

SWR Kultur lesenswert - Literatur
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Episodes
Mentioned books

Jan 5, 2025 • 19min
Botho Strauß: Das Schattengetuschel
Am 2. Dezember ist Botho Strauß 80 Jahre alt geworden. Mit „Das Schattengetuschel“ hat er seiner Lesergemeinde ein erstaunlich entspanntes Buch geschenkt – eine Sammlung von Texten, die von einem untergründigen Altershumor durchzogen sind.

Jan 5, 2025 • 16min
Lucy Fricke: Das Fest
Weit mehr als ein Roman über die Midlife Crisis eines Mannes: Gelenkt vom Geschick seiner besten Freundin, wird der erfolglose Filmregisseur Jakob noch einmal durch sein Leben geführt. Ein freundliches, aber kein harmloses Buch.

Jan 5, 2025 • 19min
Paul Lynch: Das Lied des Propheten
Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2023: Eine Dystopie aus dem Herzen der Europäischen Union. Eine nationale Einheitspartei hat in Irland die Macht übernommen, regiert mit Notstandsgesetzen und schaltet Staatsfeinde aus.

Jan 5, 2025 • 22min
Han Kang: Unmmöglicher Abschied
Überraschend wurde die Südkoreanerin Han Kang mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Ihr neuer Roman verbindet die Geschichte einer Freundschaft mit einem dunklen Punkt in der koreanischen Geschichte.

Jan 5, 2025 • 1h 16min
SWR Bestenliste Januar mit Büchern von Paul Lynch, Lucy Fricke, Botho Strauß und Han Kang
Der Inhaltsangabe ist nicht zu trauen: Martin Ebel und Hubert Spiegel diskutierten mit Carsten Otte vier auf der SWR Bestenliste im Januar verzeichneten Werke im gut besuchten Prinz-Max-Palais in Karlsruhe.
Ein Mann in der Midlife-Crisis
Erstaunlich einig war die Runde sich bei Lucy Frickes neuem Roman „Das Fest“, der auf Platz 3 der Januar-Bestenliste steht (Claassen Verlag). Gerade mal 138 Seiten kurz ist das Buch, das vom Berliner Filmemacher Jakob handelt, der 50 Jahre alt wird – was für ihn aber alles andere als ein Grund zur Freude ist.
Der missmutige Zeitgenosse steckt in einer Lebenskrise. Seit geraumer Zeit saß er nicht mehr auf dem Regiestuhl. Jakob ist Single und hat das Gefühl, dass sich die Welt um ihn herum so verändert hat, dass er dort keinen Platz mehr zu haben scheint. Seinen 50. Geburtstag möchte Jakob auf keinen Fall feiern. Er wüsste auch gar nicht, wen er einladen sollte.
Ellen, die beste Freundin von Jakob, möchte sich mit der Misanthropie des Jubilars allerdings nicht zufriedengeben. Also organisiert sie Begegnungen mit Menschen aus Jakobs Vergangenheit, die ihm viel bedeutet haben und dem trotzigen Geburtstagskind zu seiner Überraschung herzlich gratulieren. Am Ende gibt es ein Fest – und die Hoffnung auf die wahre Liebe.
Gelungener Wechsel der Erzählperspektiven
Hubert Spiegel meinte, wer nur die Inhaltsangabe höre, würde wohl eine Schmonzette von Rosamunde Pilcher vermuten. Aber das Gegenteil sei der Fall, was nicht zuletzt an der Rondo-Form des Romans und dem gekonnten Wechsel der Erzählperspektiven liege.
Auch Martin Ebel zeigte sich beeindruckt, wie Lucy Fricke, bekannte Motive variiere, aber auch Tiefgründiges leicht aussehen lasse. Wegen der geschlossenen Form des Textes, hält er „Das Fest“ allerdings weniger für einen Roman, der immer eine gewisse Offenheit zeige, sondern eher für eine Novelle, die in diesem Fall mustergültig in Szene gesetzt sei.
Vergangene und gegenwärtige Verbrechen
Auf dem Programm der Bestenliste-Diskussion in Karlsruhe standen außerdem:
die politische Dystopie „Das Lied des Propheten“ von Paul Lynch in der Übersetzung von Eike Schönfeld (Klett Cotta), die vom Wandel einer Demokratie in eine tödliche Diktatur handelt;
mit „Das Schattengetuschel“ ein mildes und streckenweise selbstironisches Alterswerk von Botho Strauß (Hanser)
und mit „Unmöglicher Abschied“ das von Ki-Hyang Lee ins Deutsche übertragene Werk der frisch gekürten Literaturnobelpreisträgerin Han Kang, das im hohen Ton von den Auswirkungen eines Massakers auf die nachfolgenden Generationen erzählt.
Aus den vier Büchern lasen Antje Keil und Dominik Eisele.

Jan 2, 2025 • 4min
Giovanni Pascoli – Nester | Buchkritik
Giovanni Pascolis Gedichtbände erschienen ab 1897 bis zu seinem Tod 1912. Der Dichter hatte zwei Lebenspassionen: die Lyrik und den Alkohol. Einerseits war er eine Art Einsiedler, andererseits unterrichtete er auch an italienischen Universitäten lateinische und italienische Literatur.
Giovanni Pascoli und der verlorene Glaube an das „Nest“
Von der Krone baumeln, dort und da, / die kleinen Nester des Frühlings. / Die Leute sagen: Jetzt erst sehe ich, wie gut sie war!
Quelle: Giovanni Pascoli – Nester
Im Gedicht „Die gefallene Eiche“ findet sich ein Grundmotiv von Pascolis Lyrik: „Nester“ – so lautet auch folgerichtig der Titel des von Theresia Prammer zusammengestellten Auswahlbandes.
Das „Nest“ ist nicht nur in der Tierwelt zuhause, sondern im übertragenen Sinn auch bei uns Menschen: „Sich ein Nest bauen“, sich also häuslich einrichten. Das „Nest“ bietet Schutz, Sicherheit – gerade auch in der Kindheit oder bei Tieren in der Aufzucht der Jungen. In Pascolis Gedicht „Die gefallene Eiche“ wird das Nest zerstört, weil der Mensch diese Eiche mit ihren Nistplätzen zu Fall bringt. Vergeblich irrt das Muttertier.
Sie sucht nach ihrem Nest, das nicht mehr ist.
Quelle: Giovanni Pascoli – Nester
Der Dichter, die Natur und ein großer Verlust
Giovanni Pascoli hatte selbst mit diesem Verlust zu kämpfen. Im Alter von zwölf Jahren musste er miterleben, wie sein Vater das Opfer eines brutalen Mordanschlags wurde. Ab da war die Vorstellung eines sicheren Familiennestes zerstört. Doch es gibt noch einen anderen Geborgenheitsort: die Natur. Eine Amsel pfeift dem lyrischen Ich ein Lied. Und ein Zaunkönig ruft ihm zu:
He! Du kehrst heim … Ich weiß: / Oh! In dein herrliches Nest, vor dem Regen gefeit!
Quelle: Giovanni Pascoli – Nester
Allein, es bleibt ein Traum. Der Mensch, der Dichter ist förmlich aus der Natur gefallen. Der Gesang der Vögel wandelt sich in ein gräuliches Rauschen.
Was geht vor in der Welt? / Unendliche Stille. / Doch tief unten, da schwelt, / einsam und irrend, / dieses schaurige Grollen.
Quelle: Giovanni Pascoli – Nester
Der Dichter „Traum eines Schattens“
In Pascolis Gedichten gibt es zwei Welten, die zwar nicht voneinander getrennt sind, jedoch schwer zueinander finden: Die eine ist die der Natur, sie ist nicht etwas rein Erhabenes, da sie sich stets dem Leben zuneigt. Die andere ist die des Menschen – so wie es der Dichter auch ganz persönlich erlebt. Theresia Prammer hat diese Motivik Pascolis präzise zusammengefasst.
Erinnerung – Kindheit – Tod – Verlust. Pascoli schreibt vom Ende seiner Welt her; die Orte der Tragödie sowie die Friedhöfe sind immer gegenwärtig. Schatten sprechen den Dichter an, wo er geht und steht.
Quelle: Giovanni Pascoli – Nester
Diese Schatten drängen sich bis in den Bereich der Träume. Im Gedicht „Traum eines Schattens“ schmiedet Pascoli den „Tod eines Alten“ existentiell an den „Tod eines Neugeborenen“. Was ist Leben? Was bedeutet es, eine Strecke des Lebens gehen?
Der eine sah die Kinder / seiner Kinder; der andere nicht einmal sich. Ihr Leben / war das nämliche: Traum eines Schattens, ein Nichts.
Quelle: Giovanni Pascoli – Nester
Dass der Lyrikband „Nester“ zweisprachig erscheint, ist auf jeden Fall ein großes Plus. Er erlaubt damit einer an Lyrik interessierten Leserschaft, diesen italienischen Dichter in gekonnter Übersetzung für sich zu entdecken.
Giovanni Pascoli war sicher kein avantgardistischer Experimentator, aber seine in die Tiefe reichende Melancholie, seine stete Sehnsucht nach dem verlorenen Wundergarten der Natur und seine exzellente Sprachführung machen seine Gedichte zum bleibenden Gut europäischer Lyrik.

Dec 30, 2024 • 4min
Navid Kermani – In die andere Richtung jetzt | Buchkritik
„Das ist für mich elementar, dass ich aus meiner eigenen kleinen Welt herauskomme und die Welt sehe, wie sie ist. Und das mache ich ja seit vielen Jahren. Ich habe gemerkt, dass es besser ist, wenn ich über einzelne Regionen länger berichte, über einen längeren Zeitraum mich auf einzelne Regionen konzentriere", meint Navid Kermani.
Die Welt zu sehen, wie sie ist, das bedeutet in den Ländern Ostafrikas mit gewaltigen Problemen und großer Not konfrontiert zu werden. Navid Kermani glaubt, dass sich hier globale Probleme verdichten und dass es sich rächen wird, wenn wir der Region zu wenig Aufmerksamkeit schenken.
Apathische Menschen
Im Süden Madagaskars schaut er auf die dramatischen Auswirkungen der ersten klimabedingten Hungersnot. Das Land, das eigentlich fruchtbar ist, erscheint dem Reporter aus der Luft wie eine aufgegebene Mine. Viele Wälder sind verschwunden, geblieben sind Baumstümpfe. Auch die restlichen Bäume werden abgeholzt, weil Holzkohle der letzte Verdienst ist.
Navid Kermani berichtet von apathischen Menschen, die der Hunger beherrscht, von Kindern, die nicht mehr spielen, von Menschenkolonnen, die schwere Wasserkanister kilometerweit schleppen. Er habe vorgehabt, auch über das Leben zu schreiben, aber die Not sei dringlicher gewesen, notiert der Autor mit Blick nicht nur auf Madagaskar.
So Navid Kermani: „Was sich am ehesten behauptet hat, war die Musik, weil sie eine ähnliche Existenzialität hat, eine Notwendigkeit, wie ich sie selten je erlebt habe. Aber wenn man ein Kind sieht, das vor Hunger stirbt, erschlägt das alle anderen Erfahrungen erstmal für lange Zeit."
Navid Kermani erzählt auch von der Musik. Aber es ergeht dem Leser wie dem Autor. Die Begegnungen mit Musikern verblassen vor der Wucht anderer, existenzieller Eindrücke und Erfahrungen. Im Norden Äthiopiens in der Region Tigray trifft der Reporter eine vorzeitig gealterte Frau, die von Soldaten mehrfach vergewaltigt wurde. Ein fünfjähriges Mädchen zeigt die Narbe, die ein Messer hinterlassen hat. Jemand hat ihr Bein der Länge nach aufgeschlitzt. „Wer macht so etwas?“, sinniert der Autor.
Er spricht mit Kämpfern der tigrayschen Volksbefreiungsfront, die „zu viel erlebt haben, um noch von dieser Welt zu sein“. Navid Kermani verbirgt nicht, wie ihn all das mitnimmt. Eine halbe Million Tote hat der nach seiner Ansicht „nicht nur grausamste, sondern auch sinnloseste Krieg unserer Zeit“ gefordert. Wenn Kermani nach den Gründen für die Kämpfe fragt, erntet er auf beiden Seiten nur Schulterzucken.
Navid Kermani sagt dazu: „Was in Tigray so erschütternd ist: Man denkt immer, Kriege entstehen aus Verschiedenheit. Die Menschen, die sich in Tigray bekämpft haben, vergewaltigt, massakriert und so weiter, das waren Menschen mit der gleichen Sprache, mit dem gleichen Gebetsbuch, mit den gleichen Traditionen."
Produktive Überforderung
Seine Beobachtungen veranlassen den Reporter dazu, grundsätzlich über Krieg und Frieden, über Klima und Umweltzerstörung nachzudenken. Einfache Rezepte hat er nicht zu bieten. Vielmehr folgt man diesem Autor immer wieder fasziniert bei seinem Nachdenken und Nachforschen; dabei, wie er unterschiedliche Antworten ausprobiert – und oft zu neuen Fragen kommt.
„Ich will nicht am Ende das Gefühl erzeugen, dies oder jenes ist die Lösung oder die Conclusion oder die These oder: so ist Afrika oder so ist Ostafrika. Sondern im Gegenteil: Wer reist, der wird verwirrt, der merkt, dass all das, was er im Kopf hatte, gar nicht stimmt. Und das Ziel wäre eher, die Leserinnen und Leser an dieser Verwirrung teilnehmen zu lassen, diese faszinierende Kompliziertheit fassbar zu machen, so dass man am Ende nicht besser Bescheid weiß, sondern viel mehr Fragen hat. Also weniger Bescheid weiß. Das wäre ganz schön."
Dieser Autor reduziert Komplexität nicht auf eine gut verdauliche, aber realitätsferne Einfachheit. Sein Buch überfordert auf eine produktive Art. Jedes Land, das Navid Kermani bereist hat und von dem er berichtet, ist mit eigenen, spezifischen Herausforderungen konfrontiert. „In die andere Richtung jetzt“ ist eines der Bücher, die man nicht einfach zur Seite legt.

Dec 29, 2024 • 55min
Verdrängte Geschichten und zweifelhafte Gäste – Das war 2024
Dieses Mal im lesenswert Magazin: Die schönsten Bücher des Jahres und ein schwereloser literarischer Jahresrückblick

Dec 29, 2024 • 7min
Julia Malye – La Louisiane
Zum ersten Mal seit drei Monaten können sie wieder den Sand erkennen, der während ihrer Fahrt über den Atlantik vom Wasser verborgen war. Den Grund des Ozeans, den sie zuletzt flüchtig an dem Morgen sahen, als sie an Bord der Baleine gingen. Niemand hat ihnen mitgeteilt, wo sie am Abend übernachten, wann sie verlobt sein würden. Man sagt Frauen nicht alles.
Quelle: Julia Malye – La Louisiane
„Man sagt Frauen nicht alles“, schreibt Julia Malye auf der ersten Seite ihres Romans. Die Frauen, die im Jahr 1721 Französisch-Louisiana erreichten, hatten tatsächlich keine Ahnung, wie ihr neues Leben aussehen würde.
Sie hatten auch nicht selbst entschieden, die beschwerliche Reise über den Ozean anzutreten. Der Gouverneur von La Louisiane hatte Ehefrauen für die Kolonie angefordert, möglichst robust und gebärfähig.
La Louisiane bedeutete Ungewissheit und Hoffnung
Die Frauen, die man ausgewählt hatte, hatten nichts zu verlieren. Ihr Zuhause war die Pariser Salpêtrière gewesen, eine Anstalt für von der Gesellschaft ausgeschlossene Frauen: Psychisch Kranke, Kriminelle, Unkeusche, aber auch Waisenkinder und mittellose Frauen. La Louisiane bedeutete Ungewissheit, aber auch Hoffnung. Eine Chance.
Geneviève fällt es schwer, die wechselnden Geschehnisse zu begreifen: Noch zwei Wochen zuvor war sie in einem Heim der Salpêtrière eingeschlossen. Und heute, in Paris, wird sie die Kleidung erhalten, die sie auf der anderen Seite des Atlantiks tragen wird.
Quelle: Julia Malye – La Louisiane
Autorin Geneviève ist eine der Frauenfiguren, die Julia Malye erschaffen und zu den Heldinnen ihres Romans gemacht hat. Die junge Geneviève stammt aus der Provence, aus einer verarmten Familie. Nach dem Tod ihrer Eltern hat sie sich in Paris allein durchgeschlagen.
Sie ist schwanger geworden, hat abgetrieben, hat anderen Frauen bei der Abtreibung geholfen. Deshalb ist sie in der Salpêtrière gelandet. Während der monatelangen Schiffsreise nach La Louisiane freundet sich Geneviève mit Pétronille, Étiennette und Charlotte an.
Die rothaarige Charlotte ist die Jüngste – ein Waisenmädchen, das in ihrem Leben nichts anderes gesehen hat als die Salpêtrière. Bevor ihre neue Existenz als Siedler-Frauen in der Kolonie beginnt, überlebt die Gruppe einen Piraten-Überfall und das in La Louisiane grassierende Gelbfieber. Innerhalb kürzester Zeit sind dann alle unter der Haube.
Pierre Duran ist der kleinste der drei Männer, die durch den Mittelgang kommen. (…) Er hat breite Schultern, ein markantes Kinn und helles Haar, das im Sommer sicher blond wird. Geneviève hat keine Angst vor ihm. Sie hat immer gewusst, dass es sie etwas kosten würde, die Salpêtrière zu verlassen. Später sollte sie sich kaum an die Zeremonie erinnern. Im Gegensatz zu Étiennette hat sie nie von Sträußen, Mitgift und Aufgebot geträumt. Noch in Paris, dachte sie nicht einmal, dass sie einmal heiraten würde.
Quelle: Julia Malye – La Louisiane
Ein Leben an der Seite fremder Ehemänner
Die 30-jährige Julia Malye erzählt mit großer schriftstellerischer Reife vom Leben der Frauen an der Seite ihrer zunächst völlig fremden Ehemänner. Sie denkt und fühlt sich tief in ihre Figuren ein. Geneviève, Pétronille, Étiennette und Charlotte machen ganz unterschiedliche Erfahrungen.
Sie müssen mit Schicksalsschlägen umgehen. Ehemänner sterben, eine von ihnen kann keine Kinder bekommen. Die Frauen lernen, reifen, wachsen hinein in ihr Leben in der neuen Welt.
Obwohl sie in einem patriarchalischen System den Männern untergeordnet sind, entwickeln sie eigenständige, starke Persönlichkeiten, die uns die Autorin auf faszinierende, sensible Weise nahebringt. Die Männer, ob sie nun friedfertig oder brutal sind, bleiben in dem Roman stets im Hintergrund. In La Louisiane tragen die Kapitel Frauen-Namen.
Elf. Pétronille. Nouvelle-Orléans, Januar 1731. Vierzehn Monate sind seit dem Angriff der Natchez vergangen, aber Pétronille stehen die Ereignisse dieses Wintermorgens so klar vor Augen, als wäre sie gestern geschehen. Nachdem Utu’wv Ecoko’nesel gegangen war, hatten sie ihre Kräfte verlassen. Sie war allein mit ihren Kindern am Ufer des Saint-Louis (…), auf der anderen Seite des Waldes tobten die Kämpfe.
Quelle: Julia Malye – La Louisiane
Aufstand des Natchez-Volkes gegen die französische Kolonialherrschaft
Autorin Julia Malye hat reale historische Ereignisse in ihren Roman eingeflochten, wie den Aufstand des indigenen Natchez-Volkes gegen die französische Kolonialherrschaft. Dafür hat die Autorin auch Quellen der Natchez konsultiert.
Bei ihrem Angriff im Jahr 1729 zerstörten die Kämpfer der Natchez die Siedlung Fort Rosalie, töteten Frauen, Männer und Kinder oder nahmen sie gefangen. Die Romanfigur Pétronille, die sich dank der Hilfe einer jungen Indigenen retten kann, lebt fortan mit dem Trauma des Verlusts.
Ihre Nachbarin und Freundin Marie aus der Siedlung, ihr Ehemann und die Frau vom Volk der Natchez, die ihr geholfen hat – Pétronille weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, und leidet darunter. La Louisiane handelt also auch von Menschlichkeit in einer Zeit, die von Unterwerfung, Sklaverei und Krieg geprägt war.
Und es ist ein Buch über unbedingte Freundschaft und Solidarität. Trotz der großen Entfernungen reißen die Bande zwischen Geneviève, Pétronille und Charlotte nicht ab. Kunstvoll verwebt Julia Malye ihre Lebensgeschichten miteinander – und imaginiert am Ende eine Liebe ohne Männer:
Sie nimmt sie in die Arme, und so verharren sie, mit verhakten Füßen, und hören ihrem Atem zu, dem sturen Gesang der Grillen im Garten. Das Zimmer wirkt verändert, als hätte Geneviève es nie zuvor betreten. Sie ist sich ihres Körpers besonders gewahr, auch Charlottes, der sich zugleich vertraut und fremd an sie schmiegt.
Quelle: Julia Malye – La Louisiane
Roman über weibliche Selbstermächtigung
Während fast eines Jahrzehnts hat Julia Malye umfassend und akribisch für La Louisiane recherchiert, unzählige Werke und Expert:innen konsultiert und die Archive von New Orleans – also Neu-Orleans – durchforstet. Vor dem französischen Buchtext verfasste sie eine Version auf Englisch.
La Louisiane ist ein unterhaltsam und lebendig geschriebener Roman, der uns ein bisher kaum bekanntes Kapitel französischer Kolonialgeschichte intensiv und authentisch erleben lässt. Zugleich ist La Louisiane ein Buch über weibliche Selbstermächtigung, über Frauen, die auf subtile Weise von Objekten zu Subjekten werden und ihr Schicksal schließlich selbst in die Hand nehmen.

Dec 29, 2024 • 16min
„Ein schönes Buch ist in sich rund“ – Stiftung Buchkunst kürt die 25 schönsten deutschen Bücher
Zwei Jurys bewerten hunderte Bücher in einem aufwendigen Verfahren. Am Ende werden je fünf Bücher in fünf Kategorien wie Allgemeine Literatur, Kinderbuch oder Kunstbücher ausgezeichnet.
Inhalt kann auch die Gestaltung prägen
Seit einem Jahr ist Birte Kreft Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst. Sie beschreibt im Gespräch mit dem lesenswert Magazin die Kriterien, nach denen ein Buch als schön bewertet wird:
Wir bei der Stiftung Buchkunst sagen immer, ein schönes Buch ist eines, das in sich rund ist.
Quelle: Birte Kreft, Geschäftsführerin Stiftung Buchkunst
Die Jurys beurteilten zwar nicht den Inhalt des Buches, dennoch sei dieser wichtig für die Gestaltung.
Wie etwa bei dem ausgezeichneten Buch „An Rändern“ von Angelo Tijssens. Das Buch erzählt von einem Mann, der in seine Heimat reist und sich dort seinen schmerzhaften Erinnerungen stellt. Wie der Titel „An Rändern“ es bereits sagt, ist auch der Text im Buch an den Rand gerückt.
Gute Ideen kosten nicht unbedingt viel
Wie hier Form und Inhalt ineinander greifen, habe der Jury besonders gefallen, sagt Birte Kreft:
In dem Buch gibt es auch schwarze Seiten, die das Thema Depression aufgreifen. Parallel dazu ist der Umschlag in einem hoffnungsvollen Rosa. Es geht auch darum, was für gute Ideen Gestalter:innen haben, um die immer kleiner werdenden Budgets in eine gute Gestaltung und damit in ein gutes Buch umsetzen.
Quelle: Birte Kreft, Geschäftsführerin Stiftung Buchkunst
Genau das sei in Zeiten steigender Papier- und Druckkosten die Herausforderung. Es würden nicht nur die großen Publikumsverlage ausgezeichnet, sondern auch kleinere, die „auch mutige Entscheidungen treffen wie der Trottoir Noir Verlag aus Leipzig oder shift books aus Berlin“, so Kreft.


