#15 2018 Pragmatismus und Dogmatik in der Wirtschaftspolitik – mit Markus Marterbauer
Apr 29, 2018
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Markus Marterbauer, ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler und Chefökonom der Arbeiterkammer, diskutiert die Spannungen zwischen Pragmatismus und Dogmatik in der Wirtschaftspolitik. Er plädiert für einen starken Sozialstaat und erklärt, wie Budgets gesellschaftspolitische Auswirkungen haben. Außerdem analysiert er die Pläne der Bundesregierung und spricht über seine Erfahrungen mit Vermögenssteuern. Ein weiterer spannender Punkt ist die Debatte über die Herausforderungen der Erbschaftssteuer und die Bedeutung der Arbeiterkammer für Arbeitnehmer in prekären Situationen.
Markus Marterbauer diskutiert die Herausforderung, zwischen pragmatischer Flexibilität und dogmatischen Vorgaben in der Wirtschaftspolitik zu balancieren.
Die Analyse des österreichischen Budgets zeigt, dass einige gesellschaftlich benachteiligte Gruppen trotz positiver wirtschaftlicher Prognosen benachteiligt bleiben.
Marterbauer argumentiert, dass der Sozialstaat als lebenslanges Versicherungssystem angesehen werden sollte, um soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt zu gewährleisten.
Deep dives
Pragmatismus vs. Dogmatik in der Wirtschaftspolitik
Die Diskussion über die Balance zwischen Pragmatismus und Dogmatik in der Wirtschaftspolitik ist entscheidend. Ein Beispiel ist das Nulldefizit, das von der Regierung bis ins Jahr 2022 festgeschrieben wurde, was als dogmatisch angesehen wird, da die wirtschaftliche Entwicklung bis dahin ungewiss ist. Ein pragmatischer Ansatz würde es erfordern, flexibel auf konjunkturelle Veränderungen zu reagieren und ggf. ein Budgetdefizit zuzulassen, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Materbauer betont, dass die Budgetpolitik das Ziel haben sollte, die Bevölkerung zu stärken und die Konjunktur zu stützen, anstatt starr an festen Zielen festzuhalten.
Das aktuelle Budget und seine Auswirkungen
Das österreichische Budget zeigt Anzeichen einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung, mit Vorhersagen von 70.000 bis 80.000 neuen Arbeitsplätzen und sinkender Arbeitslosigkeit. Die Budgetdebatte hat jedoch Bedenken hinsichtlich der Kürzungen im sozialen Bereich, insbesondere im Integrations- und Arbeitsmarktbudget, aufgeworfen. Kritiker befürchteten tiefgreifende Einschnitte, die jedoch nicht in dem Maße eingetreten sind, wie befürchtet. Materbauer hebt hervor, dass einige Gruppen, wie Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge, dennoch zu den Verlierern zählen, da Integrationsmaßnahmen und gezielte Programme geschwächt wurden.
Familienförderung und ihrer gesellschaftlichen Wirkung
Die familienpolitische Ausrichtung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, wobei der neue Familienbonus Diskussionen über seine Wirksamkeit angestoßen hat. Viele Familien, insbesondere einkommensschwache, profitieren möglicherweise nicht ausreichend von diesem Bonus, während er eine erhebliche finanzielle Entlastung für Besserverdienende bietet. Materbauer argumentiert, dass man durch Investitionen in die Kinderbetreuung und die Erhöhung der Familienbeihilfe bessere Ergebnisse für alle Familien hätte erzielen können. Er betrachtet die Entscheidung, den Bonus einzuführen, als Rückschritt im Vergleich zu bisherigen Ansätzen der Familienförderung.
Die Bedeutung des Sozialstaates
Materbauer betont, dass der Sozialstaat als ein lebenslanges Versicherungssystem betrachtet werden sollte, das die Grundbedürfnisse der Bevölkerung absichert. Viele junge Menschen erkennen nicht, dass sie eines Tages von diesem System profitieren werden, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder im Alter. Er weist darauf hin, dass der Sozialstaat nicht nur eine Kostenfrage ist, sondern ein fundamentales gesellschaftliches Instrument zur Risikoverteilung der Bevölkerung darstellt. Der Sozialstaat muss für die Allgemeinheit attraktiv bleiben, um den Zusammenhalt zu fördern und soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Herausforderungen der Arbeiterkammer
Die Arbeiterkammer spielt eine entscheidende Rolle als Interessenvertretung für Arbeitnehmer und bietet Unterstützung in verschiedenen rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fragestellungen. Materbauer beschreibt, dass viele Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen auf die Beratungsangebote der Kammer angewiesen sind, um ihre Rechte zu verstehen und durchzusetzen. Die Notwendigkeit einer umfassenden wissenschaftlichen Analyse innerhalb der Arbeiterkammer ist ebenfalls wichtig, um fundierte wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen. Trotz der Herausforderungen zeigt sich, dass die Arbeiterkammer starken Rückhalt in der Bevölkerung hat und ihre Dienste nach wie vor unerlässlich sind.
Wie kann man mit dem Spannungsfeld zwischen Pragmatismus und Dogmatik in der Wirtschaftspolitik umgehen? Der Wirtschaftswissenschafter und AK-Chefökonom Markus Marterbauer gibt im Gespräch mit Julia Ortner darauf offene Antworten: Er argumentiert für den gut ausgebauten Sozialstaat, erklärt, wie aus einem Budget Gesellschaftspolitik wird und analysiert die Pläne der Bundesregierung anhand ihres ersten vorliegenden Budgets. Und Marterbauer erzählt aus seiner eigenen Erfahrung als Wirtschaftsforscher mit der Nähe zur Politik. Als er 2009 gemeinsam mit dem damaligen steirischen SPÖ-Landeshauptmann Franz Voves ein Wirtschaftskonzept mit Vermögenssteuern vorlegte – und damit nicht nur die Bundespartei, sondern auch den Boulevard aufbrauchte: „Kernölsozialismus“ ätzte da die „Kronen Zeitung“.
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