Michael Sandel: Das Leistungsdenken zersetzt unsere Gesellschaft
Oct 1, 2022
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Michael Sandel, Professor an der Harvard Universität und einer der prominentesten Philosophen, diskutiert die Gefahren des Leistungsdenkens in unserer Gesellschaft. Er hinterfragt das Credo, dass harter Arbeit automatisch zu Erfolg führt, und zeigt auf, dass Misserfolg oft nicht selbstverschuldet ist. Das Gespräch beleuchtet die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem und die Auswirkungen der Pandemie auf die Wahrnehmung von Erfolg. Sandel plädiert für eine Rückbesinnung auf den Gemeinsinn und die Würde der Arbeit, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Michael Sandel kritisiert die Meritokratie, da sie die Rolle von Glück und sozialen Umständen im Erfolg ignoriert und soziale Ungleichheiten perpetuiert.
Er betont die Notwendigkeit, die Würde der Arbeit zu schätzen und die gesellschaftlichen Werte neu zu verhandeln, um das Gemeinwohl zu fördern.
Deep dives
Der Einfluss von Glück auf den Erfolg
Erfolg wird oft als Resultat von persönlichem Verdienst und Anstrengung angesehen, doch Michael Sandel betont, dass Glück und zufällige Lebensumstände eine entscheidende Rolle spielen. Er beschreibt, wie seine eigene Bildung und Karriere stark von den Möglichkeiten geprägt wurden, die ihm als Kind in einer unterstützenden Familie geboten wurden. Diese Perspektive führt zu der Überlegung, dass nicht jeder, der sich anstrengt, zwangsläufig auch Erfolg hat, da viele Menschen mit ungleichen Startbedingungen konfrontiert sind. Die Vorstellung, dass Erfolg ausschließlich auf individueller Leistung beruht, kann dazu führen, dass die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten in der Gesellschaft ignoriert werden.
Die dunkle Seite der Meritokratie
Die Meritokratie, das Prinzip, dass Menschen basierend auf ihrer Leistung belohnt werden, hat auch ihre Schattenseiten. Sandel argumentiert, dass erfolgreiche Menschen oft dazu neigen, ihren Erfolg als völlig selbstverdient zu betrachten und die strukturellen Ungleichheiten zu übersehen, die anderen den Zugang zu gleichen Möglichkeiten verwehren. Dieses Denken kann zu einer Überheblichkeit führen, bei der die weniger Erfolgreichen als faul oder unmotiviert abgestempelt werden. Diese Haltung trägt zur Polarisierung der Gesellschaft und zu einem gestörten gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, da die Gewinner der Leistungsgesellschaft die Verlierer oft nicht ernst nehmen.
Die Notwendigkeit der sozialen Anerkennung
Sandel hebt hervor, dass die Gesellschaft ein besseres Verständnis dafür entwickeln muss, was als wertvolle Arbeit betrachtet wird. Während viele Menschen, die systemrelevante Berufe ausüben, während der Pandemie für ihre Dienste als unverzichtbare Kräfte anerkannt wurden, bleibt ihre tatsächliche Wertschätzung oft aus, wenn es um Bezahlung und soziale Anerkennung geht. Berufe wie Pfleger oder Müllabfuhrmitarbeiter erbringen essentielle Dienste, die für das Funktionieren der Gesellschaft unerlässlich sind, erhalten jedoch in der Regel nicht die gleiche Wertschätzung wie Personen in höher bezahlten, aber weniger systemrelevanten Berufen. Ein Umdenken in Bezug auf die gesellschaftliche Wertschätzung von Arbeit ist notwendig, um die Würde und den Beitrag jeder Berufsgruppe anzuerkennen.
Der Weg zur Förderung des Gemeinwohls
Um das Gemeinwohl zu fördern, schlägt Sandel eine breite demokratische Gleichheit der Voraussetzungen vor, die über bloße Chancengleichheit hinausgeht. Diese Idee beinhaltet, dass eine gesunde Gesellschaft eine zivilgesellschaftliche Infrastruktur benötigt, die Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenbringt. Solche gemeinsamen Räume und Institutionen sind unerlässlich, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken und eine gemeinsame Identität zu fördern. Darüber hinaus sollten die Menschen ermutigt werden, die gesellschaftlichen Werte neu zu verhandeln und zu hinterfragen, um zu definieren, welche Beiträge realmente als wertvoll angesehen werden.
You can make it if you try! Diese Formel ist breit akzeptiert, ebenso der Glaube, dass wer zu Erfolg und Wohlstand kommt, das auch verdient. Michael Sandel, einer der erfolgreichsten Philosophen, sagt: Das stimmt nicht und ist sogar gefährlich für die Gemeinschaft. Barbara Bleisch hakt nach.
Wer hat in unserer Gesellschaft Erfolg – und warum? Unter dem gesellschaftlich unumstrittenen Mantra «Wer hart arbeitet, kann alles erreichen» haben wir gelernt zu glauben, dass jeder genau das bekommt, was er oder sie verdient. Die Nutzniesser dieses Systems, das Erfolg auf Leistung und Talent zurückführt, gehen davon aus, dass sie ihren Erfolg verdienen, weil sie sich angestrengt haben. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass diejenigen, die am System scheitern, selbst schuld sind. Das Resultat: Verlierer des Systems wenden sich zunehmend gegen die Eliten unserer Gesellschaften und empfinden die Leistungsgesellschaft als Tyrannei. Michael Sandel, Professor an der Harvard Universität und einer der erfolgreichsten Philosophen der Gegenwart, hat genau zu dieser These ein Buch verfasst. Im Gespräch mit Barbara Bleisch erklärt er: Statt den Einzelnen für den Wettbewerb zu rüsten und an einer trennenden Ethik des Erfolgs festzuhalten, sollten wir die Würde der Arbeit wieder ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte rücken und an einer Politik des Gemeinwohls arbeiten, die allen zugutekommt.
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