#327 Erklär mir die Geschichte Israels, Michael Brenner
Dec 3, 2024
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Michael Brenner, Historiker und Lehrstuhlinhaber für Jüdische Geschichte an der LMU, erklärt die faszinierende Geschichte Israels. Er spricht über den Zionismus und die Gründung des Staates, der Juden Schutz bot, aber auch Palästinenser verdrängte. Brenner thematisiert die Radikalisierung beider Seiten und die verpassten Chancen in der Geschichte, die viel Leid hätten verhindern können. Dabei wird deutlich, wie sich der ursprüngliche Gedanke eines liberalen Israel gewandelt hat und wie wichtig das Verständnis der komplexen Narrative ist.
Die jahrtausendlange Geschichte der Juden als Minderheit führte zu kulturellen Identitäten und Vorurteilen, die bis heute herausfordernd sind.
Der Zionismus entstand als Gegenreaktion auf Antisemitismus und forderte die Schaffung eines eigenen jüdischen Staates in Palästina.
Die Gründung Israels 1948 und die anschließenden Konflikte mit den arabischen Nachbarn führten zur Vertreibung vieler Palästinenser und zur Nakba.
Um Frieden zwischen Juden und Palästinensern zu erreichen, ist ein tiefes Verständnis beider Narrative und ihrer historischen Kontexte erforderlich.
Deep dives
Die Entwicklung des Judentums über Jahrhunderte
Juden haben sich über 2000 Jahre als ein spezielles Volk verstanden, das oft in Minderheit lebte und von außen als "die ewig Anderen" wahrgenommen wurde. Diese permanente Minderheitenstellung führte zu einer Außenseiterrolle, während die Juden in verschiedenen Ländern lebten. In der Antike gab es sogar Phasen, in denen die Juden als eigenständige Nation agierten, bevor sie durch Exile und Diaspora geprägt wurden. Durch diese Geschichte entstanden Vorurteile, die bis heute eine Herausforderung darstellen, sei es durch Verschwörungstheorien oder soziale Ausgrenzung.
Das Exil und der Monotheismus
Die Rolle des Exils in der jüdischen Geschichte begann mit der Zerstörung des ersten Tempels im sechsten vorchristlichen Jahrhundert und wurde entscheidend durch das zweite Exil nach der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70 n.Chr. Viele Juden lebten fortan in der Diaspora, was zu einer Vielzahl von kulturellen Identitäten führte. Eine bedeutende kulturelle Innovation war der Monotheismus, der das Judentum von anderen Religionen abhob. Diese Exilsituation machte es für die Juden notwendig, sich kulturell und religiös zu definieren, ohne einen eigenen Staat zu besitzen.
Christentum und Antisemitismus
Die Beziehung zwischen Judentum und Christentum war oft von Konflikten geprägt, insbesondere in der Frage der Messiaserwartung. Während Christen Jesus als Messias ansehen, haben Juden ihre eigene messianische Erwartung, die oft zu Spannungen führte. Außerdem entstand ein ambivalentes Verhältnis, in dem Juden einerseits als das Volk Gottes gesehen wurden, andererseits aber auch als Ungläubige und Ziel von Diskriminierung. Der Antisemitismus wuchs über die Jahrhunderte und fand seinen kulminierenden Ausdruck im Holocaust, einem tragischen Höhepunkt in der Geschichte der Verfolgung von Juden.
Der Aufstieg des Zionismus
Zionismus entstand spät im 19. Jahrhundert als Antwort auf den anhaltenden Antisemitismus und die nationalistische Bewegung in Europa. Theodor Herzl, als eine zentrale Figur des politischen Zionismus, forderte in seinem Buch "Der Judenstaat", dass Juden ein eigenes Land benötigen. Herzl suchte aktiv Unterstützung von europäischen Staaten und setzte sich für die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina ein. Diese Bewegung fand Unterstützung bei viele Juden, insbesondere jenen, die aus osteuropäischen Ländern flohen, und markierte den Beginn einer massiven Einwanderung nach Palästina.
Die Balfour-Deklaration und die Folgen
Die Balfour-Deklaration von 1917 versprach, eine nationale Heimstätte für Juden in Palästina zu schaffen, was auf zionistische Bestrebungen zurückzuführen ist. Diese Erklärung wurde jedoch in einer Zeit gemacht, in der die Briten sich politisch durch den Ersten Weltkrieg neu orientieren wollten. Das Mandat für Palästina nach dem Krieg führte zur Zunahme jüdischer Migration, was zu Konflikten mit der arabischen Bevölkerung führte. Der UN-Teilungsplan von 1947 und die unabhängige Staatsgründung Israels 1948 waren weitere Schlüsselereignisse, die die Spannungen zwischen Juden und Arabern weiter verschärften.
Konflikte und Kriege nach der Staatsgründung Israels
Nach der Gründung Israels kam es sofort zu Kriegserklärungen von arabischen Staaten, was die erste Phase eines langanhaltenden Konflikts einleitete. Israel kämpfte gegen mehrere arabische Nachbarn, konnte sich aber militärisch durchsetzen und Teile des ursprünglichen Mandatsgebiets erobern. Dies führte zur Vertreibung vieler Palästinenser, die die Nakba, oder "Katastrophe", bezeichneten. Die nachfolgenden Kriege, darunter der Sechstagekrieg von 1967, festigten Israels Kontrolle über weitere Gebiete und lösten eine neue Welle von Konflikten und Spannungen aus.
Ausblick auf Frieden und Zusammenleben
Die Aussichten auf Frieden zwischen Juden und Palästinensern erscheinen momentan düster, da beide Seiten durch Radikalisierung und einseitige Ideologien geprägt sind. Historiker betonen jedoch, dass ein Verständnis beider Narrative notwendig ist, um eine Zukunft des friedlichen Zusammenlebens zu ermöglichen. Trotz wiederholter gescheiterter Friedensverhandlungen gibt es Ansätze und Gedanken zu Koexistenz, die auf Hoffnung schließen lassen. Eine Einsicht ist, dass beide Völker, egal wie die politische Situation aussieht, letztendlich zusammenleben müssen.
Heiliges Land, moderner Staat: Die Geschichte Israels, erklärt. Über einen Staat, der für ein Volk die Rettung war und dabei ein anderes verdrängte. Über Juden als ewig Andere, vom Zionismus zu Kriegen, religiösen Fundis und ein heute anderes Israel. Historiker Michael Brenner ordnet ein.
🙆 Michael Brenner ist Historiker. Er ist Lehrstuhlinhaber für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Es hätte anders kommen können. No na. Aber es gab in der Geschichte Israels und Palästinas einige Abzweigungen, die viel Leid ersparen hätten können, die nicht genommen wurden. Etwa wenn 1947 die arabischen Länder die Teilung Palästinas in zwei Staaten akzeptiert hätten.
Beide haben sich radikalisiert. Die zionistische Grundidee war ein Staat für die Juden, der aber säkular und liberal ist. In den vergangenen Jahrzehnten ist Israel zunehmend nach rechts gerückt, Orthodoxe und jüdische Fundamentalisten und Siedler geben immer mehr den Ton an. Auch die Palästinenser haben sich radikalisiert. Auf beiden Seiten geben die falschen Leute, die Radikalen, den Ton an.
Ein Volk gerettet, ein anderes verdrängt. Die Analogie von Michael finde ich sehr einleuchtend: Ein Mann, der aus einem brennenden Haus springt und auf einem anderen landet. Natürlich war es legitim, das er springt und natürlich ist es nachvollziehbar, dass sich der verletzte Mann ärgert. Das brennende Haus ist Europa, mit Progromen in Osteuropa und der Nazi-Zeit und vielem mehr, der verletzte Mann sind die arabischen Palästinenser.
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