Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin und Leiterin an der Donau-Universität Krems, spricht über die neusten Herausforderungen der EU nach der Corona-Pandemie. Sie erklärt, wie Krisen wie die Pandemie und der Brexit die Notwendigkeit einer europäischen Sozialunion aufzeigen. Guérot betont die Wichtigkeit eines gemeinsamen europäischen Gefühls und der Bürgerbeteiligung in politischen Entscheidungen. Sie skizziert eine Vision für eine Europäische Republik, die Demokratie und einheitliche Bürgerrechte fördert, sowie einen optimistischen Ausblick auf die Zukunft Europas.
Die Pandemie hat die EU mit überfüllten Intensivstationen und wirtschaftlichen Rückgängen vor erhebliche Herausforderungen gestellt, die Solidarität der Mitgliedstaaten auf die Probe gestellt hat.
Es besteht eine signifikante Diskrepanz zwischen dem Wissen der Bürger über die EU und den tatsächlichen Unterstützungsmechanismen, wodurch das Bewusstsein für die positiven Beiträge der EU gestärkt werden muss.
Die Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Integration sowie die Schaffung einer europäischen Sozialunion sind entscheidend, um eine gleichwertige Behandlung aller Bürger zu gewährleisten.
Deep dives
Die Herausforderungen der EU während der Pandemie
Die Pandemie hat die Europäischen Union (EU) vor neue und erhebliche Herausforderungen gestellt, einschließlich überfüllter Intensivstationen und wirtschaftlicher Rückgänge. Diese Krise wird nicht nur als Gesundheitsproblematik betrachtet, sondern sie hat das europäische Zusammengehörigkeitsgefühl und die Solidarität der Mitgliedsstaaten getestet. Es wird betont, dass kein Land in der EU allein aus der Krise herauskommen kann; die wirtschaftliche und soziale Stabilität der EU hängt von der Stabilität aller Mitgliedstaaten ab. Die Diskussion beleuchtet die Notwendigkeit einer gemeinsamen Verantwortung und der Zusammenarbeit in Krisenzeiten, um die Union zu stärken.
Die Rolle der EU in der öffentlichen Wahrnehmung
Es besteht eine signifikante Diskrepanz zwischen dem, was die Bürgerinnen und Bürger über die EU wissen, und dem, was die EU tatsächlich für sie tut. Viele Menschen sind sich der Unterstützungsmechanismen der EU, wie dem Rettungsschirm und der Impfstoffverteilung, nicht bewusst oder nehmen sie als selbstverständlich hin. Diese mangelnde Anerkennung könnte auf eine unzureichende Kommunikation der nationalen Regierungen zurückzuführen sein, die oft eigene Erfolge betonen und die EU verantwortlich machen, wenn Probleme auftreten. Daher wird die Notwendigkeit betont, das Bewusstsein für die EU und ihre positiven Beiträge zu stärken, um eine stärkere Bürgerbindung zu fördern.
Die Fragmentierung der europäischen Öffentlichkeit
Die öffentliche Wahrnehmung der EU ist stark fragmentiert, beeinflusst durch soziale Medien und unterschiedliche Informationsquellen, was zu verschiedenen Lebensrealitäten innerhalb der EU führt. Menschen leben in unterschiedlichen Informationsblasen, die ihre Ansichten und ihr Verständnis von Europa prägen, je nachdem, welche Medien sie konsumieren. Diese Diversität der Sichtweisen erschwert den Diskurs über eine gemeinsame europäische Identität und die politischen Herausforderungen. Um diese Kluft zu überbrücken, wird die Bedeutung eines integrierten Diskurses und der aktiven Bürgerbeteiligung hervorgehoben.
Nachhaltige europäische Integration und soziale Rechte
Es besteht ein dringender Bedarf, die wirtschaftliche und soziale Integration in der EU zu stärken, insbesondere im Hinblick auf soziale Rechte und Arbeitslosenversicherung. Der Podcast thematisiert, dass viele Bürger europäische soziale Sicherungssysteme befürworten, dies jedoch oft in der nationalen Politik nicht reflektiert wird. Eine echte soziale Union könnte dazu beitragen, die Kluft zwischen den Mitgliedstaaten zu verringern und eine gleichwertige Behandlung aller europäischen Bürger sicherzustellen. Das langfristige Ziel sollte eine europäische Republik sein, in der alle Bürger gleich vor dem Gesetz sind und dieselben sozialen Leistungen erhalten.
Blick in die Zukunft der EU
Die Diskussion um die Zukunft der EU ist geprägt von der Frage, ob Europa aus der Krise gestärkt hervorgehen kann oder ob nationale Interessen dominieren werden. Eine grundlegende Reform könnte notwendig sein, um ein demokratischeres Europa zu schaffen, in dem Bürger stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Die Möglichkeit, eine europäische Verfassung oder ähnliche Reformen zu schaffen, könnte als Chance gesehen werden, ein vereinteres und gerechteres Europa zu gestalten. Es wird betont, dass ein solches Vorhaben nicht unerreichbar ist, sondern vielmehr der Mut zur Veränderung und zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft benötigt wird.
Überfüllte Intensivstationen, geschlossene Grenzen, Wirtschaftseinbruch und mittendrin ein Chaos-Brexit – die Pandemie hinterlässt Spuren am Projekt des gemeinsamen Europas. Wie sich die EU nach der Corona-Krise neu erfinden könnte, schildert...
Überfüllte Intensivstationen, geschlossene Grenzen, Wirtschaftseinbruch und mittendrin ein Chaos-Brexit – die Pandemie hinterlässt Spuren am Projekt des gemeinsamen Europas. Wie sich die EU nach der Corona-Krise neu erfinden könnte, schildert Politikwissenschafterin Ulrike Guérot im Podcast Edition Zukunft. Sie leitet das Department für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems und ist Gründerin des European Democracy Lab.
Krisen können jedenfalls auch verbinden, glaubt Guérot. Europa sei „nichts anderes als die Erinnerung an den traumatischen Abgrund von 30 Jahre Krieg inklusive Holocaust“, weshalb sich in den 1950er Jahren die Vorläufer der EU entwickelt haben. In den 1970er-Jahren kam aus Angst vor einer Abwertungsspirale die Währungsunion dazu. Jetzt komme es darauf an, wie Europa die aktuelle Krise wahrnimmt und ob sich daraus ein „Nie wieder“ entwickelt: Nie wieder überfüllte Krankenhäuser in Bergamo, während die Intensivbetten in anderen Teilen Europas noch frei sind, nie wieder russische Militärfahrzeuge in Norditalien statt europäische.
Spätestens nach der Corona-Krise sieht Guérot nach Jahrzehnten von wirtschaftlicher Zusammenarbeit eine europäische Sozialunion als nächsten logischen Schritte in eine gemeinsame Europäische Republik. In Umfragen seien zwar die meisten für eine tiefergehende europäische Zusammenarbeit – im öffentlichen Diskurs werden diese Mehrheiten aber noch nicht angenommen. Das liege auch an „falschen Buchführungen“ was politische Entscheidungen anbelangt: Noch immer versuchen nationale Regierungen Erfolge der EU als ihre eigenen zu verkaufen.
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