Episode #129 // Resilienz: Über die Grenzen einer Krisenmentalität // mit Prof. Dr. Jan Slaby
Apr 15, 2025
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Prof. Dr. Jan Slaby, ein Experte für Philosophie des Geistes an der Freien Universität Berlin, und Serap Yemas-Dreger diskutieren die komplexe Bedeutung von Resilienz in der heutigen Arbeitswelt. Sie hinterfragen die Verschiebung der Verantwortung von Systemveränderungen hin zu individueller Belastung. Mit interessanten Metaphern, darunter die einsame Pflanze im Asphalt, wird aufgezeigt, wie echte Transformation oft vernachlässigt wird. Ein neues Konzept der 'Haltung' bietet Lösungen, die sowohl Aushalten als auch aktives Gestalten beinhalten.
Die Wahrnehmung von Resilienz hat sich von einem wissenschaftlichen Begriff zu einer individuellen Erwartung gewandelt, was tiefere gesellschaftliche Probleme ignoriert.
Die Verantwortung für die Bewältigung von Krisen sollte nicht nur beim Individuum liegen, sondern auch gemeinschaftliche Unterstützung und systemische Veränderungen erfordern.
Das neu vorgeschlagene Konzept der Haltung fördert aktives Handeln und Gemeinschaftsverantwortung, anstatt individuelles Leid zu stigmatisieren.
Deep dives
Die Kritik an der Resilienz-Mentalität
Die Diskussion beleuchtet die problematische Wahrnehmung von Resilienz in unserer Gesellschaft, die oft zu einer vagen Erwartung führt, dass Individuen in Krisenzeiten stark sein sollten. Diese Mentalität, die aus Unkenntnis und Scham entsteht, ignoriert die tatsächlichen Herausforderungen, denen Menschen gegenüberstehen, und führt dazu, dass das individuelle Leid nicht ernst genommen wird. Statt einer differenzierten Analyse von Problemen wird oft einfach gefordert, dass sich die Menschen mehr anstrengen, was nicht nur unfair, sondern auch ungezogen ist. Diese einfache Lösung ohne tiefere Einsicht in die gesellschaftlichen Strukturen kann stigmatisierend wirken und trägt zu einer Kultur des Stillhaltens und des Schuldzuweisens bei.
Der Wandel der Resilienz-Definition
Resilienz hat sich von einem ursprünglichen deskriptiven Begriff aus der Materialwissenschaft, der die Fähigkeit von Stoffen beschreibt, sich von Verformungen zu erholen, in einen vagen Begriff ausgeweitet, der häufig in sozialen und psychologischen Kontexten verwendet wird. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren festgestellt, dass die Ursachen für Resilienz komplex sind und nicht allein auf individuelle Fähigkeiten zurückzuführen sind. Die Anwendung des Begriffs auf das Individuum hat oft dazu geführt, dass der Druck steigt, sich in Krisenzeiten anzupassen, ohne die spezifischen Bedingungen zu berücksichtigen. Diese Entwicklung hin zu einem universellen Buzzword verdeckt die notwendigen Analysen der tatsächlichen Problemstellungen, die eine differenzierte Betrachtung erfordern.
Die Aufmerksamkeit auf die kollektive Resilienz
Der Vortrag hebt hervor, dass nicht nur Individuen resilient sein sollten, sondern dass die gesamte Gemeinschaft in den Fokus rücken muss, um nachhaltige Lösungen zu finden. Soziale Unterstützung und Interaktionen innerhalb der Gemeinschaft sind entscheidend, denn die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen, wird durch ein starkes Netzwerk an Beziehungen und Hilfsangeboten verbessert. Der Begriff Haltung wird als produktives Alternativkonzept zur Resilienz vorgeschlagen, das es ermöglicht, aktiv zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Durch das gegenseitige Unterstützen kann die Gemeinschaft letztlich gestärkt werden, ohne dass Einzelne isoliert für ihre Resilienz verantwortlich gemacht werden.
Die Gefahren einer individuellen Perspektive auf Resilienz
Die individualisierte Sicht auf Resilienz führt dazu, dass tiefere strukturelle Probleme wie Ungleichheit und fehlende Unterstützungssysteme übersehen werden. Wenn Unternehmen oder Organisationen sich ausschließlich auf die Resilienz des Einzelnen konzentrieren, ignorieren sie die notwendigen systematischen Anpassungen, die erforderlich sind, um ein förderliches Umfeld zu schaffen. Dies kann paradoxerweise dazu führen, dass Mitarbeiter nicht nur mit physischen, sondern auch mit psychologischen Belastungen kämpfen, die durch Unzulänglichkeiten im System entstehen. Die Verantwortung sollte daher nicht nur bei den Einzelnen liegen, sondern auch in der Verantwortung der Führungskräfte und Entscheidungsträger, sinnvolle Veränderungen vorzunehmen.
Der Einfluss von Resilienz auf die Gemeinschaftsdynamik
Die Erhöhung der Aufmerksamkeit auf Resilienz hat paradoxerweise auch dazu geführt, dass Gemeinschaftsbindungen und zwischenmenschliche Beziehungen unterbewertet werden. Anstatt auf kollektive Unterstützung zu setzen, wird oft die Verantwortung auf das einzelne Individuum übertragen, wodurch das Gefühl der Isolation gestärkt wird. Dies führt dazu, dass echte Bedürfnisse in der Gemeinschaft nicht adressiert werden und die notwendige Solidarität fehlt, um zusammen Krisen zu bewältigen. Letztlich zeigt sich, dass Resilienz nicht nur eine individuelle Tugend, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist, das durch soziale Bindungen und ein respektvolles Miteinander gestärkt werden kann.
Die Haltung als aktive Kraft
Die Erläuterung zur Haltung als aktives Konzept gegenüber der passiven Resilienz ist entscheidend für das Verständnis einer verbesserungsfähigen Gesellschaft. Haltung bedeutet, sich der vorhandenen Herausforderungen bewusst zu werden und aktiv an ihrer Bewältigung teilzuhaben, anstatt lediglich auf die Krise zu reagieren, wenn sie auftritt. In diesem Kontext ist es wichtig, dass jede Person nicht nur für sich selbst, sondern auch in Gemeinschaft Verantwortung übernimmt und damit einen positiven, nachhaltigen Wandel anstößt. Auch sind kleine Handlungsschritte in Gemeinschaften wertvoll, um Resilienz nicht als individuelle Last, sondern als kollektive Stärke zu begreifen.
In Episode 129nehmen wir uns ein aktuelles Buzzword vor. Die Forderung nach mehr Resilienz durchdringt unsere Arbeitswelt wie ein Echo – aber was bedeutet es wirklich, wenn wir ständig “widerstandsfähiger” werden sollen? In dieser faszinierenden Diskussion mit dem Philosophieprofessor Jan Slaby tauchen wir tief in die Wurzeln dieses populären Konzepts ein und decken auf, wie es von einem deskriptiven wissenschaftlichen Begriff zu einem moralischen Imperativ mutiert ist.
Was ursprünglich die Elastizität von Materialien beschrieb, wird heute zur individualisierten Anforderung an Menschen in Krisensituationen. Dabei enthüllen wir die problematische Verschiebung der Verantwortung: Statt Systeme zu verändern, sollen Individuen einfach mehr aushalten. Diese “Halbierung des Handlungsvermögens” fokussiert auf das passive Erleiden, während der aktive, gestalterische Teil des menschlichen Handelns vernachlässigt wird.
Besonders erhellend ist die Parallele zum deutschen “Rumpelfußball” früherer Zeiten: Wenn komplexe Probleme bestehen, ist die Forderung nach mehr persönlichem Einsatz oft nur ein Deckmantel für fehlende systemische Lösungen. Die Metapher der einsamen Pflanze im Asphalt verdeutlicht dieses Dilemma – ein Leben in der Schrumpfform statt echter Transformation.
Doch wir bleiben nicht bei der Kritik stehen! Mit dem Konzept der “Haltung” bieten wir eine bereichernde Alternative, die sowohl das Aushalten als auch das aktive Gestalten umfasst. Nicht als individualistisches Unterfangen, sondern als gemeinschaftliche Praxis. Denn am Ende sind es nicht die einsamen Prepper, die Krisen überstehen, sondern Menschen in funktionierenden sozialen Netzwerken, die füreinander sorgen.
Shownotes:
Jan Slaby, Kritik der Resilienz, Aufsatz
Timothy Snyder, Bloodlands, Buch
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