

Zukunft Denken – Podcast
Alexander Schatten
Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?
Episodes
Mentioned books

Oct 17, 2019 • 26min
012 - Wie wir die Zukunft entdeckt und wieder verloren haben
In welcher Vorstellung von Zeit leben wir, beziehungsweise lebten wir? Die Vorstellung von Zeit, Geschichte, Vergangenheit und Zukunft einer Gesellschaft oder einer Kultur ist eine wesentliche Frage für den Umgang mit Erkenntnis, Technologie und Politik. Dies ist historisch interessant hat aber ebenso erhebliche Auswirkungen auf die Art und Weise wie sich technischer und wirtschaftlicher Fortschritt entwickelt und unsere heutige Kultur gestaltet hat. Wie gehen wir mit unserer Zukunft um? Das hängt in starkem Maße von unserem Bild der Zeit ab.
Eine lineare Zeit mit Vergangenheit und offener Zukunft, die vor allem auch von Menschen beeinflussbar und gestaltbar ist eher eine moderne, zeitgemäße Vorstellung von Zeit, die wir nicht in allen Epochen der menschlichen Entwicklung finden. Vor der Aufklärung war etwa die europäische Kultur sehr an der Antike sowie an religiösen Mythen orientiert:
»Früher war nicht einfach nur alles besser, sehr viel früher war sogar nahezu alles perfekt.«, Achim Landwehr
Also ein Leben in der Orientierung einer vermeintlich perfekten Vergangenheit:
»Der Fortschritt musste also immer ein Rückschritt sein zu den Alten, den Antiken, den Vorfahren«, Achim Landwehr
Philip Blom schreibt, Ende 16. Jahrhundert sah man die »ruina mundi« kommen, den Untergang der Welt. Natürliche Beobachtungen wurden durch Zitate Bibel begründet, Naturkatastrophen theologisch interpretiert.
»Seit der Antike gilt: es ist egal wann sie geboren sind oder sterben, es läuft immer dasselbe Stück – Dies stimmt seit 200 Jahren nun nicht mehr.«, Peter Sloterdijk
Erst ab 1700 wird es für die Menschen erst langsam zur Möglichkeit, dass sich die Zukunft durch eigenes Handeln beeinflussen lässt. Moderne Wissenschaft beginnt sich somit in etwa ab der Neuzeit zu entwickeln und die empirischen Wissenschaften, wie Physik und Chemie beginnen langsam Form anzunehmen und nehmen ab dem 18. und 19. Jahrhundert enorm an Fahrt auf.
Heute leben wir in zahlreichen Widersprüchen, zwischen der Alternativlosigkeit politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, der Hilflosigkeit bei ethisch schwierigen Fragen und einem neuen Hyper-Individualismus. Welche Rolle kann der Einzelne überhaupt noch wahrnehmen?
»Tatsächlich glauben die meisten Menschen in den reichen Ländern, daß es ihren Kindern schlechter gehen wird als ihnen.« Rutger Bregman, Zygmunt Bauman
Der Philosoph Byung-Chul Han beobachtet:
»Wir leben in einer besonderen historische Phase, in der die Freiheit selbst Zwänge hervorruft. Die Freiheit des Könnens erzeugt sogar mehr Zwänge als das disziplinarische Sollen, das Gebote und Verbote ausspricht. Das Soll hat eine Grenze. Das Kann hat dagegen keine.«
Wir leben, so hat es den Anschein, zwischen Verwirrung, vermeintlichem Zwang und fragwürdigen Retropien.
Aber ist das alles überhaupt begründet? Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
Referenzen
Zeitvorstellung
Thomas Maissen, Vom Werden der Zukunft, Spektrum der Wissenschaft, September 2010
Achim Landwehr, Geburt der Gegenwart: Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert
Philip Blom, Die Welt aus den Angeln
Zygmunt Bauman, Retrotopia
Rushkoff, Douglas. Present Shock: When Everything Happens Now
Peter Sloterdijk, Gespräch in den Sternstunden Philosophie
Weitere Referenzen
Carl Becker, die Welt von Morgen
Byung-Chul Han, Psychopolitik
Yuval Harari, Homo Deus
Jared Diamond: Lessons from Hunter-Gatherers
Shoshana Zuboff, Surveillance Capitalism
Pierre Casse, Leadership without concessions (2015)

Sep 11, 2019 • 23min
011 - Ethik, oder: Warum wir Wissenschaft nicht den Wissenschaftern überlassen sollten!
Ethik und Wissenschaft – eine überflüssige Episode?
Es gibt Wissenschafter, die sich auf die Position zurückziehen: Wissenschaft wäre nur Erkenntnisgewinn, Ethik beginnt bestenfalls mit der Anwendung. Ethik und Philosophie wären recht überflüssige Tätigkeiten, lästig und nicht hilfreich.
Ich teile diese Ansicht nicht – ich hoffe auch Sie nicht, nachdem Sie diese Episode gehört haben.
Zwei Thesen zu Beginn:
Nassim Taleb: »Wissenschaft ist großartig, aber einzelne Wissenschafter sind gefährlich«
Daraus folgt aus meiner Sicht: wir dürfen Wissenschaft als Gesellschaft keinesfalls den Wissenschaftern alleine überlassen sondern müssen uns energisch einbringen
Warum ist das so?
Wir beginnen mit einem kurzen Blick in die jüngere Vergangenheit bevor wir uns in die Gegenwart und Zukunft begeben. Dazu drei wesentliche Aspekte:
Erkenntnisse die unter ethisch sehr fragwürdigen Rahmenbedingungen entstanden sind (»Nazi« Forschung, Experimente an Menschen in den 1960er und 1970er Jahren!) – wie gehen wir damit um?
Wissenschafter mit problematischen politischen oder ethischen Ansichten (wie Martin Heidegger, Johannes Stark und Philipp Lenard, die Agitatoren einer deutschen versus »jüdischen« Physik)
Und der Blick in Gegenwart und Zukunft: wie gehen wir mit dem enormen Potential wissenschaftlicher Möglichkeiten um, die aber ethisch umstritten sind, z.B. die Stammzellenforschung, aber auch mit ethischen Herausforderungen, die sich aus unserem kapitalistischen System ergeben. Dies betrifft etwa die Pharma-Industrie, aber auch sehr stark die Digitalisierung und Innovationen im Bereich der Informatik.
In 20 Minuten wie immer, ein erster Gedankengang, den wir später noch vertiefen können.
Referenzen
Eduard Pernkopf und der medizinische Atlas
Gustav Spann, Untersuchungen zur Anatomischen Wissenschaft in Wien 19381945, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Jahrbuch 1999
Chris Hubbard, Eduard Pernkopf’s atlas of topographical and applied human anatomy: The continuing ethical controversy, The Anatomical Record, Volume 265, Issue 5, pages 207–211, 15 October 2001
William E. Seidelman, Medicine and Murder in the Third Reich, Jewish Virtual Library
Eduard Pernkopf in SA Uniform und Hitlergruß vor der Vorlesung (Dokumentationsarchiv des österr. Widerstands)
Mary Roach, Stiff: The Curious Lives of Human Cadavers, W. W. Norton & Company (May 2004)
Tuskegee Syphillis Studie
CDC Zusammenfassung (inkl. Entschuldigung des US Präsidenten Bill Clinton 1997)
Christian Reinboth, Das Tuskegee-Experiment und die Grenzen medizinischer Forschung
Jüdische Physik und »Nazi-Wissenschafter«
SEP: Martin Heidegger
Armin Hermann, die Jahrhundertwissenschaft; Werner Heisenberg und die Geschichte der Atomphysik, rororo (1993)
Nobel Prize: Philipp Lenard
Nobel Prize: Johannes Stark
beachten Sie die nur minimale Erwähnung der Thematik in der Vorstellung der Wissenschafter auf den Seiten des Nobelpreises.
Digitalisierung
Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus (2018)
Moshe Y. Vardi, To Serve, Communications of the ACM, July 2019, Vol. 62 No. 7, Page 7
Verschiedenes
Nassim Taleb, Fooled by Randomness, Penguin (2007)

28 snips
Aug 26, 2019 • 30min
010 - Komplizierte Komplexität
Komplexität und Kompliziertheit werden klar voneinander abgegrenzt und ihre Relevanz für das Verständnis unserer Welt diskutiert. Die Dynamik komplexer Systeme, die aus vielen interagierenden Teilen bestehen, wird analysiert und die Bedeutung von Emergenz hervorgehoben. Einsichten zu globalen Herausforderungen wie dem Zusammenbruch von Ökosystemen und unvorhersehbaren Ereignissen wie dem Fall der Berliner Mauer zeigen auf, dass wir in einer Welt voller komplexer Zusammenhänge leben, die eine rationale Betrachtung erfordern.

Aug 12, 2019 • 28min
009 - Abstraktion: Platos Idee, Kommunismus und die Zukunft
Eine nächste »Guerilla-Attacke« auf die Festung Wissenschaft, mit Blick in die Zukunft:
Welche Rolle spielt Abstraktion für das moderne, wissenschaftliche Denken?
(1) Wir beginnen mit der Frage, wie sich das Denken vom Speziellen zum Allgemeinen, oder vom »Mythos« zum »Logos« entwickelt hat, besuchen dazu das antike Griechenland, Plato, Aristoteles und die Pythagoräer.
(2) Dann machen wir einen Zwischenstopp während der kommunistischen Revolution in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Entfernte Regionen der Sowjetunion wurden durch radikale soziale und ökonomische Änderungen gezwungen. Dazu gehört auch ein Bildungsprogramm, das die entferntesten russischen Regionen mit einschließt. Der russische Psychologe Alexander Luria begleitet diese Entwicklung und sieht dies als »natürliches Experiment«. Er fragt sich wenn man die Arbeit der Menschen verändert und ihnen mehr Abstraktion beibringt: welchen Einfluss wird das auf ihr Denken und ihren Geist haben?
»Vormoderne Menschen sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, moderne Menschen die Bäume nicht im Wald.«
(3) Wir kehren dann in die Gegenwart um zu sehen, warum Abstraktion fundamental für einen erfolgreichen Umgang mit unserer Zukunft ist
John Dewey: Über das Lösen von Problemen
Flynn Effekt – und unser Lernen von der komplexen Umgebung in der wir uns bewegen
Wie reagieren Schule und Universität?
Und zuletzt stellt Franz Wuketits die These in den Raum, dass Abstraktion für unseren Umgang mit der Zukunft fundamental ist.
Referenzen
Griechenland
David C. Lindberg, The Beginnings of Western Science, Univ. of Chicago Press (1992)
Luciano de Crescenco, Geschichte der griechischen Philosophie, Diogenes (2016)
Günter Küppers (Hrsg.), Chaos und Ordnung, Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft, Reclam (1996)
Die sozialistische Revolution und die soziologische Beobachtung
David J. Epstein, Range, Penguin (2019)
J. R. Flynn, The Mean IQ of Americans: Massive Gains 1932 to 1978, Psychological Bulletin 95, no. 1 (1984)
Alexander Luria, Cognitive Development. Its Cultural and Social Foundations, Harvard University Press (1976)
Lernen, Gesellschaft und Zukunft
John Dewey, Theory of Inquiry (1938)
Franz M. Wuketits, Animal irrationale. Eine kurze (Natur-)Geschichte der Unvernunft, edition unseld (2013)
Weiteres
Nassim Taleb, Fooled by Randomness, Penguin (2007)
Alfred North Whitehead, The Education of an Englishman, The Atlantic Monthly, Vol. 138 (1926), p. 192.

Jul 29, 2019 • 24min
008 - Alles wird besser... oder nicht? Teil 2
Ist die Menschheit auf dem richtigen, oder wenigstens auf einem guten Weg? Wird alles im wesentlichen immer besser? Oder das Gegenteil: sind wir gerade dabei uns systematisch zu zerstören?
Diese Frage schließt einerseits unmittelbar an unsere Episode über Fakten, Daten und Wissenschaft an. Eigentlich sollte sie also einfach zu beantworten sein. Es stellt sich heraus: es ist alles gar nicht so einfach und es gibt lautstarke unterschiedlichen Lager.
Wir werden erkennen, dass, selbst wenn alle Seiten in einer Diskussion sich tatsächlich auf Fakten berufen, der Schluss, der daraus gezogen werden kann, in vielen Fällen alles andere als trivial ist.
»Keine Lüge, die etwas auf sich hält, enthält Unwahres. Was letztlich präpariert wird, ist vielmehr das Weltbild als Ganzes […] Dieses Ganze ist dann weniger wahr, als die Summe der Wahrheiten seiner Teile […] Die Aufgabe derer, die uns das Weltbild liefern, besteht also darin, aus vielen Wahrheiten ein Ganzes für uns zusammenzulügen.«, Günther Anders
Lassen wir den Begriff der »Lüge« weg und transformieren wir das Zitat zu: selbst wenn alle Fakten in einer Argumentationskette korrekt sind, kann die Summe, das Ganze irreführend oder gar falsch sein. Und dies muss nicht notwendigerweise aus bösem Willen geschehen.
Die Frage, die wir an den Anfang gestellt haben, hat aber eine zweite wichtige Komponente: Narrative.
»Menschen sind die Produkte der Geschichten, die sie über sich selbst erzählen, die ihre Gemeinschaft über sich erzählt. Fakten spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle.«, Philipp Blom
»Bewegungen, welche die Welt zu verändern suchen, beginnen oft damit, dass sie die Geschichte umschreiben und die Menschen damit in die Lage versetzen, sich die Zukunft neu auszumalen.«, Yuval Noah Harari
Ich denke nicht, dass Fakten in der öffentlichen Diskussion nutzlos oder wirkungslos sind, sie haben nur nicht die Wirkung, wie es sich manche wünschen würden – und das durchaus auch aus guten Gründen, wie wir sehen werden.
Es ist daher von großer Bedeutung für gesellschaftlich zentrale Fragen nicht nur die Daten und Fakten kritisch zu hinterfragen, sondern dann auch deren Interpretation und Deutung konstruktiv zu diskutieren. Allzu leicht fällt man hier in zu einfache ideologische Raster.
In den beiden Teilen dieser Episode werden wir uns etwas genauer mit den Argumenten »beider Seiten« auseinandersetzen. Denn es erscheint mir wichtig, diesen intellektuellen Konflikt einmal durchzuspielen, da wir einige Prinzipien typischer Probleme des 21. Jahrhunderts erkennen können.
Außerdem sind diese Aspekte sind eine wesentliche Motivation für diesen Podcast. Ein paar Thesen, die in späteren Episoden vertieft werden, können vorweggenommen werden:
Ohne Wissenschaft und Technologie kann es keine Zukunft für 9-11 Milliarden Menschen geben.
Wir haben natürliche Ressourcen weit überstrapaziert und müssen hier dramatisch gegensteuern
Auch die menschlichen Systeme haben eine Komplexität erreicht, die wir teilweise nicht mehr im Griff haben. (Komplexität ist nicht dasselbe wie Kompliziertheit – was ist der Unterschied?)
Die Kernfrage der nächsten Jahrzehnte wird also wahrscheinlich lauten: Wie können wir die wesentlichen ökologischen wie gesellschaftlichen Systeme gesund halten wesentlich mehr Resilienz ins System bringen und dabei die Fortschritte, die die Menschheit unbestritten erreicht hat nicht zu einem Einsturz bringen.
Dies ist eine gewaltige Herausforderung.
Ich hoffe, ich werde in diesem Podcast einige Anregungen zum Weiterdenken und eine Brücke für zukünftige Episoden liefern können.
Referenzen
Hans Rosling, Factfulness
Steven Pinker, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit
Gregg Easterbrook, It's Better Than It Looks: Reasons for Optimism in an Age of Fear
George Monbiot, Out of the Wreckage
Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht
Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (Teil 1 und Teil 2)
Kate Raworth, Doughnut Economics
Johan Rockström et al, Planetary Boundaries (e.g. Nature: A safe operating space for humanity)
Big World Small Planet, Johan Rockström, Matthias Klum
Johan Rockström, TED Talk: Let the environment guide our development
Yuval Noah Harari, Homo Deus
Yuval Noah Harari, 21 Lessons for the 21st Century
Michael Specter, Denialism
Jared Diamond, Kollaps
Norman Borlaug, Nobelpreise Acceptance Speech
Jeffrey D. Sachs, Kommentar: Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren, Spektrum der Wissenschaft, 11.01.2010
Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Robert B. Reich, Rettet den Kapitalismus
Tim Jackson, Prosperity without Growth

Jul 15, 2019 • 25min
007 - Alles wird besser... oder nicht? Teil 1
Ist die Menschheit auf dem richtigen, oder wenigstens auf einem guten Weg? Wird alles im wesentlichen immer besser? Oder das Gegenteil: sind wir gerade dabei uns systematisch zu zerstören?
Diese Frage schließt einerseits unmittelbar an unsere Episode über Fakten, Daten und Wissenschaft an. Eigentlich sollte sie also einfach zu beantworten sein. Es stellt sich heraus: es ist alles gar nicht so einfach und es gibt lautstarke unterschiedlichen Lager.
Wir werden erkennen, dass, selbst wenn alle Seiten in einer Diskussion sich tatsächlich auf Fakten berufen, der Schluss, der daraus gezogen werden kann, in vielen Fällen alles andere als trivial ist.
»Keine Lüge, die etwas auf sich hält, enthält Unwahres. Was letztlich präpariert wird, ist vielmehr das Weltbild als Ganzes […] Dieses Ganze ist dann weniger wahr, als die Summe der Wahrheiten seiner Teile […] Die Aufgabe derer, die uns das Weltbild liefern, besteht also darin, aus vielen Wahrheiten ein Ganzes für uns zusammenzulügen.«, Günther Anders
Lassen wir den Begriff der »Lüge« weg und transformieren wir das Zitat zu: selbst wenn alle Fakten in einer Argumentationskette korrekt sind, kann die Summe, das Ganze irreführend oder gar falsch sein. Und dies muss nicht notwendigerweise aus bösem Willen geschehen.
Die Frage, die wir an den Anfang gestellt haben, hat aber eine zweite wichtige Komponente: Narrative.
»Menschen sind die Produkte der Geschichten, die sie über sich selbst erzählen, die ihre Gemeinschaft über sich erzählt. Fakten spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle.«, Philipp Blom
»Bewegungen, welche die Welt zu verändern suchen, beginnen oft damit, dass sie die Geschichte umschreiben und die Menschen damit in die Lage versetzen, sich die Zukunft neu auszumalen.«, Yuval Noah Harari
Ich denke nicht, dass Fakten in der öffentlichen Diskussion nutzlos oder wirkungslos sind, sie haben nur nicht die Wirkung, wie es sich manche wünschen würden – und das durchaus auch aus guten Gründen, wie wir sehen werden.
Es ist daher von großer Bedeutung für gesellschaftlich zentrale Fragen nicht nur die Daten und Fakten kritisch zu hinterfragen, sondern dann auch deren Interpretation und Deutung konstruktiv zu diskutieren. Allzu leicht fällt man hier in zu einfache ideologische Raster.
In den beiden Teilen dieser Episode werden wir uns etwas genauer mit den Argumenten »beider Seiten« auseinandersetzen. Denn es erscheint mir wichtig, diesen intellektuellen Konflikt einmal durchzuspielen, da wir einige Prinzipien typischer Probleme des 21. Jahrhunderts erkennen können.
Außerdem sind diese Aspekte sind eine wesentliche Motivation für diesen Podcast. Ein paar Thesen, die in späteren Episoden vertieft werden, können vorweggenommen werden:
Ohne Wissenschaft und Technologie kann es keine Zukunft für 9-11 Milliarden Menschen geben.
Wir haben natürliche Ressourcen weit überstrapaziert und müssen hier dramatisch gegensteuern
Auch die menschlichen Systeme haben eine Komplexität erreicht, die wir teilweise nicht mehr im Griff haben. (Komplexität ist nicht dasselbe wie Kompliziertheit – was ist der Unterschied?)
Die Kernfrage der nächsten Jahrzehnte wird also wahrscheinlich lauten: Wie können wir die wesentlichen ökologischen wie gesellschaftlichen Systeme gesund halten wesentlich mehr Resilienz ins System bringen und dabei die Fortschritte, die die Menschheit unbestritten erreicht hat nicht zu einem Einsturz bringen.
Dies ist eine gewaltige Herausforderung.
Ich hoffe, ich werde in diesem Podcast einige Anregungen zum Weiterdenken und eine Brücke für zukünftige Episoden liefern können.
Referenzen
Hans Rosling, Factfulness
Steven Pinker, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit
Gregg Easterbrook, It's Better Than It Looks: Reasons for Optimism in an Age of Fear
George Monbiot, Out of the Wreckage
Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht
Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (Teil 1 und Teil 2)
Kate Raworth, Doughnut Economics
Johan Rockström et al, Planetary Boundaries (e.g. Nature: A safe operating space for humanity)
Big World Small Planet, Johan Rockström, Matthias Klum
Johan Rockström, TED Talk: Let the environment guide our development
Yuval Noah Harari, Homo Deus
Yuval Noah Harari, 21 Lessons for the 21st Century
Michael Specter, Denialism
Jared Diamond, Kollaps
Norman Borlaug, Nobelpreise Acceptance Speech
Jeffrey D. Sachs, Kommentar: Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren, Spektrum der Wissenschaft, 11.01.2010
Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Robert B. Reich, Rettet den Kapitalismus
Tim Jackson, Prosperity without Growth

Jul 1, 2019 • 34min
006 - Messen, was messbar ist?
Was ist Wissenschaft?
Diese Frage ist erstaunlich schwierig zu beantworten und wir werden uns aus dem Hinterhalt nähern und das Ziel von mehreren Seiten angreifen. Als Basis von empirischen Wissenschaften, also etwa den Naturwissenschaften, gelten Experimente, Daten und messbare Fakten. Versuchen wir unser Glück einmal an dieser Stelle.
In dieser Episode ist die ergänzende Frage, die für unsere Zukunft von großer Bedeutung ist: wie hilft sie uns in der Entscheidungsfindung? Denn wir wollen uns nicht alleine in der Theorie verlieren.
»Messen was messbar ist, messbar machen was nicht messbar ist« – fälschlich Galileo zugeschrieben – gilt als eines der traditionellen Prinzipien empirischer Wissenschaft.
Schon in der Antike wurde fallweise empirisch gearbeitet, wir sehen das am Beispiel von Hippokrates und der Beschreibung der Malaria. Eine wirklich systematische, über verschiedene Disziplinen gehende empirische und statistische Betrachtung der Welt ist allerdings eher der Neuzeit zuzuschreiben.
Wir werfen in dieser Episode beispielhaft den Blick auf Erklärungen der Pest im Mittelalter sowie auf Cholera und medizinische Versorgung im 19. Jahrhundert, am Beispiel von Dr. John Snow und Florence Nightingale.
Zuletzt reißen wir die wichtige Frage an: wie sieht das Thema Daten und Entscheidungen eigentlich heute aus? Stichwort: Datenüberfluss, Big Data, künstliche Intelligenz? Diese Fragen werden uns noch weiter beschäftigen müssen.
Referenzen
Hippokrates und die Malaria
Cunha CB, et al. J Vector Borne, Brief history of the clinical diagnosis of malaria: from Hippocrates to Osler.
Malariasite
Johns Hopkins Lecture on Malaria
Georgios Pappas et al, Insights into infectious disease in the era of Hippocrates, International Journal of Infectious Diseases Vol 12, Issue 4, (2008)
Pest und Erklärungen der Zeit
Rosemary Horrox, The Black Death, Manchester University Press (1994)
Florence Nightingale
The Lady with the Lamp (Wikipedia)
Florence Nightingale Museum London
Presentation by Prof. Lynn McDonald at Gresham College. (30. Oct., 2014)
Florence Nightingale, datajournalist: information has always been beautiful
Dr. John Snow (no, not Game of Thrones!)
In the time of cholera (BBC)
Sandra Hempel, The Medical Detective, Granta Books, London (2006)
John Snows Cholera Karte (Wikipedia)
Gerd Gigerenzer über Risiko, Bauchentscheidungen und anderes
Gerd Gigerenzer im Interview mit Tim Pritlove (Podcast: Forschergeist)
Gerd Gigerenzer, Wie trifft man gute Entscheidungen? (Präsentation)
Gerd Gigerenzer, Risiko: Wir man richtige Entscheidungen trifft (Buch)
Nassim Taleb, Black Swan
Aristoteles: Nikomachische Ethik: Genauigkeit
Steven Chu über Forschung
Byung-Chul Han, Psychopolitik

Jun 17, 2019 • 29min
005 - Was will Technologie? Teil 2
Thema dieser Episode ist, wenn man so möchte, eine erste »Iteration«, der Frage, wie sich das Zusammenspiel zwischen Menschen und Technik gestaltet, vor allem hinsichtlich der Formung neuer Technologien in der Zukunft. Leben wir in Symbiose mit Technik? Treibt uns die Technik oder treiben wir die Technik?
Wer hat die Kontrolle?
Ein Buch, auf das ich dabei immer wieder zurückkomme ist »What Technology Wants« von Kevin Kelly.
Dabei ist ein Buch ist nicht unbedingt deshalb wertvoll, weil man den Thesen zustimmt. Ein Buch ist wertvoll, wenn man einen neuen Blickwinkel, neue Argumente bekommt, an die man selbst zuvor in dieser Form nicht gedacht hat, weil es einen originellen Blick auf Technologie und unsere Gesellschaft wirft. Das trifft auf dieses Buch zu.
Drei Thesen von Kelly werden diskutiert:
»Vor etwa 10.000 Jahren haben die Menschen einen Wendepunkt überschritten, an dem unsere Fähigkeit, die Biosphäre zu verändern, die Fähigkeit des Planeten, uns zu verändern, überstieg.«
Technik und Menschheit leben in einer Symbiose
»Wir sind an einem zweiten Wendepunkt, an dem die Fähigkeit der Technik, uns zu verändern, unsere Fähigkeit, die Technik zu ändern, übersteigt.«
Am Beispiel von radikalen Technologiekritikern (der Vergangenheit wie Jean Jacques Rosseau, dem Ludismus, sowie dem »Una Bomber« Ted Kaczynski) aber auch Techno-Optimisten (des 17. Jahrhunderts, bis zu den Singularisten der Gegenwart) bespreche ich Technik-Kritik, die Rolle die Technik für unsere Gesellschaft spielt und was wir überhaupt noch beeinflussen können.
Referenzen
Kevin Kelly, What Technology Wants
Kevin Kelly, Inevitable
Manfred Geier, Aufklärung, das europäische Projekt
Andrea Wulf, Alexander Humboldt und die Erfindung der Natur
Douglas Ruskoff, Team Human
Sternstunde Philosophie 16.9.2018, Der Philosophische Stammtisch: Schöne neue digitale Welt? (mit Richard David Precht, Harald Welzer & Katja Gentinetta)

Jun 10, 2019 • 27min
004 - Was will Technologie? Teil 1
Thema dieser Episode ist, wenn man so möchte, eine erste »Iteration«, der Frage, wie sich das Zusammenspiel zwischen Menschen und Technik gestaltet, vor allem hinsichtlich der Formung neuer Technologien in der Zukunft. Leben wir in Symbiose mit Technik? Treibt uns die Technik oder treiben wir die Technik?
Wer hat die Kontrolle?
Ein Buch, auf das ich dabei immer wieder zurückkomme ist »What Technology Wants« von Kevin Kelly.
Dabei ist ein Buch ist nicht unbedingt deshalb wertvoll, weil man den Thesen zustimmt. Ein Buch ist wertvoll, wenn man einen neuen Blickwinkel, neue Argumente bekommt, an die man selbst zuvor in dieser Form nicht gedacht hat, weil es einen originellen Blick auf Technologie und unsere Gesellschaft wirft. Das trifft auf dieses Buch zu.
Drei Thesen von Kelly werden diskutiert:
»Vor etwa 10.000 Jahren haben die Menschen einen Wendepunkt überschritten, an dem unsere Fähigkeit, die Biosphäre zu verändern, die Fähigkeit des Planeten, uns zu verändern, überstieg.«
Technik und Menschheit leben in einer Symbiose
»Wir sind an einem zweiten Wendepunkt, an dem die Fähigkeit der Technik, uns zu verändern, unsere Fähigkeit, die Technik zu ändern, übersteigt.«
Am Beispiel von radikalen Technologiekritikern (der Vergangenheit wie Jean Jacques Rosseau, dem Ludismus, sowie dem »Una Bomber« Ted Kaczynski) aber auch Techno-Optimisten (des 17. Jahrhunderts, bis zu den Singularisten der Gegenwart) bespreche ich Technik-Kritik, die Rolle die Technik für unsere Gesellschaft spielt und was wir überhaupt noch beeinflussen können.
Referenzen
Kevin Kelly, What Technology Wants
Kevin Kelly, Inevitable
Manfred Geier, Aufklärung, das europäische Projekt
Andrea Wulf, Alexander Humboldt und die Erfindung der Natur
Douglas Ruskoff, Team Human
Sternstunde Philosophie 16.9.2018, Der Philosophische Stammtisch: Schöne neue digitale Welt? (mit Richard David Precht, Harald Welzer & Katja Gentinetta)

May 15, 2019 • 22min
003 - Das Ozonloch, oder: Unerwartete Konsequenzen
In dieser Episode werfen wir zunächst wieder einen Blick in die Vergangenheit – allerdings in die jüngere Vergangenheit.
Die Entdeckung des Ozonlochs in den 1980er Jahren als Anhaltspunkt für unerwartete Konsequenzen wissenschaftlicher und technischer Errungenschaften aber auch als Beispiel für den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit globalen Problemen.
Referenzen
Smithsonian Magazin: »Ein Mann erfindet zwei der tödlichsten Substanzen des 20. Jahrhunderts«
James Lovelock, Paul Crutzen, F. Sherwood Rowland, Mario Molina entdecken, dass FCKWs die Ozonschicht abbauen können und warnen vor dem weiteren Einsatz: Nature, Artikel Univ. Berkeley
Nobelpreis 1995 für Crutzen, Rowland und Molina