

Sternstunde Philosophie
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
Vertiefende Gespräche mit herausragenden Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik. Die Sternstunde Philosophie vermittelt lebensnahe Denkanstösse zu zentralen Fragen unserer Zeit.
Episodes
Mentioned books

Sep 2, 2023 • 59min
Corine Pelluchon – Hoffnung angesichts der Klimakrise?
Die Folgen des Klimawandels und der Naturzerstörung machen vielen Angst. Wie schafft man es, trotz Klimakrise hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken? Und wie könnte eine ökologisch nachhaltige Welt aussehen? Darüber spricht Yves Bossart mit der französischen Philosophin Corine Pelluchon.
Hoffnung ist das Gegenteil von Optimismus, findet die französische Philosophin und Professorin Corine Pelluchon. Wahre Hoffnung entstehe aus Verzweiflung. Nur dann sei ein radikaler Neuanfang möglich, meint Pelluchon, die selbst jahrzehntelang unter Depressionen litt. Angesichts der Klimakrise fordert sie ein neues Verhältnis zur lebendigen Natur, zu Erde, Tier und Mensch: weg von der Herrschaft, hin zu mehr Wertschätzung.
Der Mensch sei ein Stück Natur, inmitten von Natur, und als solcher abhängig und verletzlich. Diese Demut helfe der Menschheit, sich neu zu erfinden. Wie eine solche ökologische Revolution aussehen könnte, warum es dafür eine neue Aufklärung braucht und was das alles mit Tod und Transzendenz zu tun hat, darüber spricht die bekennende Veganerin mit Yves Bossart.

Aug 26, 2023 • 56min
Lorraine Daston – Die Regeln unseres Lebens
Keiner mag sie. Doch in Wahrheit prägen sie unsere gesamte Existenz: Regeln. Ohne sie gäbe es keine Wissenschaft, keinen Staat, keine Sprache, kein Sport. Gespräch mit der Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston über die Notwendigkeit von Regeln – und die Befreiung, sie immer wieder zu brechen.
Auch wenn sie meist nerven: Regeln sind die wahren Retterinnen unserer Welt. Ohne sie könnten wir weder denken noch sprechen. Weder spielen noch kochen. Gäbe es weder Mathematik noch Kunst. Über das scheinbar allmächtige Netz von Regeln, das der Mensch über die Wirklichkeit wirft, hat Lorraine Daston ein Leben lang nachgedacht. Und als eine der bedeutendsten Wissenschaftshistorikerinnen der Gegenwart nun eine Weltgeschichte der Regeln geschrieben. Ihre Einsichten und Fragen führen direkt ins Herz unserer Gegenwart: Welchen Regeln gehorcht künstliche Intelligenz – welchen gerade nicht? Gibt es für jede Regel eine Ausnahme? Was unterscheidet eine Faustregel von Faustrecht, was Fakten von Fake News? Und ist der Mensch am Ende das einzige uns bekannte Wesen, das Regeln immer wieder selbstbestimmt überschreitet, bricht, gar revolutioniert?
Im Gespräch mit Wolfram Eilenberger legt Daston die Tiefenstrukturen unseres Daseins frei – und befördert gleichzeitig höchst irreguläre Einsichten ans Licht.

Jul 1, 2023 • 60min
Miranda Fricker – Wissen und Macht
Sprache ist mächtig: Sie prägt unsere Wahrnehmung, zementiert Machtverhältnisse und kann Beziehungen verändern. So kann eine Entschuldigung eine Freundschaft retten. Miranda Fricker hat Bahnbrechendes beigetragen zur Frage, wie Sprache und Wissen die Welt verändern.
Dass Wissen und Macht einander beeinflussen und durchdringen, ist keine neue Einsicht. Die Philosophie hat aber lange gebraucht, um die ethischen Konsequenzen dieser Einsicht zu verstehen. Miranda Frickers Buch «Epistemische Ungerechtigkeit. Macht und die Ethik des Wissens» hat 2007 für Furore gesorgt. Die einflussreiche Philosophin, Professorin an der New York University, zeigt darin auf, dass wir über ein Sprachrepertoire verfügen müssen, um gewisse Missstände überhaupt erst anprangern zu können. Solange etwa «Stalking» als Begriff nicht existierte, gelang es den Opfern nicht, deutlich zu machen, was sie bedroht. Dabei hängt es nicht zuletzt davon ab, wer spricht, ob wir ihm oder ihr Glauben schenken: So würden wir einer randständigen Person in schmutzigen Kleidern kaum glauben, wenn sie erzählt, sie sei bestohlen worden. Stereotype und Vorurteile tragen so zu Missständen bei, die wir erst erkennen, wenn wir genau über Sprache, Wissen und Macht nachdenken.
Worte sind aber auch mächtig, wenn es darum geht, Missstände wieder zu beheben. Ein Dank oder eine Entschuldigung zur rechten Zeit können alles verändern. Barbara Bleisch trifft eine der faszinierendsten Philosophinnen unserer Zeit zum Gespräch.

Jun 24, 2023 • 57min
Severin Dressen – Warum es Zoos geben muss
Sind Zoos Stätten der Vergangenheit oder Ausdruck einer tierfreundlicheren Zukunft? Gegen alle ethischen Bedenken betont Severin Dressen, Direktor des Zoo Zürich, die Notwendigkeit zoologischer Gärten für Artenvielfalt und Wildtierschutz. Gespräch über einen Ort, an dem sich die Geister scheiden.
Die Frage nach dem Zoo wird immer kontroverser diskutiert. Denn wo die einen den Wert des Zoos für Bildung und Artenschutz hervorheben, fragen andere kritisch: Wie lässt es sich rechtfertigen, Wildtiere wie Elefanten, Giraffen oder Menschenaffen lebenslang ihrer Bewegungsfreiheit zu berauben? Sie in Gehegen, oft auch noch Käfigen, als Objekte des Staunens zu präsentieren? Mit ihnen weltweit vernetzten Tauschhandel zu betreiben? Was spricht aus ethischer und ästhetischer Perspektive gegen einen Zoobesuch – was dafür?
Für Severin Dressen, Direktor des Zoo Zürich, ist die Antwort klar. Als Leiter einer der führenden und innovativsten Einrichtungen weltweit, verteidigt er die Bedeutung und den Wert von Zoos für das Leben aller Wildtiere auf diesem Planeten: als Orte der Begegnung, der Faszination, der Bewahrung von Artenvielfalt und zunehmend auch der Forschung.
Wie sich das moderne Verhältnis von Tier und Mensch in der Geschichte des Zoos spiegelt, welche neuen Formen artgerechter Haltung gerade entstehen und auch, ob der Planet Erde im Zeitalter des Anthropozäns zu einem riesigen Zoo zu werden droht, erkundet Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Severin Dressen.

Jun 17, 2023 • 57min
Dipesh Chakrabarty – Wie lange ist unser Planet noch bewohnbar?
Die Menschen leben wie kleine Parasiten auf der Erde: Sie saugen die Natur aus, mit fatalen Folgen. Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty fordert darum radikales Umdenken, weg von der menschlichen Perspektive. Yves Bossart spricht mit ihm über Bakterien, Biodiversität und Bagger.
Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty spricht lieber von der «Bewohnbarkeit der Erde» als von «Nachhaltigkeit». Er plädiert für eine Dezentrierung des Menschen in der Natur und für ein Denken in unmenschlichen Zeiträumen. Schliesslich sei der Mensch im «Anthropozän» längst zur bestimmenden Kraft des Planeten geworden: Jeden Tag sterben etwa 150 Arten aus – Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen. Überschwemmungen, Waldbrände und Dürren bedrohen den Lebensraum nicht nur von Menschen. Die Folgen sind Migration, Kriege, Ressourcenknappheit.
Chakrabarty argumentiert, dass der Klimawandel eine neue Ära der menschlichen Geschichte eingeleitet hat, die er als «planetarisches Zeitalter» bezeichnet. Seine Forderung: Wir müssen ganz neu über den Menschen und die Natur nachdenken, wenn wir als Spezies eine Zukunft haben wollen. Wie das geht, darüber spricht er mit Yves Bossart.

Jun 10, 2023 • 60min
Adom Getachew: Werden wir den Kolonialismus je überwinden?
Das 20. Jahrhundert war jenes der Dekolonisierung. Die jungen Nationalstaaten mussten aber bald feststellen, dass ihr Kampf um Gleichberechtigung hinter den hehren Idealen zurückblieb. Adom Getachew erzählt in einem preisgekrönten Buch packend von diesen Kämpfen, die bis ins Heute reichen.
Von William Faulkner stammt der bekannte Satz: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Das stimmt vielleicht für wenig so sehr wie für die Kolonialgeschichte, in deren Zuge Menschen versklavt und geknechtet wurden und Kulturen und Landschaften geplündert. Bis heute kämpfen wir mit dem Vermächtnis einer blutigen Geschichte, die unter anderem Grossteile Afrikas verarmt und zerrüttet zurückgelassen hat. Angetreten waren die antikolonialen Denker jener Zeit allerdings mit hehren Idealen und grossen Visionen für eine neue Weltwirtschaftsordnung und ein geeintes Afrika.
In ihrem mehrfach preisgekrönten Buch «Die Welt nach den Imperien» zeichnet die äthiopisch-amerikanische Politikwissenschafterin Adom Getachew, Professorin an der Universität in Chicago, diese Geschichte packend nach – und entwirft aus dem historischen Vermächtnis eine Vision eines «postkolonialen Kosmopolitismus». Barbara Bleisch trifft die junge Wissenschaftlerin zum Gespräch und fragt nach, was globale Gerechtigkeit heute bedeutet und wie mit den Statuen von Kolonialherren zu verfahren ist.

May 27, 2023 • 59min
Was spricht noch für die Ehe? Der Philosophische Stammtisch
Veraltet, patriarchal, einengend, ungerecht. Gerade aus feministischer Sicht wird immer wieder für die Abschaffung der Ehe argumentiert. Angesichts hoher Scheidungsraten hat auch der Absicherungsaspekt weitgehend ausgedient. Was spricht noch für die Ehe? Die Diskussion am Philosophischen Stammtisch.
Die Ehe ist nach wie vor beliebt. Im letzten Jahr haben sich in der Schweiz über 40000 Personen das Ja-Wort gegeben. Das überrascht angesichts der Tatsache, dass die Scheidungsrate nach wie vor hoch ist, zwei von fünf Ehen gehen auseinander. Verheiratete sind in der Schweiz steuerlich sogar im Nachteil. Vielleicht überwiegt die Aussicht, rechtlich abgesichert zu sein – gerade auch, wenn Kinder im Spiel sind? Oder sind wir hoffnungslos romantisch?
Der Grund liegt viel mehr im Patriarchat, ist die Politologin Emilia Roig überzeugt. Die Ehe gehört für sie abgeschafft. Liebe und Freundschaft können gefeiert und versprochen werden – doch dazu bedarf es weder Kirche noch Staat. Spricht tatsächlich noch etwas für die Ehe – vielleicht gerade der Umstand, dass wir sie heute freier wählen können denn je?
Am Philosophischen Stammtisch diskutieren Barbara Bleisch und Wolfram Eilenberger mit der Politologin Emilia Roig und der Philosophin Svenja Flasspöhler.

May 20, 2023 • 59min
Boris Cyrulnik – Trauma und Resilienz
Boris Cyrulnik, ein Experte für Traumata und Resilienz mit einer bewegenden Biografie, spricht über seine Erfahrungen als Holocaust-Überlebender, die Bedeutung von Resilienz bei Kindern, die Trainierbarkeit von Resilienz, Ideologien und persönliche Freiheit, sowie die Wichtigkeit von Vielfalt, Toleranz und Humor im Umgang mit Traumata.

May 13, 2023 • 59min
Muttersein: Natürlich kompliziert!
Wir alle haben eine, und etwa die Hälfte von uns könnte eine werden: eine Mutter! Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist – gerade für Frauen – mit Erwartungsdruck, Zweifeln und dem Gefühl der Überforderung verbunden. Und mit den bewusst kinderlosen Frauen hadert die Gesellschaft.
Wir sind aber alle Geborene, zur Welt Gebrachte, wie Hannah Arendt es betonte, als Möglichkeit zum Neuanfang und letztlich zum politischen Handeln. Die Frage, ob man Nachwuchs will, wiegt schwer. Es ist aber weniger eine biologische Entscheidung als eine soziale: Es geht um ein Leben in Gemeinschaft, um Sinn, Glück, Selbstverwirklichung und Verantwortung. Zum Muttertag denken wir nach über Mutterschaft und Kindsein, über die komplizierte Frage, ob wir selber Kinder wollen und warum Elternschaft ein Wagnis ist.
Unsere Mutter prägt uns wie kaum eine andere Figur im Leben. Doch was prägt Mütter in ihrem Verhältnis zu ihren Kindern? Und wie entscheiden heute Frauen, ob sie Mütter werden wollen? Eine wichtige Rolle spielt dabei die eigene Kindheit und die Beziehung zu unseren eigenen Müttern. Aber auch gesellschaftliche Erwartungen – denn Mütter stehen unter Beobachtung, Tag für Tag. Und noch viel stärker jene Frauen, die sich für ein Leben ohne Kinder entscheiden und trotzdem rundum glücklich sind.
Ein philosophisches Gespräch zum Muttertag mit Johanna Dürrholz, FAZ-Redakteurin und Autorin («Die K-Frage»), Sarah Diehl, Publizistin und Autorin («Die Uhr, die nicht tickt») und Catherine Newmark, Philosophin, moderiert von Barbara Bleisch.

May 6, 2023 • 58min
Norbert Bolz: Lob des alten weissen Mannes
Klimakatastrophe, Kriege, Kolonialverbrechen. Für alle Übel kennt unsere Gegenwart einen Schuldigen: den alten weissen Mann. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz widerspricht entschieden und stimmt im Streitgespräch mit Wolfram Eilenberger ein Loblied auf traditionell «männliche» Tugenden an.
Klassisch «männliche» Tugenden haben es derzeit nicht leicht. Vor allem nicht solche, die mit dem «alten Europa» und seinen «weissen» Eliten verbunden sind. Denn die globale Zukunft, sie soll vor allem weiblich sein. Divers. Empathisch. Konsensorientiert.
Für den Medienwissenschaftler Norbert Bolz ist das eine gefährliche gesellschaftliche Einbahnstrasse. Anstatt vor der Political Correctness und der woken Cancel Culture einzuknicken, plädiert er dafür, alles, wofür der «alte weisse Mann» in Wahrheit stehe, unbedingt zu bewahren und zu beschützen. Als konservativer Publizist sieht Bolz die westlichen Demokratien und ihre Universitäten gar in einen «kulturellen Bürgerkrieg» verwickelt, in dem eine von linker Seite aus propagierte Technologiefeindlichkeit und Traditionsvergessenheit die Grundlagen unserer demokratischen Systeme gefährden.
Im Streitgespräch mit Wolfram Eilenberger legt Norbert Bolz seine Vision eines kommenden Konservatismus dar, mit dem sich seiner Meinung nach die offene Gesellschaft verteidigen – und die Klimakrise bewältigen liesse.