Thomas Fuchs: Über die Einheit von Körper und Gefühl
Dec 2, 2024
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Thomas Fuchs, ein renommierter Philosoph und Psychiater aus Heidelberg, taucht tief in die komplexe Welt der Emotionen ein. Er diskutiert, wie Gefühle nicht nur privat sind, sondern auch in sozialen Interaktionen verwurzelt sind. Der Körper spielt eine zentrale Rolle in der Emotionserfahrung, insbesondere bei der Angst. Fuchs beleuchtet die Bedeutung des Tastsinns und von Körpersprache für Empathie. Zudem wird Narzissmus als Herausforderung der emotionalen Wahrnehmung thematisiert und die gefährlichen Facetten des Hasses in unserer Gesellschaft erforscht.
Emotionen werden durch körperliche Empfindungen verkörpert, was den interaktiven Charakter von Gefühlen in sozialen Interaktionen unterstreicht.
Hass wird als kraftvolles Gefühl beschrieben, das sowohl individuelle Identität beeinflussen als auch gesellschaftliche Konflikte hervorrufen kann.
Deep dives
Verkörperte Gefühle und emotionale Resonanz
Die Erfahrung, im Aufzug stecken zu bleiben, verdeutlicht, wie Gefühle in unseren Körpern verkörpert sind und miteinander kommuniziert werden. Wenn Menschen Angst empfinden, fühlen sie diese nicht isoliert, sondern beeinflussen sich gegenseitig emotional, was das Konzept der verkörperten Gefühle illustriert. Der Dialog zwischen Körper und Gehirn spielt eine zentrale Rolle, da die körperlichen Empfindungen von Emotionen in einem ständigen Rückkopplungsmechanismus stattfinden. Dies bedeutet, dass wir konstant auf physischer Ebene auf unsere Gefühle reagieren, was die interaktive Natur menschlicher Emotionen betont.
Die Rolle des Körpers in der Emotion
Emotionen sind keine rein kognitiven Prozesse, sondern erfordern die gesamte leibliche Erfahrung des Menschen. Der Körper und insbesondere das autonome Nervensystem haben direkten Einfluss darauf, wie intensiv wir Gefühle empfinden. Auch die kognitive Psychologie, die oft als rein denkender Ansatz gilt, vernachlässigt die körperliche Dimension der Emotionen und betrachtet sie nur als Bewertungen einer Situation. Emotionen wie Angst oder Trauer werden durch körperliche Reaktionen intensiviert, was verdeutlicht, dass das Erleben von Emotionen immer auch mit physischer Wahrnehmung verbunden ist.
Zwischenleibliche Resonanz in sozialen Interaktionen
Die zwischenleibliche Resonanz beschreibt die Fähigkeit, Emotionen über unseren Körper zu empfangen und auszudrücken, ohne Worte verwenden zu müssen. Wenn Menschen miteinander interagieren, ist es oft so, dass Gesten, Mimik und Körperhaltung intensiv synchronisiert sind und somit Gefühle übermittelt werden. Diese körperliche Kommunikation trägt zur Bildung einer gemeinsamen emotionalen Atmosphäre bei, die stark beeinflusst wird durch die Präsenz des Anderen. Intermodale Wahrnehmung spielt dabei eine zentrale Rolle, indem sie uns erlaubt, Gefühle aus verschiedenen Sinnesmodalitäten zu kombinieren und dadurch ein umfassendes Gefühlserlebnis zu erzeugen.
Hass und seine Auswirkungen auf die menschliche Erfahrung
Hass wird als eines der energetischsten und langanhaltendsten Gefühle beschrieben, das sowohl vitale Energie verleiht als auch zu einer obsessiven Fokussierung auf den vermeintlichen Feind führen kann. Der Charakter des Hasses ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht nur tiefgreifende Emotionen wie Bitterkeit und Empörung erzeugt, sondern auch als treibende Kraft für Handlungen fungiert. Der literarische Bezug auf Käpt'n Ahab aus 'Moby Dick' veranschaulicht, wie der Hass eine Person zerfressen und ihre Identität dominieren kann. Dieser Zustand gefährdet nicht nur den Individuum, sondern auch die Gemeinschaft, indem er Gewalt und Konflikte schürt.
Liebe, Angst, Empörung, Glück: Gefühle sind scheinbar zutiefst privat – stehen aber durchaus in Bezug zu Anderen und zu einem Außen. Und sie sind untrennbar vom Leib, sagt der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs. Mit Jürgen Wiebicke spricht er über das Wesen von Gefühlen.
Thomas Fuchs (*1958) ist Psychiater und Philosoph und seit 2010 Karl-Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie in Heidelberg. Während in der kognitiven Psychologie das Gehirn als Träger des Erlebens und der Körper nur als "Gefäß" verstanden wird, geht er von einer Einheit aus. Der Mensch kann nur als leibliches Wesen spüren, denken und handeln.
Warum eine Trennung von Körper und Geist nicht möglich ist (00:22)
Zwischenleibliche Resonanz: Wie unsere Körper unbewusst miteinander kommunizieren (08:57)
Empathie: Warum wir im wörtlichen Sinne mitfühlen (15:36)
Wie Gefühle sich regulieren lassen (22.01)
Der Doppelcharakter von Gefühlen: Es kommt etwas auf uns zu und es will etwas nach draußen (26:13)
Lebensgefühl: Der Unterschied zwischen kurzlebigen Gefühlen und einer länger andauernden Stimmung (30:22)
Narzissmus: Wenn das leibliche Spüren von Gefühlen nicht gut entwickelt ist (34:23)
Warum eine Regulation von Gefühlen Leid abwehren kann, Überregulation aber ungesund ist (39:22)
Beispiel Hass: Warum er Energie gibt, gefährlich ist und den Menschen am Ende zerfrisst (44:22)
Literatur Thomas Fuchs (2024): Verkörperte Gefühle: Zur Phänomenologie von Affektivität und Interaffektivität. Berlin: Suhrkamp Verlag. 412 Seiten. ISBN 978-3518300541.
Philosophieren Sie mit über die großen Themen unserer Zeit. Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken über KI und Klimawandel, über Einsamkeit und Zusammenhalt, über Glück und Glaube. Das philosophische Radio mit Jürgen Wiebicke immer montags um 19:04 Uhr live in WDR 5. https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/philosophisches-radio/index.html
Im nächsten Podcast sprechen wir mit Markus Gabriel über ethischen Kapitalismus.
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Unser Podcast-Tipp: InTee mit Warum - Die Philosophie und wir schauen die Hosts auf die großen Fragen der Philosophiegeschichte, sprechen mit Philosoph:innen und hören Menschen aus dem Alltag. Neue Folgen gibt es jeden zweiten Donnerstag: https://1.ard.de/tee-mit-warum-podcast-cp
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