#720 - Kai Ambos über Völkerrecht, westliche Doppelmoral & den Nahostkonflikt
Aug 8, 2024
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Kai Ambos ist Jurist und Professor für Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen. Er diskutiert die Herausforderungen der juristischen Ausbildung in Deutschland und die psychischen Belastungen für Studierende. Ein zentrales Thema ist die Doppelmoral westlicher Staaten im Umgang mit Völkerrecht. Außerdem erläutert er die komplexe Lage im Nahen Osten, die rechtlichen Aspekte gezielter Tötungen und die Rolle des Internationalen Gerichtshofs. Kritisch hinterfragt er Apartheidvorwürfe und das internationale Recht im Kontext des Gazakonflikts.
Kai Ambos erklärt die Herausforderungen des Jurastudiums in Deutschland, einschließlich des hohen psychischen Drucks auf die Studierenden während des Staatsexamens.
Die Notwendigkeit von Reformen im deutschen Justizsystem wird hervorgehoben, um die Ausbildung besser an die Bedürfnisse des modernen Rechtsmarktes anzupassen.
Die Diskussion über das Völkerrecht betont die Probleme der Doppelmoral sowie die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung internationaler Normen durch mächtige Staaten.
Ambos kritisiert, dass westliche Staaten internationale rechtliche Standards oft selektiv anwenden und dabei ihre politischen Interessen berücksichtigen.
Die rechtliche Anerkennung Palästinas wird als entscheidend für die internationalen Beziehungen angesehen und ist kompliziert durch politische Interessen beeinflusst.
Der Umgang mit dem Völkermord an den Herero und Nama verdeutlicht die ausstehende Verantwortung Deutschlands und die Notwendigkeit eines offenen Dialogs über koloniale Verbrechen.
Deep dives
Über Kai Ambos und seine Laufbahn
Kai Ambos ist Professor für Jura und Richter an einem internationalen Tribunal, der seine Forschung und Lehre in Göttingen vereint. Er hat eine Leidenschaft für den deutschen Rechtsstaat entwickelt, die ihn letztendlich zur Professur gebracht hat. Die schwierigen Anforderungen des Jurastudiums, einschließlich des berüchtigten Staatsexamens, sind für ihn auch eine Quelle des Bedauerns, da sie viele Studenten unter hohen psychischen Druck setzen. Trotz der Herausforderungen hat er ein interessantes berufliches Leben führen können, das auch journalistische Elemente umfasst.
Der Druck des Jurastudiums
Das deutsche Jurastudium wird als extrem herausfordernd und belastend beschrieben, mit einem immer größer werdenden Stoffumfang, der für Studierende oft unerträglich ist. Viele Studierende leiden unter mentalen Gesundheitsproblemen, sodass Reformen dringlich erforderlich sind, um die Situation zu verbessern. An Universitäten gibt es jedoch Bemühungen, die Prüfungsanforderungen zu reformieren und Alternativen zum unbarmherzigen Staatsexamen anzubieten. Es wird diskutiert, dass die Belastung und der Stress, die aus dem Studium resultieren, nicht nur die Lebensqualität der Studierenden beeinträchtigen, sondern auch langfristige Schäden verursachen können.
Kritik am deutschen Justizsystem
In der Diskussion um das deutsche Justizsystem wird nicht nur auf die Herausforderungen im Jurastudium hingewiesen, sondern auch auf die oftmals veralteten Strukturen und die Notwendigkeit für Reformen. Viele junge Juristen sind besorgt über die Praktiken und die Ausbildung, die nicht mehr zeitgemäß sind, während die Anforderungen an Anwälte steigen. Es wird argumentiert, dass die Reformen und das Überdenken des Bildungssystems notwendig seien, um auf die psychosozialen Auswirkungen dieser Ausbildungsform zu reagieren. Außerdem wird kritisiert, dass viele Juristen nicht ausreichend auf die tatsächlichen Bedürfnisse des modernen Rechtsmarktes vorbereitet werden.
Der Einfluss der Juristen auf den Rechtsstaat
Die Diskussion beleuchtet die Ansicht, dass Juristen eine Schlüsselrolle im deutschen Rechtsstaat spielen, jedoch auch kritisch hinterfragt werden sollte, welche juristischen Traditionen weiterhin gepflegt werden sollten. Dieser Einfluss erstreckt sich nicht nur auf das Studium und die Ausbildungswege, sondern auch auf die politische Arbeit im Bundestag. Die Anwesenheit zahlreicher Juristen im Bundestag wirft Fragen auf, ob dies die Diversität und Repräsentativität der politischen Landschaft aufrecht erhält. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass juristische Sichtweisen und Entscheidungen überproportional das politische Geschehen und die Gesetzgebung prägen.
Die Herausforderungen des Völkerrechts
Das Völkerrecht wird als ein komplexes Verhältnis zwischen Staatsinteressen und internationalen Normen dargestellt, das in der aktuellen globalen politischen Landschaft immer schwieriger wird. Es gibt Herausforderungen, die mit dem Fehlen von Durchsetzungsmechanismen verbunden sind, was oft dazu führt, dass Staaten internationalem Recht nicht Folge leisten oder es ignorieren. Auch feminine Doppelmoral in der Umsetzung und Anwendung des Rechts ist ein zentrales Thema. Es herrscht die Auffassung, dass hier mehr Konsens und Einheit unter den Staaten nötig wäre, um sicherzustellen, dass das Völkerrecht Konsistenz zeigt.
Kritik an der westlichen Doppelmoral
Die Doppelmoral, insbesondere der westlichen Staaten in Bezug auf das Völkerrecht, wird scharf kritisiert. Es wird argumentiert, dass internationale Normen oft nur dann beachtet werden, wenn sie den eigenen politischen Interessen dienen. Beispielsweise wurde das ignorante Verhalten der Länder gegenüber den humanitären Vergehen beispielsweise in Libyen oder Afghanistan in den Vordergrund gerückt. Diese selektive Anwendung von rechtlichen Standards wirft viele Fragen über die Glaubwürdigkeit des Völkerrechts auf.
Der rechtliche Status von Palästina
Im Gespräch über den rechtlichen Status von Palästina wird deutlich, dass die Anerkennung eines Staates gegen politische Interessen und die diplomatischen Beziehungen abgewogen werden muss. Die Tatsache, dass Palästina nicht als vollwertiger Staat anerkannt ist, hat schwerwiegende Konsequenzen für die internationalen Beziehungen und die Wahrnehmung der palästinensischen Bevölkerung. Es wird auch unterstrichen, dass eine mögliche Staatlichkeit nicht nur von der Existenz einer Regierung abhängig ist, sondern auch von der Anerkennung durch andere Staaten. Die Diskussion um die Anerkennung ist also stark von historischen und politischen Faktoren geprägt.
Die Frage nach dem Unrechtstaat
In Bezug auf den Begriff des Unrechtsstaates gibt es unterschiedliche Ansichten, insbesondere in Bezug auf die NS-Zeit und die DDR. Juristische Bildung umfasst auch das Studium dieser Unrechtsstaaten, um die Geschichte und das Verständnis für die Rechtsstaatlichkeit zu vertiefen. Diese Statusdiskussion von Staaten wird von den Juristen in der Ausbildung thematisiert und oft kontrovers diskutiert, insbesondere betrifft dies die Ideale des Grundgesetzes. Letztendlich wird die Frage aufgeworfen, wie die Prinzipien des Rechts im internationalen sowie nationalen Kontext klar zu definieren sind.
Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan
Die Diskussion über die Einstufung von Syrien und Afghanistan als sichere Herkunftsländer für Abschiebungen ist komplex und individuell. Es wird darauf hingewiesen, dass der sichere Status von Ländern im Kontext von globalen Konflikten nie pauschalisiert werden kann. Die tatsächlichen Bedingungen vor Ort müssen geprüft werden, um die Sicherheit von Rückkehrern zu gewährleisten. Dabei ist wichtig, nicht nur rechtliche Normen, sondern auch die humanitären Gegebenheiten zu berücksichtigen.
Einschätzung der Nord Stream Sabotage
Die Frage zur Sabotage der Nord Stream-Pipelines wird aufgeworfen und es wird spekuliert, ob die Aufklärung durch die Regierung geschehen wird. Es wird darauf hingewiesen, dass das Eingeständnis militärischer Verschwörungen zwar die politische Landschaft beeinflussen könnte, jedoch der Öffentlichkeit oft nur limited Einblicke gewährt werden. Daher ist die Transparenz der Prozesse von entscheidender Bedeutung, um Vertrauen in die Regierungen und deren Handeln zu erhalten und zu steigern. Dieser Fall könnte auch als Aufhänger genutzt werden, um die Vertrauensbasis zwischen den verschiedenen politischen Akteuren zu hinterfragen.
Kritik an Südafrikas Umgang mit historischen Verbrechen
Der Umgang mit dem Völkermord an den Herero und Nama durch die Bundesregierung wird als unzureichend betrachtet, da die formelle Anerkennung noch aussteht. Auch hier gibt es unterschiedliche Sichtweisen zur Verantwortung Deutschlands für kolonialistische Verbrechen. Ein aktiver Dialog und eine offene Diskussion könnten zur Versöhnung beitragen und Verantwortung übernommen werden. Die Komplexität der Verhandlungen zeigt das Spannungsverhältnis zwischen Anerkennung und den damit verbundenen Entschädigungspflichten, die Staaten oft scheuen.
Zu Gast im Studio: Jurist und Publizist Kai Ambos. Er ist Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und seit 2018 geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Kriminalwissenschaften. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zum deutschen und internationalen Straf- und Strafprozessrecht sowie zum Völkerstrafrecht.
Ein Gespräch über Jura und die juristische Ausbildung in Deutschland, Bestenauslese, Kais Werdegang und Studium, sein Job als Professor und seine heutigen Studierenden, sein Interesse an Straf- und Völkerrecht, die Rolle des Internationalen Gerichtshofs sowie Internationalen Strafgerichtshofs, die Rolle der USA und anderer mächtiger Staaten, die Den Haags Gerichtsbarkeit nicht anerkennen, den amerikanischen Drohnenkrieg, das Problem an "gezielten Tötungen" (targeted killings) sowie den Nahostkonflikt: Darf Israel Hamas- und Hisbollah-Führer töten? Was ist vom internationalen Haftbefehl gegen Netanjahu zu halten? Herrscht Apartheid in der Westbank, ist der Gazakrieg ein Genozid? Warum ist die israelische Besatzung der palästinensischen Gebieten als solche illegal? + eure Fragen via Hans