Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre, ist ein einflussreicher Ökonom und Mitgestalter des milliardenschweren Schuldenpakets. Er diskutiert, ob die neu geschaffenen finanziellen Mittel Deutschlands Probleme lösen können. Südekum warnt vor unrealistischen Wahlversprechen, insbesondere bei Steuersenkungen, die nicht finanziert werden können. Zudem beleuchtet er die politischen Herausforderungen und Prioritäten der neuen Regierung, die nur für Verteidigung und Infrastruktur Geld zur Verfügung hat.
Das neue Schuldenpaket von über einer Billion Euro bietet zwar finanzielle Mittel, jedoch bleibt kein Raum für soziale Projekte wie Steuersenkungen.
Die Grünen spielen eine zentrale Rolle in den Haushaltsverhandlungen, um sicherzustellen, dass die Infrastrukturmittel tatsächlich für deren Projekte verwendet werden.
Die Fähigkeit der Koalition, intelligente Investitionen zu tätigen, ist entscheidend für das wirtschaftliche Wachstum und den nachhaltigen Schuldenabbau.
Deep dives
Bedeutung des Verschiebebahnhofs
Der Begriff 'Verschiebebahnhof' wird im Kontext der Haushaltspolitik verwendet, um die Tendenz darzustellen, wie Gelder innerhalb des Budgets umgeschichtet werden können. Dies geschieht oft durch die Schaffung von Sondervermögen, was bedeutet, dass Mittel für spezifische Projekte bereitgestellt werden, aber im regulären Haushalt gleichzeitig Einsparungen stattfinden. Ein Beispiel ist das Sondervermögen für Infrastruktur, das 500 Milliarden Euro umfasst. Durch diese Praxis können Politiker die verfügbare Finanzmittel Nutzung manipulieren, was potenziell zu ungewollten Kürzungen in anderen Bereichen führt.
Finanzielle Herausforderungen und Haushaltslöcher
Die Diskussion über das neue Finanzpaket verdeutlicht, dass trotz der erhebliche Mittelverfügbarkeit von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und der Lockerung der Schuldenbremse, tatsächlich kein Geld für andere soziale Projekte wie Steuersenkungen und Rentenerhöhungen vorhanden ist. Der Haushalt leidet an einem strukturellen Loch, welches nicht durch die neuen Finanzmittel abgedeckt werden kann und in den Koalitionsverhandlungen ein großes Problem darstellt. Die Union hat während des Wahlkampfes verschiedene soziale Versprechungen gemacht, deren Finanzierung jetzt unklar bleibt. Dies führt zu Spannungen zwischen den beteiligten Parteien und stellt die Glaubwürdigkeit vieler Entscheidungsträger in Frage.
Die Rolle der Grünen in der Haushaltsdebatte
Die Grünen spielen eine entscheidende Rolle in den laufenden Haushaltsverhandlungen, insbesondere bei der Sicherstellung, dass die Mittel aus dem Infrastruktursondervermögen tatsächlich für Infrastrukturprojekte verwendet werden. Es wurde durch die Grünen verlangt, dass Vorschläge für mittelfristige Haushaltsentschnitte, wie Mütterrente oder Steuersenkungen, nicht auf Kosten der Infrastrukturfinanzierung umgesetzt werden. Diese klare Positionierung hat innerhalb der Koalition zu einer gewissen Stabilität beigetragen und ermöglicht, dass das Verschiebebahnhof-Problem in vielen Teilbereichen gemindert wird. Dennoch bleibt die Frage, ob diese Vereinbarungen langfristig aufrechterhalten werden können.
Wirtschaftswachstum und Investitionen
Die Diskussion um die neuen Schuldenpakete betont die Notwendigkeit, nicht nur Geld bereitzustellen, sondern auch intelligente Investitionen zu tätigen, um tatsächliches wirtschaftliches Wachstum zu erzielen. Es wird erwartet, dass gut platzierte Infrastrukturausgaben zu einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts führen und somit langfristig auch den Schuldenabbau unterstützen können. Experten prognostizieren mögliche Wachstumseffekte von bis zu 0,9 Prozentpunkten durch Investitionen in Infrastruktur. In diesem Sinne wird die Fähigkeit der Koalition, diese Mittel strategisch einzusetzen und gleichzeitig notwendige Strukturreformen umzusetzen, von entscheidender Bedeutung sein.
Einschätzung der politischen Situation
Die politische Situation wird als herausfordernd angesehen, da das Vertrauen in die Regierung und deren Fähigkeit, die Finanzen zu verwalten, an die langfristige Wirtschaftslage geknüpft ist. Es herrscht die Überzeugung, dass ein Scheitern des Finanzpakets nicht nur negative Folgen für die gegenwärtige Regierung haben wird, sondern auch die Zukunft der deutschen Politik erheblich beeinflussen könnte. Der große Druck, sowohl von der Öffentlichkeit als auch von innerhalb der Koalition, zu liefern, könnte sowohl zu reformerischen Bestrebungen als auch zu weiteren politischen Spannungen führen. Dies macht es für die Regierenden zu einer gewaltigen Herausforderung, alle Erwartungen unter einen Hut zu bringen.
Die neue Regierung ist noch nicht im Amt, hat sich durch die milliardenschweren Schuldenpakete aber schon ein nie da gewesenes finanzielles Polster geschaffen. Aber löst das viele Geld auch Deutschlands Probleme? Darüber spricht Anne Will in dieser Folge mit dem Ökonomen Jens Südekum. Er ist Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.
Er ist auch einer der vier "Architekten" des jüngst beschlossenen Schuldenpakets, das sich auf über eine Billion Euro summieren könnte. Denn von deren Vorschlägen hat die künftige Regierung die meisten Punkte übernommen - und ist in Teilen sogar darüber hinausgegangen. Das hätte er nicht für möglich gehalten, sagt Südekum. Dennoch wird es jetzt in den Koalitionsverhandlungen kompliziert für SPD und Union. Denn während des Wahlkampfs hatte vor allem Letztere etwa weitreichende Entlastungen für Bürger und Unternehmen versprochen. Laut Ökonom Südekum sind die aber nicht umzusetzen. Denn die künftige Regierung hat zwar deutlich mehr Geld zur Verfügung, aber nur für Verteidigung und Infrastruktur. Wahlkampfversprechen wie zum Beispiel Steuersenkungen könnten damit nicht abgedeckt werden: "Da kommt ein riesiges Loch von 100 Milliarden auf uns zu, wenn wir diese Steuersenkungen mal ebenso machen. Da ist einfach kein Geld für da." Deshalb sei es nicht die SPD, die die Wahlversprechen in den Koalitionsverhandlungen der Union kippe, sondern die Realität.
Wie das Milliardenpaket zustande kam und welche Maßnahmen die Politik nun treffen muss, damit mit dem Geld auch wirklich vieles besser wird - darüber spricht Anne Will mit Jens Südekum in dieser Folge. Außerdem stellen sie Gedankenspiele an, was man wohl für 500 Milliarden Euro alles kaufen könnte und klären, was es mit dem Wort "Verschiebebahnhof" auf sich hat.
Der Redaktionsschluss für diese Folge war Dienstag, 25. März 2025, um 17:30 Uhr.
IMPRESSUM
Redaktion: Felix Schlagwein, Melisa Gürleyen
Executive Producerin: Marie Schiller
Producer: Patrick Zahn, Lukas Hambach
Sounddesign: Hannes Husten
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