SWR Kultur lesenswert - Literatur

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Feb 6, 2025 • 4min

John von Düffel – Ich möchte lieber nichts | Buchkritik

Es ist einer der berühmtesten Sätze der Weltliteratur: „Ich möchte lieber nicht.“ In der Erzählung „Bartleby“ von Herman Melville hält sich ein Büroangestellter gleichen Namens mit diesen Worten zunächst einzelne Tätigkeiten und schließlich die ganze Welt vom Leib. Der Totalverweigerer landet im sozialen Abseits und stirbt zuletzt. Der Verzicht, den der Schriftsteller John von Düffel im Sinn hat, soll dagegen gerade nicht in die Isolation führen, sondern das Leben reicher machen. „Es geht darum zu erkennen, wie wenig man braucht“, schrieb der Autor in seinem Buch „Das Wenige und das Wesentliche“, an das er nun anknüpft.   Diese asketische Lebenshaltung begegnete John von Düffel erstmals während des Studiums in Schottland. Fiona, die nur auf einem Stein sitzen und denken wollte, wurde zu seinem Vorbild. „Ich möchte lieber nichts“ – „I dont’t feel like consuming“, so lautete ihre Standardantwort auf das Angebot, mit in die Mensa oder die Kneipe zu kommen. Nach 35 Jahren trifft er sie in Edinburgh wieder. Er will herausfinden, wie Fiona lebt.  Inwieweit gelingt es, so eine Lebenseinstellung auch in Alltag zu übersetzen? Man kann sich ja viele schöne Gedanken beim Kaminfeuer machen. Aber wenn dann der nächste Tag losgeht, wie viel davon kriegt man umgesetzt? Und deswegen war’s für mich wichtig zu gucken: Wie verzahnen sich diese Gedanken mit dem wirklichen Leben? Und wie ist das in Fionas Fall? Was für eine Geschichte hat sie?  Quelle: John von Düffel Fragen nach dem richtigen Leben  Von der Begegnung erzählt das neue Buch. Zwei Tage bleibt der Ich-Erzähler, der von John von Düffel kaum zu unterscheiden ist, in Edinburgh. Gemeinsam mit Fiona spaziert er durch die Stadt. Den Lehrersohn aus der norddeutschen Provinz und die Tochter aus einer Glasgower Arbeiterfamilie trennen Welten. Während er mit großen Fragen nach dem richtigen Leben angereist ist, hat Fiona wenig Interesse daran, die Diskussionen aus den Philosophieseminaren von einst fortzusetzen. Sie wird viel zu sehr von ihrem fordernden Alltag als Mutter und Streetworkerin vereinnahmt, von dem sie jedoch nur zögerlich berichtet. Umso entschiedener markiert sie die Unterschiede zu ihrem Gegenüber.  Deine Krisen und meine Krisen waren schon damals verschieden und sind es vermutlich nach wie vor. Insofern weiß ich nicht, ob ich dir so viel Kluges sagen kann. Anders als im Studium habe ich die letzten Jahrzehnte mehr gelebt als gelesen. Und du? Quelle: John von Düffel – Ich möchte lieber nichts Soziale Prägungen und Beschränkungen   Das nur mühsam in Gang kommende Gespräch der beiden ist trotzdem erhellend – und das ist Fionas schroffer Direktheit zu verdanken. Das Idealbild, das der Ich-Erzähler von ihr entworfen hat, ohne sie je wirklich zu sehen, korrigiert sie. Ihr Mut, anders zu sein als die anderen, war gar kein Mut, erklärt sie: „Ich musste von nichts abweichen, ich war nicht mal in Reichweite der Norm.“ Fiona fehlte es schlichtweg an Geld, um mit den anderen essen zu gehen. Die Unterhaltung führt weg vom Nachdenken über Konsumverzicht und Askese hin zu Fragen von Herkunft und Status, von sozialen Prägungen und Beschränkungen, wie sie zuletzt immer häufiger auch in der Literatur verhandelt werden.   Fiona ist auch ein Beispiel für ein Ausbrechen aus sozialen Gefängnissen oder Käfigen. Und gleichzeitig ist sie aber auch ein Beispiel dafür, wie soziale Benachteiligung auf eine Art immer weitergeht, auch wenn man es vordergründig auf ein anderes Level schafft. Quelle: John von Düffel Das Buch wirkt auf eigentümliche Weise disparat und unfertig. Verstärkt wird dieser Eindruck durch einen Mittelteil mit mal mehr, mal weniger überzeugenden philosophischen und kulturkritischen Betrachtungen. John von Düffel will davon erzählen, welcher Freiheitsgewinn in der Askese liegt. Doch dazu taugt die Begegnung in Edinburgh nur wenig. Das Treffen macht vielmehr deutlich, in welchem Maß die freie Entscheidung zum Verzicht eine privilegierte Entscheidung ist. Fionas Geschichte, eine Geschichte versperrter Möglichkeiten, skizziert das Buch nur. Gerade über ihr ganz anderes, nicht privilegiertes Leben hätte man jedoch gern mehr gelesen.
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Feb 5, 2025 • 4min

Venki Ramakrishnan – Warum wir sterben

Der indische Strukturbiologe Venki Ramakrishnan steht den Versprechen ewiger Jugend und Fitness ausgesprochen skeptisch gegenüber. Sie sind, wie er jetzt in seinem Buch „Warum wir sterben“ nachweist, absurd, denn der Alterungsprozess unseres Körpers lässt sich nicht abschaffen.  Für Laien wie mich ist „Warum wir sterben“ keine leichte Lektüre, denn der ausgewiesene Genexperte beschreibt in aller Detailfreude, wie die Zellen funktionieren. So allgemeinverständlich Ramakrishnan auf 300 Seiten die genetischen Vorgänge auch erklärt, man muss sich die verschiedenen Funktionen der unterschiedlichen Zellformen immer wieder in Erinnerung rufen. Bisweilen helfen kleine Zeichnungen beim Verständnis.  Die Erforschung des Alterns  Ramakrishnan geht weit zurück in der Geschichte der Erforschung des Alterns. Er stellt berühmte Forscherinnen und Forscher vor, beschreibt, wie sie oft gegen den Widerstand ihrer Wissenschaftsgemeinschaft auf ihre Entdeckungen gestoßen sind.   Spätestens seit der Entdeckung des Doppelstrangs der DNA sind rasante Fortschritte gemacht worden. Sie zeigen deutlich, wie kompliziert das Zusammenspiel der verschiedenen Bestandsteile einer Zelle ist. Entscheidend sind die Gene der DNA, denn sie enthalten die Information, wie Proteine aufgebaut werden. Ohne Proteine kein Leben. Proteine steuern den Körper und befähigen die Zelle, Fette, Kohlehydrate, Vitamine und Hormone herzustellen. Sie produzieren die Antikörper, die Infektionen bekämpfen, speichern sogar Erinnerungen im Gehirn.   Die dafür verantwortlichen Gene der DNA werden von der Ribonukleinsäure, der RNA kopiert und dann zur Produktion der Proteine genutzt. So unterschiedlich die Proteine sind, so unterschiedlich ist ihr Aufbau, ihre Funktion und ihre Lebenszeit. Ohne sie gibt es keine neuen Körperzellen, von der Gehirnzelle über die Herzmuskeln bis zur Leber.   Die Fehleranfälligkeit der Zellen  In elf Kapiteln erläutert Ramakrishnan, wie die Zellen entstehen und wie sie sterben, denn fast alle Zellen im Körper haben eine kurze Lebenszeit, müssen sich beständig vermehren und dabei geschehen Fehler. Normalerweise werden diese alle eliminiert. Doch die Reparaturmechanismen sind nicht perfekt. So sammeln sich im Laufe der Zeit immer mehr beschädigte Zellen an. Reaktion des Körpers:   1. Die fehlerbelastete Zelle dazu zu bringen, sich selbst zu zerstören, quasi Selbstmord zu begehen. 2. Die Zelle stillzulegen, so dass sie keinerlei Funktion mehr ausübt und sich nicht mehr vervielfältigen kann.  3. Sie zu reparieren, also alle Fehler zu beseitigen.   Quelle: Venki Ramakrishnan – Warum wir sterben Je mehr Zellen stillgelegt werden, desto schlechter arbeitet das entsprechende Organ, in dem sie sich befinden. Je weniger repariert wird, desto heftiger werden die Funktionen einzelner Organe beeinträchtigt. Das ist der unvermeidbare Alterungsprozess der Organe. Wenn die stillgelegten oder zerstörten Zellen die Überhand gewinnen, stirbt man.   Man hofft, mit besserem Verständnis der Reparaturmechanismen die Fehler eindämmen oder sogar beseitigen zu können. Das könnte tatsächlich zu einer Verlängerung des Alters führen. Mehr als 120 Jahre aber sind kaum zu erreichen.  Die Unvermeidbarkeit des Alterns  Es ist eine fremde Welt, in die man eintaucht. Sie zeigt uns zudem, dass das Altern ein natürlicher und beabsichtigter Vorgang der Evolution ist. Auch wenn sich das Alter heute dank zahlreicher medizinischer und pharmazeutischer Entdeckungen gegenüber früheren Zeiten gut verdoppelt hat, steckt der Prozess des Alterns aber noch immer voller Geheimnisse. Ramakrishnan beweist überzeugend, dass er sich kaum unendlich verlängern lassen wird. Einen Methusalem wird es nicht geben.
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Feb 4, 2025 • 4min

Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand

„Geh Weg“, so wollte der Stuttgarter Journalist Joe Bauer die jüngste Sammlung seiner Kolumnen eigentlich nennen. Glücklicherweise war sein Verleger dagegen. Zwar wäre in „Geh Weg“ die peripatetische Grundeinstellung dieser, wie der Untertitel lautet, „Beobachtungen eines Stadtspaziergängers“ fein angeklungen, zugleich aber die grimmige Abwehrformel „Geh weg!“ kaum überhörbar gewesen. Nun heißt das Buch mit seinen gut 50 Texten „Einstein am Stuttgartstrand“. Mit vollem Recht, denn was Albert Einstein mit Stuttgart beziehungsweise dem eingemeindeten Cannstatt zu tun hat, wird hier ebenso enthüllt wie die Bedeutung von Phil Glass, dem Komponisten des Minimal-Music-Meilensteins „Einstein on the Beach“, für das hiesige Opernhaus.   Veteran im mentalen Mäandertal  Auf Joe Bauers Laptop, mit dem er sich am Neckarufer oder in einer Kettenbäckerei mit freiem Blick auf die dysfunktionalen Reste des Stuttgarter Hauptbahnhofs niederlässt, kommt alles zusammen, mal auf kürzestem Weg, mal mit überraschenden Umschweifen. Auf denen kann dann noch ganz viel anderes aufgelesen und in Erinnerung gerufen werden, aus den historischen Tiefen des Stadtraumes wie aus einem mittlerweile 70-jährigen Leben. Als Bauer vor einem Vierteljahrhundert erstmals zu seinen Stadtspaziergängen aufbrach, ging es ihm darum, ganz in guter Lokalkolumnisten-Manier auf die beim automobilen Durchrauschen übersehenen Details der „Großstadt zwischen Wald und Reben, zwischen Hängen und Würgen“ aufmerksam zu machen. Jedoch:  Als Veteran im mentalen Mäandertal gehe ich heute mehr herum als früher, ohne allerdings noch einmal auf die Idee zu kommen, meine Abwege weiterzuempfehlen.  Quelle: Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand Eine gewisse Melancholie macht sich in dieser an vielen Großen geschulten Formulierungskunst bemerkbar, und das hat Gründe, nicht nur, weil mehrere der hier versammelten Texte Nachrufe oder Grabreden auf Weggefährten sind. Seit 26 Jahren schreibt Joe Bauer seine Kolumnen, unterwegs in den Dreckecken wie den Glanzbildchen der Landeshauptstadt ist er als Journalist schon fast doppelt so lang. In dieser Zeit hat sich das ehedem behäbig-bürgerliche und vorbildlich integrationsbereite Stuttgart stark verändert. Zuletzt nicht zum Guten.   Eher Kundschafter als Müßiggänger  Die Immobilienspekulation zerstört den öffentlichen Raum, die Pandemiezeit hat ihre Spuren hinterlassen mit der leider von hier ausgehenden Querdenkerei, die Lagerbildung seit Putins Überfalls auf die Ukraine beschäftigt auch den Kolumnisten, der sich im wirklichen Leben seit langem gegen Rechtsextremismus engagiert. Kommt hinzu, dass dem naturgemäß randständigen Typus des „Flaneurs“, auch wenn Bauer ihn eher als „Kundschafter“ denn als privilegierten Müßiggänger definiert, traditionell keine überschäumende Lebensfreude eignet:  So wunderte ich mich schon als junger Kerl, dass ich überhaupt noch geboren werden konnte. Dieses an sich schon absurde Ereignis brachte mich dazu, ein Leben als Pessimist zu führen. Nur auf diese Art konnte ich zusehen, wie die Stuttgarter Kickers bis in die fünfte Liga abstürzten. Ich habe ihnen das nie krumm genommen, weil sich für einen Pessimisten ‘Oberliga‘ immer noch verdammt glamourös anhört. Wenn du in einer Stadt lebst, in der sie auf dem Marktplatz einen metallenen Foodtruck mit Blumentrögen einzäunen und ,the ratskellerbar‘ nennen, spielst du ohnehin bar jeder Klasse in der Kreisliga.  Quelle: Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand Bauers Spottlust ist offenkundig ungebrochen, allen alters- und gesamtsituationsbedingten Verfinsterungen zum Trotz. Auch wenn sie es nicht immer leicht zu haben scheint, sich durchzusetzen. Das liegt nicht nur am erwähnten Pessimismus. Joe Bauer will es nicht dabei belassen, glossierende Bemerkungen über Honoratioren-Ignoranz oder zweifelhaftes Stadt-Marketing, um es mit einem Modewort zu sagen, „abzuliefern“. Gerade in der Frage von Krieg und Frieden ringt er offen um Haltung, wehrt sich gegen die Schublade des „Lumpenpazifismus“, liest Clausewitz, sucht Argumente. An denen kann man sich reiben. In unseren Tagen der oft wohlfeilen Eindeutigkeiten ist das schon viel.
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Feb 3, 2025 • 4min

Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik – Die Evolution der Gewalt

Der Mensch führt Krieg, immer wieder und weiter, und das trotz der ganz großen Schrecken des vergangenen Jahrhunderts. Dabei muss er gar nicht. Weder seine genetische Veranlagung noch das schlechte Beispiel des Brudermords von Kain an Abel zwingen ihn dazu. Das stellen Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik gleich am Anfang ihres Buches „Die Evolution der Gewalt“ klar. Darin gehen sie entlang der Menschheitsgeschichte der Frage nach: „Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen“. Und von vornherein machen sie deutlich, dass sie die verbreitete Ansicht, der Mensch sei eben von Natur aus ein kriegerisches Wesen, mit aller Entschiedenheit widerlegen wollen.  Kriegerische Schimpansen, friedfertige Urmenschen  Zu diesem Zweck stützen sie sich zunächst auf die Erkenntnisse der Evolutionären Anthropologie und Primatologie. Woraus sich für unsere nächsten Vorfahren allerdings ein eher bedenkliches Bild ergibt:  Die Schimpansen leben im permanenten Zustand eines latenten Krieges. Zwischen Schimpansen-Gemeinschaften gibt es keinen Frieden.  Quelle: Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik – Die Evolution der Gewalt Trotzdem bleiben die Autoren zuversichtlich, denn die Archäologie liefert günstigere Indizien für ihre Kernthese, dass der Krieg kein Menschenschicksal sei. Zwar weisen Schädel, Skelette und Knochen aus urgeschichtlichen Grabstellen oft zahlreiche Spuren von Gewalttaten auf, aber von regelrechten Kriegen kann da noch keine Rede sein. Wandernde Wildbeutergruppen setzten eher auf Kooperation und wenn größere Konflikte hochzukochen drohten, konnte man sich in den dünn besiedelten Landschaften der Steinzeit leicht aus dem Wege gehen.   Kriegskunst als Erwerbskunst  Das änderte sich dann mit Landwirtschaft, Sesshaftigkeit, Staatenbildung und der Inthronisation von Herrschern, die ihren Ruhm und Reichtum mehren wollten. Der griechische Philosoph Aristoteles brachte es so auf den Punkt:   Darum ist auch die Kriegskunst von Natur aus eine Art Erwerbskunst, die man anwenden muss gegen Tiere und gegen Menschen, die von Natur aus zum Sklavendienst bestimmt sind. Quelle: Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik – Die Evolution der Gewalt Krieg als Zivilisationsprodukt  Hier kommen nun nach der Anthropologie und der Archäologie die Geschichts- und Religionswissenschaften zur Geltung. Sie erklären die Rolle von Herrschern, Göttern und Staatsdenkern bei der offenbar unaufhaltsamen Herausbildung der „Kriegsmatrix“, wie die Autoren das nennen. Zugleich betonen sie jedoch:  Es ist eben nicht der Krieg aller Menschen. Es ist der Krieg von Staaten: Herrscher ziehen in den Krieg, Untertanen werden in den Krieg gezwungen. Der total gewordene Krieg ist ein Zivilisationsprodukt.   Quelle: Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik – Die Evolution der Gewalt Als Evolutionsgeschichte der Gewalt ist das Buch, ungeachtet kleinerer Unstimmigkeiten, informativ, lehrreich und spannend zu lesen. Weniger gut steht es um die schöne These von der ursprünglichen Friedfertigkeit der steinzeitlichen Menschen, auch wenn die Autoren mehrfach darauf verweisen, dass die Menschheit während 99 Prozent ihres Erdenwandels ohne Kriege ausgekommen sei. Der Vorschlag, daraus Folgerungen für heute abzuleiten, muss angesichts einer fünftausendjährigen Geschichte von kriegsgeprägten Zivilisationen als ziemlich unhistorisch erscheinen. Trotzdem kann der politische Rat, den die Autoren zum Schluss geben, im Sinne von Aufklärung und Menschlichkeit nützlich sein. Der Krieg, so sagen sie, ist weder naturgegeben noch gottgewollt, sondern meist von einseitigen Interessen geleitet. Und darum sei es wichtig, denen genau auf die Finger zu sehen, die ihn führen wollen.
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Feb 2, 2025 • 18min

Jonas Lüscher: Verzauberte Vorbestimmung

Der Schweizer Lüscher bringt unterschiedliche Lebensgeschichten und Schicksalserfahrungen zusammen, die verbunden sind durch das unsichtbare Band zwischen Mensch, Technik und Kapitalismus. Lüscher greift auf eine sehr persönliche Erfahrung zurück.
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Feb 2, 2025 • 18min

Wolf Haas: Wackelkontakt

Ein Mann sitzt in seiner Wohnung und wartet auf den Elektriker. Währenddessen liest er ein Buch. Darin sitzt ein Mann in seiner Zelle und liest ein Buch über einen Mann, der auf den Elektriker wartet. Wolf Haas. Sie wissen schon.
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Feb 2, 2025 • 18min

Julia Schoch: Wild nach einem wilden Traum

Der Abschluss der Romantrilogie „Biographie einer Frau“. Während eines USA-Stipendiums verliebt die Erzählerin sich in einen Mitstipendiaten. Julia Schoch macht daraus eine große Reflexion über Herkunft, Prägung und Schreiben.
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Feb 2, 2025 • 1h 10min

SWR Bestenliste Februar

Über den Wolken und durch die Jahrhunderte: Meike Feßmann, Julia Schröder und Paul Jandl diskutierten vier auf der SWR Bestenliste im Februar verzeichnete Werke, die von berauschenden und bedrückenden Reisen handeln. Zunächst ging es um den mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman „Umlaufbahnen“ von Samantha Harvey in der deutschen Fassung von Julia Wolf, in dem sechs Astronauten auf einer Raumstation durchs Weltall schweben und ihr Verhältnis zur bedrohten Mutter Erde neu justieren (Platz 4). Besprochen wurde in der ausverkauften Mediathek in Bühl Julia Schochs Abschluss ihrer Trilogie, die mit „Biographie einer Frau“ überschrieben ist und auf Platz 3 der Februar-Bestenliste steht: Nach „Das Vorkommnis“ und „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ heißt der dritte Teil der autofiktionalen Romanreihe „Wild nach einem wilden Traum“, in welchem es um die Erinnerung an eine Affäre und die Entscheidung der Erzählerin geht, Schriftstellerin zu werden. Auf Platz 2 wird auf der Bestenliste im Februar der neue und vieldiskutierte Roman von Jonas Lüscher gelistet: „Verzauberte Vorbestimmung“ heißt das Werk, das einerseits ein Post-Covid-Roman ist und andererseits das angespannte Verhältnis von Mensch und Maschine in unterschiedlichsten Epochen reflektiert. Der Spitzenreiter der Bestenliste im Februar ist der neue Roman „Wackelkontakt“ von Wolf Haas. Darin wird zunächst von einem Trauerredner namens Franz Escher erzählt, der auf einen Elektriker wartet und einen Roman über einen Mafioso liest. Schon bald geht es aber auch um einen Mann im Zeugenschutzprogramm, der sich die Zeit mit einem Buch vertreibt, in dem wiederum der Trauerredner Escher auf den Elektriker wartet. Der Text ist ein Prosa-Labyrinth, das an die unmöglichen und unendlichen Gemälde des niederländischen Grafikers M.C. Escher erinnert. Jury und Publikum waren gleichermaßen amüsiert. Aus den vier Büchern lasen Isabelle Demey und Dominik Eisele. Durch den Abend führte Carsten Otte.
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Feb 2, 2025 • 16min

Samantha Harvey: Umlaufbahnen

Frisch ausgezeichnet mit dem Booker Prize: Sechs Astronautinnen und Astronauten umkreisen in einer Raumstation die Erde. Sechzehnmal sehen sie die Sonne auf- und wieder untergehen. Ein Roman, angetrieben von der Sehnsucht zu schweben.
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Jan 30, 2025 • 4min

Gotthard Erler, Christine Hehle (Hg.), Emilie Fontane. Dichterfrauen sind immer so | Buchkritik

Was für ein Leben. Emilie Rouanet kommt am 14. November 1824 im brandenburgischen Beeskow nach einer leidenschaftlichen Affäre ihrer Mutter als deren sechstes Kind zur Welt. Sie wird zu einem Onkel, später zur Adoption freigegeben. Vierzehn trostlose Jahre vergehen, bis der Stiefvater in Berlin 1838 Berta Kinne heiratet, die dem Mädchen verständnisvoll zugewandt ist und ihr liebevoll die Mutter ersetzt, ein Leben lang. Erste Begegnung Emilies mit Theodor Fontane in Berlin  Im Haus nebenan wohnt der junge Theodor Fontane bei Onkel und Tante. Das erste Mal begegnen sie sich, als Emilie elf, Theodor 15 ist. Ernst aber wird es erst neun Jahre später, als sie sich wiedersehen. Die Verlobung folgt bald, heiraten aber können sie erst 1850, als Fontane endlich ein festes, wenn auch geringes Einkommen hat. Emilie schenkt sieben Kindern das Leben, drei sterben schnell, Sohn George mit 36 an einer Blinddarmentzündung. Vierundfünfzig herzlich zugewandte Jahre lebt und arbeitet die Frau an der Seite Theodor Fontanes. Gotthard Erler, inzwischen 91, der seit vielen Jahrzehnten Leben und Werk des Dichters ergründet und ediert, ist fasziniert von Emilie.  Ein Leben als Dichterfrau in ärmlichen Verhältnissen   Aus so miesen Verhältnissen stammend wird sie die Frau eines Dichters, der kein Geld verdient, sie hat eine Schwangerschaft nach der anderen, sie haben nie Geld, nur, was er erschreibt, kann man verbrauchen, und sie hat wirklich ein schweres Leben gehabt. Das hat mich fasziniert, dass sie daraus was gemacht hat, mit einer tiefen Zuneigung zu diesem Theodor Fontane verbunden gewesen ist und bei alledem immer wieder die Feder in die Hand genommen hat und immer wieder etwas aufgeschrieben hat. Quelle: Gotthard Erler Hauptsächlich sind es Briefe. 3 bis 4000, schätzt Gotthard Erler. Die meisten davon sind unbekannt, 500 aber hat er gelesen, einige davon bereits im Ehebriefwechsel veröffentlicht und nun 150 ausgewählt und zusammen mit Christine Hehle herausgegeben: Eine Offenbarung. Lernt doch der Leser dieser Briefe eine wahrlich beeindruckende Frau kennen. Sie schreibt sechs Jahrzehnte lang Stiefmutter, Mann und Kindern, Freunden und Bekannten und berichtet über ihr Leben in Berlin oder London, über Sommeraufenthalte in Schlesien oder Reisen nach Karlsbad oder Kissingen. Immer sitzt zwischen ihren couragierten, wohlformulierten Zeilen auch Sorge über die stets prekären Verhältnisse der Familie. Besonders der innig geliebten Stiefmutter Berta vertraut sie ihre Not an, wie am 19. April 1860.  Alles trägt sich doch leichter meine Herzensmama, als beständige Nahrungssorgen, zu denen ich bestimmt zu sein scheine; oft wird es mir recht schwer dieselben zu ertragen.  Quelle: Gotthard Erler, Christine Hehle (Hg.), Emilie Fontane. Dichterfrauen sind immer so Geldnöte haben die Fontanes immer – selbst in der wohl produktivsten Phase des Dichters zwischen dessen sechzigstem und siebzigstem Lebensjahr, in der er an „Effi Briest“ oder „Der Stechlin“ arbeitet. Aber nicht nur er allein ist so fleißig.   Kopistin und Gesprächspartnerin: eine Frau auf Augenhöhe für den Dichter  Sie sei nur noch „Abschreibe-Maschine“, berichtet Emilie einmal ihrem Sohn Theodor. Denn praktisch alles, was Fontane zu Papier bringt, geht sprichwörtlich durch ihre Hände. Nicht nur jetzt, sondern ein ganzes Dichterleben lang. Gut vierzig Bände, tausende dicht beschriebene Blätter voller Korrekturen und Bemerkungen überträgt sie mit kratzenden Federn und schlechter Tinte am Küchentisch unter einer Lichtfunzel. Und greift auch mal inhaltlich ein, wie beim Roman „Graf Petöfy“, zu dem sie am 14.Juni 1883 im Brief an ihren Mann über Figuren und Handlung Stellung nimmt.   F. u. E. können doch nicht gleich in Liebe verfallen? Er wirkt außerdem schemenhaft, man würde nicht begreifen, dass er kam, sah u. siegte. Der Schluss des Kapitel’s, wo er seine Stellung zu ihr in Erwägung zieht [ist] doch fast zu zurecht gemacht u. grußlich. Quelle: Gotthard Erler, Christine Hehle (Hg.), Emilie Fontane. Dichterfrauen sind immer so Emilie Fontane war, so legt es diese wunderbare Autobiografie in Briefen nahe, eine Partnerin auf Augenhöhe, eine Frau, die zaghaft lektorierte, frisch und frei berichtete, couragiert austeilte, bildhaft reportierte. Die Ehe- und Dichterfrau war Kopistin und Vorleserin, Gesprächspartnerin, Mutter und Netzwerkerin: rundum potent und patent.  Mir fiel irgendwann mal ein, ob sie nicht in gewisser Weise dem Frauenbild vom alten Dubslav von Stechlin entspricht: „Eine Dame und ein Frauenzimmer, so müssen Weiber sein.“ Das ist Emilie! Quelle: Gotthard Erler

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