Susan Neiman, eine deutsch-amerikanische Philosophin und Leiterin des Einstein Forums, spricht über die schockierenden Ergebnisse der US-Wahlen und reflektiert die Auswirkungen von Trumps Rückkehr. Sie diskutiert auch die komplexe Beziehung zwischen den USA und Israel sowie die Herausforderungen der modernen linken Bewegung. Themen wie kulturelle Aneignung, persönliche Erlebnisse mit Rassismus und die Verflechtung von jüdischer Identität und Aktivismus stehen im Mittelpunkt. Neiman beleuchtet zudem die Bewältigung der deutschen Vergangenheit und die politische Identität in aktuellen Kontexten.
Susan Neiman kritisiert die gefährlichen politischen Ernennungen von Donald Trump und deren weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaftsordnung in den USA.
Die komplexe Beziehung zwischen der US-Außenpolitik und dem Antisemitismus wird durch evangelikale Einflüsse und die einseitige medialen Behandlung geprägt, was realistische Lösungen behindert.
Deep dives
Der Schock über Trumps Rückkehr
Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus sorgt weiterhin für große Besorgnis und Schock bei vielen Menschen, einschließlich Experten. Susan Neiman äußert, dass der Schock nicht nur mit dem Wahlergebnis selbst zu tun hat, sondern auch mit den umstrittenen Personen, die Trump für seine Regierung nominiert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den politischen Ansichten dieser Appointees, die Neiman als extrem gefährlich erachtet, also zum Beispiel einen gefährlichen Gesundheitsminister zu benennen, der gegen Impfungen ist. Sie sieht ihre Medienauftritte und Interviews als eine Art Ablenkung von der Realität, die zeigt, dass die Krise weitreichender ist, als es zunächst scheint.
Die bedingungslose Unterstützung Israels
Neiman thematisiert die bedingungslose Unterstützung der USA für Israel und erklärt, dass diese Haltung oft mit einem starken Einfluss von evangelikalen Amerikanern zusammenhängt, die einen apokalyptischen Krieg im Nahen Osten als Teil ihrer Glaubensüberzeugung sehen. Diese Gruppen bilden eine bedeutende Wählerbasis für Trump und beeinflussen die amerikanische Außenpolitik in Bezug auf Israel. Neiman weist darauf hin, dass die Wahrnehmung des Antisemitismus durch die Unterstützung Israels komplex ist und in den Medien oft eindimensional behandelt wird. Sie hebt hervor, dass diese Dynamik sehr wenig mit der tatsächlichen Meinung der jüdischen Bevölkerung zu tun hat, die überwiegend demokratischer orientiert ist.
Die Woke-Bewegung und ihre Probleme
Neiman kritisiert die Woke-Bewegung und argumentiert, dass sie von reaktionären philosophischen Annahmen flankiert wird, die nicht die traditionellen linken Werte widerspiegeln. In ihr Buch 'Links ist nicht Vogue' verweist sie darauf, dass die Identitätspolitik und der Tribalismus, die in vielen Diskussionen vorherrschen, winzige Teile einer größeren linken Agenda darstellen. Sie nennt Beispiele, in denen sogar darüber diskutiert wird, wer kulturelle Werke schaffen oder übersetzen darf, basierend auf ihrer ethnischen Identität. Solche Entwicklungen sieht Neiman als Problem an, da sie von den grundlegenden Angelegenheiten ablenken, die echte linke Politik antreiben sollten.
Persönliche Erfahrungen mit Rassentrennung und Bürgerrechtsbewegung
Neiman spricht über ihre persönliche Geschichte und Erfahrung mit Rassentrennung während ihrer Kindheit im amerikanischen Süden. Ihre Mutter engagierte sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung, was Neiman als einen prägendenden Einfluss auf ihr Leben beschreibt und ihr Bewusstsein für Ungerechtigkeiten schärfte. Sie reflektiert über die historische Rolle jüdischer Amerikaner in der Bürgerrechtsbewegung und erkennt, wie tiefgehend diese Erfahrungen ihr Weltbild und ihre Philosophie geprägt haben. Solche Erlebnisse verbindet sie mit einem breiteren politischen Verständnis und der Philosophie als einem Werkzeug, um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken.
Susan Neiman studierte Philosophie an der Harvard University und Freien Universität in Berlin und leitet seit 2000 das Einstein Forum in Potsdam. Geboren wurde sie in Atlanta, Georgia und hat zuletzt Bücher veröffentlicht wie “Von den Deutschen lernen. Wie Gesellschaften mit dem Bösen in ihrer Geschichte umgehen” können und “Links ist nicht woke”, ein Buch, was mit Blick auf das aktuelle Wahlergebnis in den USA und die Rückkehr Trumps von großer Relevanz ist.
Im Gespräch mit Wolfgang reflektiert Susan Neiman das für viele schockierende Ergebnis der US-Wahl und diskutiert zudem auch den Krieg in Gaza, die Haltung Deutschlands zu Kritik an Israel, sowie die Tatsache, dass der Konflikt viel größere internationale Aufmerksamkeit und Lösungen erfordere. Zudem beleuchtet sie den fortlaufenden Prozess der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und ihren eigenen Werdegang von den Südstaaten Amerikas bis nach Berlin.
Zur Verortung: Das Gespräch wurde bereits am 19. November aufgezeichnet.