Letzter Sommer in Frieden? (Tag 1136 mit Sönke Neitzel)
Apr 4, 2025
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Sönke Neitzel, Militärhistoriker an der Universität Potsdam und Autor des Buches 'Die Bundeswehr', schockiert mit der warnenden Aussage, dass der kommende Sommer der letzte in Frieden sein könnte. Er beleuchtet die Risiken aus Russland und widerspricht der Ansicht, dass Russland eine beherrschbare Bedrohung sei. Neitzel fordert umfangreiche Reformen für die Bundeswehr, sieht jedoch deren Umsetzung als höchst unwahrscheinlich. Zudem wird die geopolitische Situation in Bezug auf Taiwan und die Rolle der NATO besprochen.
Sönke Neitzel warnt, dass der kommende Sommer der letzte im Frieden sein könnte, was auf die russische Bedrohung hindeutet.
Experten befürchten, dass Xi Jinping Chinas Aggressionspolitik nutzen könnte, um einen Angriff auf Taiwan zu wagen.
Die Bundeswehr steht vor tiefgreifenden Reformen und politischen Herausforderungen, die grundlegend für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sind.
Deep dives
Trumps Zollpolitische Entscheidungen
Der Beschluss von Donald Trump, weltweit Zölle auf zahlreiche Güter zu erheben, wird kritisch betrachtet, insbesondere in Bezug auf die ungleiche Behandlung der betroffenen Länder. Während einige enge amerikanische Verbündete, wie Israel, mit hohen Zöllen rechnen müssen, bleibt Russland von Trumps Zollmaßnahmen unberührt, was auf eine bizarre Strategie hinweist. Diese selektiven Zollentscheidungen können als Versuch gewertet werden, Putin während laufender Friedensverhandlungen mit der Ukraine nicht zu verärgern. Zudem wird die Belastung für europäische Länder durch 20 Prozent Zollzahlungen thematisiert, was die Verteidigungsanstrengungen in einem bereits angespannten wirtschaftlichen und politischen Klima erschwert.
Die Bedrohung durch China im Taiwan-Konflikt
Der Konflikt um Taiwan nimmt an Intensität zu, da China die Insel als abtrünnige Provinz betrachtet und mit militärischen Manövern droht. Die Wahrnehmung der chinesischen Aggressivität, insbesondere durch die jüngsten umfangreichen Manöver, sorgt international für Besorgnis, da Taiwan damit konfrontiert wird, dass eine formelle Unabhängigkeit möglicherweise einen Krieg nach sich ziehen könnte. Experten warnen, dass Xi Jinping, ermutigt durch die geopolitischen Turbulenzen, ernsthaft darüber nachdenken könnte, Taiwan anzugreifen. Diese Entwicklung, die als potenzieller Wendepunkt in den internationalen Beziehungen gilt, verdeutlicht die Notwendigkeit für verbündete Länder, sich auf mögliche militärische Konfrontationen vorzubereiten.
Russlands weitere Aggression gegen die Ukraine
Die fortwährenden Angriffe Russlands auf ukrainische Städte und Zivilisten zeigen, dass Putin wenig Interesse an einem substantiellen Waffenstillstand hat. Berichte über gezielte Angriffe, einschließlich Drohnenoperationen, verdeutlichen die wiederholte Eskalation der Gewalt und die augenscheinliche Missachtung von zivilen Opfern. Der Kreml verfolgt eine Strategie, die darauf abzielt, die eroberten Gebiete dauerhaft zu sichern, beispielsweise durch die erzwungene Annahme der russischen Staatsbürgerschaft für die Bevölkerung in diesen Regionen. Diese sogenannten 'Passportisierungen' sollen dazu dienen, Russlands Anspruch auf die besetzten Gebiete zu legitimieren und rechtfertigen, dass die internationale Gemeinschaft auf diese Situation reagieren muss.
Die Herausforderungen der Bundeswehrreform
Die Bundeswehr steht vor ernsten Herausforderungen, wenn es darum geht, sich für zukünftige Konflikte zu rüsten und notwendige Reformen umzusetzen. Historische Rückblicke zeigen, dass die Streitkräfte unter den gegebenen Bedingungen nur schwer reformierbar sind, was sowohl strukturelle als auch politische Herausforderungen mit sich bringt. Experten weisen darauf hin, dass es einen weitreichenden Konsens im Kabinett braucht, um grundlegende Änderungen in der Militärstruktur voranzutreiben, um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Dieser Reformprozess wird als zeitaufwendig beschrieben, insbesondere angesichts der internen Widerstände und der Notwendigkeit, die bestehenden bürokratischen Strukturen zu reformieren.
Geopolitische Unsicherheiten in Europa
Europäische Nationen sehen sich angesichts der aktuellen Sicherheitslage und geopolitischen Unsicherheiten einem erhöhten Druck ausgesetzt, ihre Verteidigungsausgaben zu steigern. Die Forderung, fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufzuwenden, wird als Herausforderung angesehen, die durch die massiven Zölle und die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen noch verschärft wird. Diese geopolitischen Entwicklungen erfordern eine klare Positionierung und Zusammenarbeit innerhalb der NATO, um die regionale Stabilität zu gewährleisten. Trotz positiver Signale von NATO-Verteidigungsministern bleibt die Skepsis und Unsicherheit über die Verlässlichkeit der USA als Partner bestehen, insbesondere unter der aktuellen amerikanischen Administration.
Vielleicht ist der kommende der letzte Sommer, den wir noch im Frieden erleben. Mit diesem Satz hat der Militärhistoriker Sönke Neitzel viele aufgeschreckt. Im Gespräch mit Host Anna Engelke erklärt er, was ihn zu dieser Aussage bewogen hat und welche Gefahr er durch Russland sieht. Einige Wissenschaftler sind der Meinung, dass ein Russland, das große Schwierigkeiten hat, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen, eine beherrschbare militärische Bedrohung ist. Professor Neitzel widerspricht ihnen. Er empfiehlt der NATO, sich auf den Worst case vorzubereiten. Die Bundeswehr ist aus Sicht des Militärhistorikers ein dysfunktionales System. Sie zu reformieren sei eine Herkulesaufgabe für die neue Bundesregierung. Neitzel glaubt, dass die neue Regierung zwar Reformschritte gehen wird. Er hält es aber für unwahrscheinlich, "dass wir die Reform sehen, die wir wirklich brauchen".
Auf das Treffen der Außenminister der NATO in Brüssel und das chinesische Militär-Manöver vor der Küste Taiwans blickt Stefan Niemann. Manche China-Experten fürchteten, Chinas mit enormer Machtfülle ausgestattete Staats- und Parteichef Xi Jinping könnte sich ermutigt fühlen, im Schatten des Ukraine-Krieges den Angriff auf Taiwan zu riskieren. Die Lage in der Ukraine hat sich kaum verändert, gleichzeitig schafft Russlands Präsident Putin weiter Fakten - etwa mit einem neuen Dekret für die besetzten Gebiete.
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