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Hilfe wird oft als ein einfacher Akt wahrgenommen, aber es ist ein komplexes Konzept mit unterschiedlichen Arten und Kontexten. Unterstützung wird vor allem in akuten Notsituationen, wie einem Herzinfarkt auf der Straße, bereitwillig geleistet, wo die Hilfsbedürftigkeit klar und offensichtlich ist. Jedoch kann Unklarheit über den Hilfebedarf oder das Vorhandensein anderer potenzieller Helfer die Bereitschaft, zu helfen, stark vermindern. In weniger offensichtlich kritischen Situationen, wo Hilfe langwierig und herausfordernd sein kann, ist häufig die Beziehung zwischen den Helfenden und den Bedürftigen entscheidend für die Effektivität der Unterstützung.
Hilfsbeziehungen sind oft asymmetrisch und beinhalten ein Machtgefälle, das die Dynamik zwischen Helfenden und Bedürftigen beeinflusst. Personen, die Hilfe anbieten, können in einer stärkeren Position sein, was sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann. In Freundschaften ist das Verhältnis oft reziprok, während in familiären oder professionellen Konstellationen das Gefälle stärker ausgeprägt sein kann. Wenn das Machtgefälle überhandnimmt, besteht die Gefahr, dass Hilfe als Kontrolle wahrgenommen wird, anstatt als Unterstützung zur Stärkung der Autonomie.
Viele Menschen empfinden eine tiefe Skepsis gegenüber der Annahme von Hilfsangeboten, was oft auf den Wunsch nach Autonomie und die Angst vor Stigmatisierung zurückzuführen ist. Der gesellschaftliche Individualismus führt dazu, dass Hilfsbedürftigkeit als Schwäche betrachtet wird, was das Bitten um Hilfe erschwert. Gleichzeitig haben Menschen positive Erfahrungen mit Hilfe entwickelt, die jedoch oft unzureichend anerkannt oder erlernt werden. Um die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, zu fördern, muss eine Umgebung geschaffen werden, in der Schwäche akzeptiert wird und Hilfe als positiv wahrgenommen wird.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das wissen wir alle. Wir sind aufeinander angewiesen und füreinander da. Wir sind bereit zu helfen. Aber oft tun wir uns schwer damit uns helfen zu lassen. Warum ist das so? Von Andreas Hauber
Credits
Autor dieser Folge: Andreas Hauber
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Susanne Schroeder, Thomas Birnstiel
Technik: Christiane Gerheuser-Kamp
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Prof. Dr. Jeanine Grütter, Psychologin, München;
Michael Brugger, Theologe, Klinikseelsorger, Klinikum St. Georg, Leipzig
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ZUM PODCAST
Literaturtipps:
Schmidbauer, Wolfgang: Hilflose Helfer – über die seelische Problematik der helfenden Berufe, Rowolth Verlag, 22. Auflage, 1992.
Parianen, Franca: Teilen und Haben – Warum wir zusammenhalten müsse, aber nicht wollen, Dudenverlag 2021.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK: „Help“ (Z935712#001) 0:30
Help – I need somebody
Help – Not just anybody
Help – You know I need someone
- Heeeelp-
Jetzt ausblenden (when I was younger, so much ….)
MUSIK: „Piano 4“ 0:30
Sprecherin
Er ist wohl einer der bekanntesten Hilferufe überhaupt. Leidenschaftlich fordert John Lennon in dem Beatles-Song „Help“ Hilfe ein. Sein Leben hat sich verändert, er ist nicht mehr so selbstsicher, er kommt nicht mehr alleine klar. Er braucht jemanden, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen.
MUSIK: „Help“ 0:20
won`t you please, please help me…“
Sprecher
„Bitte hilf mir!“ Wenn uns jemand so bittet, ist die Sache klar. In den allermeisten Fällen helfen wir, wenn uns in unserem persönlichen Umfeld jemand direkt um Hilfe bittet.
Sprecherin
Denn wir sind soziale Wesen. Wir leben in Gemeinschaften, sind aufeinander angewiesen und sind bereit einander zu helfen. Helfen macht uns sogar glücklich.
MUSIK: „Piano 1“ 0:30
Sprecherin
Aber …. lassen wir uns auch gerne helfen? Ist es für uns auch ganz selbstverständlich, Hilfe anzunehmen?
Sprecher:
Schauen wir etwas genauer darauf, was es mit dem Helfen auf sich hat…. Und fangen wir ganz vorne an: Was ist Hilfe eigentlich?
01 Zsp Helfen-lassen Brugger
Ich würde sagen: Grundsätzlich bei dem Thema Hilfe ist eine Notlage oder ein Mangel, der beseitigt werden soll. Es geht dann um eine Beziehung zwischen zwei Menschen, Menschengruppen, Menschen – Tieren, wo die eine Seite versucht, der andern Seite (versucht) aus diesem Mangel herauszuhelfen. ((Also den ein Stückweit zu beseitigen oder abzuschwächen.))
Sprecherin
Sagt Michael Brugger, Theologe und Klinikseelsorger am Klinikum der Stankt Georg in Leipzig.
Sprecher:
Zunächst erscheint es also ganz einfach. Jemand will durch sein Tun bewirken, dass es jemand anderem besser geht. Wir alle kennen den Begriff „Hilfe“ und gehen täglich mit ihm um. Allerdings wird es recht schnell kompliziert, wie Professorin Jeanine Grütter von der LMU München betont:
02 Zsp Helfen-lassen Grütter
(…) und es ist ein riesiger Begriff, es gehört ganz viel dazu und es gibt verschiedene, ganz viele verschiedene Arten von Hilfen. Es gibt verschiedene Kontexte von Hilfen und es kann natürlich auch je nach Kontext unterschiedlich sein, was jetzt wirklich als Hilfe bezeichnet wird oder auch erwartet wird und … - Ja, genau - und auch vielleicht wie lange es dauert, oder was die Motivationen sind.
MUSIK: „Piano 1“ 0:30
Sprecherin:
Das Wort selbst bereitet keine großen Schwierigkeiten. Wenn man über Hilfe nachdenkt, scheinen vielmehr die Strukturen, in denen sie stattfindet, bedeutsam zu sein: Wie ist die Beziehung zwischen dem Helfenden und der Person, die Hilfe empfängt? Wie ist die Atmosphäre, in der das geschieht? Was sind die Motivationen, aus denen heraus wir helfen?
Sprecher:
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es verschiedene Arten von Hilfe gibt. Wenn es um eine akute Notsituation geht, wenn jemand auf der Straße einen Herzinfarkt erleidet, es darum geht schnell und wirkungsvoll zu helfen, ist die Hilfsbereitschaft groß.
Auch wenn jemand von Geburt an oder als Folge eines Unfalls oder einer Krankheit nicht in der Lage ist sein Leben frei und eigenständig zu leben, sind meistens Menschen bereit zu helfen.
03 Zsp Helfen-lassen Grütter
Notsituationen werden auch anders wahrgenommen. Da gibt es viel Forschungen dazu, die zeigen, dass Leute dann, wenn es wirklich eine klare Notsituation ist, dass die dann helfen …
Sprecherin
Wenn es wirklich darauf ankommt, sind wir da.
04 Zsp Helfen-lassen Grütter
(...) sobald es ein bisschen schwammig ist, ob es wirklich eine Notsituation ist, oder wenn auch noch viele andere Leute da sind - das kann sogar auch eher hemmen, dass man dann hilft.
Sprecher
Wenn die Not nicht so deutlich erkennbar ist, wird es schon schwieriger. Hilfsbedürftigkeit ist oft nicht so sichtbar, manchmal ist Hilfe langwierig und anstrengend. Oft ist es nicht eindeutig, wie man helfen kann.
05 Zsp Helfen-lassen Grütter
Also man kann jemanden materiell unterstützen. Man kann praktisch helfen, finanziell unterstützen. Ganz häufig geht es auch um informelle Unterstützung, also dass man auch Wissen weitergibt, dass man irgendwie ein Netzwerk vielleicht auch eröffnet. Und was wir ganz häufig vergessen, ist die emotionale Hilfe und Unterstützung, also dass man zuhört, vielleicht auch Trost spendet, Leute ermutigt. Das kann einen riesigen Unterschied machen, auch für die Person.
MUSIK: „Piano 3“ 0:22
Sprecherin
Hilfe ist sehr facettenreich. Man könnte aber vereinfachend sagen: Es gibt konkrete Situationen, in denen recht schnell und präzise etwas getan werden kann und es gibt langwierige, begleitende Hilfe, bei der die Bedürfnisse in einem längeren Prozess erst sichtbar gemacht werden müssen. Und gerade in solchen unscharfen Situationen, kommt es sehr stark auf die Beziehung zwischen den Akteuren an.
06 Zsp Helfen-lassen Brugger
Hilfsbeziehungen sind dabei immer asymmetrisch und ich glaube, das macht sie auch im Grunde problematisch: In einer Hilfsbeziehung ist immer eine gewisse Schieflage drin (…)
Sprecher
Eine Schieflage …. ein Gefälle. Die Person, die hilft ist in einer stärkeren Position. Sie ist ja die (Person), die aktiv werden kann und die gebraucht wird. Die Person, die auf Hilfe angewiesen ist, steht nicht so gut da. Aber natürlich gibt es auch hier Abstufungen.
Sprecherin
In Familien mit kleinen Kindern gibt es beispielsweise oft ein starkes Machtgefälle, aber ein Kleinkind ist natürlich auch sehr auf die Unterstützung der Eltern angewiesen.
07 Zsp Helfen-lassen Grütter
(...) Wenn wir an Freundschaften denken, dann haben wir auch einen anderen Kontext, dann ist jemand uns nahe. Dann sind wir schon in einem reziproken Verhältnis und dann weiß man zum Beispiel: es ist ein Geben und Nehmen. Also dann hat man hier nicht so diese, diese Abhängigkeiten oder Machtsituationen - aber das gibt es natürlich schon auch und dann ist es eher schwieriger, wenn man in so einem Machtgefälle ist. Zum einen geben Leute vielleicht auch Hilfe, um ihre Macht weiter auszubauen, das gibt es auch, das wird auch unterschieden.
Sprecherin
Die Schieflage ist grundsätzlich da. Aber es kommt darauf an, wie damit umgegangen wird. Wenn Menschen eine enge Beziehung zueinander haben und - das ist ganz wichtig - sich vertrauen, ist die Schieflage nicht so groß und nicht so problematisch. Auch wenn untereinander klar ist, dass die Hilfe Element eines reziproken Gefüges ist, also nicht einseitig, sondern wechselseitig funktioniert. Nach dem Motto: Ich helfe Dir und weiß gleichzeitig, dass Du mir auch hilfst, wenn es nötig wird.
Sprecher
Gefährlich wird es, wenn das Gefälle zu stark wird. Denn Menschen haben die verschiedensten Motive, um zu helfen. Die hängen stark von der jeweiligen Kultur und auch der konkreten Persönlichkeit ab, aber …
08 Zsp Helfen-lassen Grütter
… wenn wir das mal so ein bisschen wegdenken für den Moment. Dann gibt es verschiedene Motivationen. Also man möchte Schaden vermeiden von der anderen Person. Man möchte eben, dass die sich gut fühlt, dass da nichts Schlechtes passiert. Man hilft auch, wenn es ... also es kann auch selber gut sein für den Selbstwert, (oder) man hat geholfen, hat was Gutes getan. Fühlt sich dann auch in der Regel gut. Das zeigt auch die psychologische Forschung. Man kann eben vielleicht später auch eine Gegenleistung bekommen, weil man was geleistet hat. Je nach Kontext wird es anerkannt, dass man geholfen hat.
Sprecher
Es ist so, dass es um den Menschen geht, der Hilfe benötigt. Aber eben nicht nur.
09 Zsp Helfen-lassen Grütter
Wenn wir es eher von so einer negativen Seite sehen möchten, dann könnte man auch sagen: Ja Menschen wollen sich einfach nicht schlecht fühlen und wenn jetzt jemand, wenn man jemanden sieht in der Notsituation, dann löst es ja bei einem was aus. Und wenn man was dagegen tut, hilft es nicht nur der anderen Person, sondern auch mir, man fühlt sich weniger schlecht, weil man diese Not sieht. Man hat was dagegen gemacht.
MUSIK: „Piano 1“ 0:28
Sprecherin
Es geht immer auch darum, dass ich mich selber gut fühle. Das ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil sogar notwendig und gesund. Dass man vom eigenen Tun profitieren möchte, etwas zurückbekommen möchte, sich Dankbarkeit oder Anerkennung wünscht, das ist völlig natürlich. Aber es besteht eben hier auch die Gefahr, dass die eigenen Bedürfnisse überhandnehmen. Dass es eher um einen selbst, als um den anderen geht. Dass es nicht so edelmütig zugeht. Und hier kann das Machtgefälle aus den Fugen geraten.
Sprecher
Wir sind also aus uneigennützigen, aber auch aus eher eigennützigen Gründen bereit dazu anderen zu helfen.
Es stellt sich aber auch noch die Frage: Wer sind eigentlich die anderen? Wem helfen wir denn lieber?
10 Zsp Helfen-lassen Grütter
Ja den Menschen ... schon den Menschen die uns nahe stehen ...
Sprecherin
Menschen, die uns bekannt sind und zu denen wir schon eine Beziehung haben, helfen wir am ehesten: Freunde und Familienmitglieder oder auch Arbeitskollegen, ganz allgemein Personen, an denen wir nahe dran sind.
11 Zsp Helfen-lassen Grütter
Etwas, was so ein bisschen weniger schön ist, ist, dass wir auch eher Leuten helfen, die ähnlich sind wie wir.
Sprecherin
Also die die gleiche Hautfarbe haben oder die gleiche Sprache sprechen. Im Grunde Personen, mit denen wir uns leichter identifizieren können.
12 Zsp Helfen-lassen Grütter
Es gab eine berühmte Studie, wo Menschen verschiedene Fußballtrikots getragen haben und die Fans von der einen Gruppe haben dann eher geholfen, wenn die Person das Trikot anhatte von der gleichen Mannschaft. Und genau da konnte man eigentlich ziemlich leicht zeigen, dass dann eben diese Hilfe auch von Ähnlichkeit geleitet wird...
MUSIK: „Piano 1“ 0:35
Sprecher
Ganz knapp zusammengefasst lässt sich also sagen, dass wir Menschen grundsätzlich bereit sind, auf jede Art und Weise zu helfen. Je näher uns eine Person steht, desto leichter helfen wir.
Bei der Hilfe kommt es sehr stark auf die Beziehung zwischen den Akteuren an. In einer Hilfsbeziehung gibt es aber immer ein gewisses Gefälle: der eine ist in einer stärkeren Position als der andere. Auch die Motive, warum wir helfen, sind verschieden, es geht dabei nicht nur um die andere Person, sondern immer auch um uns selbst.
Sprecherin
Kommen wir davon ausgehend also zu unserer Ausgangsfrage zurück: Warum fällt es uns oft schwer, uns helfen zu lassen?
Die Psychologin Professorin Jeanine Grütter stellt eine Grundfrage an das Helfen:
13 Zsp Helfen-lassen Grütter
Da gibts auch einen spannenden Unterschied: Ist die Hilfe, um Autonomie zu fördern oder um Abhängigkeiten zu fördern …?
Sprecherin
Das ist entscheidend, wenn wir herausfinden wollen, warum wir uns oft nicht so gerne helfen lassen. Denn beides ist möglich: Zielt die Hilfe auf die Autonomie dessen, der Hilfe benötigt - man kann auch gut Selbsthilfe dazu sagen - dann geht es tatsächlich darum, dass der, der Hilfe empfängt von seiner Hilfsbedürftigkeit befreit wird und wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Dass der Helfende dabei in seinem Selbstwert oder auch in seinem Ansehen profitiert, ist für ihn dann nur ein angenehmer Nebeneffekt, aber nicht so wichtig. Denn es ist klar, dass es in allererster Linie um das Wohl des anderen geht.
Der Theologe Michael Brugger macht das anhand einer Bibelerzählung anschaulich:
14 Zsp Helfen-lassen Brugger
Im Markusevangelium trifft Jesus auf den blinden Bettler Bartimäus und er bittet ihn um Hilfe. Jesus stellt dann die Frage: Was willst Du, was ich Dir tun soll? Und der Bettler antwortet: Wieder sehen können. Und diese Erzählung vom blinden Bartimäus wird in den Christlichen Hilfsdiskursen gern als Inspiration für eine adäquate Form des Helfens genommen: Diejenigen, die Hilfe brauchen entscheiden selbst darüber, ob und wie ihnen geholfen werden soll. Damit will man ja so ne Übergriffigkeit des Helfenden, die in diesem Machtungleichgewicht der Hilfssituation lauert, die will man dadurch in den Griff bekommen.
Sprecher
Jemand, der jemand anderem hilft, sollte sich immer bewusst machen, dass es um den anderen geht. Der oder Die entscheidet, was er oder sie braucht und wie weit die Hilfe gehen soll.
15 Zsp Helfen-lassen Brugger
Und für diese Situation ein typisches Beispiel: Wenn ich auf der Straße von einem Obdachlosen angesprochen werde und um Geld gebeten werde, dann geh ich nicht zum Bäcker rein und kauf ihm ein Brötchen, weil ich denke, wenn ich dem jetzt Geld gebe, dann versäuft der das eh nur, sondern dann gebe ich ihm Geld, weil darum hat er mich gebeten.
Sprecher
Das ist etwas, das wahrscheinlich jeder schon einmal so oder ähnlich erlebt hat.
16 Zsp Helfen-lassen Brugger
(…) jemanden hilfsbedürftig zu sehen, das erzeugt bei vielen Menschen einen großen Handlungsdruck und (der) dieser Handlungsdruck ist nicht immer angemessen auf die Situation des Gegenübers. Wenn jemandem geholfen wird ohne, dass er es will, oder wenn jemand Hilfe bekommt, die er nicht braucht, dann erreicht Hilfe eigentlich ihr Gegenteil. Dann stellt sie diese Asymmetrie und Ohnmacht, die mit der Hilfsbedürftigkeit einhergeht, noch mehr vor Augen und noch mehr in den Vordergrund. Und so kann gut gemeinte Hilfe auch demütigen.
Sprecherin
Dient Hilfe dazu Abhängigkeiten zu schaffen oder zu verstärken, dann geht es eben nur scheinbar um den Menschen in Bedrängnis und ganz andere Dinge sind wichtig.
17 Zsp Helfen-lassen Grütter
Wenn man jetzt zum Beispiel an die Pandemie denkt: Viele Länder in benachteiligten Kontexten waren sehr stark betroffen und man hat denen ganz viele Impfstoffe irgendwann geliefert, aber nie das Patent, damit sie selber die Impfstoffe herstellen konnten. Also hat man zwar was getan, aber die sind ja weiterhin dann in unserem Abhängigkeitsverhältnis.
MUSIK: „Piano 4“ 0:30
Sprecher
Und in diese Situation möchte niemand geraten. Niemand will abhängig sein.
Aber Hilfe steht leicht im Verdacht in diese Richtung intendiert zu sein. Deshalb sind viele Menschen skeptisch gegenüber Hilfsangeboten von anderen.
Wenn man das Gefühl hat, man wird zum Werkzeug für das Wohlbefinden eines anderen. Wenn man das Gefühl hat in der Schuld zu stehen.
Wenn man den Eindruck bekommt, dass man trotz allem nicht wieder selbst auf die Beine kommt. Wenn man das Gefühl hat, nicht genug zu sein.
Sprecherin
Das alles schreckt ab, macht skeptisch und vorsichtig. Vor allem, wenn die Beziehung zu dem, der Hilfe anbietet, nicht ganz klar ist. Aber auch, wenn die Beweggründe nur schwer einzuschätzen sind. Denn der Eigennutz schwingt immer mit. Wenn es den Anschein hat, dass er die eigentliche Ursache für die Hilfe ist, will man sie lieber nicht annehmen.
18 Zsp Helfen-lassen Grütter
Es wird auch unterschieden, ob man jetzt eher Hilfe anbietet mit dem Zweck der Unterstützung, die nicht zu Selbstbestimmung befähigt. Oder will man wirklich jemanden Mithilfe zur Selbsthilfe geben? Und da sind die Leute, die Hilfe erhalten auch sehr gut drin abzuschätzen: Was bedeutet das jetzt langfristig? Also lasse ich mich jetzt da auf etwas ein, das für mich eigentlich nur auf den ersten Blick gut aussieht, aber auf den zweiten Blick vielleicht gar nicht so gut ist?
Sprecher
Das ist das Eine. Diese Skepsis entsteht eher auf einer persönlichen Ebene. Etwas Anderes aber ist die gesellschaftliche Atmosphäre, in der sich das Ganze abspielt.
Sprecherin
Denn hinter allem steht immer unser Selbstbild. Und dabei ist es wichtig, welches die gesellschaftlichen Werte sind, an denen wir uns orientieren. Gerade in unserer heutigen Zeit ist Individualismus ein hohes Gut.
Eigenständigkeit und Selbstbestimmung stehen hoch im Kurs. Man soll eine möglichst starke Person mit Ecken und Kanten sein. Man soll und will es alleine schaffen.
19 Zsp Helfen-lassen Grütter
Wenn das eben die Message ist, dass man sich dann auch danach ausrichtet (oder?) Man möchte ja zur Gesellschaft dazugehören.
Wie schafft man das: Wenn man eben stark ist, wenn man unabhängig ist. Wenn man so – Ja - auch anschaut wer sich eher helfen lässt und wer weniger, eben dann spielt schon Stolz und auch so ein Autonomiebedürfnis eine große Rolle.
Sprecherin
Allem Anschein nach leben wir oft in einer Atmosphäre, in der nicht sehr viel Platz für Hilfsbedürftigkeit ist, weil sie als Schwäche verstanden werden kann. Wenn die beste Hilfe aber die ist, in der derjenige, der Hilfe braucht, selbst entscheiden kann, was er braucht - Wenn er sagen kann, was ihm guttut und was ihm hilft - vorausgesetzt, er weiß es selbst – dann sind das schwierige Voraussetzungen.
Sprecher
Denn dafür muss er sich in einem Umfeld bewegen, in dem es möglich ist, seine Bedürfnisse zu äußern. Das muss eben ein Umfeld sein, in dem Bedürftigkeit oder auch Schwäche möglich sind.
20 Zsp Helfen-lassen Grütter
Häufig wird ja ganz viel versteckt, also auch wenn wir an Leute denken, die in Armut leben. Die sind auch häufig unsichtbar, weil die sich gar nicht trauen Hilfe in Anspruch zu nehmen. (Weil sie eben) weil das so schambehaftet ist. Und - in unserer Gesellschaft, warum können wir das nicht irgendwie schaffen, dass alle da eben sich auch äußern können, was Sie brauchen?
Sprecher
Natürlich ist unsere Gesellschaft sehr vielfältig. Es gibt durchaus Orte und Gruppen, in denen das alles möglich ist. Aber es gibt schon Tendenzen dazu Hilfsbedürftigkeit kritisch zu sehen. Das ist derzeit, 2024, wieder recht deutlich, da die wirtschaftliche Situation schwieriger wird. Wenn es darum geht zu sparen, dann wird in vielen politischen Wortmeldungen schnell weitgehend pauschal auf die Menschen verwiesen, die von staatlichen Hilfen abhängig sind. Der Ton wird rauer und wie so oft trifft es die, die ohnehin schon an den Rand gedrängt sind.
Sprecherin
Es ist nicht einfach in einer solchen Stimmung darauf hinzuweisen, dass man Hilfe braucht. Auch im persönlichen Umfeld. Da ist die Angst ausgeschlossen oder abgelehnt zu werden groß.
Sprecher
Es geht bei alledem also immer auch um den Blick, den wir auf Hilfsbedürftigkeit und Menschen, die Hilfe benötigen, haben. Denn nur, wenn ich mich in einem Umfeld bewege, in dem es kein Problem ist, wenn ich auch mal nicht alleine weiterkomme und Unterstützung brauche, kann ich auch lernen sie anzunehmen. Und um das zu lernen, muss ich gute Erfahrungen damit machen, mir helfen zu lassen.
21 Zsp Helfen-lassen Grütter
… was wir ja sehr stark lernen, wenn wir aufwachsen oder auch was in unserer Gesellschaft, was stark gefördert ist, ist, dass man anderen hilft, (...) das übt man und das wird anerkannt. Das wird wertgeschätzt und stark sozialisiert, aber dass man Hilfe annimmt, das lernt man eigentlich nicht so ...
MUSIK: „Piano 1“ 0:34
Sprecherin
Helfen ist etwas Gutes. Das steht außer Frage. Aber damit ist es nicht getan. Wirkliche Hilfe erfordert ein hohes Maß an Empathie, die Fähigkeit sich in den anderen hineinzuversetzen und in gleichem Maße Aufmerksamkeit für seine Bedürfnisse. Das gilt im persönlichen Umfeld, wie auch im Bereich der institutionalisierten Hilfe.
Sprecher
Das ist gar nicht so einfach. Vor allem dann nicht, wenn das Gegenüber Hemmungen hat, sich helfen zu lassen. Das geht natürlich nicht allen so. Das hängt von der Persönlichkeit des Betreffenden ab, seinen Erfahrungen und seinen Beziehungen. Auch von seinen Einstellungen und dem eigenen Selbstverständnis. Man darf auch nicht vernachlässigen, warum jemand Hilfe braucht. Was ist die Ursache für die Hilfsbedürftigkeit?
Sprecherin
Wer sich nicht Helfen-lassen kann oder will, der ist deshalb nicht gleich ein stur oder undankbar. Lässt man sich darauf ein, dann sind die Gründe dafür meist gut nachvollziehbar und verständlich. Wahrscheinlich ist es, wenn man es wirklich ernst meint mit dem anderen, das Wichtigste an einer guten und vertrauensvollen Beziehung zu arbeiten, die eine Atmosphäre schafft, in der Schwäche und Hilfsbedürftigkeit zugelassen sind. Das ist im Großen schwierig, im Kleinen aber möglich. Ein erster Schritt dazu wäre vielleicht, sich von jemandem, der sich nicht helfen lassen kann oder will, erst einmal selbst helfen zu lassen… Vielleicht könnte das ja helfen?
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