

SWR Kultur lesenswert - Literatur
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Apr 11, 2025 • 30min
Gespräch mit der Peter-Huchel-Preisträgerin 2025 Olga Martynova
Der diesjährige Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik geht an die 1962 in Krasnojarsk geborene und in Frankfurt am Main lebende Lyrikerin Olga Martynova. Die Jury würdigte den im S. Fischer Verlag erschienenen Gedichtband "Such nach dem Namen des Windes" als herausragende Neuerscheinung des Jahres 2024.
Der Peter-Huchel-Preis wurde am 3. April 2025, dem Geburtstag Huchels, in Staufen verliehen. Preisstifter sind der Südwestrundfunk und das Land Baden-Württemberg. Zu den bisherigen Preisträger*innen gehören u. a. Elke Erb, Ulf Stolterfoht, Marion Poschmann, Steffen Popp und Anja Utler.

Apr 6, 2025 • 1h 7min
SWR Bestenliste April
Auf dem Programm standen: Claudia Piñeiros Roman „Die Zeit der Fliegen“, für den Unionsverlag von Silke Kleemann ins Deutsche übertragen. Andreas Maiers Roman „Der Teufel“ (Suhrkamp Verlag), Christian Krachts „Air“ (Kiepenheuer & Witsch Verlag) und Nina Bußmanns Sommergeschichte „Drei Wochen im August“ (Suhrkamp Verlag).
Es geht in den Büchern um Schädlingsbekämpfung und Feminismus, Fernsehen und politisch korrekten Sex, um Inneneinrichtung und das Design unserer kulturellen Erinnerung, brennende Wälder und köchelnde Beziehungen. Die ausgewählte Prosa überzeugte die Jury trotz unterschiedlicher Lesarten in den meisten Fällen und wurde dementsprechend mit viel Lob bedacht.
„Ist das abendfüllend?“ fragte Eberhard Falcke am Schluss der Veranstaltung in die Runde, weil er die Figurenführung in Bußmanns Roman unterm Strich für zu eindimensional hielt.
Warum aber gerade der Roman der Spitzenreiterin auf der April-Bestenliste in seiner inhaltlichen wie sprachlichen Uneindeutigkeit sehr zeitgemäß ist, wussten daraufhin Kirsten Voigt und Jörg Magenau zu erklären. Ein Gespräch, das nicht zuletzt zeigte, wie unterhaltsam und erhellend Literaturkritik auf der Bühne sein kann.
Aus den vier Büchern lasen Isabelle Demey und Johannes Wördemann. Durch den Abend führte Carsten Otte.

Apr 6, 2025 • 17min
Claudia Piñeiro: Die Zeit der Fliegen
Inés hat die Geliebte ihres Mannes erschossen. Nun, 15 Jahre später, kommt sie aus dem Gefängnis in eine andere Welt, in der sie sich zurechtfinden muss. Und Geld verdienen. Sie eröffnet ein Unternehmen: Schädlingsbekämpfung und Detektivdienste.

Apr 6, 2025 • 16min
Andreas Maier: Der Teufel
Der zehnte von elf Bänden von Maiers Projekt „Ortsumgehung“. Stück für Stück hat Maier den Radius und den Blick geweitet. Nun geht es noch einmal um das Große und Ganze: das Gute und das Böse. Und wie es in die Menschen kommt.

Apr 6, 2025 • 17min
Nina Bußmann: Drei Wochen im August
Ein unbeschwerter Sommer am Atlantik. Eine vermeintliche Idylle, in die das Unbehagen einsickert. Die Wälder brennen, ein Kind verschwindet. Nina Bußmann inszeniert einen Urlaub als ein leises und bedrohliches Kammerspiel.

Apr 6, 2025 • 18min
Christian Kracht: Air
Ein neuer Kracht ist noch immer ein Ereignis: Es beginnt in einem kleinen Haus am Meer an auf einer schottischen Insel und endet in einer Parallelwelt, in der ein rachsüchtiger Fürst die Bevölkerung einer geheimnisvollen Steinstadt unterjochen will. Ist Kracht unter die Fantasy-Autoren gegangen?

Mar 30, 2025 • 7min
Ingeborg Arvola – Der Aufbruch
Ingeborg Arvola ist ein zurückhaltender Mensch. Das ist beim Treffen in einem separaten Raum in der altehrwürdigen Nationalbibliothek nah beim verschneiten Schlosspark im Zentrum Oslos nicht zu übersehen.
Aber wenn die 50 Jahre alte Schriftstellerin, die seit langem in der norwegischen Hauptstadt lebt, von der Gegend erzählt, in der sie aufgewachsen ist, dann verändert sie sich, dann leuchten ihre Augen.
Sie stammt aus dem äußersten Norden des Landes, der sogenannten Finnmark, und gehört zur Minderheit der Kvenen, Nachkommen finnischer Einwanderer, erzählt sie:
„Mein Vater kam von einem Bauernhof. Wenn ich für längere Zeit bei ihm wohnte, war das wie eine Reise in die Vergangenheit. Gesprochen wurde Finnisch oder Kvenisch. Wir waren mit Pferd und Schlitten unterwegs, holten Heu aus der Scheune, um es zu den Tieren auf dem Hof zu bringen. Er lebte in einer Lehrerwohnung in der Nähe der Schule.
Und wenn wir zum Arvola-Hof fuhren, mussten wir im Sommer mit Booten oder im Winter mit Skiern über den Fluss fahren. In gewisser Weise hatte ich das Gefühl, dass ich die Letzte war, die eine wirklich alte Zeit erlebte, weil er der Letzte war, der das Pferd herumführte.“
Gegen alle Widerstände
Es ist wohl diese sehr intime Kenntnis einer fernen, einfachen Lebensweise, die Ingeborg Arvolas Roman „Der Aufbruch“ so lesenswert macht. Das Buch, Auftakt ihrer Eismeer-Trilogie, führt weiter zurück als nur in die Zeit der Kindheit der Autorin, nämlich bis ins 19. Jahrhundert.
Arvola porträtiert eine schicksalsgläubige Gemeinschaft von Fischern und Bauern. Im Mittelpunkt der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte steht eine unangepasste, selbstbewusste, eigensinnige Frau.
Britta Caisa, aus deren Perspektive erzählt wird, hält gegen alle Widerstände an der Liebe zu einem verheirateten Mann fest und stellt sich somit gegen Jahrhunderte alte Traditionen und Gesetze. Der Roman ist eine Feier des einfachen und auch harten Lebens im äußersten Norden – und einer atemberaubenden Natur.
Der Schnee hat einen ganz eigenen Glanz, wenn der Wind nachlässt und die Abendsterne am Nachmittagshimmel funkeln. Der Himmel erstreckt sich in alle Richtungen. Noch nie habe ich so viele Sterne auf einmal gesehen. Wie viele vor uns schauen wir zurück, in Richtung der dichten Wälder, der Seen und Flüsse, in deren Nähe wir gewohnt haben, auf Gebäude, Blaubeerwiesen und Familien, die wir hinter uns gelassen haben. Sie, die anderen, drehen sich um, als die Weite um uns herum alles Gewohnte verschluckt. Ich nicht. Ich begrüße das Neue. Das Offene und Große.
Quelle: Ingeborg Arvola – Der Aufbruch
Ingeborg Arvolas präzise, detailgenaue Beschreibungen machen die Landschaft und das Leben der Menschen darin sinnlich erfahrbar. Die schneebedeckten Weiten und die Schilderungen scheinbar schlichter, urtümlicher Lebenswege werden zu einem mythisch beseelten Gegenentwurf zur unerbittlichen Modernisierung der Welt.
Ingeborg Arvola hat den Roman in Oslo mit Blick auf Straßen und Häuser geschrieben. Die Finnmark aber war trotzdem präsent.
„Ich sitze in Oslo und sehne mich nach dieser Natur. Ein Teil von mir will immer in der Finnmark sein. Es ist die schönste Natur. Ich glaube, die Kombination aus Wissen und Sehnsucht macht das Buch aus. Wenn ich in der Finnmark leben und schreiben würde, wäre es vielleicht schrecklich. Womöglich ist die Sehnsucht also ganz wichtig.“
Wie eine Explosion
In Norwegen erscheint im Herbst der Abschlussband der Eismeer-Trilogie. Für die Autorin war das Großprojekt selbst ein Aufbruch. Während sie zuvor vor allem Kinderbücher geschrieben hat, wurde sie für „Der Aufbruch“ 2022 mit dem Norwegischen Buchpreis ausgezeichnet. Damit habe sich für sie alles verändert, sagt sie:
„Ich hatte früher fünf Leser, aber mit diesem Roman hatte ich in nur wenigen Monaten 50.000 Leser. Das war wie eine Explosion. Es war eine sehr seltsame und willkommene Erfahrung, denn ich schreibe seit 25 Jahren Bücher.
Ich habe nie wirklich den Durchbruch geschafft, aber mir ist es trotzdem irgendwie gelungen, immer weiterzumachen. Und dann habe ich plötzlich all diese Leser, und sie sind so dankbar. Das ist eine sehr schöne Erfahrung.“
Zum großen Erfolg der Trilogie mag beigetragen haben, dass in Norwegen seit einiger Zeit offen und kritisch über die erzwungene Assimilation angestammter Minderheiten im Land diskutiert wird. Sprache und Kultur von Samen und Kvenen wurden lange Zeit rigide zurückgedrängt.
Hoffnungsvoller Blick auf die Gegenwart
Für Ingeborg Arvola gehören solche Erfahrungen jedoch der Vergangenheit an. Auf die Gegenwart schaut sie hoffnungsvoll: „Es wird mehr und mehr anerkannt, dass sich im Norden Norwegens drei Stämme treffen: Samen, Norweger und Kvenen. Jetzt, wo die Leute anfangen, ihre Wurzeln zu erforschen und ihre Familiengeschichte zu entdecken, stellen die Menschen aus Nordnorwegen fest:
‚Oh, wir haben auch diese finnischen Namen und diese samische Kultur und diese norwegischen Fischer in der Familie.‘ Es handelt sich also eher um ein fröhliches Wiederaufleben der Dinge. Und es gibt den politischen Willen, etwas zu tun, damit auch unsere Kultur wieder bessere Tage erlebt.“
Einzelne Wörter und kurze Passagen im Roman wurden auch in der deutschen Übersetzung in der Sprache der Kvenen belassen. Den Lesefluss stört das nicht, vielmehr verstärkt es den Eindruck einer ganz eigenen Welt, in die das Buch entführt.
Ingeborg Arvola selbst ist ohne die Sprache ihrer Vorfahren aufgewachsen. Sie lernt sie jetzt. Am liebsten singt sie Lieder auf Kvenisch.

Mar 30, 2025 • 10min
Svea Mausolf über ihr Romandebüt: „Kalendersprüche haben immer was Wahres“
Kristine Harthauer: Du bist als Autorin zum ersten Mal auf der Leipziger Buchmesse. Wie viel Meme-Potenzial hat die Messe? Was ist dein erster Eindruck?
Svea Mausolf: Auf den ersten Blick natürlich tonnenweise, weil wirklich ganz viele Leute hier sind. Ich glaube, jeder hier hat ganz viele Geschichten, die ich potenziell verwursten könnte.
Kristine Harthauer: Auf deinem Instagram-Account hast du auch schon ein paar Memes über dein Buch gepostet. Auf einem sieht man einen älteren, grauhaarigen Mann, so Typ ewiger Rocker mit Lederboots und Tattoos. Der sitzt auf einer Parkbank, er beugt sich in Richtung Kamera und fragt ganz keck: „Junge Frau, darf ich fragen, was die da lesen?“.
Svea Mausolf, darf ich fragen, wie es ist, das Internet zu verlassen und mit dem ersten eigenen Buch unterwegs zu sein?
Svea Mausolf: Also, für mich ist dieser Sprung in die physischen Medien irgendwie auch beruhigend. Ich habe immer das Gefühl, das Internet ist so flüchtig und könnte jeden Moment vorbei sein.
Deswegen freue ich mich riesig, dass ich vielleicht auch als Romanautorin Fuß fassen kann und vielleicht gar nicht mehr jeden Tag bangen muss, ob mein Instagram-Account nicht vielleicht gelöscht wurde und meine ganze Existenz flöten geht.
Kristine Harthauer: Die Angst hätte ich auch, wenn man so abhängig ist vom Algorithmus.
Svea Mausolf: Und von Mark Zuckerberg, das wünscht man sich auch nicht.
Ein Höllenritt voller Körperflüssigkeiten
Kristine Harthauer: Dein Roman heißt „Image“. Es geht um Peggy, Ende 30, die ein Zimmer in ihrer Kölner Altbauwohnung vermietet – an ein schmieriges Muttersöhnchen namens Martin. Dann macht ihre Freundin mit ihr Schluss und Peggy landet in einer schäbigen Kneipe namens „Image“.
Und was dann passiert, das ist ein Höllenritt voller Körperflüssigkeiten, Wutanfälle, zerstörten Möbeln und auch Körperteilen. Ich habe mich beim Lesen schon gefragt: Woher nimmst du diese Bilder?
Svea Mausolf: Also es klingt so platt zu sagen „Da steckt alles in mir drin“. Besonders, wenn man sich irgendwie den Inhalt des Buches mit all seinen Schrecken vor Augen ruft.
Ich glaube, mich interessiert einfach auch Abgründiges. Das kitzelt mich. Da mag ich drüber nachdenken, da mag ich auch noch meine eigene Fantasie spielen lassen und mich so ein bisschen treiben lassen in alles, was spritzt, in alles, was eklig ist. Was auch vielleicht nicht mit Körperflüssigkeiten zu tun hat.
Ich glaube, mich interessiert einfach auch Abgründiges. Das kitzelt mich.
Quelle: Svea Mausolf, Autorin
Also Ekel geht ja weit darüber hinaus, auch in dem Buch. Menschen, aus denen es nicht trieft, können auch eklig sein. Und das in all seiner Härte zu beschreiben, das zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht.
Eine grobe Skizze vom Spätkapitalismus, in dem wir leben
Kristine Harthauer: Wenn jemand das Buch noch nicht gelesen hat und eben diesen Titel hört, „Image“, wie würdest du dein Buch skizzieren?
Svea Mausolf: Es passiert ja sehr viel. Es sind viele Charaktere, die ich anreiße. Es hat zwar irgendwie eine strenge Handlung, der es folgt, aber immer wieder streife ich das Leben anderer, die nur ganz kurz vorkommen.
Ich finde, das ist irgendwie auch eine grobe Skizze des Spätkapitalismus, in dem wir leben, und des Abgründigen, das sich so auftut. Wo manch anderer vielleicht nicht so gern hinschaut, wo ich dann ganz genau hingucke und auch Charaktere seziere, bis kaum noch was von ihnen übrig bleibt. So?
Ich finde, in Überzeichnungen liegt ganz viel Wahrheit. Ich bin auch Fan von Kalauern, die immer funktionieren.
Quelle: Svea Mausolf, Autorin
Kristine Harthauer: Gleichzeitig sind diese Figuren ja auch ziemliche Stereotype. Da hast du keine Angst davor. Was gefällt dir an dieser Überzeichnung?
Svea Mausolf: Ich finde, in Überzeichnungen liegt ganz viel Wahrheit. Ich bin auch Fan von Kalauern, die immer funktionieren. Kalendersprüche haben immer was Wahres. Ich finde, so wie es bei Memes funktioniert, funktioniert es im Literarischen auch und besonders, wenn es um Humor geht. Dass ich in der Überzeichnung immer den wahren Schmerz finde.
Ich finde, Literatur kann auch gerne so was Comichaftes haben, was nicht im Alltag zu finden ist, aber gerade dann doch überall, wo man hinsieht. Weil es eben so detailliert und so überzeichnet beschrieben ist.
Rache am Patriachat?
Kristine Harthauer: Du zerlegst ja eigentlich die deutsche Gesellschaft und du zeigst die homophoben, rassistischen und sexistischen Abgründe dieser Gesellschaft. Quasi alle bekommen ihr Fett weg, vom Rich Kid wie Peggy bis hin zum klassischen Reihenhausbesitzer.
Vor allem Männern gegenüber bist du gnadenlos. Die Männer in deinem Buch sind ja eigentlich Witzfiguren. Vor allem Martin, das ist wirklich ein Stereotyp eines Millennial Boys. Siehst du oder kennst du Typen wie ihn aus der echten Welt?
Svea Mausolf: Ja, noch und nöcher. Die schießen ja wie Unkraut aus dem Boden und sind auch leider nicht tot zu kriegen, auch wenn ich es versucht habe. Besonders in meiner Vergangenheit, in meinem Kunststudium, sind mir fast nur solche Männer begegnet. Die sich Themen wie Feminismus vorne auf die Fahne schreiben und dann hintenrum eigentlich gar nicht so sind und nur nerven.
Kristine Harthauer: Ja, die sich die Nägel lackieren, aber teilweise eben einfach wahnsinnig misogyn gegenüber Frauen sind. Ist das auch eine Art Rache am Patriarchat, die du mit deiner Kunst ausübst?
Svea Mausolf: Also wenn man es so betrachten will, kann man das gerne so lesen. Ich finde, ich als Frau müsste mich viel, viel vehementer rächen für alles, was uns als Frauen so passiert ist.
Da reicht ein witziges Buch wahrscheinlich nicht aus. Das ist ja dann eher ein Fliegenschiss auf alles, was bisher passiert ist: von Hexenverbrennung bis hin zu Frauenmorden, die so passieren. Und da komme ich daher als komische junge Frau und mache mich ein bisschen drüber lustig. Das wird wohl als Rache nicht ausreichen.
Keine reine Autofiktion
Kristine Harthauer: Aber trotzdem ruft es ja auch heftige Reaktionen hervor in den Kommentaren. Es lässt die Männer nicht kalt.
Svea Mausolf: Eigentlich finde ich, viele Männer sind mir dann doch sehr wohlgesonnen. Besonders die, die es irgendwie in ihr Bumble-Profil reinmachen, dass sie meine Memes gern angucken oder meine Bücher lesen.
Kristine Harthauer: Die gibt's also auch, meine Güte. Sag mal, in welchem Umfeld bist du eigentlich aufgewachsen? Auch hinter den Spitzengardinen im Reihenhaus?
Svea Mausolf: Ich würde sagen, guter Mittelstand. Mein Vater war Polizist, meine Mutter arbeitet auch bei der Polizei. Also Eigenheim. Es war nie zu wenig Geld da, aber auch nie zu viel, würde ich sagen.
Es steckt sicherlich viel von Peggy in mir, aber von mir steckt auch viel in allen anderen Figuren.
Kristine Harthauer: Du hast, so wie deine Figur Peggy, aber auch nie zu viel, würde ich sagen. Du hast wie Peggy auch ein Kunststudium abgebrochen. Du lebst, soweit ich weiß, auch in Köln. Wie weit bist du davon entfernt, den Weg von Peggy einzuschlagen? Oder wie viel von dir spiegelt sich da wieder?
Svea Mausolf: Es ist kein autofiktionaler Roman. Es steckt sicherlich viel von Peggy in mir, aber von mir steckt auch viel in allen anderen Figuren. Ich sehe mich da in jedem, sogar in Martin, und würde fast sagen, dass ich am ehesten den Weg von Renate einschlagen wollen würde, die später im Buch vorkommt.
„Wenn ich scheitere, dann scheitere ich vor einer Viertelmillion Menschen“
Kristine Harthauer: Also mit der eigenen Eckkneipe. Wie ist es für dich jetzt, dass du quasi die Form gewechselt hast? Mit deinem Account erreichst du auf Instagram 280.000 Follower. Jetzt mit dem Buch, spürst du da eine andere Form von Druck?
Svea Mausolf: Ich glaube, ich habe immer ein bisschen Druck. Es ist ja auch bei Instagram ein konstantes Schaffen. Ich habe ja mal täglich Memes gemacht, dann immer weniger auch wegen des Drucks und dann auch wegen anderer kreativer Aufgaben, wie zum Beispiel die mit dem Buch.
Aber natürlich ist da immer so eine Angst dabei, etwas vor Augen vieler zu veröffentlichen. Es ist ja nicht so, dass ich mit einem Debüt ohne Publikum gestartet bin. Ich dachte: Wenn ich scheitere, dann scheitere ich vor einer Viertelmillion Menschen. Und das ist natürlich irgendwie ein hartes Ding so. Aber geschafft.
Langform statt Memes und direktem Feedback
Kristine Harthauer: Geschafft. Es gibt dieses berühmte Zitat von Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Was macht dir mehr Arbeit? Einen 200 Seiten starken Roman zu schreiben, wahrscheinlich über Monate hinweg, oder auf Instagram eine Galerie mit zehn Memes zu posten?
Svea Mausolf: Natürlich ist das mit den Memes super schnell. Also es ist ja so, dass ich da direkt ein Feedback bekomme, was dann irgendwie mit meinem Dopaminhaushalt ein bisschen spielt.
Es war dann auch irgendwie schwierig in der Langform, als ich eben keine direkte Antwort dafür bekommen habe, was ich gemacht habe. Unterm Strich ist aber das Romanschreiben viel mehr Arbeit, als so ein Witzbild im Internet zu machen.
Kristine Harthauer: Und meinst du, du wirst es noch ein zweites Mal ausprobieren wollen?
Svea Mausolf: Absolut, sehr gerne sogar. Noch ein drittes, ein viertes.

Mar 30, 2025 • 4min
85. Geburtstag des Schrifstellers Uwe Timm
Es fällt nicht sogleich ins Auge und wurde bisher eher selten bemerkt: Aber auch das Glück spielt im Werk von Uwe Timm eine entscheidende Rolle. Gewiss mag das überraschen bei diesem Schriftsteller der sich so oft mit den finsteren Momenten der jüngeren deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt hat.
Ja, es ist eine katastrophische Geschichte, und deshalb ist auch einer dieser Hauptmomente in der neueren deutschen Geschichte eben dieses Kriegerische, das weitgehend auch die Mentalität geprägt hat.
Quelle: Uwe Timm
Glücksmomente - trotz alledem
Trotzdem leuchtet das Glück in vielen seiner Erzählwerke auf, zumindest für kurze Augenblicke. Sogar in dem düsteren Roman „Morenga“ über den kolonialistischen Völkermord in Südwestafrika gibt es Glücksfälle der Mäßigung und besseren Einsicht. In „Heißer Sommer“, dem Roman über die Studentenbewegung erfährt der Held im politischen Handeln das Glück der Solidarität. Und gleich mehrere Glückserfahrungen macht die Heldin der Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ in den Wirren am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Fast ein Nachkriegskind
Glück hatte auch Uwe Timm selbst schon in seinen ersten Anfängen, nämlich mit dem Geburtsjahr 1940. Denn damit war er durch sein kindliches Alter gefeit gegen Irrwege wie die seines älteren Bruders, dessen Schicksal als SS-Soldat er später in einer Erzählung schilderte. Allerdings hatte auch der kleine Uwe sein Schlüsselerlebnis mit der Nazi-Diktatur:
„Also mir hatte man gerade beigebracht, die Hacken zusammen zuschlagen und Heil Hitler zu sagen. Und plötzlich sagte man mir, das darfst du nicht machen. Und dieser Bruch ist auch so ein Erlebnis, wie Autorität plötzlich sich veränderte und zusammenbrach."
Die Gegnerschaft zum Autoritarismus wurde zu einem Zentralmotiv in Uwe Timms Leben und Werk. Die Vollendung seiner persönlichen Bildungsgeschichte gelang ihm in nur zehn Jahren, von den Anfängen als Hamburger Kürschnersohn, der für eine Weile dem Vater im familiären Handwerksbetrieb nachfolgte, über den promovierten Jung-Akademiker bis zum politisch engagierten Schriftsteller.
Timm erzählt: „Das ist dann ein Prozess gewesen durch die Studentenbewegung, dass ich mich auch politisiert habe. Politisiert meine ich jetzt nicht in der Bedeutung von Parteipolitik, sondern dass man so einen schärferen Blick für gesellschaftliche Probleme bekommt."
Der Blick für gesellschaftliche Probleme
Mit diesem geschärften Blick für gesellschaftliche aber auch historische Probleme fand er dann die Themen für sein umfangreiches Werk von Erzählprosa, Essayistik, Hörspielen und Drehbüchern. Dieses Werk ist ein Dokument und Spiegel deutscher Zeitgenossenschaft.
Und oftmals geht es darin nicht nur um die bare Wirklichkeit, sondern auch darum, den Gedanken an ihre Veränderung wach zu halten, wie Uwe Timm in einem Telefoninterview mit dem SWR betonte: „Ja, ich denke Literatur tut das auch, dieses utopische Denken als Gegenwirklichkeit hat sie als Thema geradezu.
Das ist eben die große Leistung von Literatur, dass sie das kann auch wenn sie die Dystopie beschreibt, also die Katastrophe beschreibt, dass da immer auftaucht der Konterpart, das heißt dass es eine andere friedliche Welt gibt, die auch glückverheißend ist."
Obwohl sich derzeit die Dystopien bedrohlich vermehren, ist es Uwe Timm zum 85. Geburtstag zu wünschen, dass ihm sein ermutigender Sinn für das Utopische erhalten bleibt.

Mar 30, 2025 • 12min
Preis der Leipziger Buchmesse „Zuversicht darf nicht zur Floskel verkommen“ - Kristine Bilkau über ihren Roman „Halbinsel“
Ihr Roman „Halbinsel“ kreist genau um dieses Paradox und um die Frage, wie sich eine Mutter und ihre erwachsene Tochter auf Augenhöhe begegnen können. Für ihr Buch wurde Kristine Bilkau mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.


