Jan Wilmroth, Wirtschaftskollege der Süddeutschen Zeitung und Experte für Wirtschaftsprüfung, sowie Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionschef der Linken und Mitwirkender im Wirecard-Untersuchungsausschuss, beleuchten die Rolle von Wirtschaftsprüfern im Wirecard-Skandal. Sie diskutieren die mysteriöse Reise nach Manila und die Suche nach den verschwundenen 1,9 Milliarden Euro. Fragen werden aufgeworfen zur Verantwortung der Big Four und den Interessenkonflikten, die die Objektivität gefährden, während sie die Herausforderungen der Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten analysieren.
Die Rolle der Wirtschaftsprüfer bei Wirecard wirft schwerwiegende Fragen zur Integrität ihrer Prüfmethoden und zur Unabhängigkeit auf.
Die Verflechtungen zwischen Wirecard und politischen Entscheidungsträgern, einschließlich Angela Merkel, verstärken den Verdacht auf systematische Vertuschung von Unregelmäßigkeiten.
Deep dives
Die geheimnisvolle Reise nach Manila
Im März 2020 unternahm eine Gruppe von Wirtschaftsprüfern und Wirecard-Mitarbeitern eine Reise nach Manila, um nach 1,9 Milliarden Euro zu suchen, die angeblich dort verwaltet wurden. Jan Marsalek, der damalige COO von Wirecard, gab sich als Reiseleiter aus und vermittelte den Eindruck von Sicherheit und Transparenz, während er die Prüfer mit vagen Informationen versorgte. Die Reisegruppe stellte jedoch schnell fest, dass die Beweise, die ihnen präsentiert wurden, nicht ausreichten, um zu beweisen, dass das Geld tatsächlich existierte. Trotz ihrer Bedenken über die Glaubwürdigkeit des Treuhänders und der vorgelegten Unterlagen kehrten sie ohne klare Nachweise nach Deutschland zurück, was viele Fragen über die Vorgehensweise der wirtschaftlichen Prüfer aufwarf.
Die Rolle der Wirtschaftsprüfer
Wirtschaftsprüfer haben die Aufgabe, die Bilanzen von Unternehmen zu überprüfen und sicherzustellen, dass diese korrekt sind. Im Fall von Wirecard prüften EY und KPMG über Jahre hinweg die Finanzen des Unternehmens, ohne die ständigen Bedenken über die Genauigkeit der Zahlen ernsthaft zu hinterfragen. Die Attraktivität des Auftrags und die Prestige, das mit Prüfungen von DAX-Unternehmen einhergeht, könnten dazu geführt haben, dass Wirtschaftsprüfer unter Druck gesetzt wurden, um nicht zu kritisch zu sein. Dadurch wurde die Abhängigkeit zwischen den Prüfern und dem geprüften Unternehmen verstärkt und es kam zu einem Interessenkonflikt, der die Unabhängigkeit der Prüfung gefährdete.
Unzureichende Prüfungsstandards
Die mangelnde kritische Haltung und die möglicherweise fehlenden Ressourcen zur tiefgreifenden Prüfung sorgten dafür, dass EY und KPMG mehrere rote Flaggen ignorierten, die auf Unregelmäßigkeiten hinwiesen. Trotz E-Mails und Berichten, die auf seltsame Vorgänge hinwiesen, setzten die Prüfer ihre Testate fort, was schließlich zu einer massiven Vertrauenskrise führte. Der Untersuchungsausschuss stellte fest, dass EY trotz bekannter Risiken im Geschäftsmodell von Wirecard, insbesondere im Hinblick auf Geldwäsche, weiterhin Prüfungen durchführte und dafür immer wieder testierte. Dieser systemische Fehler führte dazu, dass EY mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen konfrontiert wurde, während das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wirtschaftsprüfer erschüttert wurde.
Die politischen Verflechtungen
Es gab Anzeichen dafür, dass Wirecard direkt mit politischen Entscheidungsträgern und staatlichen Kontrollinstanzen verbunden war, was den Verdacht aufkam, dass das Unternehmen nicht nur im Wirtschaftssektor, sondern auch in der Politik aktiv war. Der Untersuchungsausschuss beschäftigte sich intensiv mit den möglichen Verbindungen von Wirecard zu hochrangigen Politikern und stellte die Frage, wie weit diese Beziehungen zur Vertuschung von Unregelmäßigkeiten beigetragen haben könnten. Besonders die Rolle von Angela Merkel, die sich für Wirecard einsetzte, wird als kritisch betrachtet, da dies den Eindruck erweckte, dass politische Unterstützung in der Wirtschaft gewisse Aspekte verdecken könnte. Die komplexen Verflechtungen zwischen Wirecard, den Wirtschaftsprüfern und der Politik werfen viele Fragen über die Integrität des gesamten Systems auf und gleichen einer tiefen Krise des Vertrauens.
Staffel 1, Folge 6 - Zehn Jahre lang haben die Wirtschaftsprüfer*innen von EY bei Wirecard immer wieder bestätigt, dass mit den Zahlen alles passt. Bis klar wird: Die Belege über 1,9 Milliarden Euro sind höchst fragwürdig. Deshalb fliegen die EY-Leute schließlich sogar mit Jan Marsalek und anderen auf die Philippinen, um dort persönlich nach dem Geld zu sehen. Eine von vielen ungewöhnlichen Episoden der ganzen Geschichte. Die natürlich die Frage aufwirft: Was haben diese Wirtschaftsprüfer*innen eigentlich all die Jahre davor gemacht? Hätten sie das Desaster verhindern können?