Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Feb 4, 2022 • 11min

Sternengeschichten Folge 480: Galaxien-Wurst im Inneren der Milchstraße

Galaktischer Appetit Sternengeschichten Folge 480: Galaxien-Wurst im Inneren der Milchstraße Im Inneren der Milchstraße steckt eine gigantische Wurst. Ok, nicht wirklich natürlich. Aber die Geschichte der "Gaia Sausage" also auf deutsch der "Gaia Wurst" ist tastsächlich spannend. Sie handelt von dem, was vor ungefähr 9 Milliarden Jahren passiert ist und unsere Galaxie erst zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Die Milchstraße ist die Galaxie, in der sich die Sonne befindet. Zusammen mit ein paar hundert Milliarden anderer Sterne. Die Milchstraße ist eine recht typische Spiralgalaxie, aber natürlich nicht allein im Universum. Da sind noch unzählige andere Galaxien. Zum Beispiel die Zwerggalaxien, die jede große Galaxie in ihrer Umgebung hat. Bei uns sind das die Zwerggalaxien der sogenannten "Milchstraßen-Untergruppe" und am bekanntesten davon sind die Große und die Kleine Magellansche Wolke, die man am Südhimmel der Erde wunderbar sehen kann. Die uns am nächsten gelegene Zwerggalaxie ist die Canis-Major-Zwerggalaxie, in knapp 40.000 Lichtjahren Entfernung vom Zentrum der Milchstraße. Im Gegensatz zu den hunderten Milliarden von Sternen in der Milchstraße besteht so eine Zwerggalaxie aus hunderten Millionen beziehungsweise nur wenigen Milliarden Sternen. Die nahe gelegene Canis-Major-Zwerggalaxie wurde erst 2003 entdeckt; sie liegt so ungünstig am Himmel dass uns die vielen Sterne der Milchstraße den Blick darauf verstellt haben. Noch ein wenig genauer hinschauen muss man, wenn man Zwerggalaxien entdecken will, die gar nicht mehr existieren. Denn auch wenn zwischen den Galaxien sehr, sehr viel Platz ist: Ab und zu kommen sie sich doch in die Quere. Ich habe in Folge 177 der Sternengeschichten ja schon mehr über Zwerggalaxien und sogenannte "Sternströme" erzählt. Zwerggalaxien stehen unter dem Einfluss der viel stärkeren Schwerkraft der großen Galaxien in deren Nähe sie sich befinden. Sie bewegen sich um die großen Galaxien herum und sie können auch mit ihnen kollidieren. Nur dass bei solchen galaktischen Kollisionen so gut wie nichts tatsächlich miteinandern zusammenstößt. Wenn zwei Galaxien aufeinander treffen, werden sie zuerst durch die wechselseitige Gravitationskraft verformt. Dann durchdringen sie einander langsam; zu Kollisionen zwischen Sternen kommt es dabei aber so gut wie gar nicht. Ist eine Galaxie sehr viel größer als die andere, dann wird aus dem Durchdringen allerdings oft ein Verschlucken. Die Sterne der kleinen Galaxie verteilen sich in der großen und am Ende hat die Zwerggalaxie aufgehört zu existieren. Aber sie hinterlässt Spuren! Die Sterne die früher Teil der Zwerggalaxie waren sind immer noch durch ihre Bewegung als Außenseiter zu erkennen. Sie bewegen sich nicht so wie die Sterne der großen Galaxien, sondern folgen Bahnen, die zum Beispiel weit über die Ebene der anderen Sterne hinaus führen. Solche "Sternströme" sind die letzten Reste der ehemaligen Zwerggalaxie und in unserer Milchstraße haben wir schon einige davon gefunden. Jeder davon zeigt uns, dass die Milchstraße irgendwann eine Zwerggalaxie verschluckt hat. Und ein ganz besonderes Ereignis dieser Art muss vor 8 bis 10 Milliarden Jahren stattgefunden haben. Wir haben davon erst im Jahr 2018 erfahren als Daten des Weltraumteleskops Gaia ausgewertet wurden. Dieses Teleskop hat Position und Geschwindigkeit von so vielen Sternen vermessen wie kein anderes zuvor. Mehr als 1,6 Milliarden Sterne, was zwar immer noch nur ein Bruchteil aller Sterne der Milchstraße ist, aber doch dramatisch viel mehr Sterne, als wir zuvor in unseren Katalogen hatten. Wir können zwar nicht in echt sehen, wie die Sterne sich bewegen. Beziehungsweise schon, aber angesichts der enormen Distanzen im Universum sind die Distanzen die die Sterne in den paar Jahren zurücklegen in denen wir sie beobachten kaum der Rede wert. Aber wenn wir - dank Messungen wie von Gaia - wissen, wo ein Stern sich befindet und wie schnell er sich in eine bestimmte Richtung bewegt, dann können wir berechnen wo sie früher waren und wo sie in Zukunft sein werden. Und als man das mit den Gaia-Daten getan hat, ist plötzlich die Wurst aufgetaucht. Um zu verstehen, was es damit auf sich hat, müssen wir ein wenig abstrakter werden. Wir zeichnen aus den Daten jetzt keine Karte der Milchstraße, also kein Diagram, in dem man die Positionen einträgt. Sondern erstellen ein Bild der Geschwindigkeiten. Ein Stern hat ja gewissermaßen drei verschiedene Geschwindigkeiten; eine für jede Richtung im Raum. Das kann man sich leicht vorstellen, wenn man zum Beispiel Autos statt Sternen betrachtet. Wenn ich am Bürgersteig neben der Straße stehe, dann fahren die Autos - hoffentlich - an mir vorbei. In die eine Richtung, die Fahrtrichtung der Autos, ist ihre Geschwindigkeit sehr hoch. Aber keines der Autos kommt - nochmal hoffentlich - direkt auf mich zu; in dieser Richtung ist ihre Geschwindigkeit also gleich Null. Bei den Sternen ist es genau so. Sie bewegen sie durch die Milchstraße und je nachdem wie sie das tun haben sie unterschiedliche Geschwindigkeiten in den drei Raumrichtungen. Die "Gaia-Wurst" ist nun etwas, was man als "ausgeprägte Anisotropie in der Geschwindigkeitsverteilung der Sterne" bezeichnen kann, wenn man wissenschaftlich formuliert. Oder, wenn man ein wenig verständlicher sein will: Zeichnet man die Geschwindigkeiten aller Sterne der Milchstraße entlang der drei Raumrichtungen auf, dann findet man eine Gruppe an Sternen, die sich alle sehr stark "radial" bewegen. Das heißt, sehr vereinfacht, anstatt sich schön gleichmäßig rundherum zu bewegen, haben sie langgestreckte Bahnen auf denen sie die meiste Zeit auf - wieder sehr vereinfacht - fast gerader Bahn durch die Galaxie sausen und dann in einer 180-Grad-Kurve die Richtung ändern und wieder zurück fliegen. Gut, das war vermutlich ein wenig zu sehr vereinfacht, aber wenn wir nicht in die Details der Kugelkoordinaten einsteigen, dann sollte das reichen. Wichtig ist: Man hat eine Gruppe von Sternen entdeckt, die sich ganz anders bewegen als der Rest der Sterne in der Milchstraße. Sie tun das auf sehr langgestreckten Bahnen, was bedeutet, dass eine ihrer Geschwindigkeitskomponenten sehr viel größer ist als die andere und wenn man das in einem entsprechenden Diagramm einzeichnet, dann sieht diese Gruppe von Sternen aus wie eine langgestreckte "Wurst", die quer in der Milchstraße liegt. Auf solchen Bahnen bewegen sich Sterne aber nicht so einfach und schon gar nicht so viele auf einmal. Es muss also etwas besonderes vorgefallen sein, wenn wir da so viele Sterne auf so komischen Bahnen haben. Und das, was vorgefallen ist, war eine galaktische Kollision! Die Milchstraße ist vor 8 bis 10 Milliarden Jahren mit einer Zwerggalaxie kollidiert, die wahlweise als die "Wurst-Galaxie" oder "Gaia-Enceladus-Sausage" bezeichnet wird. Die muss quasi frontal mit der Milchstraße kollidiert sein; wenn sie sich eher "seitlich" in die Milchstraße gedrängt hätte, dann hätten die Sterne heute nicht so extreme Bahnen. Es muss auch eine vergleichsweise große Zwerggalaxie gewesen sein, denn die Gaia-Wurst ist gewaltig. Man schätzt, das die Milchstraße durch die Kollision insgesamt 50 Milliarden Sonnenmassen dazugewonnen hat. Nicht alles davon waren Sterne, es war auch eine gute Menge Gas und dunkle Materie mit dabei. Aber dennoch sind 50 Milliarden Sonnenmassen eine ordentliche Mahlzeit und es ist nicht verwunderlich, dass das Spuren hinterlassen hat. Nach der Kollision mit der Wurst-Galaxie war die Milchstraße nicht mehr die alte. Die Scheibe der Milchstraße, in der sich die Spiralarme befinden, wurde vermutlich zum Teil auseinander gerissen und musste sich danach erst wieder neu bilden. Überreste der Wurst-Galaxie haben sich im Zentrum der Milchstraße angesammelt und dort den "Bulge" gebildet, also die kugelförmige Ausbuchtung die sich im zentralen Bereich der galaktischen Scheibe erhebt. Wir wissen auch, dass die Wurst-Galaxie mindestens acht Kugelsternhaufen mitgebracht hat. Das ist ein weiteres Anzeichen für ihre Größe. Kleine Zwerggalaxien haben keine eigene Sammlung dieser Sternhaufen; große wie unsere Milchstraße schon. Wir kennen circa 150 Kugelsternhaufen, die sich rund um die Milchstraße herum befinden; sie gehören zur Ausstattung jeder ordentlichen Galaxie. Die Wurst-Galaxie war zwar deutlich kleiner als die Milchstraße, aber trotzdem groß genug um zumindest ein paar eigene Kugelsternhaufen gehabt zu haben. Wir wissen nämlich dank Position- und Geschwindigkeitsmessungen, dass sich auch ein paar der galaktischen Kugelsternhaufen auf die gleiche seltsame Art bewegen wie die Sterne der Gaia-Wurst. Wer es genau wissen will: Es sind die Kugelsternhaufen mit der Bezeichnung Messier 2, Messier 56, Messier 75, Messier 79, NGC 1851, NGC 2298 und NGC 5286. Beim Kugelsternhaufen NGC 2808 ist man sich noch nicht ganz sicher. Dieses Objekt ist knapp 31.000 Lichtjahre entfernt, besteht aus mehr als einer Million Sterne und gehört zu den massereichsten Kugelsternhaufen unserer Milchstraße. Man findet dort junge Sterne, aber auch sehr alte Sterne, was ungewöhnlich ist für Kugelsternhaufen. Dort sind normalerweise nur alte Sterne zu finden. Im Gegensatz zu den zentraleren Bereichen von Galaxien, die immer Sterne aller Generationen enthalten. Deswegen wird vermutet, dass es sich bei NGC 2808 um die Zentralregion der ehemaligen Wurst-Galaxie handeln könnte. Es wäre dann der letzte Rest dieser Galaxie; der Teil, der sich bei der Kollision nicht aufgelöst hat. Die Milchstraße ist im Laufe der Zeit mit vielen Zwerggalaxien kollidiert und hat sie sich dabei einverleibt. Die Wurst-Galaxie aber war mit Abstand der größte Brocken. Dieser Zusammenstoß hat unsere Milchstraße zu dem gemacht, was sie heute ist. Aber nicht unbedingt bleiben wird. Es wird weitere Kollisionen geben. Es GIBT weitere Kollisionen; gerade jetzt ist die Milchstraße etwa dabei, die Sagittarius-Zwerggalaxie zu verschlucken. Aber galaktische Kollisionen laufen langsam ab und sie wird noch die eine oder andere Milliarde Jahre daran zu knabbern haben.
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Jan 28, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 479: Der Erdähnlichkeitsindex

So wie die Erde aber nicht so wie die Erde Sternengeschichten Folge 479: Der Erdähnlichkeitsindex "Erdähnlich" ist ein schwieriges Wort in der Astronomie. Ok, eigentlich ist "erdähnlich" gar kein schwieriges Wort. Lässt sich ganz leicht sagen: "Erdähnlich". Aber es geht auch nicht um die Aussprache, sondern darum, was das Wort bedeuten soll. Wenn man hört, dass ein Himmelskörper "erdähnlich" ist, dann ist es nur verständlich, wenn man sich dann vorstellt, dass dieser Himmelskörper so wie die Erde ist. In der Astronomie meint man mit "erdähnlich" aber was anderes. Oder eigentlich meint man schon auch, dass ein Himmelskörper so wie die Erde ist. Aber man kann einen Planeten eben auf viele Arten mit der Erde vergleichen. Der Mars zum Beispiel ist im astronomischen Sinne ein erdähnlicher Planet. Die Venus genau so. Man könnte sogar den Merkur als "erdähnlich" bezeichnen; vielleicht sogar auch den Mond. Aber bleiben wir bei Mars und Venus. Sie sind erdähnlich, weil es sich bei beiden Planeten um Himmelskörper mit einer festen Oberfläche handelt, so wie die Erde. Mars und Venus bestehen aus Gestein und haben einen Kern aus Metall - so wie die Erde. Sie haben zumindest näherungsweise die gleiche Masse und Größe wie die Erde. Ok, der Mars ist schon ein Stück kleiner - aber im Vergleich zu etwa dem Jupiter und Saturn kann man durchaus sagen, dass Mars und Erde in erster Näherung gleich groß sind. Mars und Venus sind also erdähnliche Planeten, weil sie ähnlich wie die Erde in Größe, Masse und Aufbau sind und sich etwa deutlich von Planeten wie Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun unterscheiden: Sehr viel größere Himmelskörper, die keine feste Oberfläche haben und vor allem aus Wasserstoff und Helium bestehen und nicht aus Metall und Gestein. Venus und Mars sind aber definitiv NICHT erdähnlich, wenn es um die Bedingungen auf der Oberfläche geht. Wer auf Venus oder Mars ohne Raumanzug aus einem Raumschiff tritt, wird sehr schnell sehr tot sein. Auf der Venus vermutlich auch mit Raumanzug; dort hat es mehr als 400 Grad… Mars und Venus sind lebensfeindliche Planeten; es gibt dort kein flüssiges Wasser auf der Oberfläche, keine Atmosphäre die man atmen kann und auch sonst nichts, was uns an die Erde erinnern würde. Genau darum ist es schwierig, wenn man den astronomischen Fachbegriff "erdähnlich" in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verwendet. Wenn irgendwo in den Medien verkündet wird, man hätte einen "erdähnlichen Planeten" bei einem anderen Stern entdeckt, dann kann man es den Menschen nicht verübeln, wenn sie sofort an die Möglichkeit von außerirdischem Leben denken. Aus astronomischer Sicht heißt das aber nur, dass man einen Planeten gefunden hat, der ungefähr so groß und so schwer wie die Erde ist und kein Gasriese wie Jupiter. Die Wissenschaft hat es aber sowieso lieber mathematisch und exakt. Deswegen haben sich im Jahr 2011 der Astronom Dirk Schulze-Makuch und Schwung Kolleginnen und Kollegen Gedanken darüber gemacht, wie man die "Erdähnlichkeit" eines Himmelskörpers besser beschreiben kann. Das Resultat ist der sogenannte "Earth Similarity Index", also der "Erdähnlichkeitsindex". Das ist eine Zahl und um die zu berechnen braucht man zuerst ein paar andere Zahlen. Zum Beispiel die Dichte eines Himmelskörpers. Die mittlere Dichte der Erde beträgt 5,5 Gramm pro Kubikzentimeter. Die vergleicht man jetzt mit der mittleren Dichte eines anderen Himmelskörpers; sagen wir der Venus. Da lautet die Zahl 5,2 Gramm pro Kubikzentimeter. Ok, wir sehen sofort, dass die Dichte der Erde größer ist als die der Venus. Aber darum geht es nicht, wir wollen das alles vernünftig quantifzieren. Beziehungsweise Schulze-Makuch und seine Kolleg_innen wollten das und haben sich dabei bei bei einer Formel inspirieren lassen, die eigentlich aus der Ökologie stammt und die Biodiversität zweier Orte vergleicht. Die Details sind jetzt egal, aber am Ende kann man aus den beiden Dichten eine Zahl berechnen, die zwischen 0 und 1 liegt. 0 heißt, dass sie sich maximal unähnlich sind, bei 1 wären sie identisch. Im Fall der Dichte von Erde und Venus kommt man damit auf circa 0,97. Was den offensichtlichen Befund bestätigt: Die Dichten von Erde und Venus sind sich sehr ähnlich. Aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Was man für die mittlere Dichte tun kann, kann man auch für den Radius machen. Oder für die Masse. Oder für die Temperatur auf der Oberfläche. Das alles kann man dann mitteln und am Ende bekommt man einen gesammelten Earth Similarity Index, der die Ähnlichkeit und Unterschiede all der Parameter berücksichtigt, die man betrachtet hat. Schulze-Makuch und Co haben das ganze in zwei Untergruppen aufgeteilt. Wenn man etwa die Earth Similarity Indizes für den Radius und die Dichte eines Planeten kombiniert, bekommt man ein Maß, dass dem "erdähnlich" entspricht, das ich ganz zu Beginn erklärt habe: Wie ähnlich ist ein Planet der Erde hinsichtlich des Inneren. Handelt es sich um zwei Gesteinsplaneten mit fester Oberfläche, dann wird dieser "Innere Erdähnlichkeitsindex" nahe bei 1 liegen; vergleicht man die Erde mit einem Gasplaneten, wird es eher in Richtung Null gehen. Dann wurde aber auch noch ein "äußere Erdähnlichkeitsindex" definiert. Hier vergleicht man die Fluchtgeschwindigkeit und die Oberflächentemperatur. Das klingt seltsam. Ok, die Oberflächentemperatur macht Sinn; es ist ja durchaus relevant zu wissen, ob es auf einem anderen Planeten sehr viel heißer oder kälter ist als auf der Erde. Aber die Fluchtgeschwindigkeit? Die hängt von der Masse des Planeten ab und ist die Geschwindigkeit, die etwas haben muss, um von der Oberfläche des Planeten ins All zu entkommen. Wir denken dabei an Raumfahrt und daran, wie schnell unsere Raketen fliegen müssen. Aber die Fluchtgeschwindigkeit gilt für alles, auch und vor allem für die Atome und Moleküle einer planetaren Atmosphäre. Die Fluchtgeschwindigkeit bestimmt direkt, welche Atmosphäre ein Planet haben kann. Bei Erde und Venus kriegt man einen inneren Erdähnlichkeitsindex von 0,979. Wenig überraschend, denn wir haben ja schon festgestellt, dass die beiden Planeten sich sehr ähnlich sind, was die Größe, Dichte und den inneren Aufbau angeht. Der äußere Erdähnlichkeitsindex liegt aber bei nur 0,2. Weil es auf der Venus eben sehr viel heißer ist und ihre Atmosphäre ganz anders aussieht. In der Hinsicht ist sie der Erde alles andere als ähnlich. Wenn man jetzt beide Erdähnlichkeitsindizes kombiniert kommt man auf eine Gesamtzahl von 0,44. Die Venus ist also eher wenig erdähnlich, was diesen Earth Similarity Index angeht. Stellt man die gleiche Rechnung für den Mars an, erhält man einen Wert von 0,7. Der Mars ist also deutlich erdähnlicher als die Venus. Deswegen können dort ja auch - zumindest theoretisch - Menschen hinfliegen und in Raumanzügen auf der Oberfläche rumlaufen und auf der Venus eher nicht. Wie schaut es jetzt mit den Planeten anderer Sterne aus? Kommt drauf an. Schauen wir mal zum Stern mit dem schönen Namen "Teegardens Stern". Der übrigens nach dem amerikanischen Astronom Bonnard Teegarden benannt ist und nix mit nem Teegarten zu tun hat. Es handelt sich um einen roten Zwergstern in nur 12 Lichtjahren Entfernung von der Erde. 2019 hat man dort zwei Planeten entdeckt. Beide sind nur minimal schwerer als die Erde. Die Planeten befinden sich sehr dicht an ihrem Stern, was aber nicht zu extremen Temperaturen führt, da es sich ja um einen vergleichsweise kühlen roten Zwerg handelt. Im Prinzip könnte die Temperatur auf der Oberfläche der Planeten gerade passen, so dass es dort erdähnliche und lebensfreundliche Werte hat. Wenn man jetzt den Erdähnlichkeitsindex der beiden Planeten berechnet, so erhält man für den einen eine Zahl die bei 0,68 liegt. Beim anderen sind es aber 0,95. Das ist SEHR erdähnlich. Können wir also damit rechnen, dass dort Leben existiert oder zumindest lebensfreundliche Bedingungen? Können wir den Raumanzug im Raumschiff lassen, wenn wir dort hin fliegen? Nun, da sind wir jetzt wieder beim Problem vom Anfang. Das was sein kann, ist das eine. Das was tatsächlich ist, das andere. Der Erdähnlichkeitsindex zeigt uns, dass Teegarden b - wie der Planet offiziell heißt - das Potenzial hat, ein echter, lebensfreundlicher Himmelskörper zu sein. Ob er es aber auch ist, wissen wir nicht. Zum einen, weil die Berechnung des Index nur so gut funktioniert wie die Qualität der Daten ist, die man da rein steckt. So etwas wie Masse oder die Größe können wir - im Prinzip - sehr gut und halbwegs genau messen. Die Oberflächentemperatur aber nur indirekt bestimmen. Ich habe das vorhin ein wenig umgangen, also ich über die Berechnung der Indizes gesprochen haben. Dass es auf der Venus so sehr viel heißer ist als auf der Erde wissen wir, weil wir dort gelandet sind. Weil wir Raumsonden in ihrer Umlaufbahn haben. Weil wir mit Teleskopen auf der Erde unseren Nachbarplaneten recht gut beobachten können. Wir haben die Temperatur dort direkt gemessen und wir wissen, dass es dort so heiß ist, weil die Atmosphäre der Venus so extrem dicht ist. Wüssten wir das nicht; würden wir nur Größe, Masse und Abstand der Venus von der Sonne kennen, dann würden wir denken und mangels weiterer Information denken müssen, dass die Temperatur dort bei circa 50 Grad liegt. Das ist die Temperatur, die die Venus dank ihres Abstands von der Sonne haben müsste. Dass es tatsächlich knapp 470 Grad sind, liegt am Treibhauseffekt der durch ihre dichte Atmosphäre ausgelöst wird. Wir haben aber keine Ahnung, wie die Atmosphäre der Planeten von Teegardens Stern aussieht. Oder die Atmosphäre von irgendeinem anderen extrasolaren Planeten. Trotz des hohen Erdähnlichkeitsindex könnte es sich um extrem lebensfeindliche Welten handeln. Der Erdähnlichkeitsindex ist ein durchaus nützliches Instrument für die Wissenschaft. Bei all den Daten die wir sammeln braucht es sinnvolle mathematische Konzepte um diese Daten zu organisieren und zu vergleichen. Man darf sich aber nicht von der Mathematik täuschen lassen! Ein Erdähnlichkeitsindex von 0,95 ist erstmal nur eine Zahl die in ihrem wissenschaftlichen Zusammenhang betrachtet werden muss. Aus dem darf sie auch nicht gerissen werden; insbesondere darf man daraus nicht ohne weiteres Pressemitteilungen oder Medienberichte machen, die behaupten, dass es sich um einen lebensfreundlichen Planeten handelt; eine "zweite Erde" und was man sonst immer wieder lesen kann, wenn es um die Entdeckung von anderen Planeten geht. Die Instrumente der Astronomie werden immer besser. Irgendwann werden wir die nötigen Daten haben, um nach echter Erdähnlichkeit zu suchen und sie auch zu finden, wenn sie da ist! Bis dahin sollten wir in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit die Spekulationen auch deutlich als solche bezeichnen und nicht hinter komplexen mathematischen Formeln verstecken.
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Jan 21, 2022 • 13min

Sternengeschichten Folge 478: Die solare Gravitationslinse

Der perfekte Blick Sternengeschichten Folge 478: Die solare Gravitationslinse Wenn man etwas über das Universum sagen kann, dann: Es ist sehr, sehr groß und alles ist sehr, sehr weit weg. Das wissen wir natürlich schon länger, aber es macht die Astronomie auch zu einer sehr schwierigen Wissenschaft. Wir wollen ja beobachten, was da draußen abgeht. Aber weil alles so weit weg ist, müssen wir uns auch richtig anstrengen, dort draußen was zu sehen. Sterne beobachten ist vergleichsweise leicht. Dazu muss man nur in einer klaren Nacht nach draußen gehen und zum Himmel schauen. Voilá: Sterne! Wer aber gerne mehr als jede Menge Lichtpunkte sehen will, hat ein Problem. Natürlich: Sterne sind gigantisch große Objekte. Das nützt uns aber nichts, weil sie eben so verdammt weit weg sind. Bis auf ganz wenige Ausnahme können wir Sterne immer nur als Punkte sehen, nie als ausgedehnte Objekte. Wir können auch - wieder bis auf ganz wenige Ausnahmen - keinerlei Strukturen dort erkennen. Gut, wir haben gelernt aus diesen Lichtpunkten jede Menge Informationen zu holen. Wir können bestimmen, wie groß, wie alt, wie schwer der Stern ist, selbst wenn wir ihn nur als Lichtpunkt sehen. Wir können rausfinden, wie weit er weg ist und woraus er besteht. Wir können sogar untersuchen, ob er von Planeten umkreist wird oder nicht. Die Astronomie ist super! Aber was für Sterne gilt, gilt für Planeten noch viel mehr. Sieht man mal von den acht Stück ab, die sich in unserem Sonnensystem befinden, haben wir derzeit keine Chance, irgendwelche Details auf Planeten zu beobachten, die andere Sterne umkreisen. Wir können in den allermeisten Fällen ja nicht einmal den Planeten selbst sehen! Von der Existenz dieser extrasolaren Planeten wissen wir nur indirekt; weil wir zum Beispiel sehen, wie die Gravitationskraft des Planeten den Stern ein klein wenig zum Wackeln bringt. Oder der Planet ab und zu vor dem Stern vorüber zieht und dabei ein klein wenig seines Lichts verdunkelt. Planeten sind kleiner als Sterne, sie leuchten nicht selbst und sind genau so absurd weit weg die Sterne. Sie direkt zu beobachten ist derzeit fast unmöglich. Und in den ganz wenigen Spezialfällen, wo wir den Planeten eines anderen Sterns direkt gesehen haben, haben wir natürlich auch nicht mehr gesehen als einen Lichtpunkt. Es wäre natürlich schon cool, wenn wir mal einen echten Blick auf einen extrasolaren Planeten werfen könnten. Und schauen, ob da vielleicht der eine oder andere Ozean zu sehen ist. Mit ein paar Kontinenten darin? Die vielleicht schön grün sind, weil dort irgendeine Art von pflanzlichen Leben existiert? Und wer weiß, vielleicht sieht man ja auch ne Alien-Stadt oder so! Aber das ist Science-Fiction, oder? Na ja, das mit den Alien-Städten vermutlich schon. Aber es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass wir irgendwann mal den Planeten eines anderen Sterns "richtig" sehen, mit Details der Oberfläche. Und zwar, ohne dorthin zu fliegen, wozu wir ja erst wieder irgendwelche Science-Fiction-Raumschiffe bräuchten. Was wir brauchen sind Teleskope! Gut, die braucht man in der Astronomie immer und je größer, desto besser. Aber es kommt nicht immer nur auf die Größe an, sondern auch auf die Technik und vor allem darauf, wo man das Teleskop hinstellt. Ein Teleskop auf der Erde ist praktisch, weil man da leicht hin kommt, aber man muss eben immer durch die Atmosphäre hinauf zu den Sternen schauen und das stört die Beobachtung. Teleskope im Weltall haben dieses Problem nicht, aber dafür muss man das Ding mühsam mit Raketen dorthin schaffen und kann es danach nicht mehr reparieren oder updaten. Aber für das Teleskop, um das es in dieser Folge gehen soll, haben wir keine andere Wahl. Wir müssen ins All und zwar nicht irgendwo hin, sondern an einen ganz bestimmten Ort. Denn die Natur hat uns quasi das perfekte Fundament für eine astronomische Beobachtungsstation gelegt. Obwohl "Fundament" vermutlich das falsche Wort ist. Es geht nicht darum, ein Teleskop auf einem anderen Himmelskörper zu stationieren. Der Ort, zu dem wir müssen, liegt weit entfernt von der Sonne, mitten im leeren All. Mindestens 550 mal weiter von der Sonne weg als die Erde. Dort ist nichts - aber wenn wir DORT ein Teleskop hätten, wäre das leistungsfähiger als alles, was wir anderswo bauen könnten. Um zu verstehen warum das so ist, müssen wir kurz auf das schauen, was Albert Einstein so getrieben hat. Zum Beispiel - und wie ja alle wissen werden - hat er die Allgemeine Relativitätstheorie aufgestellt. Die unter anderem besagt, dass Masse den Raum krümmt und alles, inklusive Licht, folgt bei seiner Bewegung der Krümmung des Raums. Was unter anderem bedeutet: Fliegt Licht in der Nähe einer großen Masse vorbei, dann kann es dabei abgelenkt werden. Genau so wie eine Linse aus Glas oder ein Spiegel den Weg eines Lichtstrahls verändern kann, kann das auch eine große Masse im Weltraum. Das nennt man "Gravitationslinseneffekt" und ich habe in früheren Folgen schon oft darüber gesprochen, wie das genau funktioniert und wie die Astronomie diesen Effekt nutzt. Aber WENN wir ihn nutzen, müssen wir auf den Zufall hoffen. Wenn zum Beispiel - zufällig - ein Stern von uns aus gesehen genau vor einem anderen Stern vorüber zieht, dann kann der eine Stern als Gravitationslinse wirken und das Licht des anderen Sterns ablenken oder verstärken. Unsere Sonne ist auch ein Stern. Und krümmt mit ihrer Masse ebenfalls den Raum. Licht, das in der Nähe der Sonne vorbeifliegt, wird abgelenkt (das haben wir auch schon beobachtet; unter anderem konnte durch solche Beobachtungen die Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie nachgewiesen werden). Das Problem: Um die Sonne gezielt als Gravitationslinse zu nutzen, sind wir auf der Erde zu nah dran. Der amerikanische Astronom Von Russell Eshleman hat das in einer Arbeit aus dem Jahr 1979 alles genau durchgerechnet. Entfernt man sich circa 550 Astronomische Einheiten von der Sonne, das entspricht der 550fachen Entfernung zwischen Sonne und Erde, dann befindet sich man quasi genau im Fokus der "Solaren Gravitationslinse". Also genau dort, wo die Sonne Lichtstrahlen anderer Objekte dank ihrer Masse "hinbiegt". Ansonsten schwach leuchtende Himmelskörper würde man dort sehr viel heller sehen können als normal; je nach Wellenlänge des Lichts das man beobachtet kann die Verstärkung das 100millionenfache des ursprünglichen Signals betragen. Und auch die Auflösung wäre dort viel besser; man könnte also Himmelskörper nicht nur als Lichtpunkte sehen, sondern durchaus auch als ausgedehnte Objekte mit Details. Apropos Details: Im Detail ist das natürlich alles sehr viel komplizierter. Man kann nicht einfach 550 Astronomische Einheiten durchs Sonnensystem fliegen, dann das Raumschiff parken, aus dem Fenster schauen und die wunderbare Pracht des Universums beobachten. Man braucht dort zuerst einmal ein Teleskop. Das aber gar nicht gigantisch groß sein muss, ein Spiegeldurchmesser von nem Meter würde schon reichen. So. Und jetzt haben wir schon das erste Problem: Wir kriegen wir das Teleskop an den passenden Punkt? 550 Astronomische Einheiten ist VIEL. Der sonnenfernste Planet - Neptun - ist gerade mal 30 Astronomische Einheiten weit weg. Der Pluto entfernt sich maximal 50 Astronomische Einheiten von der Sonne. Der Zwergplanet Eris schafft es auf knapp 100 Astronomische Einheiten. Die im Jahr 1977 gestarteten Voyager-Raumsonden haben in folgenden 45 Jahren gerade mal knapp 160 beziehungsweise 135 Astronomische Einheiten geschafft. Der Weg bis zum Fokus der Gravitationslinse fängt da gerade erst so richtig an. Es gibt theoretische Überlegungen, dass man mit sehr großen Sonnensegeln ein Raumfahrzeug vielleicht schnell genug machen kann, so dass es die Strecke in gut 20 Jahren schafft. Aber so etwas haben wir noch nie probiert; und wir waren auch noch nie so weit draußen. Im All ists gefährlich, da gibt es kosmische Strahlung, da gibt es Mikrometeorite, da ist es eiskalt und da kann jede Menge schiefgehen, vor allem je länger man dort unterwegs ist. Eine kompakte kleine Raumsonde ist das eine. Ein großes Weltraumteleskop das andere. Es ist zweifelhaft, ob wir derzeit in der Lage wäre, ein Teleskop in halbwegs brauchbarer Zeit 550 Astronomische Einheiten weit zu schicken. Aber tun wir mal so als ob. Dann stellt sich gleich noch eine Frage: Wohin denn eigentlich genau. "550 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt" ist ja keine exakte Ortsangabe. Man kann an sehr vielen Orten 550 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt sein. Und zwar überall auf einer um die Sonne zentrierten Kugelschale mit einem Radius von 550 Astronomischen Einheiten! Wohin man da steuern muss hängt davon ab, was man beobachten will. Denn das was man beobachten will, muss ja vom Teleskop aus gesehen in Richtung Sonne am Himmel stehen. Man muss das Teleskop auch SEHR genau ausrichten. Hier wird die starke Vergrößerung jetzt auf einmal zum Problem. Wenn wir zum Beispiel einen extrasolaren Planeten beobachten wollen, werden wir nur einen Ausschnitt seiner Oberfläche sehen können, je nach Konfiguration nur ein paar Kilometer im Durchmesser. Das Teleskop muss also EXTREMST genau ausgerichtet sein, sonst trifft man den Planeten nicht. Wenn es auch nur um einen Winkel von einem Milliardstel Grad in die falsche Richtung schaut, sieht es nix. Und dann bewegt sich ja auch noch alles. Das Teleskop um die Sonne; der extrasolare Planet um seinen Stern; die Sonne und der andere Stern durch die Milchstraße. Nach ein paar Millisekunden ist der Planet also sowieso aus dem Bildfeld geflutscht. Man muss das Teleskop ständig und sehr schnell und sehr exakt neu ausrichten und das möglichst oft, um ein Bild der gesamten Planetenoberfläche abzurastern. Dazu kommt: Man sieht kein "echtes" Bild; das was man sieht ist durch die von der Sonne verursachte Raumkrümmung verzerrtes Licht. Der Planet erscheint uns wie in einem extremen Zerrspiegel; sein Bild kann sogar scheinbar um die Sonne herumgebogen sein. Man muss daraus irgendwie ein normales Bild zurückrechnen. Was zwar geht, aber auch nicht unbedingt einfach ist. Und dann ist da noch die Sonne: In dem Beispiel dient sie zwar als Gravitationslinse, ist aber natürlich keine echte Linse, sondern ein Stern. Die Sonne ist keine simple Kugel, sondern ein brodelnder Haufen Plasma, mit einer chaotischen Atmosphäre rundherum und das macht die Beobachtung nochmal schwieriger. Und wenn man dann doch irgendwie ein Bild hat - dann muss man das Teleskop für die nächste Aufnahme irgendwo anders hinfliegen, weil wer weiß, wo das nächste interessante Ziel liegt. Wenn es blöd kommt, dann genau auf der anderen Seite der Kugelfläche, also 1100 Astronomische Einheiten weit weg. Es gibt Vorschläge, wie so eine Mission aussehen kann. Die NASA hat eine Machbarkeitsstudie beauftragt die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass man mit bestehender Technik eine Mission ausrichten kann, mit der sich Bilder von extrasolaren Planeten machen lassen, die Details von bis zu 25 Kilometer auf deren Oberfläche zeigen könnten. Aber wie gesagt: Die Theorie ist das eine, die Praxis etwas ganz anderes. Würde man so etwas real durchführen, wäre es wohl eine der kompliziertesten und teuersten Weltraummissionen aller Zeiten. Bei der bis zum Schluss nicht sicher gestellt ist, ob sie überhaupt erfolgreich ist. Es ist zweifelhaft, ob wir jemals die solare Gravitationslinse zur Beobachtung andere Himmelskörper benutzen werden. Aber wer weiß: Wenn es da draußen etwas zu sehen gibt, dann hat die Astronomie meistens so lange nicht locker gelassen, bis wir es auch gesehen haben.
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Jan 14, 2022 • 16min

Sternengeschichten Folge 477: Parkplätze im All: Lissajous- und Halo-Umlaufbahnen

Die Umkreisung des Nichts Sternengeschichten Folge 477: Parkplätze im All: Lissajous- und Halo-Umlaufbahnen In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich von den Lagrange-Punkten erzählt. Sehr ausführlich und das will ich deswegen nicht wiederholen. Angefangen hat alles mit der Frage, wo man Raumfahrzeuge, Satelliten oder Weltraumteleskope am besten "parken" kann, wenn sie nicht in einer Umlaufbahn um einen Planeten sind oder sein können. Dann kann man sie entweder direkt um die Sonne kreisen lassen. Oder - und das ist in vielen Fällen nötig - in die Nähe eines Lagrange-Punktes bringen. Warum das nötig ist, werden wir später in der Folge noch besprechen. Bleiben wir zuerst noch kurz bei den Lagrange-Punkten. Das sind Punkte im All, an denen sich alle auf ein Objekt wirkenden Kräfte genau aufheben. Das zumindest ist die übliche Ein-Satz-Erklärung; die ausführliche Version gab es ja schon in der letzten Folge. Ich fasse aber trotzdem noch einmal das Resultat zusammen: Wenn wir zwei Himmelskörper betrachten, also zum Beispiel die Erde und die Sonne, dann gibt es in Bezug auf die in diesem Fall wirkenden Kräfte fünf Lagrange-Punkte, die mit L1 bis L5 bezeichnet werden. L1 bis L3 finden wir entlang einer Linie, die durch Erde und Sonne gezogen wird. L1 befindet sich dann auf dieser Linie zwischen Erde und Sonne, bei L2 liegt die Erde zwischen Sonne und L2 und bei L3 die Sonne zwischen L3 und der Erde. Oder, nochmal anders, wenn wir die Linie entlang gehen, dann lautet die Reihenfolge: L3, Sonne, L1, Erde und L2. L4 und L5 sind nicht auf dieser Linie zu finden; sie liegen entlang der Erdbahn und zwar exakt 60 Grad vor der Erde und 60 Grad dahinter, so dass L4 bzw L5, Sonne und Erde ein gleichseitiges Dreieck bilden. Und jetzt nehmen wir ein Raumfahrzeug, fliegen das in einen der Punkte, stellen dort den Motor aus und alles ist gut? Nicht ganz. Es ist ein bisschen komplizierter - aber auch nicht so kompliziert, dass man es nicht verstehen könnte. Schauen wir zuerst aber einmal, warum man ein Raumfahrzeug überhaupt in einem Lagrange-Punkt "parken" wollen würde. Wenn man kann, dann wird man einen Satellit oder ein Teleskop immer in einer Umlaufbahn um die Erde belassen. Es dort hin zu kriegen kostet vergleichsweise wenig Treibstoff. Und es ist zumindest prinzipiell in der Nähe und erreichbar für weitere Raumfahrzeuge, die zum Beispiel Reparaturen durchführen können. So war es ja beim Hubble-Weltraumteleskop der Fall; wenn das nicht in einer Erdumlaufbahn gewesen wäre, dann hätte es nicht gewartet werden können und hätte nicht so lange so gut funktioniert (bzw. gar nicht funktioniert, weil es ja schon beim Start nicht völlig funktionstüchtig war). Aber es geht halt nicht immer alles in der Nähe der Erde. Das ist offensichtlich, wenn man zum Beispiel den Mars erforschen will oder den Jupiter. Dann muss man dorthin - aber viele Raumsonden haben auch ganz andere Ziele. Sie wollen die Sonne beobachten oder fernste Galaxien. Sie wollen das Weltraumwetter studieren oder so viele Sterne wie nur möglich kartografieren. Wieso kann man das nicht aus einer Erdumlaufbahn heraus machen? Kann man in manchen Fällen ja auch. Aber in manchen nicht. Nehmen wir zum Beispiel das James-Webb-Weltraumteleskop. Das ist ein Infrarotteleskop und damit ganz anders als etwa das Hubble-Teleskop, das normales Licht beobachtet hat. Wenn man etwas beobachtet, dann darf es keine Störungen geben. In einer Sternwarte schaltet man das Licht in der Teleskopkuppel ja auch aus, bevor man beobachtet. Wenn man also ferne und schwache Himmelsobjekte sehen will, wäre es doof, wenn gleich daneben die helle Sonne im Blickfeld steht. Für sowas gibt es entsprechende Abschirmungen. Aber trotzdem fliegt etwa das Hubble-Weltraumteleskop alle paar Stunden durchs pralle Sonnenlicht und dann wieder durch eiskalte Dunkelheit. Das belastet das Material; außerdem ist ständig ein Teil des Himmels nicht zu sehen, weil die Erde im Weg steht oder die Sonne oder der Mond. Diese Nachteile muss man gegenüber den Vorteilen eines erdnahen Orbits abwägen; bei einem Infrarot-Teleskop kommt aber dazu, dass man hier nicht nur mit störendem Licht von der Sonne zu kämpfen hat. Auch die Erde gibt Infrarot- also Wärmestrahlung ab. Das sensible James-Webb-Teleskop wäre also in einer Erdumlaufbahn völlig falsch aufgehoben und könnte dort nicht vernünftig beobachten. Man muss es weit weg von der Erde bringen. Das kann theoretisch irgendwo in einer Umlaufbahn um die Sonne sein. Aber wenn man sich den Lagrange-Punkt L2 aussucht, hat das ein paar extra Vorteile. Erinnern wir uns: Von L2 aus gesehen steht die Erde immer genau vor der Sonne. Das Teleskop kann also einerseits die Erde als Sonnenschild zweckentfremden, andererseits aber auch seinen eigenen Sonnenschild optimal einsetzen und immer Erde und Sonne gleichzeitig damit abdecken. Von der Erde aus betrachtet findet man L2 immer zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle des Himmels was die Kommunikation und die Datenübertragung einfacher macht. Also parkt man das Webb-Teleskop direkt in L2? Nein - das wäre zu einfach. Erstens möchte man das gar nicht, denn wenn etwa die Erde immer die Sonne verdeckt, dann hat das auch negative Folgen für die Energieversorgung. Irgendwo müssen die Solarzellen ja Licht herkriegen. Und andererseits würde das auch gar nicht gehen. Die Lagrange-Punkte L1 bis L3 sind sogenannte instabile Gleichgewichtspunkte. L4 und L5 nicht, aber darum kümmern wir uns ein anderes Mal. Ich habe das ja in der letzten Folge sehr genau erklärt: In diesen drei Lagrangepunkten wirken die Anziehungskräfte von Sonne und Erde genau so zusammen, dass sich ein Objekt in dieser Position genau so schnell um die Sonne herum bewegt wie die Erde, obwohl es der Sonne näher - oder ferner - ist als die Erde. Das gilt aber wirklich nur exakt für diese drei Positionen von L1 bis L3. Würde sich ein Objekt auch nur ein kleines Stückchen aus diesem Punkt entfernen, ein bisschen zur Sonne hin oder von der Sonne weg, dann wäre das Gleichgewicht gestört; eine der beiden Anziehungskräfte würde die Überhand gewinnen und das Raumfahrzeug würde sich zwangsläufig immer weiter entfernen. Es ist so wie mit einem Ball, den man am Gipfel eines Hügels platziert. Wenn er exakt an der höchsten Stelle liegt, dann bleibt er auch dort. Aber wenn er nur ein Stückchen nach unten rollt, dann wird er zwangsläufig auch den ganzen Hügel runterrollen. In der Realität könnte man ein Raumfahrzeug auch nicht exakt in einem Lagrangepunkt platzieren. Die existieren so nur in einem abstrakten mathematischen Modell. Ein Raumfahrzeug, selbst ein kleines, ist immer größer als ein Punkt; es gibt nicht nur Erde und Sonne, sondern auch andere Himmelskörper die mit ihrer Gravitationskraft Störungen ausüben, und so weiter. Das Gleichgewicht ist in der Praxis also immer gestört. Alles was ich gerade gesagt habe gilt aber nur, wenn man sich in Richtung der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne bewegt. Also in der Ebene bleibt, in der sich die Umlaufbahn der Erde befindet. Wenn ich mich senkrecht dazu entferne, also ein bisschen "über" oder "unter" dem Lagrange-Punkt bin, dann zieht mich die Gravitationskraft wieder zurück. Am Ende bleibt es aber dabei: Wenn ich mich nicht exakt und ungestört in L1, L2 oder L3 befinde - und das ist in der Praxis unmöglich - dann werde ich aus dem Lagrange-Punkt wieder rausdriften. Was aber nicht heißt, dass es keinen Sinn machen würde, diese Lagrange-Punkte anzusteuern! Aus all den vorher genannten Gründen - Abschirmung, Kommunikation, etc - sind sie gut für diverse Weltraummissionen geeignet. Man muss sich halt ein bisschen anstrengen, wenn man dort bleiben will und jetzt sind wir endlich bei den Lissajous- und Halo-Umlaufbahnen aus dem Titel angelangt. Fangen wir mit Lissajous an. Das ist der Nachname von Jules Antoine Lissajous; ein französischer Physiker aus dem 19. Jahrhundert. Er hat festgestellt, dass zwei sich überlagernde Schwingungen sehr schöne Figuren ergeben. Das kann man sich sehr einfach so vorstellen: Wir nehmen ein großes Pendel, binden einen Eimer Farbe daran, machen ein Loch in den Eimer und lassen das Pendel schwingen. Und zwar nicht einfach nur stur in einer Linie hin und her. Wir geben dem Pendel quasi einen Drall, so dass es nicht nur vor und zurück sondern auch gleichzeitig nach links und rechts schwingt. Dann wird die Farbspur am Boden auch kein simpler Strich sein, sondern eine komplexe Figur, deren Aussehen vom Verhältnis der beiden Schwingungsfrequenzen abhängt. Probiert das gerne mal aus - aber legt vorher was unter, sonst wird es eine große Sauerei. Man diese Lissajous-Figuren und mit der richtigen Mathematik kann man aus ihrem Aussehen rekonstruieren, welche Schwingungen involviert sind. Das ist aus vielen Gründen wichtig, wir wollen ja aber wissen, was eine Lissajous-Umlaufbahn ist. Vereinfacht gesagt: Die Umlaufbahn eines Objekts, wenn es sich um einen Lagrange-Punkt bewegt und sich dabei NICHT in der gleichen Ebene befindet wie Erde und Sonne. Bevor ich das erkläre, muss ich aber noch mal kurz sagen was es eigentlich heißt, wenn man sich "um" einen Lagrange-Punkt bewegt. Das ist ein wenig missverständlich, denn in so einem Lagrange-Punkt ist ja nichts. Das ist einfach nur ein Punkt im Weltall; da ist nichts, was irgendeine Gravitationskraft ausüben könnte. Das mit dem Umkreisen des Lagrange-Punkts bezieht sich auf ein mitrotierendes Koordinatensystem. Das klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Stellen wir uns zuerst einfach mal vor, wir betrachten Sonne und Erde von irgendeinem Bezugspunkt weit außerhalb des Sonnensystems. Wir sehen die Sonne und wir sehen, wie die Erde fröhlich ihre Runden um die Sonne zieht. Was wir nicht sehen, uns aber im Geist dazu denken können, ist der Lagrange-Punkt L2 (wir könnten auch L1 oder L3 nehmen, aber bleiben wir mal bei L2). Der wird sich immer circa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt befinden und zwar immer genau gegenüber der sonnenabgewandten Seite der Erde. L2 bewegt sich also auch um die Sonne herum, genau so schnell wie die Erde. Und jetzt stellen wir uns noch das Webb-Teleskop vor, das diesen L2-Punkt umkreist. Wenn wir von unserem fernen Beobachtungspunkt schauen, sehen wir aber etwas ganz anderes. Wir sehen das Webb-Teleskop, und das bewegt sich einfach um die Sonne herum. So wie die Erde; und wir sehen nicht, wie Webb um einen leeren Punkt im All kreist. Wir sehen das Teleskop ein wenig "wackeln", es befindet sich mal ein bisschen oberhalb der Erdbahn, mal darunter, mal ist es ein bisschen schneller und mal langsamer. Aber es bewegt sich eindeutig um die Sonne herum. Wo ist da die "Umlaufbahn" um L2? Die sehen wir erst, wenn wir uns mit der Erde mitbewegen. Oder mit L2, was aber auf gleiche rauskommt. Wir schauen uns die Sache jetzt nicht mehr von ganz fern an. Sondern von der Erde aus. Wir selbst scheinen uns also nicht zu bewegen; die Bewegung der Erde um die Sonne herum ist also jetzt aus unserer Betrachtung verschwunden. Wir sehen L2 immer 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernt; immer an der gleichen Stelle - denn der bewegt sich ja genau so schnell um die Sonne wie wir und scheint deshalb aus unserer Sicht stillzustehen. Und das Webb-Teleskop? Seine komische wackelnde Bewegung sieht jetzt ganz anders aus. Wir sehen, wie es einen leeren Punkt im All umkreist; wir sehen, wie es sich um L2 herumbewegt! Es hat nicht exakt die gleiche Geschwindigkeit wie L2 und die Erde sondern ist mal ein bisschen schneller und mal langsamer. Und ist nicht immer in der gleichen Ebene. Aus der fernen Sicht sah das wie Gewackel aus. Aus der mitbewegten Sicht ist es mal ein Stück vor L2, mal ein Stück dahinter, mal ein Stück drüber und mal ein Stück drunter. Oder anders gesagt: Es umkreist L2. Das ist aber wie gesagt keine "echte" Umlaufbahn. Sie hat deswegen auch nicht die klassische Form einer Ellipse oder eines Kreises. Die Bahn um L2 entsteht aus der kombinierten Anziehungskraft von Sonne und Erde. Man muss die Anteile der Anziehungskraft berücksichtigen die entlang der Verbindungslinie Sonne-Erde wirken und die, die senkrecht dazu wirken. Zusammen ergibt das eine Überlagerung von Schwingungen wie bei den Lissajous-Figuren und genau so eine komplexe Form hat auch die Umlaufbahn "um" einen Lagrange-Punkt. Weswegen sie "Lissajous-Umlaufbahn" genannt wird. Damit aber so eine Bahn auch ausreichend lange aufrecht erhalten werden kann, muss man immer wieder mal aktiv kleine Kurskorrekturen setzen. Denn die Bahnen um die Lagrange-Punkte L1 bis L3 sind ja instabil. Eine Lissajous-Umlaufbahn ist nicht geschlossen, dass heißt - wieder aus der mitbewegten Sicht, wo es so aussieht als ob ein Objekt um den Lagragrange-Punkt kreist - das Raumfahrzeug landet nach einer Runde nicht dort, wo es davor war. Es gibt aber Spezialfälle, wo die Schwingungen genau so zusammenspielen, dass die Bahn am Ende fast wie eine Ellipse aussieht. Wie gesagt, es ist keine echte elliptische Umlaufbahn um den Punkt herum; aus der fernen Sicht sehen wir das Objekt immer noch wackelnd um die Sonne kreisen. Aber wenn man diese Wackeln genau richtig timed, dann kriegt man eine annähernd periodische Umlaufbahn um einen Lagrange-Punkt und so etwas nennt man dann "Halo-Orbit". Wir haben schon jede Menge Zeug in den Lagrange-Punkten geparkt. In L1 zum Beispiel die NASA-Sonde "Genesis", die dort zwischen 2001 und 2004 Partikel des Sonnenwinds gesammelt hat. Oder SOHO, das "Solar and Heliospheric Observatory", ein Teleskop zur Sonnenbeobachtung. In L2 haben wir jede Menge Infrarotteleskope gestellt, aus den schon genannten Gründen. Dort waren zum Beispiel das Herschel-Teleskop der ESA oder die Satelliten WMAP und Planck, die die kosmische Hintergrundstrahlung beobachten. Auch die Raumsonde GAIA hat von dort aus 1,6 Milliarden Sterne der Milchstraße vermessen. Für L3 haben wir bis jetzt noch keine Anwendung gefunden, in L4 und L5 haben wir aber dafür zum Beispiel die beiden STEREO-Sonden platziert, die gleichzeitig aber aus verschiedenen Richtungen die Sonne beobachtet haben um dreidimensionale Informationen zu sammeln. Und das waren jetzt nur die Lagrange-Punkte im Sonne-Erde-System. Es gibt aber immer dann, wenn zwei Himmelskörper mit entsprechenden Massen einander umkreisen auch entsprechende Lagrange-Punkte. In den Lagrange-Punkten des Erde-Mond-Systems haben wir etwa ein paar Satelliten zur Erforschung des Mondes stationiert. Und wer weiß, wenn wir in Zukunft die anderen Planeten genauer erforschen, dann werden wir vielleicht auch deren Lagrange-Punkte nutzen. Freie Parkplätze kann man immer brauchen!
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Jan 7, 2022 • 18min

Sternengeschichten Folge 476: Parkplätze im All: Wo sind die Lagrange-Punkte?

Auf der Suche nach dem Gleichgewicht Sternengeschichten Folge 476: Parkplätze im All: Wo sind die Lagrange-Punkte? Wir haben im Laufe der Zeit jede Menge Sachen ins All geschickt. Satelliten, Raumschiffe, Sonden, Weltraumteleskope, und so weiter. Das Problem an der Sache - oder besser gesagt eines der vielen, vielen Probleme die man bei der Raumfahrt hat: Im Weltall steht nichts still. Wir wollen einen Satelliten zum Beispiel ja nicht einfach nur mit einer Rakete ins All schicken. Der soll dann dort ja auch ganz konkrete Aufgaben erledigen. Da hilft es nicht, wenn er auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Kosmos verschwindet. Oder gleich wieder runter auf die Erde fällt. Wir schicken Objekte ins All damit sie dort ganz bestimmte Dinge an ganz bestimmten Orten erledigen. Nur kann man eben im Weltraum nicht einfach irgendwo hin fliegen und dort dann einfach stehen bleiben. Das geht nicht. Oder besser gesagt: Es geht nicht auf die Art und Weise wie wir das vom Erdboden kennen. Was man auf jeden Fall tun kann: Irgendwas umkreisen. Satelliten die die Erde beobachten, umkreisen die Erde. Satelliten, die den Mars erforschen sollen, umkreisen den Mars. Die Umlaufbahn um einen Himmelskörper herum ist quasi ein "stehen bleiben". Was aber, wenn man nicht an der Erforschung eines Planeten oder Mondes interessiert ist? Sondern zum Beispiel ein Weltraumteleskop hat, das überall am Himmel Beobachtungen anstellen soll? Auch das muss ja irgendwo sein und man kann es zum Beispiel einfach auch in eine Umlaufbahn um die Erde parken. Das ist praktisch, weil es dann vergleichsweise nahe ist. Man braucht nicht so viel Treibstoff, um in eine nahe Erdumlaufbahn zu gelangen. Es kann aber auch sein, dass dann die Erde gerade im Weg steht, wenn man was beobachten will. Oder dass Streulicht von der Erde die Beobachtungen stört. Viele Satelliten und Teleskope müssen daher weit weg von der Erde sein. Kein Problem, kann man sich dann ja denken. Dann soll das Ding eben einfach direkt die Sonne umkreisen; machen die ganzen Planeten ja auch. Und das ist natürlich möglich. Man braucht zwar ein bisschen mehr Energie und Treibstoff, um ein Objekt in einer heliozentrischen Bahn, also einer Umlaufbahn um die Sonne zu platzieren. Aber wenn es einmal dort ist, braucht man nicht mehr viel tun. Dann bewegt sich das Ding um die Sonne herum und fertig. Es gibt aber ein paar Punkte im Weltall, die besonders gut für Beobachtungen geeignet sind. Das sind die sogenannten "Lagrange-Punkte", von denen ich in Folge 31 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen habe. Das ist aber schon eine Zeit lang her, also fasse ich das noch einmal kurz zusammen. Betrachten wir zwei Himmelskörper, zum Beispiel die Sonne und die Erde. Die Sonne übt eine Gravitationskraft aus und die Erde ebenso. Wir ignorieren jetzt fürs erste mal die restlichen Planeten und Monde im Sonnensystem und stellen uns vor, dass wir nur Sonne und Erde haben. Und ein drittes Objekt, eine sogenannte "Testmasse". Die ist vernachlässigbar klein im Vergleich zur Masse von Erde und Sonne. Und dient uns einfach nur dazu, um zu "testen", wie stark die gesamt wirkenden Gravitationskräfte sind. Wir stellen diese Testmasse also gedanklich einfach irgendwo im Sonnensystem ab und schauen, wie die Gravitationskräfte von Sonne und Erde auf sie wirken und welche Bewegung der Testmasse daraus entsteht. In der Praxis macht man so eine Untersuchung natürlich mathematisch und es ist auch ein wenig komplizierter als ich das beschreibe. Aber schon im 18. Jahrhundert hat man genau solche Berechnungen angestellt und dabei fünf ganz besondere Punkte gefunden. Man könnte ja denken, dass es nur zwei prinzipielle Möglichkeiten gibt: Entweder unsere Testmasse umkreist direkt die Sonne. Oder sie umkreist die Erde (und mit der Erde gemeinsam um die Sonne). Gut, sie könnte auch mit Erde oder Sonne zusammenstoßen oder in den interstellaren Raum hinaus fliegen. Aber das ignorieren wir jetzt mal und bleiben bei den stabilen Umlaufbahnen. Und tatsächlich wird die Testmasse die Erde umkreisen, wenn wir sie ausreichend nahe an der Erde platzieren. Ist sie zu weit weg, dann ist die Anziehungskraft der Sonne zu stark und sie wird sich auf einer heliozentrischen Umlaufbahn wiederfinden. Aber theoretisch muss es irgendwo dazwischen ja einen Punkt geben, an dem die Sonne mit ihrer Gravitationskraft genau so stark an der Testmasse zieht wie die Erde? Was würde dort passieren? Bei der Antwort auf diese Frage landen wir exakt bei den Lagrange-Punkten, die nach dem Mathematiker Joseph Louis Lagrange benannt sind, der dieses Problem im 18. Jahrhundert untersucht hat. Es ist ein bisschen knifflig; denn wenn man sich die Sache überlegt, dann merkt man, dass es nicht einen solchen Punkt gibt, sondern gleich fünf davon. Stellen wir uns vor, wir befinden uns mit unserer Testmasse irgendwo auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne, zwischen den beiden Himmelskörpern. Je näher an der Sonne, desto stärker ist deren Anziehungskraft und desto schneller umkreist die Testmasse die Sonne auch. Die Erde zieht aber eben auch immer ein bisschen und aus Sicht der Testmasse wirkt das so, als wäre die Anziehungskraft der Sonne ein klein wenig schwächer als sie es tatsächlich ist. Normalerweise wäre ein Objekt das sich innerhalb der Erdbahn bewegt immer schneller als die Erde. Aber wegen der Anziehungskraft der Erde gibt es einen Punkt, an dem sich die Testmesse innerhalb der Erdbahn befindet und trotzdem genau so schnell wie die Erde um die Sonne läuft. Das ist ein Lagrange-Punkt und zwar der Lagrange-Punkt mit der Bezeichnung L1. Und die Bezeichnung "Punkt" kann ein wenig irreführend sein. Denn wie gesagt: Im All bewegt sich alles. Die Erde bewegt sich um die Sonne; man kann sich die Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne wie den Zeiger einer Uhr vorstellen der eine Runde pro Jahr absolviert. Und da der Punkt L1 immer exakt auf diesem Zeiger, auf der Verbindungslinie liegen muss, bewegt sich auch der Punkt um die Sonne herum. Gemeinsam mit der Erde und genau so schnell wie sie. Der Lagrange-Punkt L1 ist also ständig in Bewegung, genau so wie der Rest im Weltall. Warum es einen Gleichgewichtspunkt zwischen Erde und Sonne geben muss, ist vergleichsweise klar. Aber wenn wir nun die Verbindungslinie über die Erdbahn hinaus verlängern, finden wir noch zwei weitere Gleichgewichtspunkte. Wenn sich die Testmasse außerhalb der Erdumlaufbahn befindet, dann sollte sie sich eigentlich immer langsamer um die Sonne bewegen als die Erde. Da ist die Anziehungskraft der Sonne auf die Testmasse ja schwächer als die Anziehungskraft der Sonne auf die Erde. Aber nicht vergessen: Wir betrachten ja die Positionen entlang der Verbindungslinie Erde-Sonne. Das heißt dort ziehen Sonne und Erde gleichzeitig in die gleiche Richtung. Aus Sicht der Testmasse ist die Anziehungskraft also immer ein klein wenig stärker als sie eigentlich sein sollte und deswegen gibt es auch hier einen Punkt, an dem sie sich nicht langsamer, sondern genau so schnell wie die Erde um die Sonne bewegt. Das ist der Lagrange-Punkt L2 und den dritten Punkt finden wir, wenn wir in die andere Richtung schauen. Wir setzen die Testmasse jetzt nicht hinter die Erde, sondern gegenüber der Erde auf die andere Seite der Sonne. Ohne Bilder ist das ein wenig schwierig vorzustellen. Aber es ist eigentlich ganz simpel. Bei L1 lautet die Reihenfolge der Objekte entlang der Linie: Sonne - L1 - Erde. Bei L2 ist es: Sonne - Erde - L2. Und jetzt schauen wir uns an, wie es bei der Reihung: L3 - Sonne - Erde ausschaut. Hier passiert das gleiche wie bei L2. Sonne und Erde ziehen die Testmasse in die gleiche Richtung, weswegen wie sie ein wenig schneller unterwegs ist als normal und deswegen gibt es auch hier - eben in L3 - einen Punkt, an dem sich die Testmasse genau so schnell bewegt wie die Erde. Bis jetzt haben wir uns nur entlang der Verbindungslinie zwischen Sonne und Erde bewegt. Es gibt aber noch zwei weitere Punkte, an denen die Testmasse ein Gleichgewicht der Kräfte spürt. Wir schieben unsere Testmasse jetzt direkt die Erdumlaufbahn entlang. Wer eine gute Vorstellungskraft hat, kann jetzt ein Dreieck vor dem inneren Auge entstehen lassen. Dessen Eckpunkte sind die Sonne, die Erde und die Testmasse. Wenn die Testmasse noch ganz in der Nähe der Erde ist, dann ist Dreick lang und flach. Der Abstand der Erde zur Sonne ist zwar immer genau so groß wie der Abstand der Testmasse zur Sonne. Die Distanz zwischen Erde und Testmasse ist aber viel kleiner. Wir haben also ein gleichschenkeliges Dreieck mit zwei langen und gleich langen Seiten und einer sehr kurzen. Je weiter wir die Testmasse aber entlang der Erdumlaufbahn schieben, desto länger wird diese dritte Seite. Bis wir irgendwann ein gleichseitiges Dreieck erhalten! Jetzt ist der Abstand zwischen Sonne und Erde genau so groß wie der zwischen Sonne und Testmasse und Erde und Testmasse. Wir können sogar zwei solcher gleichseitigen Dreiecke basteln; einmal wenn sich die Testmasse genau 60 Grad vor der Erde entlang ihrer Bahn befindet und einmal 60 Grad hinter der Erde. Das sind die beiden noch fehlenden Lagrange-Punkte L4 und L4. Und das schaut jetzt zwar schön symmetrisch aus. Aber wieso sollen L4 und L5 auch Gleichgewichtspunkte sein? Wenn der Abstand zwischen Erde und Testmasse und Sonne und Testmasse genau gleich groß ist, dann folgt daraus ja nicht, dass Sonne und Erde auch genau gleich stark an der Testmasse ziehen? Die Sonne hat viel mehr Masse und bei gleichem Abstand muss ihre Anziehungskraft auch immer sehr viel größer sein als die der Erde. Wenn man wirklich verstehen will was hier abgeht, kommt man nicht ohne sehr viel Mathematik aus. Und muss vor allem ein weiteres Mal berücksichtigen, dass man es mit einer dynamischen Situation zu tun hat; sich also alles bewegt. Ich probiere es mal mit einer sehr vereinfachten Erklärung, die ohne Mathematik auskommt. Im Prinzip geht es ja darum, wie viel Bewegungsenergie die Testmasse braucht, damit sie sich immer genau so schnell wie die Erde um die Sonne herum bewegen kann. Nur wenn das der Fall ist, dann bleibt sie auch immer vor der Erde (bzw. hinter ihr) auf ihrer Bahn in der gleichen Position. Wir wollen eine Konfiguration von Sonne, Erde und Testmasse, in der die relative Position der drei Objekte immer exakt gleich bleibt. Alles dreht sich zwar um die Sonne, aber wenn wir uns selbst mit der Erde (oder der Testmasse) mitbewegen, dann würde es so aussehen, als würde sich gar nix bewegen. Von der Erde aus gesehen wäre die Testmasse in L4 immer genau gleich weit voraus und die in L5 gleich weit hintennach. Es sähe so aus, als würde sie sich gar nicht bewegen. Und jetzt verlassen wir kurz den Weltraum und begeben uns auf die Erde. Die Erde dreht sich um ihre Achse, einmal in 24 Stunden. Wenn ich direkt am Äqutor stehe, dann dreht mich die Erdrotation also in 24 Stunden einmal herum. Und ich lege dabei eine Strecke zurück, die der Länge des Äquators entspricht, was circa 40.000 Kilometer sind. 40.000 Kilometer in 24 Stunden sind 1700 Kilometer pro Stunde und das ist die Geschwindigkeit mit der ich mich dank der Erdrotation bewege, auch wenn ich die ganze Zeit nur faul im Liegestuhl sitze. Wenn ich mich aber zum Beispiel in Berlin befinde, bin ich langsamer. Auch hier trägt mich die Erdrotation einmal in 24 Stunden im Kreis herum. Nur ist dieser Kreis jetzt viel kleiner. Wenn ich die Erde genau am Äquator in zwei Hälften schneiden würde, dann ist die Schnittfläche ein Kreis mit einem Umfang von den vorhin erwähnten 40.000 Kilometern. Wenn ich die Erde aber auf der Höhe von Berlin kappe, so wie morgens das Frühstücksei, dann kriege ich eine Schnittfläche die nur noch einen Umfang von 24.700 Kilometer hat. Meine Geschwindigkeit beträgt hier also 24.700 km pro 24 Stunden oder knapp 1000 km/h. Und noch weiter im Norden würde ich mich noch langsamer mit der Erde bewegen. Keine Sorge, das hat alles mit den Lagrange-Punkten zu tun; da kommen wir gleich wieder drauf. Zuerst aber noch einmal kurz zum Wetter. Luftmassen bewegen sich ja einerseits mit der Erdrotation, genau so wie alles andere auf unserem Planeten. Andererseits können die Luftmassen aber um den Planeten herumströmen und sie tun das aufgrund von Unterschieden im Luftdruck. Stellen wir uns jetzt also mal Luft vor, die vom Äquator in Richtung Norden strömt. Am Äquator war sie mit den 1700 km/h unterwegs die sie dank der Erdrotation hat. Wenn sie jetzt aber nach Norden kommt, dann bewegt sie sich schneller nach Osten (die Erde dreht sich nach Osten) als das Land unter ihr, dass sich im Norden ja langsamer dreht. Vom Erdboden betrachtet sieht das so aus, als würde die aus Süden kommende strömende Luft nach Osten abgelenkt. In die andere Richtung geht das natürlich auch: Luft die von Richtung Norden kommt, wird nach Westen abgelenkt. Wenn nun Luft aus allen Richtungen auf ein Tiefdruckgebiet zuströmt, dann bildet sich ein Luftwirbel, der sich gegen den Uhrzeigersinn dreht (und auf der Südhalbkugel ist das alles umgekehrt). So entstehen die großen Wettermuster, so entstehen Hurrikane und so weiter. Die Kraft, die die Luft zum Wirbeln bringt, heißt "Corioliskraft" und sie ist nur eine Scheinkraft. Soll heißen: Da ist nicht wirklich irgendwas, was von außen an der Luft drückt und eine reale Kraft ausübt. Die Corioliskraft gibt es, weil Objekte - wie eben Luft - träge sind und weil wir uns in einem rotierenden Bezugssystem befinden. Wir drehen uns mit der Erde mit und nehmen die Rotation nicht direkt wahr. Wir sehen aber, wie sich die Rotation auf die trägen Luftmassen auswirkt und es sieht für uns so aus wie eine Kraft, die dort wirkt. Und damit sind wir wieder zurück im Weltall und bei den Lagrange-Punkten. Auch hier haben wir es mit einem rotierenden Bezugssystem zu tun. Wir betrachten die Dinge ja aus einer Position, in der wir uns mit der Erde um die Sonne bewegen (oder mit der Testmasse, das ist egal). Und auch hier spielt die Corioliskraft eine Rolle. In einem gewissen Abstand von der Sonne spürt man eine gewissen Anziehungskraft und die sorgt für eine gewisse Geschwindigkeit, genau so, dass das man am Ende die Sonne umkreist. Weiter weg von der Sonne ist diese Geschwindigkeit geringer als näher dran; genau das ist übrigens das, was das dritte Keplersche Gesetz besagt. So wie die Luftmassen auf der Erde unterschiedlich schnell sind, je nachdem ob sie nah oder weit weg vom Äquator sind, ist das auch bei der Bewegung von Objekten um die Sonne. Ich könnte jetzt sagen: Und so wie die Luftmassen dank der Corioliskraft um das Tiefdruckgebiet wirbeln, bewegen sich Objekte dank der Corioliskraft um die Lagrange-Punkte L4 und L5 herum. Aber dann hätte ich die Analogie zu weit geführt; so simpel ist es nicht, leider. Aber wenn man sich vorstellt, dass ein Objekt ein klein wenig aus L4 oder L5 herausgeschubst wird, näher an die Sonne heran oder weiter von ihr weg, dann ist klar, dass es dann - vorerst - zu schnell oder zu langsam ist für den Abstand den es zur Sonne hat. Das wird dazu führen, dass es sich näher an die Sonne bewegt oder weiter weg, quasi als Korrektur. Dann wird es aber nicht mehr exakt in L4 oder L5 landen sondern wieder ein bisschen zu nah oder zu fern sein; diesmal eben andersherum. Was wieder zu einer Korrektur führt, und so weiter. Am Ende kriegt man eine Bewegung UM den Lagrange-Punkt herum. Man kann die ganzen Kräfte - die Gravitationskräfte von Sonne und Erde nehmen, die Corioliskraft und die Zentrifugalkräfte muss man eigentlich auch noch mitnehmen - und dann jede Menge Mathematik draufwerfen. Und am Ende wird man sehen, dass die Gleichgewichtspunkte sich eben genau dort befinden, wo Sonne, Erde und Testmasse ein gleichseitiges Dreieck bilden. Noch genauer kann man es ohne Formeln vermutlich nicht erklären. Es gibt noch diverse Einschränkungen; eine der beiden Massen muss zum Beispiel immer sehr viel größer sein als die andere, sonst können L4 und L5 keine stabilen Gleichgewichtspunkte sein, und so weiter. Aber wir sind eh schon zu tief in die mathematischen Details eingetaucht für eine Podcastfolge. Jetzt wissen wir also genau, wo die Lagrange-Punkte sind und auch so ungefähr, warum sie dort sind, wo sie sind. Jetzt müssen wir noch wissen, wie man dort ein Raumfahrzeug parkt. Aber das schauen wir uns dann in der nächsten Folge an.
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Jan 5, 2022 • 4min

Sternengeschichten 2022: 500 Folgen und 10 Jahre

Es wird gefeiert Sternengeschichten 2022: 500 Folgen und 10 Jahre Herzlich Willkommen im Jahr 2022. Ich bin zwar auf keinste Weise offiziell befugt, für das Jahr 2022 zu sprechen; wünsche aber trotzdem allen Hörerinnen und Hörern der Sternengeschichten, dass dieses Jahr besser wird als das letzt oder zumindest nicht schlechter. Bevor es demnächst wieder mit den üblichen Folgen weiter geht, wollte ich mich noch kurz einmal außertourlich bei euch melden. Denn das Jahr 2022 ist ein ganz besonderes Jahr für die Sternengeschichten. Am 24. Juni 2022 wird Folge Nummer 500 der Sternengeschichten erscheinen. Und am 30. November 2022 wird der Podcast seinen 10. Geburtstag feiern. 10 Jahre ist jetzt keine besonders lange Zeit. Wäre mein Podcast ein Mensch, dann wäre er gerade mal aus der Grundschule draußen. Aber im Internet und für einen Podcast ist das schon nicht Nichts. Als ich angefangen habe zu podcasten, hatten noch längst nicht alle ein Smartphone. Spotify kannte kaum wer und Instagram war ganz neu. Podcasts waren ein extremes Nischenmedium. Heute ist das anders, jedes große Medium betreibt jede Menge Podcasts, es gibt Podcasts zu allen möglichen Themen von allen möglichen Leuten und auch wenn sie noch kein Massenmedium sind, sind Podcasts definitiv aus der Nische raus. Dass es die Sternengeschichten die ganze Zeit über gab und das sie heute erfolgreicher sind als jemals, finde ich großartig. Ich mache das alles ja, weil ich möchte, dass möglichst viele Menschen meine Faszination für die Astronomie teilen. Und dass das offensichtlich der Fall ist, finde ich super. Das 10jährige Jubiläum und die 500te Folge möchte ich auch entsprechend feiern. Ich habe schon ein paar Ideen, aber habe noch nicht konkret geplant, wie und wo und was und wann stattfinden wird. Aber vielleicht habt ihr ja ein paar gute Vorschläge? Wie würdet ihr gerne die Jubiläen des Podcasts feiern? Welche Aktionen wünscht ihr euch? Schreibt mir eine Email an kontakt@sternengeschichten.org oder schreibt eure Vorschläge in die Kommentare. Ich würde ja gerne das eine oder andere Treffen veranstalten; vielleicht mit irgendeiner Art der öffentlichen Vorführung der Sternengeschichten. Aber das muss ja auch alles erst organisiert werden; es muss stattfinden können - wer weiß was die Pandemie noch alles bringt - und dann muss ja auch noch Publikum da sein. Oder vielleicht können auch ein paar gemeinsame Sachen mit anderen Podcasts veranstaltet werden. Mal schauen. Bis dahin freue ich mich einfach weiterhin, dass die Sternengeschichten so viele tolle Hörerinnen und Hörer gefunden haben. Die Podcasts - mittlerweile mache ich ja nicht nur die Sternengeschichten, sondern auch den längeren Astronomie-Podcast "Das Universum" gemeinsam mit meiner Kollegin Ruth und den Podcast "Das Klima", gemeinsam mit Claudia zur Klimakrise - die Podcast jedenfalls machen mittlerweile einen großen Teil meiner Arbeit aus und ich bin froh, dass das alles so gut funktioniert. Es klingt ja fast schon ein wenig kitschig, aber es stimmt: Ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen. Ok, natürlich hätte ich auch einfach 10 Jahre lang jede Woche ne Geschichte ins Mikro sprechen und ins Internet stellen können. Aber wenn es dort dann niemanden interessiert, hätte ich vermutlich irgendwann die Lust verloren. Ihr habt aber nicht nur zugehört, sondern mich auch aktiv unterstützt. Durch spannende Kommentare, interessante Fragen, durch gutes Feedback und Bewertungen bei den diversen Podcastplattformen und natürlich auch durch eure Spenden. All das könnt ihr gerne weiterhin machen - Infos zu den Spendenmöglichkeiten bei Paypal, Patreon und Steady findet ihr in den Shownotes. Am wichtigsten ist für mich aber, dass ihr die Sternengeschichten weiterhin so gerne hört wie bisher. Denn genau darum geht es ja: Das Universum ist wahnsinnig faszinierend und voller Geschichten, die nicht nur erzählt werden müssen, sondern auch gehört werden wollen! Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal: https://www.paypal.me/florianfreistetter, Patreon: https://www.patreon.com/sternengeschichten oder Steady: https://steadyhq.com/sternengeschichten
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Dec 31, 2021 • 8min

Sternengeschichten Folge 475: Aldebaran, das Auge des Stiers

Die Aldebaraner kommen nicht Sternengeschichten Folge 475: Aldebaran, das Auge des Stiers In klaren Winternächten kann man in Mitteleuropa das Sternbild Stier sehr gut am Himmel sehen. Man erkennt dort die beiden Sternhaufen der Hyaden und Plejaden. Die Hyaden bilden mit ein wenig Fantasie den spitzen Kopf eines Stiers, von dem sich zwei große Hörner in den Himmel strecken. Und dort wo man das Auge des Tiers erwarten würde, leuchtet hell ein roter Stern. Das ist Aldebaran. Der Name kommt aus dem arabischen und bedeutet so viel wie "der Nachfolgende". Denn beobachtet man die scheinbare Bewegung des Sterns im Laufe einer Nacht, dann sieht man ihn immer hinter dem markanten Sternhaufen der Plejaden nachlaufen. Wer möchte, kann Aldebaran als auch Wächter vor dem "Goldenen Tor der Ekliptik" sehen. Diese poetische Bezeichnung beschreibt ein interessantes Phänomen. Die Ekliptik, also die auf den Himmel projizerte Umlaufbahn der Erde um die Sonne, läuft genau in der Mitte durch den Raum, der zwischen den Hyaden und den Plejaden liegt. Das ist durchaus relevant, denn die Eklitpik ist ja nichts anderes als die Ebene, in der sich die Erde um die Sonne bewegt. Auch die restlichen Planeten des Sonnensystems bewegen sich alle annähernd in dieser Ebene; ebenso der Mond und - zumindest scheinbar von der Erde aus gesehen - auch die Sonne. Wenn wir den Mond und die Planeten am Himmel beobachten, dann befinden sie sich also nie weit entfernt von der Ekliptik. Und tatsächlich sieht man sie dann auch immer wieder durch dieses von den beiden Sternhaufen gebildete Tor wandern. Der Mond kann dabei sogar Aldebaran bedecken. So ein Ereignis wurde zum Beispiel am 11. März des Jahres 509 von Gelehrten in Athen beobachtet. Mehr als 1000 Jahre später, im 18. Jahrhundert, untersuchte der englische Astronom Edmond Halley diese alten Beobachtungsdaten und kam zu dem Schluss, dass sich die Position von Aldebaran seit damals verändert haben muss. Wäre der helle Stern auch damals schon dort am Himmel gestanden wo Halley ihn zu seiner Zeit sehen konnte, dann hätte der Mond ihn nicht am 11. März 509 bedecken können. Ähnliche Beobachtungen bei anderen Sternen führten ihn zu der Erkenntnis, dass die Sterne tatsächlich nicht fix am Himmel stehen. Sie verändern ihre Position, was auch früher schon vermutet wurde, aber erst jetzt auch wirklich bestätigt werden konnte. Es ist kein Wunder, dass der Aldebaran immer schon die Aufmerksamkeit der Menschen genossen hat. Mit seinem hellen, rötlichen Licht ist er kaum zu übersehen und seine Nähe zu den markanten Sternhaufen der Hyaden und Plejaden lenkt den Blick zusätzlich dorthin. Von allen Sternen des Nachthimmels ist er der 14. hellste. Er befindet sich circa 65 Lichtjahre von der Sonne entfernt und ist 45 mal größer als unser Stern. Er leuchtet gut 500 mal heller als die Sonne und das trotz seiner geringeren Oberflächentemperatur von nur 3600 Grad Celsius. Aldebaran ist ein roter Riesenstern, der sich schon dem Ende seines Lebens nähert. Im Jahr 1993 haben Beobachtungen von Aldebaran vermuten lassen, dass er von einem Planeten umkreist wird. Er wackelte auf eine ganz charakteristische Art hin und her; genau so wie er es tun würde, wenn die Gravitationskraft eines Planeten ein wenig an ihm zerrt. Man konnte aber nicht zweifelsfrei feststellen, ob das auch wirklich so ist, denn Aldebaran ist ein leicht veränderlicher Stern; ändert also immer wieder ein wenig seine Helligkeit und so ein Effekt kann bei der Beobachtung leicht ein Wackeln vortäuschen. 2015 hatte man schon bessere Daten und war sich nun sicher: Ein Planet der fast 6 mal so viel Masse hat wie Jupiter umkreist den Riesenstern in vergleichsweise nahen Abstand; ungefähr so weit entfernt wie der Mars von der Sonne. Damit würde sich der Planet in der sogenannten habitablen Zone von Aldebaran befinden; also dem Bereich, wo die Strahlung des Sterns gerade passend ist, dass flüssiges Wasser auf der Oberfläche eines Planeten existieren kann. Kann, aber nicht muss und auf dem Planeten von Aldebaran mit Sicherheit auch nicht existiert. Er hat keine feste Oberfläche; es handelt sich um einen riesigen Gasplanet, wie Jupiter - nur sehr viel größer. Aber rein theoretisch könnte der Planet von großen Monden umkreist werden - so wie das ja auch bei den Gasplaneten des Sonnensystems der Fall ist. Auf denen könnten dann tatsächlich lebensfreundliche Bedingungen existieren. "Aldebaraner" haben wir bis jetzt aber noch nicht getroffen; auch wenn das immer wieder mal Menschen behauptet haben. Die hatten aber keine Ahnung von Astronomie; das waren Verschwörungstheoretiker wie zum Beispiel Jan Udo Holey oder Axel Stoll. Ihren eher wirren Thesen nach sollen Aliens vom Aldebaran schon vor vielen hunderttausend Jahren auf die Erde gekommen sein. Aus der Vermischung der frühen Menschen und den Aldebaranern sollen dann wir moderne Menschen entstanden sein. Später sollen die Aldebaraner dann wieder gekommen sein und da wird der ganze Unsinn dann ein bisschen bedenklich (bzw. bedenklicher als er sowieso schon ist). Denn die Aliens wollten - aus welchen Gründen auch immer - ihre Geheimnisse und Techniken mit den Menschen teilen. Aber nicht mit allen, nur mit den "Besten". Und dafür haben sie sich gerade die Deutschen ausgesucht. Und weil sie gerade in den 1930er und 1940er Jahren zu Besuch waren, sind die Nationalsozialisten und Adolf Hitler so an Raumfahrzeuge und Wunderwaffen gelangt. Was natürlich alles völliger Quatsch ist; in der Szene der rechtsradikalen Verschwörungstheorien und Esoterik wird aber immer noch gerne davon erzählt, dass die Deutschen besser sind als alle anderen und von den Außerirdischen auserwählt. Wie gesagt: Mit ein wenig Ahnung von Astronomie (oder einfach nur simpler Vernunft) kann man das schnell als Unsinn erkennen. Vor allem sind wir seit 2019 auch gar nicht mehr so sicher, ob es da wirklich einen Planeten bei Aldebaran gibt. Noch neuere Daten haben gezeigt, dass die Beobachtungsdaten auch ohne Planeten erklärt werden können. Irgendwann werden wir es genau wissen; aber mit ziemlicher Sicherheit nicht, in dem wir dort hin fliegen und nachschauen. 65 Lichtjahre ist ziemlich weit weg; das dauert ne Zeit, bis wir dort wären. Die Raumsonde Pioneer 10, die im Jahr 1973 ins All gestartet wurde um Jupiter zu erforschen, ist auf einer Flugbahn, die sie aus dem Sonnensystem hinaus führen wird. Seit 2003 gibt es zwar keinen Kontakt mehr zur Raumsonde; weiterfliegen wird sie aber trotzdem. In die Richtung von Aldebaran, wo sie aber erst in gut zwei Millionen Jahre ankommen wird. Beziehungsweise nicht "ankommen" - sie wird in sehr, sehr großer Entfernung an Aldebaran vorbeifliegen. Durch die Bewegung von Aldebaran kann man nicht genau vorhersagen, wann das sein und wie groß der Abstand der Sonde zum Stern dann sein wird. Aber es wird mehr als ein Lichtjahr sein und das ist dann doch ein eher flüchtiger Besuch… Das Sternbild Stier mit seinem hell und rot leuchtenden Auge gehört zu den ältesten Bildern am Nachthimmel. Schon vor fast 5000 Jahren haben die Menschen in den ersten Hochkulturen in Mesopotamien dort einen Stier gesehen. Aldebaran wird auch weiter die Fantasie der Menschen beschäftigen. Und natürlich den Forschungsdrang der Astronomie. Wir werden uns neue Geschichten über den Stern erzählen, die hoffentlich vernünftiger und schöner sind als die Verschwörungstheorien der Rechtsradikalen. Und wir werden ihn weiter beobachten und mehr über diesen roten Riesen mit seinen existierenden oder nicht existierenden Planeten herausfinden.
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Dec 24, 2021 • 10min

Sternengeschichten Folge 474: Weihnachten und die Wintersonnenwende

Im Winter machen wir die Lichter an Sternengeschichten Folge 474: Weihnachten und die Wintersonnenwende Weihnachten ist ein religiöses Fest der Christen. Weihnachten ist mittlerweile auch ein Fest, das ganz ohne Religion begannen werden kann und wird; einfach als großes Familienfest oder auch nur als ruhiger Tag an dem man sich ein wenig erholen kann. Aber egal ob Religion oder nicht - mit Astronomie scheint Weihnachten auf den ersten Blick nichts zu tun zu haben. Hat es aber natürlich. So gut wie jedes große Fest das wir Menschen begehen, hat auf die eine oder andere Art mit Astronomie zu tun. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, dann ist das auch kein Wunder. Der Himmel war immer schon der ultimative Taktgeber für unsere Kultur. Die natürlichen Rhythmen von Tag und Nacht, der Mondphasen oder der Jahreszeiten lassen sich direkt am Himmel beobachten. Und selbstverständlich haben sich um diese Rhythmen herum alle möglichen Bräuche, Feste und Traditionen entwickelt. Der Lauf der Jahreszeiten hat die Welt früher noch viel mehr dominiert als heute, wo zumindest in den industrialisierten Ländern nur noch wenige Menschen in der Landwirtschaft tätig sind. Aber für eine Zivilisation in der so gut wie alle ihre Nahrung selbst anbauen müssen, ist es von fundamentaler Notwendigkeit, die Jahreszeiten im Blick zu haben. Im Frühling muss man ausäen und sich darum kümmern, dass alles zu wachsen beginnt. Im Herbst muss geerntet werden, damit genug zu essen da ist, wenn der kalte und dunkle Winter kommt, in dem nichts angebaut werden kann. Dass nach dem Winter irgendwann wieder der nächste Frühling und der nächste Sommer kommt: Das haben die Menschen natürlich immer schon gewusst. Aber sie haben nicht gewusst, was die Ursache für den regelmäßigen Lauf der Jahreszeiten ist. Und da ist es nicht verwunderlich, wenn man diese Vorgänge genau verfolgt und mit entsprechenden Ritualen ausstattet. Stellen wir uns einfach mal vor, wie es so gewesen sein könnte, vor ein paar tausend Jahren… Der Winter ist da, draußen ist es kalt. Die Sonne geht spät auf, sie geht früh wieder unter. Es ist dunkel und je länger der Winter fortschreitet, desto länger dauert die Nacht. Und die Nacht war damals natürlich auch noch eine echte Nacht. Keine hell erleuchteten Städte und Straßen, keine Lichter in den Häusern. Wenn, dann hatte man ein offenes Feuer, das ein bisschen Licht und Wärme in der langen Nacht gespendet hat. Selbstverständlich hat man damals sehr genau zum Himmel geschaut. Und darauf gewartet, dass die Tage endlich wieder länger werden. Denn wer weiß; vielleicht hört der Winter ja irgendwann doch nicht mehr auf? Aber wenn dann die Nacht wieder kürzer wird; wenn die Sonne Tag für Tag ein kleines bisschen früher aufgeht und ein kleines bisschen länger am Himmel steht: Dann kann man sich sicher sein, dass der Frühling kommen wird. Der Zeitpunkt an dem das passiert; an dem also die Nacht nicht mehr länger wird, wird "Wintersonnenwende" genannt und war genau deswegen immer schon von großer Bedeutung für die Menschen. Was dabei aus astronomischer Sicht abläuft, habe ich in Folge 135 schon ein bisschen genauer erklärt, als ich über das Gegenstück im Sommer gesprochen habe: Die Sommersonnenwende. Ich werde nicht alles wiederholen; sage aber noch einmal dazu, dass ich auch hier wieder die Situation auf der Nordhalbkugel bespreche; auf der südlichen Hälfte der Erde läuft die Sache umgekehrt, da dort ja Sommer ist, wenn wir hier Winter haben. Gehen wir gedanklich noch einmal zurück in die Zeit vor ein paar tausend Jahren. Damals wusste man noch nichts über den Aufbau des Sonnensystems, kannte das Gravitationsgesetz noch nicht und hatte keine Ahnung, dass die Sonne ein Stern ist, der von der Erde, einem Planeten, umkreist wird. Aber man konnte die Sonne am Himmel sehen. Und die Menschen waren damals auch nicht dümmer als heute; sie waren durchaus in der Lage, die Himmelskörper und ihre Bewegung zu registrieren und sich ihre Gedanken dazu zu machen. Von der Erde aus sehen wir die Sonne immer in Richtung Osten aufgehen und abends immer in Richtung Westen hinter dem Horizont verschwinden. Wenn man lange genug beobachtet, dann wird man feststellen, dass die Sonne nicht immer am gleichen Punkt erscheint und verschwindet. Im Sommer zum Beispiel geht die Sonne deutlich östlicher auf als im Winter und sie geht weiter westlicher unter. Was bedeutet, dass sie im Sommer auch einen längeren Weg über den Himmel zurücklegt und es länger hell ist. Was man ebenfalls feststellen kann: Im Sommer steigt die Sonne bei ihrem Weg über den Himmel sehr viel höher am Himmel hinauf als im Winter. Wenn man an jedem Tag des Jahres beobachtet, wie weit die Sonne steigt, bis sie zu Mittag ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht, dann wird man sehr schnell ein Muster erkennen. Im Laufe des Frühlings wandert dieser höchste Punkt immer höher hinauf, bis im Sommer ein Höchstwert erreicht ist. Dann scheint die Sonne dort kurz zu verharren; sie steigt nicht weiter und beginnt in den folgenden Tagen zu sinken. Sie kommt nicht mehr so weit nach oben wie zuvor und Tag für Tag wird sie Mittags ein wenig tiefer am Himmel stehen. Das geht bis in den Winter hinein so weiter, die Tage werden kürzer und kälter. Bis sie das zweite Mal stillzustehen scheint und dann wieder langsam damit beginnt, höher am Himmel zu stehen. Diese beiden Punkte im Jahr nennt man die "Sonnenwenden" oder auf lateinische die "Solstitien", was nichts anderes bedeutet als "Stillstand der Sonne". Diese Beobachtungen kann man auch ohne großes technisches Gerät anstellen; man braucht nur einen fixen Beobachtungsort und ein gutes Gedächtnis. Oder stellt zum Beispiel einen großen Pfahl auf, über den man die Sonne jeden Tag zu Mittag anvisiert und dann mit einer Kerbe den jeweiligen Höchststand markiert. Über die Sonnenwenden haben die Menschen schon in der Steinzeit Bescheid gewusst, was man auch an der Konstruktion und Ausrichtung von Bauwerken wie Stonehenge oder der Kreisgrabenanlage von Goseck sehen kann. In der modernen Astronomie markieren die Tage der Sommer- und Wintersonnenwende den Anfang von Sommer beziehungsweise Winter. Aber immer schon hat man diese Tage auch mit entsprechenden Festen und Ritualen begangen. Wenn endlich klar war, dass die dunkle und kalte Jahreszeit zwar noch nicht vorbei ist, aber bald vorbei sein wird, konnte man auch einen Teil der angelegten Vorräte auftischen und nach der Zeit der Entbehrungen ordentlich feiern. So haben sich überall große Mittwinterfeste entwickelt, bei denen man die längste Nacht des Jahres mit vielen Lichtern erhellt und es sich in Freude auf den nächsten Frühling gut gehen lässt. Die Wintersonnenwende findet immer am 21. oder 22. Dezember statt (das kommt darauf an, ob gerade ein Schaltjahr ist oder nicht). Und das ist zwar nahe an Weihnachten - aber eben nicht ganz exakt. Weihnachten feiern wir am 24.12 - oder am 25.12, je nach Kulturkreis. Trotzdem gehört die Wintersonnenwende hier dazu. Es ist zwar historisch nicht ganz klar, welche Feste welche Völker an welchen Tagen gefeiert haben oder nicht - ob etwa das germanische "Julfest" direkt zur Wintersonnenwende begangen wurde oder irgendwann später im Winter, weiß man nicht so genau. Aber es gab andere Feste zur Wintersonnenwende, zum Beispiel die Feierlichkeiten zu Ehren des römischen Gottes "Sol Invictus", einem Sonnengott, der natürlich gerade zur Wintersonnenwende besonders verehrt wurde. Im Christentum feiert man Weihnachten erst seit dem 4. Jahrhundert. Eine komplette historische Abhandlung über die Entstehung von Weihnachten würde den Rahmen des Podcasts sprengen - aber auch wenn die Christen an Weihnachten die Geburt von Jesus feiern ist klar, dass es hier nicht um ein historisch belegtes Ereignis geht. Niemand weiß, an welchem Tag Jesus tatsächlich geboren wurde (man kann nicht mal mit Sicherheit sagen, ob er überhaupt geboren wurde). Erst als das Christentum nach ein paar Jahrhunderten zu einer relevanten Religion herangewachsen ist, machte man sich Gedanken darüber, wie und wann man das Fest zur Geburt von Jesus begehen soll. Und hat es dann klugerweise auf den Tag der Wintersonnenwende gelegt. Wenn da sowieso schon so viele Feste anderer Religionen stattfinden, kann man die dann dadurch quasi boykottieren und die Menschen waren sowieso daran gewöhnt, dass an diesem Tag gefeiert wird; also können sie auch gleich die neue Religion feiern… Man hat das Fest also auf den 25. Dezember gelegt und damals WAR das der Tag der Wintersonnenwende. Denn damals wurde noch der alte julianische Kalender verwendet; erst im 16. Jahrhundert gab es eine Kalenderreform mit der der Kalender eingeführt wurde, den wir auch heute benutzen. Dabei verschob sich alles um ein paar Tage, weswegen die Wintersonnenwende kalendarisch heute eben auf den 21. oder 22. Dezember fällt. Das christliche Weihnachtsfest blieb aber beim alten Datum. Egal wie man Weihnachten feiert; mit oder ohne Religion; mit vielen Freunden oder nicht: Es ist ein Fest, dass die Menschen schon von Anfang an feiern. Wir feiern den Kreislauf der Jahreszeiten und damit auch die Bewegung der Himmelskörper. Und letztendlich feiern wir das, auf das man sich unabhängig von allen Unterschieden und Streitigkeiten immer einigen kann: Dass nach der langen Dunkelheit endlich wieder hellere Tage kommen werden.
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Dec 17, 2021 • 15min

Sternengeschichten Folge 473: Ulugh Beg, der Prinz der Sterne

Das Streben nach Wissen ist die Pflicht eines jeden Sternengeschichten Folge 473: Ulugh Beg, der Prinz der Sterne Wir kennen Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler und Tycho Brahe. Wir kennen Ptolemäus, Galileo Galilei und Isaac Newton. Aber den Namen "Ulugh Beg" haben vermutlich die wenigsten gehört. Dabei war auch er ein großer Astronom und zu seiner Zeit einer der besten auf der Welt. Er wird oft als "Prinz der Sterne" bezeichnet, den Beg war nicht nur Astronom, sondern auch ein Prinz aus der Dynastie der Timuriden, die vom 14. Jahrhundert bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts das Gebiet beherrschten, in dem heute Afghanistan, Iran und Usbekistan liegen. Begründer dieses Reiches ware Timur, der in Europa auch oft Tamerlan genannt wird. Timur war verwandt mit Dschinghis Khan, dem berühmten Mongolenherrscher und einer der Enkel von Timur war Mīrzā Muhammad Tāriq ibn Schāh-Ruch Ulugh-Beg, besser bekannt als "Ulugh Beg", was nichts anderes als "Großer Herrscher" bedeutet. Geboren wurde Ulugh Beg am 22. März 1394 in der Stadt Soltaniye, im heutigen Nordirak. Sein Vater war Shah Ruch, der vierte Sohn von Timur, der sich nach dessen Tod zum Herrscher des Timuridenreiches aufgeschwungen hatte. Er verlegte die Hauptstadt nach Herat, im heutigen Afghanistan, wollte aber die ursprüngliche Hauptstadt Samarkand nicht aufgeben. Also setzte er seinen damals 16jährigen Sohn Ulugh Beg als Fürst und Statthalter von Samarkand ein. An der Beherrschung dieser Provinz von "Transoxianien" hatte Beg aber kein allzu großes Interesse. Schon als Kind hatte er die Überreste der Sternwarte von Nasīr ad-Dīn at-Tūsī besucht, einem bedeutenden Astronomen im 13. Jahrhundert, dessen Arbeit später unter anderem Nikolaus Kopernikus zur Entwicklung seiner eigenen Theorien über das Universum verwendete. Ulugh Beg jedenfalls begann sich für Astronomie zu interessieren und wurde in dieser Disziplin unter anderem von Qadi Zada unterrichtet, ein Mathematiker und Astronom. Als Fürst von Samarkand begann Beg auch gleich damit, eine Madrasa zu errichten, also das, was wir heute vielleicht als höhere Lehranstalt oder Universität bezeichnen würden. Dort arbeiteten bis zu 70 Forscher und die "Ulugh-Beg-Madrasa" entwickelte sich schnell zu einer der bedeutensten Forschungseinrichtungen in Zentralasien. Neben dieser Universität begann Beg in den 1420er Jahren auch mit dem Bau einer eigenen Sternwarte. Zusammen mit der Madrasa machte das "Zidsch-e Gurkani", wie die Sternwarte genannt wurde, Samarkand zu einem regelrechten Forschungszentrum. Heute ist Samarkand eine Großstadt in Usbekistan, aber auch damals war es eine wichtige Stadt an der Hauptroute der Seidenstraße. Eine Sternwarte sah damals aber natürlich ganz anders aus als heute, immerhin gab es im 15. Jahrhundert noch keine Teleskope. Und auch die Forschungsschwerpunkte lagen selbstverständlich ganz woanders als sie heute liegen. Die beobachtende Astronomie war vor allem damit beschäftigt, die Position der Sterne am Himmel so exakt wie nur möglich zu vermessen. Dazu konnte man, wie gesagt, keine Teleskope verwenden. Was aber nicht heißt, dass man keine wissenschaftlichen Instrumente hatte. Die hatte man, und Ulugh Beg hatte die besten, die es damals gab! Seine Sternwarte hatte drei Stockwerke, war 30 Meter hoch und 46 Meter im Durchmesser. Darin befand sich ein Sextant. Solche Instrumente gibt es auch heute noch; man verwendet sie zur Navigation anhand der Sterne und macht damit genau das, was Ulugh Beg und seine Kollegen damals gemacht haben. Ich will jetzt nicht im Detail erklären, wie so ein Gerät funktioniert. Aber es läuft darauf hinaus, dass man damit Winkel messen kann. Stellen wir uns einen hellen Stern vor, der am Nachthimmel leuchtet. Wie hoch steht dieser Stern am Himmel? Mit "hoch" ist hier natürlich nicht der reale, physische Abstand zum Erdboden gemeint. Diese gigantischen Distanzen konnte man erst im 19. Jahrhundert messen. Bei der Arbeit von Ulugh Beg ging es darum, die Höhe über dem Horizont in Form eines Winkels zu messen. Würde der Stern genau am Horizont stehen, dann hätte er eine Höhe von 0 Grad. Wenn er direkt über dem eigenen Kopf steht, dann beträgt die Höhe 90 Grad. Und dazwischen eben einen entsprechend anderen Wert. Ein moderner Sextant ist ein kleines Gerät, das man in die Hand nehmen kann. Man kann einen Stern damit über ein kleines Fernrohr genau anvisieren und an einer entsprechenden Skala ablesen, wie hoch er steht. Ulugh Beg musste damals anders arbeiten. Er musste die Sterne mit bloßem Auge betrachten und anvisieren. Sein Sextant war fix im Observatorium verbaut und unbeweglich. Er bestand aus eine großen steinernen Bogen mit einer Gradskala. Der Bogen war exakt ausgerichtet, entlang einer Linie die exakt von Nord nach Süd verläuft. Ich habe in Folge 340 schon ein wenig genauer über solche alten astronomischen Instrumente gesprochen und will das nicht alles wiederholen. Aber diese Nord-Süd-Linie, der Meridian, ist genau die Linie, an der ein Stern im Laufe einer Nacht seinen höchsten Punkt am Himmel erreicht. Wegen der Erdrehung scheinen sich die Sterne alle in Kreisbögen von Osten nach Westen zu bewegen. Dabei kreuzen sie den Meridian und sie tun das genau in dem Moment, in dem sie ihren höchsten Punkt erreicht haben. Ein Astronom wie Ulugh Beg musste also einen Stern die ganze Nacht über beobachten, über die Skala des eingemauerten Sextants anvisieren und dann, wenn er exakt über dem Sextant steht, an der Skala den Winkel seiner Höhe über dem Horizont ablesen. Instrumente wie die Sextanten gab es schon seit langer Zeit. Aber keines war wie das von Ulugh Beg. Sein Sextant hatte einen Durchmesser von 36 Metern! Das war damals der größte Sextant der existierte und es wurde auch niemals ein größerer gebaut. Warum so groß? Ganz einfach: Je größer ein Kreis, desto feiner kann die Skala sein, die man darauf einzeichnen kann. Ein kompletter Kreis hat 360 Grad. Ein Sextant umfasst nur ein Sechstel eines Kreis, aber auch das sind immer noch 60 Grad und man muss daher schon einmal 60 Striche in einem gleichem Abstand voneinander darauf unterbringen, wenn man ihn gradgenau ablesen möchte. Ulugh Beg wollte aber noch viel genauer sein. Ein Grad wird in 60 Bogenminuten unterteilt und jede Bogenminute wiederum in 60 Bogensekunden. Will man also die Höhe mit der Genauigkeit von einer Bogensekunde ablesen, muss man 216.000 Striche für die Skala entlang des Sextanten eintragen. Ganz so exakt war das Instrument von Ulugh Beg nicht, aber konnte immerhin eine Genauigkeit bei seinen Messungen von einigen Bogensekunden erreichen. Zum Vergleich: Das entspricht der Größe, unter der ein 10-Cent-Stück erscheint, wenn man es aus einer Entfernung von 500 Metern betrachtet. Dieser gewaltige Steinbogen war das beste astronomische Instrument seiner Zeit und gemeinsam mit seinem Lehrer Qadi Zada und anderen Astronomen hat Ulugh Beg damit die Position von knapp 1000 Sternen bestimmt. Die Ergebnisse wurden 1437 im Zīdsch-i Sultānī veröffentlicht, einem Werk, das nicht nur diesen Sternkatalog enthalten hat, sondern auch diverse astronomische Ergebnisse und Berechnungen die dank der genauen Vermessung der Sternpositionen möglich waren. Sie konnten zum Beispiel berechnen, wie lang ein Jahr dauert. Nämlich 365 Tage, 6 Stunden, 10 Minuten und 8 Sekunden. Der exakte Wert den wir heute kennen ist um nur knapp 58 Sekunden kürzer. Ebenfalls aus den Beobachtungsdaten berechnet werden konnte die Neigung der Erdachse. Die steht ja nicht senkrecht auf die Ebene, in der sie sich um die Sonne bewegt, sondern ist geneigt. Laut Ulugh Beg um 23 Grad, 30 Bogenminuten und 17 Bogensekunden aus der Vertikalrichtung. Ein Unterschied von 32 Bogensekunden zum modernen Wert. Neben solchen fundamentalen Eigenschaften der Bewegung unseres Planeten haben die Astronomen an der Sternwarte in Samarkand auch die Positionen von Sonne und den Planeten berechnet und aufgelistet. An der Madrasa fand derweil natürlich auch wissenschaftliche Arbeit statt, vor allem in der Mathematik. Auch hier lief die Arbeit anders als heute, wo wir einfach mit Taschenrechner und Computer rechnen können. Damals musste man per Hand rechnen und das war mühsam, zum Beispiel wenn man mit Winkelfunktionen wie Sinus oder Cosinus arbeiten musste - was man auf jeden Fall muss, wenn man astronomische Berechnungen anstellen will. Wenn wir heute wissen wollen, was zum Beispiel der Sinus von 30 Grad ist, dann tippen wir das in den Taschenrechner. Damals musste man das Ergebnis durch langwierige Rechnungen näherungsweise bestimmen. Um das nicht immer wieder aufs Neue tun zu müssen, gab es Tabellen mit den schon vorab berechneten Ergebnissen für diverse oft gebrauchte Winkel. An der Madrasa in Samarkand wurden diese Tabellen extrem genau berechnet, für alle Winkel mit einer Schrittweite von einem Grad, für alle Winkelfunktionen und mit einer Genauigkeit von acht Nachkommastellen. Die Zahl Pi konnte dort auf 16 Nachkommastellen genau berechnet werden, was erst Ende des 16. Jahrhunderts durch die 35 Nachkommastellen übertroffen wurde, für die der deutsche Mathematiker Ludolph van Ceulen 30 Jahre Rechenarbeit brauchte. Kurz gesagt: Ulugh Beg hat in Samarkand ein großes mathematisches und astronomisches Forschungszentrum errichtet und seine Ergebnisse gehörten zum Besten, was zur damaligen Zeit zu haben war. Sein Sternkatalog war der umfangreichste und genaueste den es gab, besser als der antike "Almagest" von Claudius Ptolemäus und die diversen daraus abgeleiteten Arbeiten. Warum ist er also nicht so bekannt, wie es seine Arbeit rechtfertigen würde? Der Zīdsch-i Sultānī war schon kurz nach seiner Veröffentlichung in Abschriften in der einen oder anderen europäischen Bibliothek zu finden, wurde aber eher ignoriert. Der Wissenstransfer von der muslimschen Welt nach Europa, der im Mittelalter regelmäßig stattfand, war mittlerweile ins Stocken geraten. Erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts ist die Arbeit von Ulugh Beg dort unter den Gelehrten so richtig bekannt geworden. Da aber gab es schon die Sternkataloge von Tycho Brahe. Die wurden zwar erst mehr als 100 Jahre nach Ulugh Begs Werken veröffentlicht, waren aber besser als seine Arbeiten. Als Ulugh Beg im Westen bekannt wurde, waren seine astronomischen Forschungsergebnisse also schon ein paar Jahrzehnte lang von neueren Daten übertroffen worden und deswegen interessierte man sich nicht mehr groß für ihn. Sein Observatorium hat aber den Osten beeinflusst und zur Errichtung ähnlicher Sternwarten in Indien geführt. Ulugh Beg konnte seine wissenschaftliche Arbeit auch nicht so lange und ausführlich fortführen, wie er gern wollte. Er war ja immer noch Herrscher in Samarkand und musste in dieser Funktion auch Regierungsaufgaben wahrnehmen, den einen oder anderen Kriegszug anleiten, und so weiter. 1447 starb Schah Ruch, sein Vater und ein Nachfolgestreit setzte ein. Ulugh Beg fand sich auf der Verlierseite wieder, die religiösen Führer konnten ihn sowieso schon länger nicht leiden, weil er sich mehr um die Wissenschaft als um den Glauben kümmerte und sogar sein ältester Sohn, Abdal-Latif Mirza, stellte sich gegen ihn. Ulugh Beg wurde von ihm gefangen genommen und hatte die Wahl zwischen Tod oder Exil und einer Pilgerreise nach Mekka. Ulugh Beg wählte letzteres und war wahrscheinlich gar nicht so unglücklich, sich nicht mehr ums Regieren kümmern zu müssen. Aber kaum hatte er Samarkand verlassen, wurde er im Auftrag seines Sohnes ermordet. Ulugh Beg starb am 27. Oktober 1449. Er wurde im Gur-Emir-Mausoleum bestattet; dort, wo auch sein Großvater Timur lag. Samarkand steht noch und auch die Madrasa kann heute dort noch - wenn auch stark restauriert - besucht werden. Die Sternwarte hat die Zeit nicht überstanden; zumindest der oberirdische Teil. Die unter der Erde gelegenen Bereiche aber wurden 1908 von Archäologen entdeckt, ausgegraben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Deswegen kann man auch heute noch einen Teil des gigantischen Sextanten besichtigen, mit dem Ulugh Beg gearbeitet hat. Ulugh Beg wird folgendes Zitat zugeschrieben: "Die Religionen zerstreuen sich wie Nebel, die großen Reiche zerstören sich von selbst, aber die Arbeiten des Gelehrten bleiben für alle Zeiten. Das Streben nach Wissen ist die Pflicht eines jeden". Ob er das wirklich so gesagt hat, ist nicht sicher. Es ist aber auf jeden Fall ein schönes Schlusswort für seine Geschichte.
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Dec 10, 2021 • 14min

Sternengeschichten Folge 472: Somnium - Johannes Keplers Traum vom Mond

Das erste Science-Fiction-Buch Sternengeschichten Folge 472: Somnium - Johannes Keplers Traum vom Mond "Da geschah es eines Nachts, dass ich, nach der Betrachtung der Sterne und des Mondes für Höheres empfänglich geworden, auf meinem Bette einschlief". Der, der da eingeschlafen ist, war Johannes Kepler. Und was er während des Schlafes erlebt hat, kann man in seinem Buch "Somnium" nachlesen. Somnium oder "Der Traum vom Mond" ist ein sonderbares Buch. Kepler begann im Jahr 1609 damit es zu schreiben, schrieb bis zu seinem Tod immer weiter daran und es erschien erst 1634, vier Jahre nach seinem Tod. Man findet darin Wissenschaft, Astronomie aber auch Inhalte, die man eigentlich nur der Science-Fiction zuordnen kann. Und tatsächlich wird "Somnium" von vielen - unter anderem von Isaac Asimov - als eines der allerersten Science-Fiction-Bücher bezeichnet. Die Geschichte beginnt damit, das Kepler davon berichtet, ein Buch über Libuše gelesen zu haben, eine mythologische Figur, die Magierin, Wahrsagerin und Stammmutter des böhmischen Herrschergeschlechts gewesen sein soll. Dabei schlief er ein und im Traum liest Kepler auf einmal ein anderes Buch, das von Duracoto handelt, einem jungen Isländer. Dessen Mutter Fiolxhilde war eine Art Hexe, macht mit ihrem Sohn Ausflüge zum Vulkan Hekla und verkauft Kräuter und Zaubersprüche. Als Duracoto ein Kräutersäckchen seiner Mutter ruiniert, ist diese so böse, dass sie ihn an einen Seemann verkauft, der ihn wiederum auf der Insel Hven aussetzt. Dort lebt - wie wir ja schon in Folge 167 der Sternengeschichten erfahren haben - der große Astronom Tycho Brahe. Er unterricht Duracoto in Astronomie und erst fünf Jahre später ergibt sich die Gelegenheit für eine Rückkehr nach Island. Dort freut sich die Mutter über das Wiedersehen, will alles über die Reisen ihres Sohnes und die Himmelskörper wissen und vertraut ihm eine Geheimnis an. Sie kann Dämonen beschwören und diese Dämonen sind in der Lage, einen Menschen an jeden beliebigen Ort der Erde und darüber hinaus zu transportieren. Dazu zählt auch der Mond und weil Duracoto jetzt selbst Experte für Astronomie und den Mond ist, möchte sie das Wissen der Dämonen gerne mit ihm teilen. Also wird der entsprechende Dämon beschworen, der Mutter und Sohn über "Levania" unterrichtet. Das ist der Name des Mondes in der Sprache der Dämonen und zuerst wird erklärt, wer überhaupt dorthin reisen kann. Das können nämlich nicht alle; immerhin muss die entsprechende Person ja von den Dämonen dorthin getragen werden. Der Dämon erklärt: "Keinen von sitzender Lebensart, keinen Wohlbeleibten, keinen Wollüstling nehmen wir zu Begleitern, sondern wir wählen solche, die ihr Leben im eifrigen Gebrauch der Jagdpferde verbringen oder die häufig zu Schiff Indien besuchen und gewohnt sind, ihren Unterhalt mit Zwieback, Knoblauch, gedörrten Fischen und anderen von Schlemmern verabscheuten Speisen zu fristen. Besonders geeignet für uns sind ausgemergelte alte Weiber, die sich von jeher darauf verstanden, nächtlicherweile auf Böcken, Gabeln und schäbigen Mänteln reitend, unendliche Räume auf der Erde zu durcheilen. Aus Deutschland sind keine Männer geeignet, aber die dürren Leiber der Spanier weisen wir nicht zurück." Nun. Auch heute noch müssen Astronautinnen und Astronauten auf ihr Gewicht achten, wenn sie ins All wollen. Je mehr Masse in den Weltraum transportiert werden soll, desto größer ist der Aufwand. Das hat Kepler also richtig erkannt; Deutsche waren aber mittlerweile schon ein paar Mal im All… Der Dämon erzählt weiter: Vier Stunden dauert die Reise zum Mond und es ist kein einfacher Weg! Vor allem der Anfang, wo die Person von den Dämomen mit enormer Kraft Richtung Himmel geschleudert wird: "Diese Anfangsbewegung ist für ihn die schlimmste, denn er wird gerade so emporgeschleudert, als wenn er durch die Kraft des Pulvers gesprengt über Berge und Meere dahin flöge. Deshalb muss er zuvor durch Opiate betäubt und seine Glieder sorgfältig verwahrt werden, damit sie ihm nicht vom Leibe gerissen, vielmehr die Gewalt des Rückschlages in den einzelnen Körpertheilen vertheilt bleibt." Natürlich hatte Kepler nicht die geringste Ahnung von Raketen und moderner Raumfahrt. Aber Menschen werden heute tatsächlich durch "die Kraft des Pulvers" ins All getrieben, zumindest im übertragenen Sinn, weil nicht immer Festbrennstoffe in der Raketen verwendet werden, sondern auch flüssiger Treibstoff. Betäubt werden müssen die Astronautinnen und Astronauten dabei nicht, ihre Glieder müssen aber immer noch "sorgfältig verwahrt" werden und die "Gewalt des Rückschlags" muss durch entsprechend angepasste Sitzgelegenheiten verteilt werden. Kepler beziehungsweise der Dämon wusste auch um die Lebensfeindlichkeit des Alls: "Sodann treffen ihn neue Schwierigkeiten: ungeheure Kälte sowie Athemnoth; gegen jene schützt uns unsere angeborene Kraft, gegen diese ein vor Nase und Mund gehaltener feuchter Schwamm." Aber ist man einmal im All, dann wird die Reise leichter, "dann geben wir unsere Begleiter frei und überlassen sie sich selbst", wie der Dämon erklärt. Erst bei der Annäherung an den Mond müssen sie wieder eingreifen: "Infolge der bei Annäherung an unser Ziel stets zunehmenden Anziehung würden sie durch zu hartem Anprall an den Mond Schaden leiden, deshalb eilen wir voran und behüten sie vor dieser Gefahr." Modern interpretiert: Einmal im Weltall angekommen braucht es keine Beschleunigung durch einen Antrieb mehr, dann fliegt man von selbst. Und man muss aktiv abbremsen, wenn man sich dem Mond nähert, ansonsten besteht die Gefahr eine Kollision. Wie gesagt: Man muss aufpassen, nicht zu viel von unserem modernen Wissen in den alten Text hinein zu lesen. Kepler hatte keine Ahnung von Raketen; hat auch die Raumfahrt nicht "vorhergesehen". Aber als Wissenschaftler hatte er Ahnung von den grundlegenden Phänomen der Physik und der Mechanik und konnte entsprechend spekulieren. Raumfahrt im modernen Sinn hatte er sicher nicht im Kopf, als er seine Geschichte schrieb; eher die antiken Vorbilder, zum Beispiel die fast 2000 Jahre alte Geschichte von Lukian von Samosata, der beschreibt wie Menschen von Vögeln gezogen zum Mond reisen. Die Reise macht aber sowieso nur einen kleinen Teil von Keplers Traumgeschichte aus. Der Hauptteil beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Mondes und da wusste der Astronom sehr gut Bescheid. Er beschreibt im Detail, wie der Anblick des Himmels vom Mond aus aussehen würde. Die Sterne wären die gleichen, aber natürlich steht "Volva" am Himmel, wie die Erde im Somnium genannt wird. Und der Mond teilt sich in eine "subvolvane" und eine "privolvane" Hälfte. Auch das wusste Kepler: Wenn man von der Erde aus immer nur eine Hälfte des Mondes sehen kann, dann muss es auch auf dem Mond eine Hälfte geben, auf der die Erde ständig zu sehen ist und eine, auf der man sie nie sehen kann. Kepler - beziehungsweise der Dämon - beschreibt nun wie sich die Sterne scheinbar über den Himmel bewegen, wie oft die Sonne auf und untergeht, gibt Umlauf- und Rotationszeiten an, und so weiter. Man erfährt etwas über den Tag- und Nachtzyklus auf dem Mond, wobei "Tag" und "Nacht" hier jeweils gut zwei Wochen dauern. Auf der privolvanen Hälfte ist es stockfinster in der Nacht, auf der subvolvanen Hälfte kann man aber die Volva, also die Erde, hell am Himmel stehen sehen. Kepler erläutert, dass die Erde am Mondhimmel viel größer aussieht als der Mond am Himmel der Erde und stellt auch korrekt fest, dass die Position der Erde am Mondhimmel sich nicht ändert: "Für die Mondbewohner steht die Volva fest, wie mit einem Nagel an den Himmel geheftet, unbeweglich am selben Ort", erklärt der Dämon. Genau so ist es, denn der Mond zeigt der Erde immer die gleiche Seite. Was es aber gibt sind Erdphasen und Kepler erklärt genau, wie und wann man "Neuvolva" oder "Vollvolva" beobachten kann (und wer mehr dazu wissen will, kann sich Folge 331 noch einmal anhören). Es folgen Beschreibungen des Anblicks von Sonnenfinsternissen und "Erdfinsternissen", vom Mond aus gesehen und jede Menge weitere astronomische Details. Auf den letzten Seiten des Buchs widmet sich Kepler dann den Lebewesen auf dem Mond. Dort gibt es keine Städte wie auf der Erde, die Mondlebewesen ziehen ständig umher, um dem Wasser zu folgen beziehunsgweise verstecken sich in Höhlen vor der sengenden Sonne oder der eiskalten Nacht. Denn auch das stellt Kepler korrekt fest: Während der tagelangen Nacht wird es auf dem Mond richtig kalt; wenn dagegen die Sonne tagelang auf die Oberfläche brennt, wird es enorm heiß. Deswegen ist das Fell der Mondtiere oder die Rinde von Mondbäumen auch extrem dick. Sollten sie es nicht schaffen, sich vor der Sonne zu schützen, dann wirkt die dicke Außenschicht wie ein Hitzeschild, das im Laufe des langen Mondtages langsam verbrennt und abfällt und in der kühleren Mondnacht wieder nachwächst. Leben ist nur möglich, so Kepler, weil immer wieder jede Menge Wolken vor der Hitze schützen, aus denen es immer wieder regnet. Der Regen der realen Welt, der gegen das Fenster prasselt, weckt Kepler schließlich aus seinem Schlaf und von der Erzählung des Dämons und der "Somnium" ist zu Ende. Wie gesagt: Es ist ein seltsames Buch. Man erkennt darin jede Menge Elemente aus Keplers eigenem Leben. Auch er hat bei Tycho Brahe auf der Insel Hven Astronomie studiert. Auch Keplers Mutter wurde beschuldigt, eine "Hexe" zu sein, so wie Fiolxhilde aus dem Traum. Keplers detaillierte Beschreibung der Beobachtung astronomischer Phänomene vom Mond aus hat dem Stand des damaligen Wissens entsprochen. Und aus der Sicht seiner Zeit dürfte es durchaus eine sehr originelle wissenschaftliche Übung gewesen sein, sich zu überlegen, wie denn der Anblick von Sonne, Sternenhimmel und Erde aussieht, wenn man sich gerade auf dem Mond befindet. Vor allem dürfte Kepler sich diese Gedanken gemacht und sie veröffentlicht sehen wollen, um das damals immer noch umstrittene kopernikanische Weltbild zu unterstützen. Denn von der Erde aus sehen wir ja ziemlich deutlich, wie sich der Mond um uns herum bewegt. Stünden wir aber auf dem Mond, käme uns der Mond als unbewegt vor und wir würden sehen, wie sich die anderen Himmelskörper um uns herum bewegen; genau so wie Kepler es im Somnium mit wissenschaftlichen Details beschreibt. Als rein wissenschaftliches Werk dürfte Kepler sein Buch aber dennoch nicht gesehen haben. Auch er hat vermutlich vom All geträumt, so wie die Menschen vor und nach ihm. "Gib mir Schiffe oder richtige Segel für die Himmelsluftfahrt her und es werden auch Menschen da sein, die sich vor den entsetzlichen Weiten nicht fürchten", schreibt er 1610 an Galileo Galilei und seinem Freund Matthias Bernegger schreibt er scherzhaft: "Verjagt man uns von der Erde, so wird mein Buch als Führer den Auswanderern und Pilgern zum Monde nützlich sein". Keplers Gedanken dürften also durchaus auch um die Reise ins All und zum Mond gekreist haben. Und warum nicht darüber nachdenken, wie es dort ist, und wer oder was dort leben könnte? Wie ich in Folge 333 schon ausführlicher erklärt habe, war es lange Zeit absolut normal davon auszugehen, dass auch die restlichen Planeten und Himmelskörper des Sonnensystems selbstverständlich bewohnt sind. Kepler war aber auch hier origineller und in gewissen Sinne visionärer als alle anderen. Die meisten Philosophen und Forscher haben sich die Bewohner von Mond oder Mars so wie die Menschen vorgestellt, nur halt ein bisschen anders. Kepler aber hat anscheinend schon lange vor den Erkenntnissen eines Charles Darwin daran gedacht, dass es immer auch auf die Umweltbedingungen ankommt, wie Leben funktioniert. Und sich seine Mondgeschöpfe entsprechend vorgestellt. Man kann gerne darüber streiten, ob "Somnium" das erste Science-Fiction-Buch war oder nicht. Ob nicht schon diverse Werke des Mittelalters oder der Antike auch als Science-Fiction gelten sollten beziehungsweise ob erst die Bücher und Romane der Neuzeit als echte Science-Fiction gelten dürfen. Was aber sehr deutlich wird ist: Auch Johannes Kepler war nicht nur Astronom, sondern auch - im wahrsten Sinne des Worstes - ein Träumer. Sein "Traum vom Mond" erzählt genau die Geschichte, die auch heute noch von den Autorinnen und Autoren der Science Fiction erzählt wird. Es geht darum, was wir wissen und das, was wir nicht wissen, aber vielleicht sein könnte. Es geht um Welten, die wir erforschen wollen, aber nicht können. Und deswegen in unserer Fantasie auf Warp-Antrieb oder Wurmlöcher zurück greifen müssen. Oder eben auf isländische Dämonen. Aber der Traum, den Kepler vor mehr als 400 Jahren geträumt hat, wird heute immer noch geträumt.

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