Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Experte für dschihadistische Bedrohungen in Österreich. Er beleuchtet die gefährliche dschihadistische Szene und die Rolle ethnischer Gruppen wie Tschetschenen und Albanern. Steinberg diskutiert die Einflüsse charismatischer Prediger und die Komplexität der Radikalisierung in Europa. Zudem wird die Notwendigkeit individueller Präventionsprogramme betont und die Mythen um die Flüchtlingskrise hinterfragt. Ein tiefgehender Einblick in aktuelle Herausforderungen.
Die dschihadistische Bedrohung in Österreich bleibt angespannt, mit schätzungsweise 70 bis 150 gefährlichen Personen, die potenziell mit dem Islamischen Staat verbunden sind.
Die tschetschenische Gemeinschaft in Österreich ist ein bedeutender Faktor in der dschihadistischen Szene, da viele Ausreisende nach Syrien tschetschenischer Herkunft waren.
Charismatische Prediger wie Ebu Teyma haben großen Einfluss auf die Radikalisierung junger Menschen und fördern extremistische Ansichten in der Gesellschaft.
Deep dives
Dschihadistische Bedrohung in Österreich
Die dschihadistische Bedrohung in Österreich bleibt angespannt, auch wenn die Szene schwächer ist als in der Vergangenheit. Aktuelle Schätzungen deuten darauf hin, dass zwischen 70 und 150 besonders gefährliche Personen vor Ort existieren. Diese Personen könnten in Verbindung mit dem Islamischen Staat stehen, der in der Ferne operierende Coaches bereitstellt. Besondere Aufmerksamkeit sollte dem Attentäter des Vorfalls in Wien gewidmet werden, dessen Verbindungen zur dschihadistischen Ideologie und möglicherweise auch zu jeglichem internationalen Netzwerk auffällig sind.
Besonderheiten der österreichischen Szene
Österreich weist im europäischen Vergleich einige Besonderheiten hinsichtlich der dschihadistischen Bewegung auf, insbesondere durch die dort lebenden Tschetschenen. Zwischen 2012 und 2018 sind schätzungsweise 300 Personen aus Österreich nach Syrien gereist, wobei ein bemerkenswerter Anteil dieser Ausreisenden tschetschenischer Herkunft war. Diese Gruppe stellt eine Vielzahl von Kommandeuren innerhalb des Islamischen Staates, was auf tieferliegende strukturelle Probleme in der österreichischen Einwanderungspolitik hindeutet. Diese Verbindungen erfordern eine detaillierte Untersuchung, um besser zu verstehen, wie solche Netzwerke entstehen und sich festigen.
Transnationale Verflechtungen
Die dschihadistische Szene in Österreich ist in ein komplexes Netz von transnationalen Verbindungen eingebunden. Dies umfasst wichtige Kontakte zu dschihadistischen Gruppen im Balkan und zu Gemeinschaften in Deutschland, die in den letzten Jahren intensiver geworden sind. Dabei ist zu beobachten, dass ethnisch albanische Dschihadisten zunehmend zur Bedrohung geworden sind, wie der Attentäter von Wien zeigt. Solche internationalen Verbindungen machen es schwierig, örtliche Radikalisierungsprozesse isoliert zu betrachten und erfordern ein umfassendes Verständnis der globalen Zusammenhänge.
Einfluss von charismatischen Predigern
In Österreich haben charismatische Prediger einen erheblichen Einfluss auf die dschihadistische Szene und haben als Rekrutierungspunkt gedient. Die Sahaba-Moschee in Wien, einst ein Zentrum für die Verbreitung dschihadistischer Ideologien, war die Wiege mehrerer in den IS integrierter Individuen. Auch andere Figuren, wie der verurteilte Prediger Ebu Teyma, haben trotz ihrer Haftstrafen einen bedeutsamen Einfluss auf junge Menschen ausgeübt. Der Zugang zu diesen Predigern fördert die Radikalisierung und die Verbreitung extremistischer Ansichten unter der Jugend.
Prävention und staatliche Reaktionen
Die österreichischen Sicherheitsbehörden kämpfen mit der Herausforderung, präventive Maßnahmen gegen den Dschihadismus zu ergreifen. Präventionsprogramme, die auf die individuellen Bedürfnisse von Risikopersonen eingehen, sind notwendig, um die Rückkehr von Extremisten in die Gesellschaft zu begleiten. Allerdings sind die Ressourcen der Sicherheitsbehörden häufig unter Druck, was die Evaluierung und Wirksamkeit solcher Programme beeinträchtigt. Eine ganzheitliche Betrachtung der dschihadistischen Problematik ist entscheidend, um sowohl präventiv als auch repressiv effektiv handeln zu können.
Dschihadisten in Österreich. Eine gefährliche Szene mit großer ideologischer Strahlkraft. Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) im Gespräch mit Walter Posch (Institut for Peace Support and Conflict Management, Wien). Eine Veranstaltung des Bruno Kreisky Forums vom 24. Juni 2021.
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