. Darin mag viel Wunschdenken stecken. Doch nachdenkenswert sind Ideen, wie sich der Radikalisierung der Gesellschaft entgegenwirken lässt, allemal.

Aug 21, 2024 • 4min
Emanuele Trevi – Zwei Leben
Ein Glück, dass Italien in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse ist. Und ein Glück, dass der Schriftsteller Emanuele Trevi 2021 den „Premio Strega“ für „Zwei Leben“ bekam. Sonst wäre dieses Buch, eine Mischung aus Biografie, Memoir und literarischem Essay, vielleicht nie ins Deutsche übersetzt worden.
Denn Trevi ist einer dieser Schriftsteller, die im eigenen Land berühmt, im Ausland aber lange ignoriert worden sind. Vielleicht weil seine literarische Form ungewöhnlich, möglicherweise ein bisschen sperrig ist. Vielleicht auch, weil seine Bücher von Personen handeln, die zwar real existieren, aber nicht unbedingt bekannt sind.
„Zwei Leben“ erzählt die Geschichte von Trevis Freundschaft zu zwei früh verstorbenen italienischen Schriftstellern, Rocco Carbone und Pia Pera. Der Titel hat eine doppelte Bedeutung.
Denn wir leben zwei Leben, die beide dem Ende geweiht sind: Da ist zum einen das physische Leben aus Fleisch und Blut, und zum anderen das, was sich in den Köpfen der Menschen abspielt, die uns geliebt haben.
Quelle: Emanuele Trevi – Zwei Leben
Freundschaft als Liebesbeziehung
Die Liebe spielt in „Zwei Leben“ eine große Rolle, jedoch nicht die romantische. In der sind weder Rocco noch Pia sonderlich begabt. Dafür haben sie ein anderes Talent, ein Talent zur Freundschaft. Das gilt – so darf man vermuten – auch für den Autor selbst. Es kommt nur selten vor, dass Bücher Freundschaft den gleichen Wert beimessen wie der Liebe. Trevi tut das und schreibt über sie wie andere über Liebesbeziehungen.
Doch es gibt in „Zwei Leben“ noch ein anderes großes Thema: das Schreiben. Zum einen, weil die beiden Menschen, um die es geht, nun einmal Schriftsteller sind. Und zum anderen, weil Trevi sich in essayistischen Passagen immer wieder die Frage stellt, wie man sich einem Menschen bestmöglich schreibend nähern kann.
Je näher man einem Menschen kommt, desto mehr erinnert er an ein impressionistisches Gemälde oder an eine Mauer, bei der im Lauf der Zeit und aufgrund der Witterung der Putz abgeplatzt ist: Irgendwann ist da nur noch ein Wirrwarr aus bedeutungslosen Flecken, Klumpen, unergründlichen Spuren. Entfernt man sich hingegen, ähnelt derselbe Mensch nach und nach unzähligen anderen. Das Einzige, worauf es bei solchen literarischen Porträts ankommt, ist, die richtige Distanz zu finden (…).
Quelle: Emanuele Trevi – Zwei Leben
Plastische und reale Charaktere
Solche Überlegungen mögen auf den ersten Blick für Menschen, die keine Schriftsteller sind, wenig Relevanz haben. Doch Trevi will nicht nur seine eigene Poetik darlegen. Er sieht das Schreiben vielmehr als Mittel, seine Freunde am Leben zu erhalten; sie so plastisch, und real zu schildern, wie sie tatsächlich waren.
Das gelingt ihm. Am Ende von „Zwei Leben“ meint man Rocco Carbone und Pia Pera zu kennen, ja regelrecht vor sich zu sehen, wie Figuren eines Romans. Schon ihre Namen klingen ja wie ausgedacht. „Carbone“ bedeutet „Kohle“, „Pera“ ist die Birne. Passend deshalb, weil Pia sich im Lauf ihres Lebens immer mehr ihrem Garten widmet. Und über Rocco heißt es gleich zu Beginn:
Er war einer von diesen Menschen, die dazu bestimmt sind, ihrem Namen im Lauf der Zeit immer ähnlicher zu werden. Ein unerklärliches Phänomen, aber gar nicht mal so selten. Rocco Carbone klingt tatsächlich nach einem geologischen Gutachten. Und viele Facetten seines wahrhaftig nicht einfachen Charakters sprachen deutlich für eine Sturheit, eine Härte aus dem Reich der Mineralien.
Quelle: Emanuele Trevi – Zwei Leben
Wahrnehmung des Individuums mit all seinen Facetten und Besonderheiten
In mancher Hinsicht ist „Zwei Leben“ ein unzeitgemäßes Buch. Denn Trevi, das schreibt er explizit, glaubt nicht daran, dass uns biografische Eckdaten, wie unsere soziale Herkunft, zu denen machen, die wir sind. Es geht ihm nicht darum, wie etwa der französischen Nobelpreisträgerin Annie Ernaux, am Schicksal des Einzelnen eine bespielhafte oder kollektive Geschichte zu erzählen.
Sondern um das Individuum mit all seinen Besonderheiten. Rocco und Pia stehen deshalb – zumindest in seinen Augen – nur für sich selbst. Warum also über sie schreiben? Und warum von ihnen lesen? Weil Trevis Buch, auf sehr berührende Weise, trotzdem von etwas Allgemeingültigem erzählt. Wie wir, verschieden wie wir sind, zueinanderfinden. Wie wir Freundschaften führen, mit dem Tod umgehen und uns an einander erinnern.

Aug 20, 2024 • 4min
Philipp Schönthaler – Wie rationale Maschinen romantisch wurden
Im Februar 2020 reiste der Schriftsteller Daniel Kehlmann ins Silicon Valley, um in Kooperation mit einem Computerprogramm eine Erzählung zu verfassen. Viel kam dabei jedoch nicht heraus, weil Kehlmann sich im Grunde wenig für computergenerierte Textproduktion interessierte.
So sieht es jedenfalls Philipp Schönthaler, der diese Anekdote zum Besten gibt, bevor er sich in seinem Essay „Wie rationale Maschinen romantisch wurden“ mit aller Gründlichkeit daran macht, die Geschichte und Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und der maschinellen Literaturerzeugung in einer kenntnisreichen Analyse aufzurollen.
Die Überwindung der menschlichen Subjektivität
Angefangen hat alles, Schönthaler zufolge, mit einem Gegenentwurf zu der herkömmlichen Auffassung, dass Literatur allein als ein menschliches Geistesprodukt anzusehen sei. Max Bense dagegen, der hier als „Cheftheoretiker der Konkreten Poesie“ vorgestellt wird, wollte seit den 1950er Jahren Kunst und Literatur von den Unwägbarkeiten menschlicher Subjektiviät befreien und auf ein „naturwissenschaftlich-mathematisches Fundament“ stellen. Schönthaler erklärt:
In der maschinellen Programmierbarkeit von Texten, erkennt Bense nun das theoretische Ideal einer mathematisch-rationalen Texterzeugung, mit der das individuelle Autorsubjekt ausgeklammert werden kann.
Quelle: Philipp Schönthaler – Wie rationale Maschinen romantisch wurden
Schnell wurde jedoch klar, dass sich Innovation, Genie oder Originalität nicht durch maschinensprachliche Programmierungen herstellen ließen. So entstand die Frage, wie sich Kreativität in die künstliche Texterzeugung hineinbringen ließ, ein Problem mit vielen Antworten, doch nach wie vor ohne befriedigende Lösung.
Die Kreativität soll den Nachweis liefern, dass Maschinen mehr sind als ihr Code, was der Kreativität die Rolle zumisst, die dem Genie in der Romantik zugekommen ist.
Quelle: Philipp Schönthaler – Wie rationale Maschinen romantisch wurden
Eine Ideengeschichte der KI
Schönthaler referiert die verschiedenen Positionen und Theorien, die in den letzten Jahrzehnten zum Verhältnis zwischen Menschen und intelligenten Maschinen entwickelt wurden, und kommentiert ihre Besonderheiten und Konsequenzen.
Wird Künstliche Intelligenz eines Tages besser denken können als der menschliche Verstand? Wird sie den Menschen als „Subjekt der Geschichte“ ablösen? Werden die Maschinen so normal und selbstverständlich werden wie die natürliche Umwelt und damit so komplex, magisch und geheimnisvoll, dass sie romantische Eigenschaften annehmen können? Dann könnte die Zukunft so aussehen:
Die Normalisierung der romantischen Maschine ist auch ein Zeichen dafür, dass die digitalen Technologien tief in die Gesellschaft und Lebensrealität der Einzelnen eingedrungen sind und sogar die computergenerierte Literatur mainstreamfähig geworden ist.
Quelle: Philipp Schönthaler – Wie rationale Maschinen romantisch wurden
Gedankenreich und hochinteressant
Natürlich ist das alles kein leichter Lesestoff, zumal sich der äußerst sachkundige Autor nicht sonderlich bemüht, seine sehr verdichteten Überlegungen leichter zugänglich zu machen. Doch wer sich einliest, wird durch Gedankenreichtum und hochinteressante Ausblicke belohnt. Denn Schönthaler schaut über den engen Horizont der aktuellen Diskussionen um Geschäftsmodelle und Gefahren der KI weit hinaus auf die großen Perspektiven.
Und dazu gehört die faszinierende und beunruhigende Frage, wie sich das menschliche Selbstverständnis einst verändern könnte, wenn die intelligenten Maschinen erst einmal zu einem quasi natürlichen Teil unserer Umwelt geworden sind.

Aug 19, 2024 • 4min
Rob van Essen – Hier wohnen auch Menschen
In Nettetal am Niederrhein, dem Sitz des Elif Verlags, ist die Grenze zu den Niederlanden nur zehn Kilometer entfernt. Vielleicht war es auch diese geografische Nähe, die den Verleger Dinçer Güçyeter bewogen hat, eine Auswahl kurzer Prosa des Niederländers Rob van Essen übersetzen zu lassen.
Ein Dutzend Erzählungen zwischen fünf und 40 Seiten, entstanden zwischen 2010 und 2020, umfasst der Band „Hier wohnen auch Menschen“, und gemeinsam haben sie, dass sie sich jeder vorschnellen Einordnung entziehen.
Die jungen Herrchen sind alle tot
Viele warten mit krassen Überraschungen und zuweilen dann doch absehbaren Wendungen auf. Bei einigen schleicht sich, ähnlich wie bei Margriet de Moor oder Connie Palmen, ein mystisches Element ins Alltägliche ein, bei anderen herrscht von Anfang an eine alternative Realität. So im zweiten Text, betitelt „All die toten Herrchen“, der mit den ersten Sätzen mitten hineinspringt ins zunächst rätselhafte Geschehen:
Heute Nachmittag bin ich zu Johanna gegangen, um ihr mit den Hunden zu helfen. Ich habe einen kleinen Umweg gemacht, weil ich zum Martin-Luther-King-Park wollte, um mir das Monument für die Grippeopfer anzusehen.
Quelle: Rob van Essen – Hier wohnen auch Menschen
In dieser dystopischen Geschichte sterben an der sogenannten Grippe ausschließlich junge Menschen, nur die Alten überleben. Die Pandemiefolgen sind auf die Spitze getrieben, von Restaurantschließungen und Regierungskrise bis zu Übergriffen und Plünderungen. Die entleerten Kitas werden von Johanna zu Tier-Asylen umfunktioniert, denn die Herrchen sind ja alle tot.
Ungeheuerlichkeiten knapp neben der gewohnten Realität
Der Reiz dieser Erzählung liegt nicht etwa in einer konventionellen Spannungskurve, sondern in der Beiläufigkeit, mit der der Ich-Erzähler Ungeheuerlichkeiten streift, die knapp neben unserer gewohnten Realität liegen. Angesiedelt ist sie, wie alle Texte des Bandes, in teils wiedererkennbaren Schauplätzen in den Niederlanden, am Martin-Luther-King-Park in Amsterdam oder in x-beliebigen Vororten.
Viele der Geschichten greifen philosophische Probleme auf. Etwa das Zeitreiseparadox, konkret: die Frage, ob und, wenn ja, wie ein depressiver Zeitreisender aus der Zukunft seine Eltern davon abhalten könnte, ihn zu zeugen. Darum geht es im Text „Der lästigste Gast aller Zeiten“. Ein Besucher namens Erik nistet sich bei einem jungen Paar ein und verschwindet irgendwann spurlos.
Er hinterlässt einen Brief, der die Ich-Erzählerin und ihren Mann aufklärt, er sei ihr späterer Sohn und in die Vergangenheit gereist, um die Familienplanung zu durchkreuzen, was ihm gelungen zu sein scheint. Nachträglich versuchen die beiden, die verhinderte Fortpflanzung doch noch hinzubekommen.
Ich dachte, es würde schwer werden, nach all dem Wein einen hochzukriegen, aber nein, die Vorstellung, Erik zu zeugen, macht ihn offensichtlich an, und mich auch, und nicht nur in dieser Nacht, wir haben eine Mission, wir vögeln in dieser Nacht und in den folgenden, als ginge es um unser Leben, oder zumindest um das von Erik.
Quelle: Rob van Essen – Hier wohnen auch Menschen
Das Schillern zwischen Tragik und Komik, Unheimlichem und Banalem, Realismus, Fantastik und Absurdität ist das Charakteristikum dieser Geschichten. Auch formal spielt Rob van Essen auf unterschiedlichen Registern, von scheinbar ganz einfacher Szenenfolge bis zu ambitionierter zeitlicher Verschachtelung. Manche erstrecken sich geradezu episch über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte.
Das Glück, ein Leben lang verpasst
So die Erzählung „Ich versprech’s dir“, in der ein junger Mann kurz das Glück erfährt und es durch passives Zuwarten lebenslang verpasst. Diese traurige Pointe ist allerdings ein bisschen durchsichtig, und auch im längsten Text der Sammlung, „Das Haus an der Amstel“, ahnt man früh, dass ein liebevoll gepflegter Kult um eine extrem aufwendige, angeblich koreanische Meditationstechnik den Realitätscheck vor Ort nicht überstehen wird.
So bleibt der zwiespältige Eindruck eines bemerkenswert eigenständigen Autors, der bei allem Einfallsreichtum zuweilen unter seinen erzählerischen Möglichkeiten bleibt.

Aug 18, 2024 • 8min
Karlsruher Verlag Edition Converso: Monika Lustig im Gespräch
Viel mehr als Pizza, Pasta und Dolce Vita: Das Gastland der Frankfurter Buchmesse
In der Edition Converso, einem unabhängigen Karlsruher Verlag, erscheinen literarische Schätze aus Italien in deutscher Übersetzung. Werke, jenseits der deutschen Klischees über das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.
Gegründet hat den Verlag Monika Lustig. Sie lebte viele Jahre an verschiedenen Orten in Italien, bewunderte die Sprache mit ihren vielen Dialekten und war bei der Entstehung italienischer Literatur aus nächster Nähe dabei. Wie das Buch des Autors Santo Piazzese, „Blaue Blumen zu Allerseelen", ein Palermo-Krimi, Lustig den Anstoß zum Projekt Verlagsgründung gab, verrät sie Theresa Hübner im „lesenswert Magazin".
Literatur aus dem Mittelmeerraum
Der Schwerpunkt der Edition Converso liegt zwar auf Literatur aus Italien, allerdings verlegt Monika Lustig auch Werke aus dem gesamten Mittelmeerraum.
Im Gespräch empfiehlt Monika Lustig den Roman „Tief ins Fleisch“ der marokkanischen Autorin Yasmine Chami.

Aug 18, 2024 • 7min
Sven Pfizenmaier – Schwätzer | Gespräch
Wie das alles zusammenpasst erklärt Sven Pfizenmaier im Lesenswert Gespräch. Sein neuer Roman „Schwätzer“ ist ernster als sein viel gelobtes Debüt, hat aber genau soviel absurd-komische Passagen.

Aug 18, 2024 • 55min
Meteoriten jagen in Brandenburg - Neue Bücher von Sven Pfizenmaier, Sandra Newman, Colson Whitehead, Daniela Krien und Arno Geiger
Diesmal im lesenswert Magazin: Meteoriten jagen in Brandenburg. Mit neuen Büchern von Sven Pfizenmaier, Sandra Newman, Colson Whitehead, Daniela Krien und Arno Geiger

Aug 18, 2024 • 6min
Sandra Newman – Das Verschwinden
Als es passiert, als ihr Sohn und ihr Ehemann von einer Sekunde auf die nächste an einem Augustabend verschwinden, bemerkt es Jane nicht.
Um 19:14 Uhr passierte ein intensives Nichts, ein Taumel, der nicht von den Nerven oder dem Gehirn herrührte. Es würde mir später als eine Art Drogenrausch im Gedächtnis bleiben. Als es vorbei war, hatte ich das Gefühl, Leo und Benjamin wären verschwunden, doch ich tat es schnell als Albernheit ab. Ich sah zum Zelt, wo das Tablet leuchtete, ein belebter Flecken. Ich rief nicht nach ihnen. Ich wollte Benjamin nicht wecken und gab mich wieder meinen Gedanken hin.
Quelle: Sandra Newman – Das Verschwinden
Alle Menschen mit einem XY-Chromosom verschwinden
Jane ist mit ihrem Mann Leo und ihrem 5-jährigen Sohn Benjamin in den kalifornischen Bergen zelten. Sie verbringt die Nacht draußen auf der Hängematte und merkt erst am nächsten Morgen, dass die beiden verschwunden sind.
Und nicht nur sie: Alle Menschen mit einem Y-Chromosom. Alle Männer, trans Frauen und nicht binäre Menschen. Auch alle ungeborenen Föten mit einem Y-Chromosom verschwinden und mit ihnen ganze Regierungen und Sportmannschaften.
Flugzeuge stürzen ab, weil das Cockpit leer ist, Raffinerien und Kraftwerke schließen, weil qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, Strom- und Wasserversorgung stürzen in der ersten Zeit nach dem Schock ein. Und noch etwas ist weg: Das Patriarchat.
Herrenclubs. Männerrechte. Frauenzeitschriften. Feminismus. Verschwunden. Die breite Hand auf deiner Schulter. »Du bist wunderschön«, gesprochen mit dieser bestimmten Autorität. Vorbei. Oder wenn du an einer Straßenecke auf eine Gruppe von Männern triffst. Wie sie verstummen und dich anstarren. Deinen Körper, nicht dein Gesicht. Schritte hinter dir in der Dunkelheit. Große Hände um deinen Hals. Ihn nicht aufhalten können. Vorbei.
Quelle: Sandra Newman – Das Verschwinden
Eine Welt ohne Patriarchat – eine Idylle?
Ganz unmittelbar zeigt Autorin Sandra Newman die Folgen des Verschwindens auf: Plötzlich sind die Zurückgebliebenen befreit von den Zwängen der patriarchalen Gesellschaft. Der erste Eindruck dieser neuen Welt: eine Idylle, gleichzeitig ist die aber auch nicht frei von Schmerz und Trauer. Denn natürlich gab es auch Männer, die geliebt wurden.
Eine Gleichzeitigkeit, die für Jane mitunter schwer auszuhalten ist und die sie von Anfang an spürt. Sie trifft auf eine Gruppe von Frauen und Mädchen. Die Kinder spielen, es läuft Musik, die Frauen unterhalten sich angeregt und helfen sich gegenseitig. Eine liebliche, märchenhafte Szene. Eine Welt ohne Wölfe, denkt Jane.
Und da war der Moment – in dem mich die Erkenntnis traf, dass die neue Welt die bessere war. Schon jetzt war sie besser. Es gefiel mir hier. Der Gedanke brachte mich zum Weinen. In meinem Kopf behauptete ich Gott gegenüber das Gegenteil. Ich sagte Gott, dass ich in einer Welt ohne Männer nicht leben wollte, selbst wenn meine eigene Familie wundersamerweise verschont geblieben wäre. Dieser Welt würde eine ganze Dimension von Erfahrung fehlen.
Quelle: Sandra Newman – Das Verschwinden
Sind Frauen die besseren Menschen?
Schnell wird man in diese neue Welt, die Sandra Newman in ihrem Roman „Das Verschwinden“ zeichnet, hineingezogen. Was auffällt: Die große Frage des Warums steht zunächst nicht im Vordergrund. Newman liefert erst gegen Ende des Romans eine mythische Erklärung für das Verschwinden, die einen etwas unbefriedigt zurücklässt.
Viel wichtiger und anregender ist, wie Newman die Hintergrundgeschichten der Frauen mit den aktuellen Ereignissen im Roman verwebt. Und so im Laufe der Geschichte mit zwei Behauptungen aufräumt: Frauen seien die besseren Menschen. Und eine Welt ohne Männer automatisch eine bessere.
Da ist etwa Evangelyne, eine schwarze Politikerin. Sie ist die Gründerin und Anführerin einer Partei, die schnell das Machtvakuum für sich nutzt und im Raum Los Angeles von der Müllabfuhr bis zum Elektrizitätswerk die Dinge wieder in Gang bringt. Wie eine Messias wird sie von ihren Anhängerinnen verehrt. Auch Jane wird von ihr angezogen. Sie schließt sich Evangelynes Partei an und wird zur Liebhaberin und Unterstützerin der Politikerin.
Ambivalente und komplexe Figuren
Die beiden verbindet eine alte Freundschaft, die auf einer geteilten Erfahrung beruht: Beide waren in der alten, patriarchalen Welt sowohl Opfer als auch Täterin. Jane ist eine verurteilte Sexualstraftäterin. Ihr Ballettlehrer manipulierte sie und brachte sie dazu, Sex mit minderjährigen Jungen zu haben. Evangelyne hingegen hat als junge Frau zwei Polizisten erschossen, die ihre Familie auf dem Gewissen haben.
Es sind ambivalente und komplexe Figuren, die Newman hier in einem reduzierten, fast nüchternen Stil zeichnet. Und die ihren Roman zu einem Lesevergnügen machen, weil mit ihnen die utopischen und politischen Ideen mit Leben gefüllt werden.
Später in dem hübschen Hotel, nach Mitternacht und nachdem wir stundenlang gevögelt hatten, stand Evangelyne auf und stellte sich nackt ans Fenster. Natürlich liefen die Frauen zu dieser Zeit oft nackt herum; die ganze Welt war eine Mädchenumkleide.
Quelle: Sandra Newman – Das Verschwinden
Die ganze Welt eine Mädchenumkleide
Doch wie in jeder Mädchenumkleide, gibt es auch in dieser männerlosen Welt Missgunst, Neid und Geheimnisse – und ein großes Gesprächsthema: Die Männer. Die sind nämlich zu sehen in kurzen Videoclips, die im Netz auftauchen und von denen keine weiß, wer dahintersteckt. „The Men“ heißen diese verstörenden Clips. Sie zeigen Gruppen von verschwundenen Männern, die zombie-haft durch eine apokalyptische Landschaft wandern.
Zuschauerinnen erkennen in den Videos Angehörige wieder und nach einiger Zeit auch die verbrannten Landschaften und zerstörten Städte. Den Frauen wird klar: Was sie hier sehen, wäre die ausgebeutete, verbrannte Zukunft einer patriarchalen Welt gewesen.
Wir schauten „The Men“, während Nord- und Südkorea wiedervereinigt wurden und die ersten weiblichen Kardinäle die erste weibliche Päpstin wählten. Kanada wurde von Waldbränden und Südamerika von Dürre heimgesucht. Die Fischpopulationen im Atlantik erholten sich, und auf Moskaus Straßen wurden Elche gesichtet.
Quelle: Sandra Newman – Das Verschwinden
Politische Parabel mit fein erdachten Figuren
Eine Welt ohne Männer, ohne Sexismus, ohne Patriarchat und Unterdrückung – ist das eine feministische Utopie? Newman gibt darauf vielschichtige Antworten. Ihre Figuren hadern mit dem Verlust der Männer, ebenso wie mit den neuen ambivalenten Verhältnissen. Zu denen gehört auch eine neue Politpopulistin wie Evangelyne, die ein ähnliches Macht-Monopol anstrebt wie die dominanten Männer vor ihr.
Sandra Newmans politische Parabel überzeugt. Denn hier erschlägt die politische Fantasie nicht die Literatur. Vielmehr öffnet Newman mit ihren fein erdachten Figuren und ihren Lebensgeschichten das Denken. Und das ist gerade in den verhärteten Debatten unserer Zeit besonders wichtig.

Aug 18, 2024 • 4min
Daniela Krien – Mein drittes Leben | Buchkritik
Der Name Linda, die Sanfte, scheint nicht zu passen zu der Frau, die sich in ein trostloses Dorf zurückgezogen hat. Die gut bezahlte Stelle in einer Kulturstiftung hat sie gekündigt und ihren entsetzten Mann in Leipzig zurückgelassen.
Ihr Leben zerbrach, als Sonja starb
Seit zwei Jahren kämpft sie sich jetzt auf einem abgewirtschafteten Hof durch die Tage, nur die Hühner und den Hund hat sie behalten. Verzweifelt sucht sie den größtmöglichen Abstand zu ihrem früheren Leben. Es zerbrach, als ihre Tochter Sonja starb.
Eine Ampel schaltete auf Grün, eine siebzehnjährige Fahrradfahrerin mit blondem Pferdeschwanz und lauter Musik in den Ohren trat in die Pedale ihres Rennrads, ein LKW-Fahrer, der vergessen hatte, in den Seitenspiegel zu schauen, bog über den Radweg nach rechts ab.
Quelle: Daniela Krien – Mein drittes Leben
Linda quält sich mit Selbstvorwürfen
Anfangs trauern Linda und Richard gemeinsam. Aber weil in Leipzig alles an die Tochter erinnert, ist Linda in die Einöde geflohen. Sie quält sich mit Vorwürfen: immer fand sie Sonja zu angepasst, zu unsportlich, ohne Ehrgeiz. Beim Holzhacken verausgabt sie sich, müde wird sie trotzdem nicht, nur starke Schlaftabletten verschaffen ihr einige Stunden Ruhe. Richard bittet sie inständig zurückzukommen, meist weist sie ihn schroff ab.
Daniela Krien erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Linda, sie ist die Ich-Erzählerin, die lieber sterben als leben möchte. Nur einmal steht sie neben sich, sie rutscht in die 3. Person als Richard ihr von einer neuen Frau erzählt, einer Schriftstellerin, die ihn aus der Einsamkeit befreit. Linda verstummt. Nur eine Bekannte findet noch Zugang zu ihr.
Sie wollen, dass er sich ebenso aufgibt, wie Sie es tun. Aber er lebt weiter. Und das nehmen Sie ihm übel…Auf dem schmalen Grad zwischen Leben und Tod hat er sich für das Leben entschieden, während Sie versucht haben, ihn zu den Toten hinüberzuziehen.
Quelle: Daniela Krien – Mein drittes Leben
Zuviel Moral für Kriens Heldin
Richards neue Partnerin ist eine energiegeladene selbstbewusste Schriftstellerin namens Brida. Die trauernde Linda beobachtet sie skeptisch, sie guckt inzwischen kritisch auf Menschen, die besonders sein möchten, aber in der eigenen Blase ziemlich uniform wirken.
Die Freunde der alten Linda trugen Sneaker zu teuren Leinenkleidern oder lässigen Anzügen, fuhren Rennrad und hängten sich Taschen aus recycelten Tetra Paks über die Schulter…und sobald sie Kinder bekamen, pachteten sie einen Schrebergarten, in den sie ein schwedisch anmutendes Holzhäuschen stellten.
Quelle: Daniela Krien – Mein drittes Leben
Daniela Krien lädt ihrer Heldin eine zu große Portion Moral auf. Ein Beispiel: Nach dem Verkauf der alten Familienwohnung steht ihr plötzlich viel Geld zur Verfügung. Einleuchtend, dass sie Menschen unterstützt, die ihr in der Verzweiflung Halt gegeben haben. Aber dass sie an lauter fremde Hilfsorganisationen spendet, passt nicht zu ihrem nüchternen Wesen. Zuviel des Guten. Zum Glück gibt es Richard, die heimliche Hauptfigur in diesem Roman.
Niemand tue Gutes, ohne etwas dafür zu bekommen, sagte Richard, und sei es das Gefühl von Überlegenheit.
Quelle: Daniela Krien – Mein drittes Leben
Linda zieht zurück nach Leipzig, sie sieht Lichtblicke im Leben und lässt es Richard wissen. Als er ihre Hilfe braucht, steht sie ihm bei. Daniela Krien erzählt von einem unerträglichen Verlust. Aber sie erzählt auch von einer großen Liebe. Was sie in einem früheren Roman angerissen hat, wird hier lebendig: „Liebe ist keine Romantik. Liebe ist eine Tat. Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten.“

Aug 18, 2024 • 5min
Arno Geiger – Reise nach Laredo | Buchkritik
Karl, Carlos, Charles V, Kaiser des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation, ein Habsburger, bei dem gleich vier Erbreiche zusammenkamen, katholischer Führer des Abendlands zwischen Osmanenkriegen und Reformation.
Ein einsamer, alter Mann, der kein König mehr ist
Dieser Karl interessiert Arno Geiger nicht. Oder jedenfalls nur als Vorleben des Menschen, der schließlich diese seine höchste Position freiwillig aufgab. Was dann? 1556 zog Karl V. sich von seinen Ämtern in ein Kloster im spanischen Cuacas de Yuste zurück. Und dort treffen wir ihn als die zentrale Figur in „Reise nach Laredo“: einen ausgelaugten, mürrischen, von sieben Krankheiten zerfressenen und einsamen alten Mann, der kein König mehr ist. Arno Geiger:
Ich glaube, es ging ihm um seine Person. Er wollte sich selber retten. Das ist mein Karl. Er ordnete sich diesen Ämtern unter und dann sagt er: Schluss, ich mag nicht mehr. Und das sind schwere Kronen, die er da vom Kopf herunternimmt.
Quelle: Arno Geiger
Er erkennt nur, dass er nichts Wichtiges über sich weiß und dass wenig Zeit bleibt, dahinterzukommen. Manchmal meint er, das Königtum habe ihn verbraucht und besitze weiterhin alle Macht, und er selbst ist abgereist nach Yuste als leerer Knochen.
Quelle: Arno Geiger – Reise nach Laredo
Die Fallhöhe ist kaum zu übertreffen für dieses Thema: das Loslassen nämlich. Das Zurücktreten. Die Frage, was danach kommen kann. Tizian, Karls Hofmaler, von dem mehrere Porträts des Kaisers existieren, hat seine eigene Weisheit dazu, die er seinem Herrscher bei einer Porträtsitzung mitgibt. Der letzte Pinselstrich, meint Geigers Tizian, sei eigentlich immer überflüssig. Und er ist dem Autor da sehr nahe.
Als Künstler muss man eben auch loslassen können, an einem bestimmten Punkt seines Lebens. Also ich bin kein Freund des Überarbeitens / ... mache dann schon noch diese zwei drei Pinselstriche, aber dann ist das Aufhören wichtig, um die Lebendigkeit des Geschaffenen zu bewahren.
Quelle: Arno Geiger
Karl und Geronimo ergreifen die Flucht
Und dann ist sie da, die Chance für das Neue. Arno Geiger lässt den 58jährigen, todgeweihten Karl, um den sein Hofstaat nur noch abwartend herumschleicht, eines Nachts die Flucht ergreifen. Das ist zwar medizinisch völlig unplausibel und beim Lesen wird man lange im Ungewissen gelassen über den Charakter dieses Ausbruchs, aber am Ende ist der auch ganz unwichtig.
Wichtig ist die Freiheit, die Geiger dem pflichtverknöcherten Karl zuwachsen lässt. Gemeinsam mit dem 11 jährigen Geronimo, der nicht weiß, dass er ein illegitimer Sohn des Alten ist – schickt er ihn ins Abenteuer, in gefährliche Schlägereien und brutale Gegenden, sie retten zwei Unschuldige, erreichen die tote Stadt, finden ein Wundertier und eine unheimliche Herberge, bis sie schließlich ans Meer kommen.
Das ist ein schöner Kontrast, dieser Mann, der immer an Vergangenheit und Zukunft denken muss, und dieser 11jährige, der sich jeden Morgen freut auf das was der Tag bringt.
Quelle: Arno Geiger
Karl sagt sich: So war ich nie, so frei, so unabhängig. Vielleicht könnt ich’s jetzt, für einige Augenblicke, für drei Tage, das wäre immerhin etwas. Kann man Unbeschwertheit lernen? Wird man so geboren? ... Wäre das gut? Will ich tanzen oder kotzen?
Quelle: Arno Geiger – Reise nach Laredo
Die Begegnung mit der Welt hilft dem früheren König
Arno Geiger beantwortet diese Frage im Roman durch den Roman mit JA, Ausrufezeichen! Tanzen, und Kotzen auch. Nicht der Rückzug in Kontemplation und Selbstbefragung, den Karls Beichtvater ihm nahelegt, hilft dem König ohne Krone weiter mit sich selbst, es ist die Begegnung mit der Welt.
Das macht die „Reise nach Laredo“ erneut zu einem sehr persönlichen Buch dieses ungewöhnlichen Autors. Man kann das einen historischen Roman nennen, denn er ist ja fraglos im 16. Jahrhundert verortet, historische Figuren treten auf, und Tizians Gemälde lassen sich im Museum anschauen. Aber das Herz dieses Buchs schlägt zeitlos.


