Richard David Precht im Talk: »Ich kenne nicht einen einzigen Menschen, der seine Kinder in den Krieg schicken würde«
Apr 9, 2025
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Richard David Precht, ein renommierter deutscher Philosoph und Bestsellerautor, diskutiert die brisanten Themen rund um militärische Ausgaben und die geopolitischen Herausforderungen, insbesondere im Kontext des Ukraine-Konflikts. Er kritisiert die Priorisierung von Rüstung über Klimaschutz und beleuchtet die unzureichende Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Außerdem reflektiert er über die Auswirkungen der Pandemie auf gesellschaftliches Vertrauen und ethische Fragestellungen. Precht teilt zudem persönliche Erfahrungen aus seiner Kindheit, die seine Sichtweise geprägt haben.
Richard David Precht kritisiert die massive Rüstungsinvestition Deutschlands und plädiert für Mittelgebrauch in nachhaltige Projekte zur Bewältigung von Klimaherausforderungen.
Die Diskussion über militärische Aufrüstung wird als polarisiert wahrgenommen, da ein einheitliches Bedrohungsverständnis in der Bevölkerung fehlt.
Precht betont die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Reflexion über Krieg und Verteidigung, um eine informierte Debatte über militärische Verpflichtungen zu führen.
Deep dives
Aufrüstung und Ressourcenverschwendung
Deutschland investiert in ein umfangreiches Rüstungsprogramm von 800 Milliarden Euro bis 2030, während gleichzeitig erhebliche Wirtschaftsressourcen für Innovationen und nachhaltige Lösungen benötigt werden. Diese massive Rüstungsinvestition wird als volkswirtschaftlich unproduktiv kritisiert, da die Produktion von Rüstungsgütern letztlich zu einer Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung führt. Es wird argumentiert, dass diese Gelder sinnvoller in zukunftsorientierte Projekte investiert werden sollten, um die drohenden Herausforderungen des Klimawandels und der technologischen Innovation zu bewältigen. Die Aussetzung der Schuldenbremse für militärische Zwecke stellt eine verpasste Gelegenheit dar, um in prosperierende Wirtschaftssektoren zu investieren, die die Gesellschaft langfristig stärken könnten.
Bewertung der Bedrohungslage
Die Diskussion über die Notwendigkeit der Rüstungssteigerung wird als unzureichend und polarisierend wahrgenommen, da es an einer objektiven Einschätzung der tatsächlichen Bedrohungslage fehlt. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint uneinig darüber zu sein, ob und in welchem Maße Deutschland tatsächlich bedroht ist. Dies führt zu einer debattierten Sichtweise, die den militärischen Provokationen der uns als Autorität bezeichneten Regime gerecht werden soll. Die Frage, ob es wirklich notwendig ist, sich militärisch so stark aufzurüsten, bleibt in der öffentlichen Diskussion weiterhin umstritten.
Expertenwissen und allgemeine Auffassungen
Es wird in Frage gestellt, ob Militärexperten als alleinige Autoritäten in sicherheitspolitischen Fragen eingestuft werden sollten, da ihr Wissen oft begrenzt ist und sie nicht immer die geopolitischen Konsequenzen ihrer Einschätzungen vollständig berücksichtigen. Oft haben Politiker und Allgemeinheit eine breitere Perspektive auf gesellschaftliche Auswirkungen, die über rein militärische Expertise hinausgeht. Auch andere Experten, wie Virologen während der Corona-Pandemie, haben gezeigt, dass ihre Meinungen nicht die einzig gültigen und massenrelevanten sein müssen. Dies zeigt die Notwendigkeit, Meinungen zu divergieren und selbstkritisch abzuwägen, um eine informierte öffentliche Debatte über relevante Themen zu führen.
Militärische Reaktionen und geopolitische Spannungen
Ängste bezüglich eines möglichen russischen Angriffs auf baltische Staaten werden als übertrieben betrachtet, insbesondere da die militärischen Erfolge Russlands in der Ukraine nicht den anfänglichen Prognosen entsprochen haben. Die Vorberichterstattung über russische Militärübungen wird kritisch hinterfragt, um realistische Einschätzungen über mögliche Angriffe zu fördern, anstatt sich von alarmierenden Spekulationen leiten zu lassen. Diese Perspektive thematisiert die Dynamik zwischen NATO- und russischen Militäraktionen und betont die Gefahr einer eskaalierenden Konfliktdynamik, die durch übertriebene militärische Rhetorik nur weiter angeheizt wird. Dialog und diplomatische Kanäle werden als wesentlich erachtet, um einer ständigen Rüstungsdynamik entgegenzuwirken.
Gesellschaftliche Entwicklungen und Werte
Eine tiefere gesellschaftliche Reflexion über den Krieg und den Verpflichtungen zur Verteidigung von Werten wird als notwendig erachtet, um die Sichtweise der heutigen Jugend hinsichtlich Wehrdienst und militärischer Verpflichtungen zu verstehen. Die gesellschaftlichen Bedingungen und die Historie prägen die Akzeptanz einer militärischen Ausrichtung in der deutschen Bevölkerung, was zu einem kritischeren Umgang mit dem eigenen Militär führt. Die Vorstellung, dass Durchschnittsfamilien ihre Kinder in den Krieg schicken würden, wird als unrealistisch beschrieben, da die meisten Menschen nicht daran interessiert sind, ihre Angehörigen solchen Gefahren auszusetzen. Die Werte und Ansichten der heutigen Generation bezüglich der Verteidigung und des Krieges werden als stark von einem Überflussdenken und einer Sensibilisierung geprägt wahrgenommen.
Für viele Deutsche war er die Einstiegsdroge in die Philosophie. Für viele andere ist er lediglich ein eitler Gockel. Seine Bücher sind Bestseller, seine Haltung zu verschiedensten Themen, insbesondere zum Krieg in der Ukraine und zur Aufrüstung, polarisiert stark, vor allem seit er wöchentlich mit Markus Lanz podcastet. Zerstört der Haus- und Hofphilosoph des linksliberalen Bürgertums gerade sein Lebenswerk? Oder werden wir mit etwas zeitlichem Abstand feststellen: Der Mann hatte leider gar nicht mal so unrecht? Herzlich willkommen: Richard David Precht.
Laut seiner Ansicht sei die Bundeswehr selbst mit Milliardeninvestitionen nicht einsatzbereit, solange ihr die Soldaten fehlen, so Precht. »Selbst wenn wir jetzt investieren in KI und Cyberkriegsführung – wir könnten keinen Krieg führen.« Der gesellschaftliche Wandel lasse sich nicht einfach zurückdrehen. »Der Sensibilisierungsprozess, den wir in unserer Gesellschaft durchlaufen haben, lässt sich nicht in drei oder vier Jahren außer Kraft setzen.« Wer heute geboren werde, sei ein Kind »einer Überfluss- und Hochsensibilisierungsgesellschaft«.
Das SPIEGEL-Spitzengespräch ist der Talk für alle, die politisch mitreden wollen. Markus Feldenkirchen ist Autor im Hauptstadtbüro des SPIEGEL und empfängt hier regelmäßig Gäste aus dem politischen Deutschland. Im Einzelgespräch oder in kleiner Runde bespricht er die gesellschaftlich und politisch relevanten Themen unserer Zeit.
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