Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker und Professor an der Columbia University, analysiert mit Jörg Haas und Sarah Ribbert die anhaltenden Preissteigerungen seit 2021. Er unterscheidet zwischen Inflation und Preisschocks und beleuchtet die Auswirkungen auf Reallöhne in Europa. Tooze diskutiert die Rolle der Zentralbanken und die Notwendigkeit zur Diversifizierung von Energiequellen. Zudem wird die komplexe Beziehung zwischen Klimapolitik und Inflation thematisiert, insbesondere wie CO2-Preise als steuerndes Instrument fungieren können.
Die Preiserhöhungen seit 2021 sind vor allem auf sektorale Preisschocks zurückzuführen, die durch den Ukraine-Krieg verursacht wurden.
Hohe Zinsen könnten kapitalintensive Projekte der erneuerbaren Energien gefährden, was die Energiewende langfristig beeinträchtigen könnte.
Deep dives
Die Ursachen der Preissteigerungen
Die Preiserhöhungen, die seit 2021 in vielen Ländern stattfanden, wurden als Preisschocks in spezifischen Sektoren wie Energie und Lebensmittel identifiziert. Adam Tooze betont, dass die Inflation in Europa nicht auf eine generalisierte Preis- und Lohnbewegung zurückzuführen sei, sondern auf temporäre, sektorale Preisschocks. Diese waren vor allem das Resultat des Ukraine-Kriegs, der die Energie- und Lebensmittelpreise weltweit beeinflusste. Im Gegensatz dazu erlebten die USA tatsächlich eine breitere Inflation, da hier die Preiserhöhungen auch den Dienstleistungssektor erfassten und ansteigende Löhne eine Rolle spielten.
Reallohnkürzungen und ihre Auswirkungen
In Europa führten die Preisschocks zu erheblichen Reallohnkürzungen, was bedeutet, dass die Löhne nicht mit der Inflation Schritt hielten. Tooze erklärt, dass in Europa die Löhne teilweise um bis zu 7 Prozent hinter der Inflationsrate zurückblieben und dadurch die Kaufkraft der Arbeiter stark beeinträchtigt wurde. Dies führte zu einer Verschiebung des finanziellen Drucks von Produzenten und Arbeitgebern auf die Arbeitnehmer, die an den steigenden Lebenshaltungskosten litten. Der Hauptzustand dieser wirtschaftlichen Situation ließ sich also nicht als Inflation definieren, sondern als eine Umverteilung von Vermögen zwischen Arbeitnehmern und Produzenten.
Zinspolitik und ihre Folgen für den Klimaschutz
Die Diskussion um die Zinspolitik und ihre Auswirkungen auf die Inflationsbekämpfung wirft Fragen auf über die langfristigen Folgen für die Energiewende. Zu hohe Zinsen hemmen kapitalintensive Projekte in den erneuerbaren Energien, da die Finanzierung teuer wird und viele Projekte sich unter diesen Bedingungen nicht mehr rentieren. Es wird argumentiert, dass die Risiken, die mit hohen Zinsen verbunden sind, besonders für Privatunternehmen und Schwellenländer problematisch sind. Eine staatlich unterstützte Kreditpolitik könnte jedoch dafür sorgen, dass grüne Investitionen gefördert werden, ohne dass der Preis für die Energiewende auf den Schultern der Bevölkerung lastet.
Alternative Ansätze zur Inflationsbekämpfung
Isabella Weber und ihre Kollegen schlagen alternative Instrumente gegen Inflation vor, wie Preisbremsen und Puffervorräte, um Energie- und Lebensmittelpreise zu stabilisieren. Tooze argumentiert, dass die politischen Diskussionen um Inflationsbekämpfung bereits traditionelle Denkweisen über Geldpolitik und Zinssätze herausfordern. Die Schaffung von Puffervorräten könnte eine Möglichkeit sein, den Markt in Zeiten von Preisschocks zu stabilisieren und soziale Härten abzufedern. Wichtig sei, dass eine breite Diskussion über die Vor- und Nachteile solcher Ansätze stattfindet, um auf die ungewisse Zukunft und die steigenden Ungleichheiten in der Gesellschaft zu reagieren.
Erst brachen während der Corona-Pandemie Lieferketten zusammen, dann schossen Getreide- und Strompreise aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine in die Höhe: Seit 2021 erleben wir eine weltweite Welle von Preissteigerungen. Verbraucher*innen rund um den Globus zahlen spürbar mehr für Lebensmittel und Energiekosten. Obwohl die Zentralbanken entschlossen mit Zinssenkungen reagiert haben und der Höhepunkt überstanden scheint, bleiben viele Preise auf hohem Niveau.
Mit dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze sprechen wir über die Hintergründe und Folgen dieser globalen Entwicklung. Wann handelt es sich um Inflation und wann eher um Preisschocks? Welche Maßnahmen können helfen, diese zu durchbrechen? Welche Auswirkungen hat Inflation und Inflationsbekämpfung auf die Energiewende? Und umgekehrt, wie beeinflussen Klimawandel und Klimapolitik die Inflation?
Adam Tooze ist Professor an der Columbia University in New York, zuvor lehrte er in Yale und Cambridge. 2019 zeichnete ihn das Foreign Policy Magazine als einen der 10 bedeutendsten Wirtschaftsdenker des Jahrzehnts aus. Sein Newsletter "Chartbook" informiert über globale Krisen und Trends.
Hosts: Jörg Haas und Sarah Ribbert, Referat Globalisierung und Transformation, Heinrich-Böll-Stiftung
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