Jürgen Bauer, Autor des Romans "Porträt", diskutiert mit Petra Hartlieb über Identität und die Wiener Schwulenszene der 1970er Jahre. Er beleuchtet, wie sich objektive und subjektive Identität im Leben seines Protagonisten Georg widerspiegeln. Bauer liest einen fesselnden Auszug aus seinem Buch und thematisiert den Konflikt zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit in einer repressiven Gesellschaft. Zudem gibt es spannende Buchempfehlungen von Kirstin Breitenfellner, die sich mit Authentizität und dem Streben nach Echtheit befassen.
Jürgen Bauers Roman 'Porträt' zeigt die vielfältige Identität der Hauptfigur Georg durch drei unterschiedliche Ich-Erzähler-Perspektiven.
Die Diskussion über die Wiener Schwulenszene der 1970er Jahre beleuchtet den Kampf um Sichtbarkeit und Identität in einer sich wandelnden Gesellschaft.
Deep dives
Die Struktur des Romans und die unterschiedlichen Perspektiven
Das Buch "Porträt" von Jürgen Bauer wird aus drei unterschiedlichen Ich-Erzähler-Perspektiven erzählt, wodurch ein facettenreiches Bild der Hauptfigur Georg entsteht. Diese Struktur ermöglicht es den Lesern, die gleiche Person aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und dadurch ein vielschichtiges Verständnis seiner Identität zu entwickeln. Die Diskussion darüber, ob die Leser am Ende ein einheitliches Porträt von Georg oder mehrere unterschiedliche Darstellungen erhalten, regt zum Nachdenken über Identität und Wahrnehmung an. Diese narrative Technik sorgt dafür, dass die Leser aktiv an dem Prozess teilnehmen, ein Gesamtbild zu erstellen, indem sie die einzelnen Erzählungen miteinander in Beziehung setzen.
Die komplexe Figur der Maridl
Maridl, Georgs Mutter, ist eine zentrale Figur im ersten Teil des Romans und verkörpert eine resilienten Charakter, der in der Nachkriegszeit ihre Familie allein großzieht. Sie kämpft darum, ihren Platz im Leben und ihren Bauernhof zu sichern, und reflektiert dabei Elemente der österreichischen Identität und Kultur. Ihre Erzählweise kombiniert Bodenständigkeit mit einem scharfen Humor, wodurch sie eine authentische Stimme bekommt, die sowohl Stärke als auch Verwundbarkeit zeigt. Diese vielschichtige Darstellung ermöglicht es den Lesern, sich mit ihrer Lebenssituation und ihren Herausforderungen zu identifizieren und ihre Perspektive über Generationen hinweg nachzuvollziehen.
Eine Erkundung der Schwulenszene in Wien
Der zweite Teil des Buches widmet sich der Schwulenszene Wiens in den 1970er Jahren, die von einer Mischung aus Aufbruch und Angst geprägt ist. Der Ich-Erzähler Gabriel, ein junger Schwuler, bringt die Leser in die pulsierende, aber auch gefährdete Welt ein, in der Homosexualität gerade entkriminalisiert wurde. Durch seine Augen wird die Spannung zwischen dem Verlangen nach Sichtbarkeit und dem Bedürfnis nach Anonymität spürbar, während er gleichzeitig auf Georg trifft, der eine andere Auffassung von ihrem Leben hat. Diese kontrastierenden Perspektiven zeigen die Entwicklung einer Gemeinschaft, die kämpft, um ihre Identität und Rechte zu behaupten, und verdeutlichen die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen.
Sarahs alternative Perspektive und ihre Beziehung zu Georg
Die dritte Erzählerin, Sarah, bringt eine frische, aber komplexe Perspektive in die Geschichte, indem sie eine heterosexuelle Frau darstellt, die sich bewusst für eine Ehe mit Georg entscheidet, obwohl sie über seine sexuelle Orientierung Bescheid weiß. Ihr Charakter exploriert Themen wie Sicherheit, Kontrolle und die Machtverhältnisse innerhalb ihrer Beziehung und stellt die traditionellen Narrative über Frauen und ihre Beziehungen in Frage. Der Kontrast zu den vorherigen Erzählungen verdeutlicht, dass es nicht nur um romantische Enttäuschungen geht, sondern vielmehr um die Entscheidungen, die Menschen treffen, um sich in ihrer gesellschaftlichen Realität zu behaupten. Diese Dynamik zwischen den Charakteren lädt die Leser dazu ein, über die Komplexität menschlicher Beziehungen und Identitäten nachzudenken.
In Folge 19 ist der Autor Jürgen Bauer bei Petra Hartlieb zu Gast. Bauers Roman "Portrait" ist Ende August 2020 bei Septime erschienen ist. Die beiden sprechen über das neue Buch, ob es so etwas wie die "eigene Identität" überhaupt gibt und über die Wiener Schwulenszene der 1970er-Jahre. Jürgen Bauer liest einen Ausschnitt aus seinem Roman vor und Kirstin Breitenfellner, die im FALTER für das Sachbuch zuständig ist, hat schließlich noch drei Buchempfehlungen für Sie.
Zu den Büchern:
"Portrait" von Jürgen Bauer: https://shop.falter.at/detail/9783902711939
"Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten" von Wolfram Eilenberger: https://shop.falter.at/detail/9783608964608
"Authentizität. Karriere einer Sehsucht" von Erik Schilling: https://shop.falter.at/detail/9783406757600
"Wege aus der Angst" von Gerald Hüther: https://shop.falter.at/detail/9783525453872