Wie gefährlich sind die Muslimbrüder wirklich? – #432
Dec 3, 2020
auto_awesome
Karim El-Gawhary, Nahost-Korrespondent und Buchautor, und Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler und Dschihadismus-Experte, diskutieren die Operation Luxor in Österreich. Sie analysieren die Gefahren und politischen Kontroversen rund um die Muslimbrüder sowie deren historische Wurzeln und geopolitischen Implikationen. Die Experten thematisieren auch die Auswirkungen von Polizeimaßnahmen auf die Meinungsfreiheit und die Rolle der Muslimbrüder im Antisemitismus sowie in aktuellen arabischen Protestbewegungen.
Die Razzia in Österreich gegen die Muslimbruderschaft zeigt die Schwierigkeiten bei der Beurteilung terroristischer Aktivitäten ohne konkrete Beweise auf.
Die Komplexität der Muslimbruderschaft erfordert einen differenzierten Ansatz im Umgang mit politisch engagierten Muslimen, um Radikalisierung zu vermeiden.
Deep dives
Die Razzia gegen das islamistische Netzwerk
Im November wurde eine großangelegte Razzia in Österreich durchgeführt, um ein mutmaßliches Netzwerk der Muslimbruderschaft zu enttarnen, das verdächtigt wird, Terrorismus und Terrorfinanzierung zu unterstützen. Bei dieser Polizeiaktion waren nahezu 1.000 Beamte im Einsatz, und es wurden 60 Hausdurchsuchungen durchgeführt, jedoch kam es zu keinen Verhaftungen. Es wurde kritisiert, dass der Terrorismusvorwurf gegen dieses Netzwerk schwach begründet ist, da die Hausdurchsuchungsbefehle keine konkreten Beweise für terroristische Aktivitäten in Österreich enthielten. Die Staatsanwaltschaft Graz betrachtet die Muslimbruderschaft als terroristische Organisation, stützt sich jedoch überwiegend auf die Argumentation von Ländern wie Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten, ohne ausreichende Beweise für Aktivitäten in Europa vorzulegen.
Die Komplexität der Muslimbruderschaft
Die Muslimbruderschaft hat ihre Wurzeln in Ägypten und wurde in den 1920er Jahren gegründet, wobei sie eine Vielzahl von Bewegungen und Ausprägungen hervorgebracht hat, die von einer gemäßigten bis hin zu einer extremistischen Halbsicht reichen. Es wurde aufgezeigt, dass während ihrer Geschichte verschiedene Teilorganisationen wie die Hamas entstanden sind, die in konkrete militante Aktionen verwickelt sind. Experten betonen, dass die Muslimbruderschaft nicht als homogene Gruppe betrachtet werden kann, da sie in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich agiert und teils in der Politik integriert ist, etwa in Tunesien. Diese Diversität der Organisation macht eine pauschale Kategorisierung als terroristische Gruppe problematisch und nährt die Debatte über das richtige Vorgehen im Umgang mit dieser Bewegung.
Politischer Islam und die Meinungsfreiheit in Europa
Die Diskussion über die Muslimbruderschaft tangiert in Europa mehrere Aspekte, darunter den politischen Islam und die Grenzen der Meinungsfreiheit. Kritiker befürchten, dass die Kriminalisierung politisch engagierter Muslime durch pauschale Anschuldigungen als Terroristen zu einer weiteren Radikalisierung führen kann, da diese Menschen oft als politische Akteure anerkannt werden müssen. Der Umgang mit den Muslimbrüdern wird als komplex beschrieben, da ein Ausschluss aus dem politischen Prozess sowohl Gefahren als auch Chancen birgt. Diese Spannungen verstärken die Notwendigkeit, einen differenzierten Ansatz zu finden, der die politische Landschaft in Europa berücksichtigt, ohne die Meinungsfreiheit unnötig einzuschränken.
Die "Operation Luxor", eine Antiterroraktion in Österreich mit schweren Beschuldigungen und krachenden Hausdurchsuchungen, wirft Fragen über die Bedeutung und Gefährlichkeit der Muslimbrüder auf. In dieser Episode des FALTER Radio mit Raimund Löw sind zu diesem Thema der ORF-Nahostkorrespondent Karim El-Gawhary, Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, Außenpolitikexpertin Sherin Gharib und Islamismusforscher Rami Ali zu Gast.
Lesen Sie "Schuss ins islamistische Dickicht", die Analyse von Thomas Schmidinger, im FALTER 47/20 online: https://www.falter.at/zeitung/20201118/schuss-ins-islamistische-dickicht/_fb14675e43
Lesen Sie den FALTER vier Wochen lang kostenlos: https://abo.falter.at/gratis
Diese Debatte können Sie ab Freitag auch auf https://www.falter.tv sehen