#616 - Ronen Steinke über Klassenjustiz, Völkerrecht und Kriegsverbrechen
Dec 22, 2022
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Zu Gast ist Ronen Steinke, Jurist und Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, spezialisiert auf Völkerrecht und Kriegsverbrechen. Er diskutiert die Ungleichheiten im deutschen Rechtssystem und die Problematik der Klassenjustiz, die benachteiligte Gruppen härter bestraft. Auch die Rolle der Nürnberger Prozesse und der Internationale Strafgerichtshof werden beleuchtet. Zudem thematisiert er Antisemitismus und den Umgang mit Rechtsextremismus sowie die Fragilität des Rechtsstaats im Kontext von sozialen Herausforderungen und internationalen Verbrechen.
Ronen Steinke thematisiert die ungleiche Behandlung von sozial benachteiligten Menschen im deutschen Justizsystem, die auf Klassenjustiz hinweist.
Der Jurist kritisiert die juristische Ausbildung in Deutschland, die oft nicht genug auf Empathie und kritisches Denken fokussiert ist.
Steinke beleuchtet, dass die Verfolgung von Drogenstraftaten stark klassenabhängig ist und systematische Ungerechtigkeiten verstärkt.
Ein zentrales Anliegen von Steinke ist die Notwendigkeit, Armut im Justizsystem nicht zu bestrafen, sondern sozialpolitisch anzugehen.
Antisemitismus bleibt ein ernstes Problem in Deutschland, das stärkere Maßnahmen zum Schutz jüdischer Gemeinden erfordert.
Deep dives
Ronen Steinke und sein Engagement für gerechte Justiz
Ronen Steinke, Jurist und Autor, widmet sich intensiv den Themen Recht und Gerechtigkeit. Er sieht darin eine bedeutende Verantwortung, nach der Idee einer fairen Gesellschaft zu streben. Dies motoviert ihn, über die Probleme von Armut und Ungerechtigkeit in den rechtlichen Rahmenbedingungen zu schreiben. Ein zentrales Anliegen ist es, Diskussionen über die ungleichen Chancen vor Gericht zu führen, insbesondere für sozial benachteiligte Personen.
Herausforderungen des juristischen Bildungssystems
Steinke äußert seine Bedenken über das Ausbildungssystem für Juristen in Deutschland, das stark auf technische Aspekte fokussiert ist. Die juristische Ausbildung tendiert dazu, die Studierenden auf trockene Fakten und Regelwerke zu konditionieren, anstatt kritisches Denken oder Empathie zu fördern. Dies kann zu einer mangelnden Sensibilität für soziale Gerechtigkeit im späteren Berufsleben führen. Steinke plädiert für eine Reform, die den Fokus breiter fächert und auch vergangene Ungerechtigkeiten in den Lehrplan einbezieht.
Die Ungleichheit im Strafjustizsystem
In Deutschland zeigt sich eine klare Klassenjustiz, die reiche und arme Menschen unterschiedlich bestraft. Hoeneß, dessen Steuerhinterziehung deutlich höhere Strafen anrichtete als das vorab besprochene Beispiel einer Hartz-IV-Empfängerin, wurde weniger hart bestraft. Dies verdeutlicht ein System, das von sozialen Hintergründen und wirtschaftlichem Status geprägt ist. Steinke argumentiert, dass dies nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch rechtlich betrachtet werden muss.
Die Problematik der Ersatzfreiheitsstrafe
Die Ersatzfreiheitsstrafe betrifft Personen, die eine Geldstrafe nicht zahlen können, wodurch sie oft ins Gefängnis müssen. Steinke erklärt, dass auch bei dieser Regelung Armut bestraft wird und nicht das Vergehen selbst. Menschen, die oft unter psychischen oder sozialen Schwierigkeiten leiden, landen dann im Gefängnis für Vergehen, die ohne finanzielle Hürden nicht so gravierend wären. Dieser Missstand muss durch eine Reform des Justizsystems dringend angegangen werden.
Unterschiede in der Wahrnehmung von Drogenstrafen
Steinke beleuchtet die soziale Ungerechtigkeit bei der Verfolgung von Drogenstraftaten, die stark klassenabhängig ist. Der Fokus liegt häufig auf armen, oft migrantischen Tätern, während die wohlhabenden Drogenkonsumenten in Clubs und privaten Kreisen weniger ins Visier der Staatsanwaltschaft rücken. Dies führt zu einem ungleichen Strafmaß und verstärkt die Ungerechtigkeiten im System. Die gesellschaftliche Kontrolle sorgt dafür, dass arme Menschen in der Öffentlichkeit härter bestraft werden als reiche.
Symbolik des Gefängnisses und Verdrängung von Problemen
Das Gefängnis wird häufig als Lösung für Jugendkriminalität und soziale Probleme betrachtet, während echte Lösungen ignoriert werden. Steinke argumentiert, dass das Wegsperren von Menschen, oft in Untersuchungshaft, die Probleme nicht löst, sondern nur temporär vertreibt. Stattdessen sollte die Gesellschaft sich stärker für Prävention und Unterstützung von Menschen einsetzen, die aus prekären Verhältnissen kommen. Diese Sichtweise stellt die Frage nach der Effektivität und Menschlichkeit der aktuellen Justizpraktiken.
Kritik an der Rolle der Bewährungshilfe
Steinke äußert Bedenken über die Qualität und Quantität der Bewährungshilfe in Deutschland, die oft am Limit der Kapazitäten arbeitet. Bewährungshelfer haben häufig zu viele Fälle und zu wenig Zeit, um jedem Klienten die notwendige Unterstützung zu bieten. Dies kann dazu führen, dass viele Betroffene nicht die Hilfe erhalten, die für ihre Integration in die Gesellschaft erforderlich ist. Eine Aufstockung des Personals und Ressourcen könnte helfen, um effizientere Unterstützung zu leisten.
Das Thema Antisemitismus und sein Umgang im Rechtsstaat
Antisemitismus bleibt ein zentrales Thema in Deutschland, und Steinke beleuchtet die Herausforderungen, die hier bestehen. Er hebt hervor, wie im Kontext von jüdischen Gemeinden bei Straftaten oft keine ausreichenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden. Dies führt zu einem Ansammeln von Gefahren für jüdisches Leben in Deutschland. Steinke fordert ein stärkeres Engagement der Polizei und der Gesellschaft, um das jüdische Leben zu schützen und zu fördern.
Die politische Dimension des Justizsystems
Steinke thematisiert, dass die Politik oft nicht in der Lage ist, den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit im Justizsystem nachzukommen. Der Einfluss mächtiger Lobbys und die Angst vor politischen Konsequenzen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Es ist notwendig, dass sich Parteien und Entscheidungsträger für die Rechte von sozial Benachteiligten einsetzen und Lösungen finden. Nur durch einen starken politischen Willen können diese strukturellen Probleme im Justizsystem nachhaltig angegangen werden.
Die Notwendigkeit von Reformen
Steinke plädiert zusammenfassend für tiefgreifende Reformen im deutschen Strafjustizsystem, um die bestehenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Ein Ansatz könnte die Einführung von Spezialgerichten sein, die sich gezielt um soziale Probleme und deren Härte kümmern. Es ist unerlässlich, dass das Justizsystem auch eine menschenfreundliche Basis hat und nicht nur rein rechtlich betrachtet wird. Dies erfordert eine Gesellschaft, die bereit ist, Verantwortung für alle ihre Mitglieder zu übernehmen.
Politik für Desinteressierte
Zu Gast im Studio: Jurist Ronen Steinke. Jahrgang 1983, Jura- und Kriminologiestudium, im Völkerstrafrecht promoviert. Seit 2011 bei der Süddeutschen Zeitung, zwischendurch Gastwissenschaftler am Fritz-Bauer-Institut für Holocaustforschung. Wir sprechen über Antisemitismus, Rechtsextremismus und Klassenjustiz in Deutschland
Ein Gespräch über Ronens Lebensweg, seine Spezialisierung, Fritz Bauer, Völkerrecht und Kriegsverbrechertribunale, die Nürnberger Prozesse, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, das Problem mit den fünf Vetomächten, seine Arbeit für die SZ, Antisemitismus in Deutschland und das systematische Versagen des Staates, strukturelle Probleme bei Polizei und Justiz, Rechtsextremismus, Reichsbürger und Klimaaktivisten sowie die Klassenjustiz in Deutschland und warum arme Menschen vor dem Recht benachteiligt sind + eure Fragen
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