In dieser Folge diskutieren Matthias von Helmfeld, Experte für den Kalten Krieg, und Philipp Gassert, Historiker mit Fokus auf Deutschland, die weitreichenden Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss. Sie beleuchten die politischen Spannungen der 1980er Jahre, insbesondere die Rolle von Helmut Schmidt und die Reaktionen der Bevölkerung. Jan Hansen und Michael Plötz analysieren die Auswirkungen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan auf die NATO-Strategien und die deutsch-sowjetischen Beziehungen während des Kalten Krieges.
Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 führte zu großen Protesten in Deutschland und spiegelte die Sorge der Bürger über den Weltfrieden wider.
Die innerparteilichen Spannungen in der SPD bezüglich des NATO-Doppelbeschlusses verdeutlichten die wachsende Kritik an der Sicherheitspolitik und der Rüstungsdynamik.
Deep dives
Massendemonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss
Im Oktober 1981 versammelten sich in Bonn rund 300.000 Menschen, um gegen die Stationierung neuer Atomwaffen zu demonstrieren. Diese friedliche Protestkundgebung war eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und spiegelte die Besorgnis der Bürger über die Bedrohung des Weltfriedens wider. Die Demonstranten waren ein diverses Kollektiv aus Gewerkschaften, religiösen Gruppen und politischen Bewegungen, die sich alle gegen den NATO-Doppelbeschluss wandten. Vor dem Hintergrund der globalen Rüstungsdynamik erlebte die Friedensbewegung in Deutschland zu dieser Zeit einen massiven Zulauf.
Der NATO-Doppelbeschluss und seine Hintergründe
Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 resultierte aus einem anhaltenden Wettrüsten zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt, insbesondere durch die sowjetischen SS-20-Raketen, die als Bedrohung für Westeuropa wahrgenommen wurden. Der Beschluss beinhaltete sowohl das Angebot von Verhandlungen zur Abrüstung als auch die Ankündigung, amerikanische Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren, falls keine Einigung erzielt würde. Dies führte zu einer intensiven gesellschaftlichen Debatte über die Sicherheitspolitik Deutschlands und die Rolle der NATO. Historiker heben hervor, dass der wahre Konflikt nicht nur militärischer Natur war, sondern auch tief verwurzelte politische und gesellschaftliche Fragen aufwarf.
Die Rolle der SPD und der innerparteiliche Konflikt
Der NATO-Doppelbeschluss führte zu erheblichen Spannungen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), die unter der Führung von Bundeskanzler Helmut Schmidt ein klares Bekenntnis zu diesem beschloss. Über die Jahre wuchs jedoch der Widerstand innerhalb der Partei, und prominente Mitglieder wie Willy Brandt und Erhard Eppler kritisierten den Kurs der Führung und die Vereinbarkeit mit der Friedensbewegung. Ein denkwürdiger Parteitag im Jahr 1983 zeugte von der wachsenden Kluft zwischen der Basis und der Parteiführung, als die Delegierten fast geschlossen gegen den Einsatz neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen stimmten. Diese Divergenzen spiegelten den breiteren gesellschaftlichen Umbruch und die wachsenden Stimmen für Abrüstung und Frieden wider.
Die Auswirkungen der internationalen Ereignisse auf den NATO-Doppelbeschluss
Die geopolitischen Entwicklungen, wie der sowjetische Einmarsch in Afghanistan Ende 1979 und die Wahl von Ronald Reagan zum US-Präsidenten, verschärften die Bereitschaft zur militärischen Aufrüstung und beeinflussten die öffentliche Meinung in Westdeutschland. Diese Ereignisse bestätigten Kritiker des NATO-Doppelbeschlusses und führten zu einer verstärkten Kriegsangst in der Bevölkerung. Die SPD und die Friedensbewegung sahen sich verstärktem Druck ausgesetzt, während die Regierungsposition sich in einen immer defensiveren Standpunkt verwandelte. Letztendlich zeigte sich, dass auch internationale Konflikte und Machtkämpfe entscheidenden Einfluss auf die innenpolitische Situation in Deutschland hatten.
Seit den 1960er Jahren verhandeln die UdSSR und die USA über Abrüstung und Rüstungskontrolle. 1976 fertigt die UdSSR Mittelstreckenraketen. Die NATO stationiert später Marschflugkörper in Deutschland. Dort reagiert die Bevölkerung mit großen Protesten.
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Ihr hört in dieser "Eine Stunde History":
00:10:36 - Historiker Philipp Gassert erläutert Inhalt und Zweck des NATO-Doppelbeschlusses
00:18:26 - Historiker Jan Hansen beschreibt die Zerreisprobe für die SPD
00:30:52 - Historiker Michael Ploetz zu den Hintergründen, die in der UdSSR zur Aufrüstung mit SS-20-Rakten führten