5 Jahre nach Brexit: Das irre Comeback des Nigel Farage
Feb 7, 2025
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In dieser Folge spricht Steffen Lüdke, SPIEGEL-Korrespondent in London und Experte für britische Politik, über den fünften Jahrestag des Brexits. Überraschend führt Nigel Farage wieder die Umfragen an, während die Mehrheit der Briten die Brexit-Entscheidung kritisch sieht. Lüdke untersucht die wirtschaftlichen Folgen für Haushalte und Unternehmen und beleuchtet die Unbeliebtheit von Premier Keir Starmer. Der Rückblick auf die Einwanderung und die zögerliche Politik nach dem Brexit zeigen, wie tief die Kluft zwischen Erwartungen und Realität ist.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits zeigen sich in einem Rückgang der Produktivität und einem signifikanten Handelsvolumenverlust mit der EU.
Nigel Farages politischer Aufstieg reflektiert die Unzufriedenheit der Wähler mit der derzeitigen Regierung unter Premier Keir Starmer, was populistische Strömungen fördert.
Deep dives
Brexit-Bilanz nach fünf Jahren
Die Brexit-Bilanz nach fünf Jahren fällt gemischt aus, wobei die schlimmsten Befürchtungen über einen vollständigen wirtschaftlichen Kollaps nicht eingetroffen sind. Allerdings leiden die Briten unter den finanziellen Auswirkungen des Brexits, da die Schätzungen einen Rückgang der Produktivität um etwa 4% und einen signifikanten Rückgang des Handelsvolumens mit der EU von 15% voraussagen. Jeder Brite ist demnach pro Jahr schätzungsweise 2300 Pfund ärmer. Diese Entwicklungen sind jedoch schwer zu isolieren, da der Brexit zeitgleich mit der Pandemie und anderen Krisen eintrat, was die wirtschaftliche Situation zusätzlich kompliziert und die tatsächlichen Ursachen unklar macht.
Herausforderungen für kleine Unternehmen
Kleine und mittelständische Unternehmen in Großbritannien sehen sich aufgrund neuer Bürokratie und Handelsregulierungen zusätzlichen Herausforderungen gegenüber, die durch den Brexit verschärft wurden. Ein Beispiel ist ein Paar, das Plastikdinosaurier verkauft, das feststellen musste, dass die neuen EU-Produktverordnungen erhebliche zusätzliche Kosten und administrative Hürden bedeuten. Diese Unternehmen benötigen nun einen Ansprechpartner in der EU für Zulassungen, was zusätzliche jährliche Kosten verursacht, die für kleinere Betriebe belastend sind. Die Unzufriedenheit über diese Komplikationen hat viele Kleinunternehmer dazu veranlasst, ihre Geschäftspraktiken zu überdenken und in einigen Fällen ganz auf Lieferungen in die EU zu verzichten.
Einwanderungsdynamik nach dem Brexit
Die drastischen Veränderungen im Einwanderungsgesetz nach dem Brexit führten zu einem Rückgang legaler Einwanderung aus EU-Ländern, doch gleichzeitig wurde die Einwanderung aus Asien und Afrika stark erhöht. Während die Brexiteers ursprünglich eine Verringerung der EU-Einwanderung versprochen hatten, verzeichnete Großbritannien stattdessen eine Rekordeinwanderung mit über 700.000 Nettozuwanderern pro Jahr. Diese Entwicklung hat vor allem die politische Landschaft geprägt und bietet gegenwärtig ein Angriffsziel für die Opposition, die argumentiert, dass die ursprünglichen Brexit-Versprechen nicht eingehalten wurden. Weder die Tory-Partei noch die neuen politischen Bewegungen konnten den Einwanderungsdruck merklich verringern, was das Vertrauen der Wähler weiter untergräbt.
Stimmungslage in der britischen Gesellschaft
Die aktuelle Stimmungslage in Großbritannien ist angespannt, da Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Briten – 55 Prozent – den Brexit als Fehler ansehen und eine Rückkehr zur EU in Erwägung ziehen. Das Thema Brexit hatte in den letzten Jahren wenig Aufmerksamkeit erhalten, schwindet jedoch nicht aus den Köpfen der Menschen. Viele ehemalige Befürworter des Austritts erkennen, dass die versprochenen Vorteile ausgeblieben sind, was zu einem noch größeren Aufschwung populistischer Stimmen führt, angeführt von Nigel Farage. Obwohl ein weiteres Referendum unrealistisch erscheint, hegen viele Briten die Hoffnung auf eine Neuorientierung ihrer diplomatischen Beziehungen zur EU.
Vor fünf Jahren verließen die Briten die EU. Mittlerweile räumt sogar die Mehrheit der Brexiteers ein, dass das Experiment gescheitert ist. Und wer führt in den Umfragen? Nigel Farage, das politische Gesicht der Leave-Kampagne.
»Take back control«, darum sollte es gehen. Mit dem Brexit wollte Großbritannien nicht nur aus der EU austreten, sondern man wollte wieder frei sein, wieder die Kontrolle über das eigene Land haben. Gerade in Fragen der Einwanderung. 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für den Austritt. Von diesen Wählern sind mittlerweile nur noch 11 Prozent davon überzeugt, dass es gut für das Land war.
Umso überraschender ist, dass ausgerechnet der Politiker, der wie kein anderer für den Ausstieg kämpfte, jetzt wieder die Umfragen anführt.
In dieser Folge von »Acht Milliarden« spricht Host Juan Moreno mit Steffen Lüdke, SPIEGEL-Korrespondent in London. Lüdke ist davon überzeugt, dass Farages Aufstieg vor allem etwas über einen anderen Mann sagt: den britischen Premier Keir Starmer. »Er führt eine historisch unbeliebte Regierung an, von der eine Mehrzahl der Briten glaubt 'Gut, mit dem wird es auch nicht besser'«, so Lüdke. Farage sei mal wieder der Nutznießer.
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