„Elegante Verfassung“ in stürmischen Zeiten – #296
Mar 7, 2020
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Heinz Fischer, ehemaliger Bundespräsident Österreichs, spricht über die Bedeutung der österreichischen Verfassung angesichts moderner Herausforderungen. Christoph Grabenwarter, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, und Clemens Jabloner, Ex-Vizekanzler, betonen die Flexibilität der Verfassung über 100 Jahre. Elisabeth Holzleithner ergänzt die Diskussion mit Fragen zur politischen Kultur. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit und deren Herausforderungen in der heutigen Gesellschaft stehen ebenfalls im Fokus, während Juristen über die europäische Dimension der Verfassung reflektieren.
Das österreichische Bundesverfassungsgesetz wird als essenzieller Schutzmechanismus für demokratische Werte in stürmischen Zeiten betrachtet.
Die Diskussion über einen ausgeprägten Verfassungspatriotismus offenbart ein wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein und die Notwendigkeit für dessen Stärkung.
Die Flexibilität der Verfassung wird als entscheidender Vorteil hervorgehoben, um sich an gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen anzupassen.
Deep dives
Die Bedeutung der Verfassung für die Demokratie
Die Diskussion über die Rolle von Verfassungen im demokratischen Prozess hebt hervor, wie wichtig das österreichische Bundesverfassungsgesetz (BVG) für den Schutz demokratischer Werte ist. Der Bundespräsident bezeichnet das BVG als einen "hellen Fixstern", der Orientierung in der politischen Ordnung bietet. Der 100. Jahrestag des BVG wird als Gelegenheit gesehen, die Relevanz der Verfassung für die Sicherung individueller Rechte und die Verteidigung gegen autoritäre Tendenzen zu betonen. In einer Zeit, in der Verfassungen in vielen Ländern angegriffen werden, bleibt die Frage, wie die Integrität und Funktionalität dieser rechtlichen Rahmenbedingungen gewahrt werden kann.
Österreichischer Verfassungspatriotismus und seine Herausforderungen
Die Diskussion um das Fehlen eines ausgeprägten Verfassungspatriotismus in Österreich wirft Fragen zur öffentlichen Wertschätzung der Verfassung auf. Ute Fischer und Christoph Grabenwatter stellen fest, dass der Stolz auf die österreichische Verfassung zwar vorhanden, aber unterschiedlich empfunden wird. Im Vergleich zu anderen Ländern zeigt sich, dass das gesellschaftliche Bewusstsein in Bezug auf die Verfassung erst allmählich gewachsen ist und oft von Krisensituationen gefördert wurde. Diese historische Perspektive unterstreicht die Notwendigkeit, das Verständnis und das Bewusstsein für die Verfassung in der Bevölkerung zu stärken.
Die Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit des BVG
Das österreichische Bundesverfassungsgesetz wird als ein flexibles Dokument beschrieben, das sich über die Jahrzehnte weiterentwickeln konnte. Dabei wird argumentiert, dass die Fähigkeit zur Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen ein großer Vorzug der Verfassung ist. Historische Erfahrungen, einschließlich der Anpassungsprozesse, die während der Ersten und Zweiten Republik stattfanden, zeigen, dass die Verfassung nie starr war, sondern im Gegenteil, aus den Trümmern vergangener Systeme innovative Lösungen erarbeiten konnte. Diese Flexibilität wird als Schlüssel zum langfristigen Erfolg und zur Stabilität der österreichischen Rechtsordnung hervorgehoben.
Verfassungsgerichtsbarkeit als Hüter der Grundrechte
Die Rolle des Verfassungsgerichtshofs als Hüter der Grundrechte ist ein zentrales Thema der Diskussion. Der Gerichtshof wird als eine schützende Instanz gesehen, die für die Durchsetzung der Rechte der Bürger zuständig ist. Diese Institution hat durch bedeutende Urteile zur Stärkung des Grundrechtschutzes und der Rechtsstaatlichkeit beigetragen. Angesichts aktueller Herausforderungen zeigen Diskussionen um die Unabhängigkeit der Justiz und politische Eingriffe, wie wichtig eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit für den Erhalt der Demokratie ist.
Zukünftige Herausforderungen und die Rolle der Verfassungen
Die Experten erörtern die aktuellen Herausforderungen für Verfassungen, insbesondere im Hinblick auf autoritäre Tendenzen und den wachsenden Einfluss politischer Strömungen, die die Gewaltenteilung untergraben. Die Notwendigkeit, die Verfassungen zu stärken, wird als eine der dringlichsten Aufgaben unserer Zeit betrachtet. Gleichzeitig gibt es Bedenken hinsichtlich der Flexibilität und des Potenzials von Verfassungen, in Krisenzeiten zu bestehen. Die Diskussion macht deutlich, dass ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung der Verfassung in der Gesellschaft essentielle Voraussetzung ist, um zukünftigen Bedrohungen entgegenzuwirken und die Demokratie zu bewahren.
Dass Österreich eine "elegante" Verfassung hat, erfuhren die Bürgerinnen und Bürger erst durch das Bonmot von Bundespräsident Alexander Van der Bellen im letzten Jahr. Tatsächlich war das Bundes-Verfassungsgesetz ein wichtiger Leitfaden für die Republik, um den Kollaps der türkis-blauen Regierung zu meistern. In diesem Jahr wird die Verfassung 100 Jahre alt.
Das Institut für die Wissenschaften vom Menschen lud am 4. März 2020 aus diesem Anlass zu einer Diskussionsveranstaltung. Zu hören sind Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, Verfassungsgerichtshofpräsident Christoph Grabenwarter, Ex-Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner und die Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner. Geleitet hat die Diskussion der Verfassungsjurist Miloš Vec, am Anfang zu hören ist zudem Institutschefin Shalini Randeria.
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