tl;dr #45: Alfred Sohn-Rethel: «Geistige und körperliche Arbeit» | mit Frank Engster
Dec 30, 2024
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Frank Engster, Autor und Experte für Alfred Sohn-Rethel, diskutiert die Herausforderungen bei der Synthese von geistiger und körperlicher Arbeit. Er kritisiert Marx' Ansätze zur Wertabstraktion und beleuchtet die historische Entwicklung dieser Beziehung. Die Verbindung von Naturwissenschaften und historischem Materialismus wird untersucht, während Engster die ökonomischen Implikationen von Faschismus und Krieg analysiert. Zudem thematisiert er die Spannungen zwischen Lohnarbeit, immaterieller Arbeit und der Suche nach einer klassenlosen Gesellschaft.
Alfred Sohn-Rethel kritisiert, dass Marx die Erkenntnistheorie vernachlässigte, indem er sich zu sehr auf die politische Ökonomie konzentrierte.
Sein Konzept der Tauschabstraktion betont, dass materielle und soziale Dimensionen im Austauschprozess eng miteinander verbunden sind.
Sohn-Rethel argumentiert, dass eine Synthese von geistiger und körperlicher Arbeit notwendig ist, um eine klassenlose sozialistische Gesellschaft zu erreichen.
Deep dives
Biografie von Alfred Sohn-Rethel
Alfred Sohn-Rethel wurde 1899 in eine künstlerisch geprägte Familie geboren und wuchs in Frankreich und später in Berlin auf. Trotz der Erwartungen seiner Familie, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, wandte er sich der Wissenschaft zu und studierte unter anderem Chemie und Ökonomie. Besonders prägend war sein Studium bei Alfred Weber, wo er sich mit der Denkform und ihrer Beziehung zur echten Form beschäftigte. Dies führte zu seiner langfristigen Forschung und der Veröffentlichung seines Hauptwerks 'Geistige und körperliche Arbeit', das seine Theorien über eine marxistische Erkenntnistheorie zusammenfasst.
Kritik an Marx und Erkenntnistheorie
Sohn-Rethel kritisierte, dass Marx sich in seiner Arbeit vor allem auf die politischen und ökonomischen Theorien konzentrierte und verpasste, eine umfassende Kritik der Erkenntnistheorie zu formulieren. Seiner Ansicht nach muss der Materialismus aus der marxistischen Theorie eine Erkenntnistheorie entwickeln, die die Denkform aus der wahren Form ableitet. Dies bedeutet, dass theoretische Konzepte und die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse stärker miteinander verwoben sein müssen. Sohn-Rethel strebt danach, historische Begründungen für Begriffe zu liefern, die typischerweise in der abstrakten Wissenschaft genutzt werden.
Abstraktionstheorie und Warenform
Sohn-Rethel beschäftigt sich intensiv mit der Theorie der Abstraktion, indem er argumentiert, dass die Denkform direkt aus der Warenform abgeleitet werden muss. Er kritisiert Marx dafür, dass dieser die Abstraktion als rein theoretischen Prozess betrachtet, statt die Abstraktion als realen Prozess des Austauschs zu begreifen. Sein Konzept der Tauschabstraktion besagt, dass der Tausch von Waren ein Prozess ist, der nicht nur soziale, sondern auch materielle Dimensionen hat. Diese Sichtweise bedeutet, dass materielle Aspekte der Produktion und der sozialen Beziehung im Austauschprozess stark vernachlässigt werden.
Gesellschaftsmodelle: Produktions- vs. Aneignungsgesellschaft
Sohn-Rethel unterscheidet zwischen Produktionsgesellschaften, in denen Arbeit die zentrale Rolle spielt, und Aneignungsgesellschaften, in denen der Tausch von Gütern dominiert. Er argumentiert, dass die zunehmende Technologisierung und Rationalisierung der Arbeit zu einer Vergesellschaftung führen kann, die die Entwicklung zu sozialistischen Verhältnissen begünstigt. Sohn-Rethel sieht die Möglichkeit, dass durch diese Vergesellschaftung von Kopf- und Handarbeit eine klassenlose Gesellschaft entstehen könnte. Es ist seine Überzeugung, dass der Übergang zu sozialistischen Strukturen durch die Synthese von theoretischer und praktischer Arbeit unterstützt werden kann.
Einfluss und Erbe von Sohn-Rethel
Das Werk von Alfred Sohn-Rethel, insbesondere 'Geistige und körperliche Arbeit', hat bedeutende Diskurse in der marxistischen Theorie angestoßen und wird weiterhin aufgearbeitet. Seine Theorien zur Abstraktion und zur Beziehung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit bieten Perspektiven für die heutige Diskussion um die Digitalisierung und die Struktur der Arbeit. Sohn-Rethel wird posthum sowohl in der Kritischen Theorie als auch in der feministischen und queeren Forschung rezipiert. Ein bedeutendes Element seines Erbes ist die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Naturwissenschaften im Kontext gesellschaftlicher Prozesse und die Notwendigkeit, deren Erkenntnisse historisch zu verankern.
Ein ganzes Leben hat Sohn-Rethel diesem Buch gewidmet. Es ist sein Versuch, die gesamte Philosophie und die mathematisierten Naturwissenschaften marxistisch zu erklären. Kritisch bemängelt er, dass Marx nicht radikal genug gewesen sei und bei der Kritik der politischen Ökonomie stehen geblieben sei, anstatt bis zur Kritik der Erkenntnistheorie vorzudringen. Seine These: Marxisten seien materialistisch in der politischen Ökonomie, aber idealistisch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Für den Kommunismus bedeutet das, dass die mathematisierten Technikwissenschaften mit ihren allgemeinen Gesetzen das Zusammenleben bestimmen würden. Sohn-Rethel zweifelte nicht an der Gültigkeit der Naturwissenschaften, wollte sie jedoch der selbstbestimmten Gesellschaft unterordnen.
Sohn-Rethels Projekt war ehrgeizig: Kants Ansatz, reine vernünftige Kategorien zu bestimmen, sollte durch die Analyse der Warenform ersetzt werden. Die Warenform, so Sohn-Rethel, könne die Denkformen erklären. Diese Denkformen basieren auf der Abstraktion von konkreter körperlichen Arbeit, die sich im Warentausch vollzieht. Das führt zur jahrtausendelangen Spaltung von geistiger und körperlicher Arbeit. Sozialismus, so Sohn-Rethel, könne nur gelingen, wenn beide wieder zu einer Einheit zusammengeführt werden. Sein Ziel war es, die konkreten materiellen Bedingungen zu bestimmen, die diese Einheit auf dem hohen Niveau vergesellschafteter und verwissenschaftlichter Arbeit herstellen können.
Zu Gast bei Alex Demirović ist in dieser Folge der Autor Frank Engster.
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