Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen, beleuchtet die Herausforderungen des deutschen Rentensystems im Kontext des bevorstehenden Rentenstarts von 13 Millionen Babyboomern. Er kritisiert die Idee, dass die Menschen einfach bis 67 arbeiten sollen, da dies unrealistisch sei. Stattdessen plädiert er für eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und fordert mehr Unterstützung für die junge Generation, um Altersarmut zu vermeiden. Werding diskutiert außerdem die Notwendigkeit privater Altersvorsorge und das Konzept des Generationenkapitals.
Die bevorstehenden Renteneintritte der Babyboomer stellen eine erhebliche Belastung für das deutsche Rentensystem dar.
Junge Menschen zeigen eine überwältigende Angst vor Altersarmut, sind jedoch wenig bereit, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten.
Das Konzept des Generationenkapitals könnte zur Stabilisierung des Rentensystems beitragen, erfordert jedoch zusätzliche Maßnahmen zur Altersvorsorge und private Investitionen.
Deep dives
Der aktuelle Stand der Rentenreform
Das Rentensystem in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen, insbesondere durch die bevorstehenden Renteneintritte der Babyboomer. In den nächsten 15 Jahren werden etwa 13 Millionen Menschen in Rente gehen, was zu einem Rückgang der Beitragszahler und einer erhöhten finanziellen Belastung für das System führen wird. Die Diskussion konzentriert sich darauf, ob Politiker Vorschläge zur Erhöhung des Renteneintrittsalters und zur Kürzung der Rentenansprüche umsetzen sollten, was laut Kritiker unfair wäre. Der Kanzler, Olaf Scholz, hat die Sicherheit der Renten betont, doch Skepsis bleibt hinsichtlich der tatsächlichen Finanzierung und Stabilität des Systems.
Angst vor Altersarmut unter jungen Menschen
Eine repräsentative Studie zeigt, dass 78 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 17 und 27 Jahren Angst vor Altersarmut haben, wobei 84 Prozent der weiblichen Befragten besorgt sind, nur eine geringe Rente zu erhalten. Interessanterweise äußerte jedoch nur ein kleiner Teil der Befragten die Bereitschaft, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten, was auf einen Konflikt zwischen dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit und der Realität auf dem Arbeitsmarkt hinweist. Die Diskrepanz zwischen der wachsenden Angst vor Altersarmut und dem mangelnden Engagement für private Vorsorge ist alarmierend. Viele junge Arbeitnehmer scheinen sich nicht aktiv um ihre finanzielle Zukunft zu kümmern, was die Herausforderungen für die Altersversorgung verschärfen könnte.
Die Rolle des Generationenkapitals
Ein zentrales Element der neuen rentenpolitischen Diskussion ist das Generationenkapital, ein Konzept zur Schaffung von Rücklagen für die Altersversorgung, um die Herausforderungen des Umlagesystems zu bewältigen. Die Bundesregierung plant, bis 2035 Kapital anzusparen, das durch Investitionen erwirtschaftet werden soll, aber es bleibt fraglich, ob dies ausreichen wird, um die anstehenden finanziellen Anforderungen zu decken. Experten kritisieren, dass dieses Modell nicht als langfristige Lösung betrachtet werden kann, da es sich nur um einen kleinen Beitrag zur Stabilisierung des Rentensystems handelt. Das Generationenkapital könnte hilfreich sein, wenn es erfolgreich verwaltet wird, aber es muss zusätzlich Druck auf eine breitere Altersvorsorge und private Investitionen erhöht werden.
Politische Widerstände und Reformbedarf
Die Diskussion über Rentenreformen ist von politischen Spannungen geprägt, da viele Vorschläge als unpopulär gelten und Widerstand hervorrufen. Die Politik steht vor der Herausforderung, das Rentensystem sowohl für die ältere als auch für die jüngere Generation fair zu gestalten, ohne die finanziellen Belastungen ungerecht zu verteilen. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters, gekoppelt an die Lebenserwartung, wird als notwendig erachtet, doch Politiker wie Olaf Scholz setzen sich vehement dafür ein, dass solche Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Die Frage bleibt offen, wie die Kluft zwischen den generationsübergreifenden Interessen überbrückt werden kann, um ein ausgewogenes Rentensystem zu gewährleisten.
Zukunftsperspektiven für die gesetzliche Rente
Trotz der Herausforderungen und der anhaltenden Unsicherheiten ist das gesetzliche Rentensystem nach wie vor stabil und wird voraussichtlich bestehen bleiben. Experten betonen, dass die Politik dringend Lösungen finden muss, um das Rentensystem zukunftssicher zu machen, und das nicht allein den privaten Vorsorgeformen überlassen kann. Reformen zur Verbesserung der Altersvorsorge und zur Förderung der privaten Vorsorge sind unabdingbar, um den Lebensstandard der Rentner langfristig aufrechtzuerhalten. Die gesetzliche Rente wird auch in Zukunft ein zentraler Pfeiler der Altersversorgung sein, doch Veränderungen sind notwendig, um weitere Belastungen für die kommende Generation zu vermeiden.
13 Millionen Babyboomer werden in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen. Das hat Folgen – vor allem für die Jüngeren. Aus ihren Beiträgen werden die Altersbezüge der Senioren bezahlt: ein System, das in nächsten Jahren an seine Grenzen stoßen wird. Die Bundesregierung hat darauf im Frühjahr bereits mit einem neuen Rentenpaket reagiert. Jetzt will sie zusätzlich noch mehr Rentner animieren, im Alter weiterzuarbeiten.
Nur was bringt das? Was sollte sie stattdessen tun? Müssen wir alle länger als arbeiten – auch wenn die große Mehrheit der jungen Berufstätigen diese Idee klar ablehnt? Und wie können junge Menschen sich besser gegen Altersarmut absichern? Um diese Fragen geht es in der neuen Folge von Ist das eine Blase?,dem Wirtschaftspodcast von ZEIT und ZEIT ONLINE. Die Hosts Carla Neuhaus und Jens Tönnesmann sprechen darin mit dem Wirtschaftsweisen Martin Werding, der seit Jahrzehnten zur Rente forscht.
Der Wirtschaftsweise fordert, das Renteneintrittsalter weiter anzupassen und es an die Lebenserwwartung zu knüpfen. Die Idee: Wer länger lebt, kann auch länger arbeiten. Dass die Bundesregierung stattdessen verspricht, die Menschen könnten in jedem Fall spätestens mit 67 Jahren in Rente gehen, hält er für fatal. Das könne eine „ganz massive politische Enttäuschung erzeugen“.
Seiner Meinung nach müsste die Bundesregierung deutlich mehr tun als bislang. Zwar hat sie erst im Frühjahr beschlossen, ein Generationskapital aufzubauen: Bis 2035 will sie Milliarden am Aktienmarkt anlegen, um die Erträge dann in die Renten stecken zu können. Doch Werding sagt: „Das Generationenkapital ist in dieser Form definitiv nicht die Rettung“, sagt er. Dafür wirft es zu wenig ab.
In dieser Folge erklärt Werding, was er jungen Menschen raten würde, warum junge Menschen nicht verzweifeln sollten und warum er die gesetzliche Rente aller Kritik zum Trotz für überraschend stabil hält.
Außerdem ist Kolja Rudzio zu Gast, der stellvertretende Leiter des Wirtschaftsressorts der ZEIT. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Rente und erklärt im Podcast, wie sie genau funktioniert.
Im Wirtschaftspodcast Ist das eine Blase? sprechen Carla Neuhaus, Jens Tönnesmann und Zacharias Zacharakis immer montags über das, was die Welt im Innersten zusammenhält: Geld, Macht, Gerechtigkeit. Immer mit einem Experten aus der Redaktion, einem Gast – und einem Tier.
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