Putin, Syrien und die Folgen (Tag 1021 mit Prof. Sönke Neitzel)
Dec 10, 2024
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Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam, spricht über die kritische Lage in der Ukraine und die geopolitischen Spannungen in Syrien. Er warnt vor Putins möglichen aggressiven Schritten und fordert zügige Reformen in der Bundeswehr. Ein zögerlicher Westen könne den Konflikt nicht aufhalten, sagt Neitzel. Er kritisiert das Prinzip Hoffnung bezüglich Friedensverhandlungen mit Russland und hebt die Herausforderungen für die NATO hervor. Zudem beleuchtet er strategische Interessen und die militärhistorische Rolle Russlands im Syrien-Konflikt.
Die Unentschlossenheit des Westens im Ukraine-Konflikt gefährdet die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gegenüber Russland nachhaltig.
Historiker Neitzel betont die Notwendigkeit schneller Reformen der Bundeswehr, um deutsche Soldaten im Konfliktfall zu schützen.
Zugeständnisse von Russland sind unrealistisch, solange Putin nicht bereit ist, ernsthafte Verhandlungen über den Frieden zu führen.
Deep dives
Überraschungsmomente im Krieg
Kriege sind oft von Überraschungen geprägt, bei denen die Planung der Akteure entgleitet. Historische Beispiele wie der schnelle Sieg der Taliban in Afghanistan oder die überraschenden Kursgewinne der Ukraine während ihrer Offensive verdeutlichen diese Dynamik. Aktuelles Geschehen in Syrien zeigt, wie die Asad-Regierung und ihre Verbündeten, trotz technologischer Überlegenheit, unvorbereitet auf militärische Rückschläge reagiert haben. Diese unerwarteten Wendungen hinterfragen die Vorhersehbarkeit kriegerischer Ereignisse und die Möglichkeit der Kontrolle durch die involvierten Parteien.
Mangel an westlichem Handeln
Der Westen zeigt sich in der aktuellen Situation der Ukraine unentschlossen und nicht gewillt, ausreichend Unterstützung zu leisten, um den russischen Vormarsch zu stoppen. Historiker Neitzel kritisiert, dass es an entschlossenem Handeln fehle, ähnlich den Maßnahmen, die während des Zweiten Weltkriegs ergriffen wurden. Er argumentiert, dass die Unterstützung der Ukraine massiv ausgebaut werden müsse, um eine realistische Chance gegen Russland zu haben. Bislang scheinen die Reaktionen des Westens jedoch unzureichend und oft zögerlich zu sein.
Russlands militärische Strategie
Russland unterhält eine massive militärische Präsenz und führt einen Abnutzungskrieg gegen die Ukraine, dabei erlangt es zwar Geländegewinne, hat jedoch gleichzeitig hohe Verluste zu beklagen. Der Verlauf der Kämpfe zeigt, dass Russland darauf abzielt, die Ukraine dauerhaft unter Druck zu setzen. Historiker Neitzel hebt hervor, dass die Ukraine noch immer nicht bewertet werden kann, ob sie in der Lage ist, eine effektive Verteidigung aufrechtzuerhalten. Der Verlust strategischer Gebiete könnte sich als entscheidend für den weiteren Verlauf des Krieges erweisen.
Die Unsicherheit der Diplomatie
Es gibt einen wachsenden Wunsch nach Diplomatie im Westen, jedoch bleibt fraglich, ob dieser Wunsch realistisch ist, solange Russland nicht bereit ist, ernsthaft zu verhandeln. Historische Vergleiche zeigen, dass frühere Waffenstillstände oft nur temporär waren und Konflikte später erneut aufflammten. Der ukrainische Präsident Zelensky drängt auf Sicherheitsgarantien, während Putin kein Interesse an Zugeständnissen zeigt, die den ukrainischen Staat gefährden könnten. Neitzel weist darauf hin, dass Lösungen die geopolitischen Realitäten nicht ignorieren können.
Dringlichkeit der Bundeswehrreformen
Angesichts der sich verschärfenden sicherheitspolitischen Lage sollte Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit dringend reformieren, um auf potenzielle Konflikte vorbereitet zu sein. Historiker Neitzel warnt davor, dass ungenügende Reformen das Leben deutscher Soldaten gefährden könnten. Der Erfolg der Bundeswehr hängt maßgeblich von der politischen Willensbildung und dem klaren Fokus auf Verteidigungsstrategien ab. Ein Versäumnis in der Aufrüstung und Vorbereitung könnte verheerende Konsequenzen nach sich ziehen, sollte es zu einem bewaffneten Konflikt kommen.
In Syrien ist Machthaber Assad Geschichte, die siegreiche Rebellenallianz ist dabei, eine Übergangsregierung zu bilden. Im Schatten der Ereignisse in Nahost geht der Krieg in der Ukraine weiter. Über die aktuelle Lage, den Besuch von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in Kiew und ein Interview des designierten US-Präsidenten Donald Trump zur Zukunft der NATO berichtet Carsten Schmiester. Beim Bündnis warnt man vor einem bedrohlichen Erstarken Russlands in den kommenden Jahren. Auch der Militärhistoriker Sönke Neitzel hält es im Gespräch mit Host Kai Küstner für wahrscheinlich, dass Machthaber Putin in absehbarer Zeit das Bündnis in einem lokalen militärischen Konflikt auf die Probe stellen wird. Darauf müsse die Bundeswehr in viel größerem Tempo vorbereitet sein, Reformen dürften nicht verschleppt werden: „Jeder Schritt, den wir jetzt nicht tun, wird im Konfliktfall das Blut unserer Soldaten kosten.“ Das müsse man den Politikern ins Gesicht sagen, so Professor Neitzel. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine attestiert er dem Westen fehlendes „entschlossenes Handeln“. Man sei nicht bereit, den russischen Vormarsch aufzuhalten. Vielmehr regiere das Prinzip Hoffnung. Und das auch in Bezug auf mögliche Verhandlungen mit Putin. Darauf zu vertrauen, dass der ernsthaft Frieden wolle, sei aber naiv. Auch um Syrien und die Folgen für Russland und die Ukraine dreht sich das Interview.
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