Fritz Simon, Berater und Experte für Organisationsentwicklung, diskutiert mit Andreas Kollar die zentrale Rolle der Kommunikation im "Erkenntnisverkehr". Sie beleuchten, warum Sprache nicht gleich Bedeutung ist und welche Rolle der Kontext dabei spielt. Missverständnisse sind die Regel, nicht die Ausnahme, und „Verstehen“ zeigt sich im Handeln. Zudem wird die kreative Sprachentwicklung bei Kindern thematisiert und wie soziale Interaktionen unser Regelwissen prägen. Ein spannender Streifzug durch Alltag, Fußball und die Herausforderung politischer Informationsbeschaffung.
38:02
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insights INSIGHT
Kommunikation Als Interaktion
Kommunikation ist kein Einhandeln; sie braucht mindestens zwei Teilnehmer und ein gemeinsames Zeichensystem.
Verstehen zeigt sich im Anschlussverhalten, nicht im inneren Einfühlen.
question_answer ANECDOTE
Kreuzung Als Kommunikationsprobe
An der Kreuzung müssen manchmal Menschen freiwillig auf Vorfahrt verzichten, damit der Verkehr weiterläuft.
Selbst ein Missverstehen wie ein Schreck kann die Kommunikation weiterbringen.
insights INSIGHT
Handeln Statt Worte
Nonverbale Handlungen sind kommunikativ wirksam und können Interaktion fortsetzen.
Worte sind nicht nötig, wichtig ist, dass das Verhalten Anschluss ermöglicht.
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In Folge 5 sprechen Fritz Simon und Andreas Kollar über die zentrale Rolle von Kommunikation beim „Erkenntnisverkehr“. Was passiert, wenn niemand losfährt? Warum ist Sprache nicht gleich Bedeutung? Und wie lernen wir eigentlich, Regeln zu befolgen, ohne sie je erklärt bekommen zu haben? Ein Streifzug durch Luhmann, Alltag, Fußball und Weltpolitik.
Inhalte der Episode
• Kommunikation ≠ Sprechen
Kommunikation ist mehr als Sprechen: Erst wenn eine Äußerung verstanden und in Anschlussverhalten überführt wird, findet Kommunikation im systemtheoretischen Sinn statt.
• Verstehen zeigt sich im Tun
Nicht Harmonie, sondern Anschluss ist der Marker für Verstehen. Ob am Fußballfeld, an der Kreuzung oder im Therapieraum: entscheidend ist, dass die Interaktion weitergeht.
• Kontext macht Bedeutung
Zeichen haben keinen eingebauten Informationsgehalt. Bedeutung entsteht durch situative Interpretation: durch geteilte Geschichte, Körpersprache und kulturelle Rahmung.
• Sprache als schöpferischer Prozess
Spracherwerb ist kein Lernen im schulischen Sinn, sondern ein kreativer Rekonstruktionsprozes. Kinder beobachten, abstrahieren, kombinieren und erzeugen Regeln durch Fehler.
• Soziales Regelwissen durch gelebte Praxis
Regeln werden nicht primär gelehrt, sondern über Affekte, Korrekturen und soziale Rückmeldung verkörpert. Ob in Familien, Betrieben oder auf der Straße: Man merkt, was „man tut“.
• Missverstehen ist Standard, nicht Ausnahme
Menschen begegnen einander als Rorschach-Test. Projektion ist unvermeidbar. Kommunikation gelingt oft trotz Missverstehen, solange sie nicht abreißt.
• Deutungshoheit in der öffentlichen Kommunikation
Begriffe steuern Realitäten. Wer „Migrationsflut“ sagt, setzt andere Maßnahmen als jemand, der von „Fachkräftezuwanderung“ spricht. Politik ist ein Kampf um Narrative.
• Kartenlesen statt Wahrheitssuche
Information ist nie neutral. Entscheidend ist, ob sie zur aktuellen Orientierung passt. Gute Navigation heißt, passende Karte für den Zweck, nicht objektive Wahrheit zu finden.
Takeaways
• Kommunikation beginnt mit Anschluss, nicht mit Absicht.
• Bedeutung entsteht durch Kontext, nicht durch Worte.
• Spracherwerb ist kreatives Nach-Erfinden, nicht bloßes Lernen.
• Regeln werden verkörpert, nicht nur erklärt.
• Klarheit braucht Nachfragen – vor allem in Beratung & Therapie.
• Informationen schaffen Wirklichkeiten, nicht nur Abbildungen.
Markante Zitate
• „Du brauchst immer zwei: Einer, der etwas sagt, und einer, der es versteht – oder etwas versteht.“
• „Sprache ist nichts, was man eintrichtert. Man muss sie erfinden.“
• „Handlungen haben keine Bedeutung. Bedeutung entsteht durch Zuschreibung.“
• „Die größte Verkümmerung liegt nicht in der Sprache, sondern im Kontext ihrer Anwendung.“
• „Wenn wir kommunizieren, spielen wir permanent stille Post – nur mit mehr Kontextverlust.“
Literatur / Erwähnte Bezugspunkte
Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp.
Fritz B. Simon (2025): Formen. Zur Kopplung von Psyche, Organismus und sozialen Systemen. Carl-Auer.
Fritz B. Simon: Gemeinsam sind wir blöd!? Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten. Carl-Auer.
Luc Ciompi (2019): Affektlogik. Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Carl-Auer.
Beispiele aus: FAZ, New York Times, Welt, Bild, Taz, Tagesspiegel u. a.