
Sternstunde Religion
Die «Sternstunde Religion» ordnet ein, fragt nach und schafft Zusammenhänge – in Form von Dokumentarfilmen oder Gesprächen.
Latest episodes

Dec 17, 2022 • 34min
Warum beten?
Überall auf der Welt versuchen die Menschen seit jeher mit dem Göttlichen in Kontakt zu kommen. Doch hilft beten? Wie spricht man mit Gott – wenn überhaupt? Geht beten in dieser säkularen Gesellschaft auch ohne Glauben? Ein Gespräch mit dem evangelischen Theologen und Lyriker Christian Lehnert.
Interreligiöses Gebet, Fürbitte, Stossgebet, Pilgerreisen oder Mantras: Das Gebet in seinen unterschiedlichsten Formen gehört zur Glaubenspraxis vieler Religionen. Aber wozu beten? Weil man keine Verantwortung für das übernehmen will, was man anrichtet? Ist das Gebet vielleicht bloss ein Handlungsersatz, eine subtile Flucht aus der Verantwortung? Benötigt die Gesellschaft unbedingt einen persönlichen Gott, um zu beten oder kann man auch konfessionslos beten? Vielleicht mit einer spirituellen, alle Zeiten überdauernden Haltung, sich einer Wirklichkeit hinzugeben, die grösser ist als man selbst?
Gast bei Ahmad Milad Karimi ist der Dichter und Theologe Christian Lehnert.

Dec 10, 2022 • 59min
Philipp Blom – Macht euch die Erde untertan?
Diesen berühmten Satz aus der Bibel hätten die Menschen allzu wörtlich genommen und die Erde ausgebeutet, ja gar vergewaltigt, sagt Historiker Philipp Blom. Der Mensch stehe aber nicht über der Natur, sondern sei Teil eines Organismus. Ein Gespräch über Erzählungen, Macht und Unterwerfung.
«Macht euch die Erde untertan». Diesen Satz legten die biblischen Autoren der Genesis Gott in den Mund. Und die Menschen nahmen den Auftrag an. Im Zug dessen habe der Mensch nicht nur gesät und geerntet, sondern die Erde regelrecht ausgebeutet, gar vergewaltigt, sagt der deutsche Historiker und Schriftsteller Philipp Blom.
Die Unterwerfungsideologie sei längst Teil des Gewebes unserer Gesellschaft geworden. Zwar hat die Bibel diese Idee nicht erfunden, aber sie diente nicht zuletzt den europäischen Kolonialisten als Leitfaden, die Welt zu erobern. Eine Idee, die die Menschheit schliesslich an den Abgrund führte. Wann also hört das auf?
Bloms Fazit: Wenn der Homo Sapiens endlich einsieht, dass er ein Primat ist, der sich selbst hoffnungslos überschätzt. Denn eigentlich sei er kein besonders wichtiger Organismus für diesen Planeten und stehe nicht ausserhalb der Natur, sondern sei Teil von ihr. Der Vielschreiber Blom fordert deshalb eine neue Erzählung, eine, die nicht darauf beruht, dass der Mensch über allem steht, sondern sich als kleinen Teil eines grossen Organismus versteht und auch danach handelt.
In einem christlichen Haushalt aufgewachsen, hat Philipp Blom später eine Heimat im aufklärerischen Denken Diderots gefunden und sich mit 20 bewusst von der Religion distanziert. Ein Gespräch über die Erhaltung unseres Planeten, die Macht von Erzählungen und warum wir uns verhalten wie 5-Jährige, denen ein Jumbojet überantwortet wurde.

Dec 3, 2022 • 56min
Nora Gomringer über Heimaten, Tod und Trauer
Sie gilt als eine der wichtigsten deutschen Dichterinnen der Gegenwart. Und sie ist bekennende Katholikin. Nora Gomringer schreibt «ich bin die Christin, die die weissen Westen der Diener Gottes anschwärzt». Damit berührt sie, wühlt auf und eckt an.
Die schweizerisch-deutsche Lyrikern Nora Gomringer versteht es, verloren gegangene Erinnerungen und vereitelte Zukünfte in Worte zu fassen. Etwa in ihrem jüngsten Gedichtband «Gottesanbieterin», in welchem sie über den Tod, ihren christlichen Glauben und den Verlust eines guten Freundes schreibt. Sie, die gemäss eigener Aussage seit sie vierjährig ist täglich an den Tod denkt, hat sich innert zweier Jahre von zwei engen Bezugspersonen verabschieden müssen. Wie verändert dieser Abschied den Menschen. Wo ist Heimat? Und kommt sie einem angesichts des Todes eines geliebten Menschen abhanden?
Olivia Röllin spricht mit der Bachmann-Preisträgerin über das Verstummen in der Trauer, das Gestaltungspotenzial der Frau in der römisch-katholischen Kirche und über Jesus, «dem seit zweitausend Jahren keiner die Wunden verbindet».
Sendung vom 06.03.2022.

Nov 26, 2022 • 58min
Achtung Menstruationsblut!
Unrein und gefährlich? Bis heute wird die Menstruation gesellschaftlich tabuisiert. Dabei spielen religiöse Reinheitsvorstellungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Längst überholt geglaubte Vorstellungen stigmatisieren noch immer den Prozess des Menstruierens. Was steht hinter diesem Phänomen?
Gross war der Aufschrei in den sozialen Medien, als zwei Unternehmensgründer ihre «Pinky Gloves» in einer TV-Sendung vorstellten. Dabei handelt es sich um pinkfarbene Plastikhandschuhe, mit denen Menstruierende vor dem Kontakt mit dem eigenen Periodenblut geschützt und die diskrete Entsorgung von Hygieneprodukten gesichert sein sollte. Periodenblut, etwas Ekliges, gar Peinliches? Selbst in Werbungen für Menstruationsprodukte wird das Blut bis heute entfremdet als blaue Flüssigkeit dargestellt. Was also steckt hinter diesem Verdrängungsphänomen, dieser Unsichtbarmachung?
Noch bis ins 20. Jahrhundert wurde der Periode Toxizität nachgesagt und wurden Menstruierende damit geächtet. Von der Antike bis in die Neuzeit haftete dem monatlichen Blutfluss ein Stigma an: Im Sinne der (rituellen) Unreinheit, des Mangels, der Giftigkeit oder als Folge des Sündenfalls. Diese Erklärungen zogen normierende Beschränkungen der Frau mit sich, was nicht zuletzt in der Verweigerung höherer religiöser Ämter resultierte und teilweise noch immer resultiert.
Weshalb gilt Blut, zumal weibliches, als unrein? Weshalb schämen wir uns dafür und ekeln uns davor? Und was braucht es, um das Menstruationstabu in unserer aufgeklärten Gesellschaft zum Verschwinden zu bringen?
Olivia Röllin im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner und der Indologin und Philosophin Angelika Malinar.
Sendung vom 06. Juni 2021.

Nov 19, 2022 • 60min
Streitfrage Jenseitskontakte
Nachrichten, Zeichen, Botschaften aus dem Jenseits zu erhalten – es ist eine faszinierende Vorstellung. Menschen mit besonderen «medialen» Fähigkeiten bieten an, Botschaften von Verstorbenen zu übermitteln. Was passiert da genau, und wie sind diese Praktiken zu bewerten? Ein Streitgespräch.
Der Wunsch, mit verstorbenen Lieben in eine Verbindung zu treten, ist ein urmenschliches Bedürfnis. In fast allen Zeiten und Kulturen sind Versuche überliefert mit den verstorbenen Ahnen in Kontakt zu bleiben. Aus einer Sehnsucht nach konkreten Botschaften und Zeichen heraus lassen sich viele Trauernde von sogenannten «Medien» beraten – so bezeichnen sich Menschen, die über Fähigkeiten verfügen sollen, mit der «geistigen Welt» in Kontakt zu treten. Sie berufen sich dabei auf die Tradition des Spiritismus, der sich in England des 19. Jahrhunderts entwickelte. Während die einen in solchen Kontakten Trost finden, halten andere diese Praktiken für blosse Geschäftemacherei.
Wie realistisch ist die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen mit der «geistigen Welt», mit «Geistwesen»? Auf welchen Jenseitsvorstellungen beruhen diese Praktiken? Der unüberbrückbar scheinende Graben zwischen den Lebenden und Toten – kann er überwunden werden?
Im «Haus der Religionen» in Bern diskutiert Olivia Röllin mit dem Medium Andreas Meile, mit Claudia Preis, Vorstandsmitglied der deutschen Skeptiker-Vereinigung GWUP, und mit dem Religionshistoriker Helmut Zander.
Wiederholung der Sternstunde Religion vom 28.02.2021

Nov 12, 2022 • 59min
Streitfrage Gender und Religion
Mädchen oder Junge? Das biologische Geschlecht bestimmt oft den Platz eines Menschen, ob in Gesellschaft oder Religion. Warum ist das so? Und weshalb stellen die neu aufbrechenden Geschlechterordnungen einige Glaubensgemeinschaften vor grosse Konflikte und in Alarmbereitschaft?
Seit dem 1. Januar 2022 kann man in der Schweiz unbürokratisch das amtlich registrierte Geschlecht ändern, wenn es nicht mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt. Doch anders als in Ländern wie Deutschland, Kanada, Indien oder Pakistan, die ein sogenanntes «drittes Geschlecht» anerkennen, existieren in der Schweiz bloss die Kategorien «männlich» und «weiblich».
Es mag erstaunen, dass die Anerkennung eines «dritten Geschlechts» in manchen Religionen eine lange Tradition hat. Seit Jahrhunderten gibt es etwa in muslimisch oder hinduistisch geprägten Ländern Südasiens Hijras oder in Mexiko Muxes: Menschen, die als Jungen geboren werden, sich aber weiblich kleiden und manchmal auch biologisch zu Frauen werden. Im jüdischen Talmud ist von acht Geschlechtern die Rede. Selbst das Christentum scheint bis in die frühe Neuzeit offener mit Genderfluidität – also mit Menschen, die weder eindeutig Mann noch Frau sind – umgegangen zu sein. Dass nicht alles immer nach binären Mustern verlief, davon zeugen auch Darstellungen von weiblich anmutenden Figuren mit Bart oder von Jesus, aus dessen Wunde am Bauch die Kirche geboren wird.
«Sternstunde» fragt: Welche Rolle spielen Religionen in der Bildung von Geschlechtsidentitäten und wie beeinflusst diese? Wie werden Identitäten von Religionen reguliert und kontrolliert? Und wo und weshalb sind Religionen genderfluid und inkludieren (allenfalls) ein drittes Geschlecht in das rituelle Leben?
Zu Gast bei Olivia Röllin sind Leyla Jagiella, Ethnologin und Religionswissenschaftlerin, Gregor Emmenegger, Professor für Kirchengeschichte in Freiburg und Marie-Therese Mäder, Medien- und Religionswissenschaftlerin in München.

Nov 5, 2022 • 58min
Eva und die Erfindung der Ungleichheit?
Eva wurde lange Zeit die Schuld für die Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies zugeschrieben. Was sagt uns die Paradiesgeschichte puncto Gleichberechtigung von Mann und Frau eigentlich wirklich? Wie stark prägt sie unser Frauenbild? Eine Spurensuche.
Durch Eva seien Tod und Sünde in die Welt getreten, so zumindest für lange Zeit die Auslegung in der christlichen Tradition. Jahrhundertelang sollte dieser Mythos die Diskriminierung von Frauen legitimieren. Doch: Das Patriarchat sei bloss eine "Anomalie der Menschheitsgeschichte", das sagt zumindest der niederländische Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Carel van Schaik in seiner neuesten Publikation. Aber warum gerieten die Frauen in diese Defensive? Wie kam es dazu, dass Frauen um Gleichberechtigung kämpfen müssen?
In der «Sternstunde Religion» spricht Olivia Röllin mit dem Autor Carel van Schaik und der feministischen Theologin Christine Stark darüber, was uns biblische Geschichten zur kulturellen Evolution sagen, weshalb Frauenbenachteiligung entgegen einiger aktueller Stimmen nicht in der Natur begründet liegt und seit wann diese Benachteiligung vorliegt.
Eine Wiederholung vom 10.01.2021.

Oct 29, 2022 • 28min
Lilian Thurams Kampf gegen den Rassismus
Lilian Thuram ist einer der grössten Fussballer, die Frankreich je hatte, und ein vehementer Kämpfer gegen Ausgrenzung und Rassismus. Der französische Rekordnationalspieler ist seit dem Ende seiner Sport-Karriere Buchautor und in der antirassistischen Aufklärungsarbeit aktiv.
«Man wird nicht weiss geboren, man wird dazu gemacht» schreibt Lilian Thuram in seinem neuesten Buch «Das weisse Denken». Er spricht aus eigener Erfahrung. Mit 9 Jahren kam Thuram aus Guadeloupe nach Paris. Als ihn die Mitschüler als «dreckigen Schwarzen» bezeichnen, versteht er zuerst die Welt nicht. Die Antwort seiner Mutter darauf: «Die Menschen sind nun mal rassistisch. Das wird sich nicht ändern.»
Es scheint fast, als wäre diese Erfahrung die Initialzündung gewesen für Thurams spätere Beschäftigung mit dem Thema. Fortan beginnt er sich zu fragen, woher Rassismus kommt und welche Strukturen dafür verantwortlich sind, dass dieser in unserer Gesellschaft so hartnäckig bestehen bleibt. Seine Erkenntnis: Im Grunde geht es nicht um Hautfarben, sondern um gesellschaftliche und politische Konstrukte, die Ausbeutungsstrukturen legitimieren - vom Kolonialismus über die Sklaverei bis in die heutige Zeit. Dass dabei auch Jesus «weissgewaschen» wird, ist nur eine Spielart des sogenannt «weissen Denkens».
Olivia Röllin im Gespräch über die verbindende und entzweiende Kraft von Fussball, die Hautfarbe Gottes und verzerrte Perspektiven auf die Welt.

Oct 22, 2022 • 59min
Christoph Ransmayr: Wie fremd ist uns die Welt?
«Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.» Das trifft auf den österreichischen Schriftsteller Christoph Ransmayr ganz speziell zu. Viele unbekannte Ecken der Welt hat er beschrieben. Und er reist nicht nur irdisch: Auch im Weltall forscht der preisgekrönte Romancier mit Teleskop.
Einst verdiente sich der heute 68-Jährige das Schreiben und Erzählen als Chauffeur, und dies, obwohl er zunächst eine universitäre Laufbahn als Philosoph begann. Heute bezeichnet sich Ransmayr als Touristen auf der ständigen Suche nach der «Enträtselung des Fremden». Er, der als Kind und leidenschaftlicher Ministrant schon von Heimweg geplagt in Tränen ausbrach, wenn er nur das Kreuz des heimischen Kirchturmes aus den Augen verlor. Doch was bedeutet dieses Tourist-Sein jenseits von All-Inclusive und wie bewegt man sich als Tourist durch das Leben? Kommt das menschliche Unglück tatsächlich davon, dass wir nicht ruhig in einem Zimmer sein können, so wie das einst der französische Philosoph Blaise Pascal meinte, oder lässt uns eher die Stubenhockerei verkommen?
Was findet, wer so viel sucht? Was zeigt sich, was hinterlässt man an den entlegensten Orten der Welt und was bedeuten irdische und zeitliche Grenzen für den Autor, der beim Blick durch das Teleskop noch immer über das Rätsel der Schöpfung staunt? All das erörtert Olivia Röllin im Sternstunden-Gespräch.

Oct 15, 2022 • 57min
Iran: Ende der Theokratie?
Im Iran setzen Tausende von Demonstrierenden das Mullah-Regime unter Druck – und riskieren dabei ihr Leben. Brennende Kopftücher werden zum Symbol des Aufstandes und der Befreiung. Ist das der Anfang vom Ende der iranischen Theokratie? Und die Befreiung der iranischen Frauen? Ein Gespräch.
Die inzwischen landesweiten Proteste waren ausgebrochen, weil Mahsa Jina Amini wegen eines angeblich falsch sitzenden Kopftuchs von der Religionspolizei in Teheran festgenommen worden und drei Tage später im Krankenhaus gestorben war – offenbar infolge von Misshandlungen. Viele Demonstrierende fordern umfassende Freiheiten und das Ende der Islamischen Republik, des theokratischen Regimes, dem der 83-jährige Ayatollah Ali Chamenei als geistlicher Führer vorsteht.
Bei den gegenwärtigen Protesten sind die Frauen die treibenden Kräfte. Neu auch in den sozialen Medien, in denen sich die Frauen filmen, wie sie gegen Sicherheitskräfte protestieren, ihren Schleier verbrennen und sich die Haare abschneiden.
Die Islamische Republik gilt als weltweit einzigartiges Regierungssystem. Gegründet nach der Islamischen Revolution von 1979 und dem damit verbundenen Sturz der Monarchie unter Schah Reza Pahlewi beruft sie sich auf den schiitischen Islam und die daraus entwickelten religiösen Vorschriften als Grundlage des staatlichen Handelns. Gewaltenteilung wie in demokratischen Regierungssystemen kennt die Islamische Republik nicht. Auch wenn es im Iran einen Staatspräsidenten und ein gewähltes Parlament gibt, steht über allem der Geistliche Führer. Er wird als der Vertreter des Mahdi betrachtet, einer schiitischen Erlöserfigur, die am Jüngsten Tag erscheinen soll.
Ist diese iranische Theokratie nun angezählt? Und welche Konsequenzen hat diese emanzipatorische Revolte für die Religiosität der Menschen vor Ort? Was bedeutet das für die Iranerinnen, die sich bis heute ohne Schleier nicht im öffentlichen Raum bewegen dürfen? Geht es hier um das Tragen des Kopftuchs, um die Religion oder um ein Politikum? Und wie lassen sich im Iran Religion und Politik voneinander trennen?
Ahmad Milad Karimi im Gespräch mit Natalie Amiri, iranisch-deutsche Journalistin, die von 2015 bis 2020 das ARD-Studio in Teheran leitete, und mit Azadeh Zamirirad, Politikwissenschaftlerin und Iranexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.