#288 Mythos "Überbevölkerung": Wie mit Fortpflanzungs-Paranoia Politik gemacht wird
Jan 15, 2025
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Dana Schmalz, Rechtswissenschaftlerin am Max-Planck-Institut, beleuchtet die Mythen rund um "Überbevölkerung" und deren politische Nutzung. Sie argumentiert, dass die Angst vor zu vielen Menschen oft als Vorwand für Rassismus und autoritäre Politiken dient. Historische Zusammenhänge und die Rolle von Marginalisierung im Diskurs über Bevölkerungswachstum werden kritisch hinterfragt. Besonders brisant ist die Diskussion über Zwangssterilisationen und die Verbindung zwischen Eugenik und Gewalt in Bevölkerungspolitiken. Schmalz fordert eine humanistische Perspektive auf demografische Themen.
Die weit verbreitete Angst vor Überbevölkerung wird als Werkzeug zur Legitimierung von Gewaltpolitik und diskriminierenden Maßnahmen genutzt.
Die Vorstellung, dass Bevölkerungswachstum Hauptursache für soziale und ökologische Probleme ist, lenkt von größeren Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten ab.
Der historische Kontext von Bevölkerungspolitiken zeigt rassistische Motive und diskriminierende Praktiken, die dringend kritisch reflektiert werden müssen.
Deep dives
Migration und Gewalt: Kritische Perspektiven
Die Vorstellung, dass Migration kontrolliert und mit Gewalt unterbunden werden sollte, wird als problematisch angesehen. Es wird argumentiert, dass die Angst vor einer unkontrollierten Zuwanderung nach Europa oft übertrieben ist und dass diese Sichtweise traditionelle demografische Entwicklungen ignoriert. Stattdessen sollte Migration als Teil einer natürlichen globalen Dynamik betrachtet werden, die nicht verhindert, sondern begleitet werden sollte. Auch die verbreitete Vorstellung, dass zu viele Menschen aus dem globalen Süden nach Europa drängen, ist kritisch zu hinterfragen, da sie die zugrunde liegenden sozialen und politischen Probleme nicht adressiert.
Der Mythos der Überbevölkerung
Der Mythos, dass Bevölkerungswachstum maßgeblich für soziale und ökologische Probleme verantwortlich ist, wird kritisch beleuchtet. Historisch wird festgestellt, dass diese Annahme seit über zwei Jahrhunderten existiert, wobei bestimmte Gruppen als schuldige Verursacher dargestellt werden. Diese Argumentation lenkt jedoch von relevanteren Faktoren wie Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten ab, die viel wirksamer als Ursachen von Armut und Krisen gesehen werden können. Anstatt Geburten als das Kernproblem wahrzunehmen, sollte der Fokus auf Umverteilung und sozialen Gerechtigkeitsfragen liegen.
Demografischer Wandel und politische Reaktionen
Der demografische Wandel und die damit verbundenen politischen Reaktionen sind komplex und werden unterschiedlich interpretiert. In der Geschichte lassen sich zahlreiche Beispiele finden, bei denen Regierungen versuchen, Geburten durch politische Maßnahmen zu steuern, und oftmals besteht der Verdacht auf rassistische und diskriminierende Motive hinter diesen Politiken. Diese Maßnahmen zeigen, wie stark der Diskurs über Bevölkerung auch mit ideologischen Untertönen verknüpft ist, insbesondere wenn es um die Wahrnehmung von 'richtigen' und 'falschen' Bevölkerungsgruppen geht. Integrierte Ansätze, die sowohl reproduktive Rechte als auch soziale Gerechtigkeit fördern, sind essenziell, um diese Herausforderungen anzugehen.
Eugenik und ihre aktuellen Implikationen
Die Geschichte der Eugenik und der Versuch, Bevölkerungspolitiken zu rechtfertigen, offenbart rassistische und diskriminierende Strukturen, die bis heute bestehen. Zwangssterilisationen, oftmals unter dem Vorwand der Armutsbekämpfung, verdeutlichen, wie solche Ideologien menschliche Rechte verletzen können. Aktuelle Entwicklungen in autoritären Regierungen, die pronatalistische Politik fördern, können ähnliche Muster aufzeigen, indem sie Frauen in traditionelle Rollen drängen, während sozialpolitische Fragen außer Acht gelassen werden. Eine kritische Reflexion dieser Geschichte ist notwendig, um zukünftige Verletzungen der Menschenrechte zu vermeiden.
Klimawandel und das Bevölkerungsargument
Die Verbindung zwischen Bevölkerungswachstum und Klimawandel wird oft einseitig bedient, indem zu viele Menschen als Hauptursache für Umweltprobleme dargestellt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass vor allem der Konsum von wohlhabenden Gesellschaften für den Klimawandel verantwortlich ist und nicht die Anzahl der Menschen in weniger entwickelten Regionen. Solche Argumentationen zu hinterfragen, ist wichtig, da sie oft eine vereinfachte Sichtweise auf sehr komplexe globale Probleme reflektieren. Vermehrte Diskussionen über verantwortungsbewussten Konsum und nachhaltige Entwicklung sind notwendig, um die Herausforderungen des Klimawandels angemessen anzugehen.
Dana Schmalz über die Angst vor "zu vielen Menschen" als Rechtfertigung für Gewaltpolitiken
Die Behauptung, dass eine wachsende Weltbevölkerung soziale oder ökologische Probleme schafft, ist so alt wie falsch. Doch der Mythos von der "Überbevölkerung" ist angesichts von Klimakrise und sinkenden Geburtenraten in reichen Ländern stark wie lange nicht mehr, ein Zuviel an Bevölkerungswachstum gibt es dabei immer nur bei "den Anderen" – im globalen Süden oder unter marginalisierten Gruppen. In ihrem Buch "Das Bevölkerungsargument" zeigt die Rechtswissenschaftlerin Dana Schmalz, wie mit der Angst vor "zu vielen Menschen" Politik gemacht wird: etwa wenn sich Rassismus in Entwicklungspolitik einschleicht, Regierungen eine autoritäre Geburtenpolitik betreiben oder Ökofaschisten ihren Menschenhass mit Klimaschutz rechtfertigen. Ein Gespräch über die Ursprünge der Fortpflanzungs-Paranoia, die Geschichte gewaltvoller Bevölkerungspolitiken und die Zukunft der Weltbevölkerung.
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