
SWR Kultur lesenswert - Literatur Katja Oskamp – Die vorletzte Frau
Sep 1, 2024
05:56
Dem passionierten Leser begegnen ja ständig Menschen, die sagen, sie kämen in ihrem Leben gar nicht zum Lesen. Aber dieses Leben sei ja eh so spannend und voller Abenteuer, dass man es auch als Roman bezeichnen könnte, den sie mit Leichtigkeit schreiben könnten, wozu sie jedoch nicht kämen.
Das stimmt natürlich überhaupt nicht, denn erst einmal muss jemand in der Lage sein, aus so einer Lebensmasse einen Roman zu schnitzen oder eine Schneise durch diesen Lebensdschungel zu schlagen, eine Perspektive zu finden, hinzuweisen, auf erzählenswerte Details am Wegrand.
Und genau darin ist die ostdeutsche Schriftstellerin Katja Oskamp eine echte Meisterin. In ihrem neuen Buch „Die vorletzte Frau“ schlägt sie eine beeindruckende Schneise durchs eigene Leben, und ein bisschen ist es die berühmte Schneise der Verwüstung.
Die Erzählung einer Dichterliebe
Katja Oskamp erzählt von einer Dichterliebe. Eine ostdeutsche Frau verliebt sich im Studium in den 19 Jahre älteren Dozenten, einen berühmten Schweizer Schriftsteller mit einem Hang zur Hochliteratur wie zu den besseren Kreisen. Er ist unglücklich mit einer hysterischen Schauspielerin liiert, sie hat ein Kind mit einem Generalmusikdirektor, der zur Selbstinszenierung neigt – die Szene, in der er auf einem Arm das gemeinsame Kind und in der anderen eine flammenschlagende Pfanne hält, ist ikonisch. Und auch der Beginn der Liebe zum Schriftsteller ist, sagen wir mal, recht drastisch:Als wir die Kneipe verließen, griff ich Tosch zwischen die Beine. Das war neu. Tosch legte mich vor dem Joseph Pub mit Krawumm auf die Motorhaube eines parkenden Autos.Quelle: Katja Oskamp – Die vorletzte Frau
Robert Musils aphrodisierende Wirkung
Katja Oskamp schreibt flüssig, sehr leicht, mit einem sicheren Gespür für Komik, Drastik, Peinlichkeit und Spannung. Die literaturhistorische Institution Robert Musil, ja genau, der vom „Mann ohne Eigenschaften“, hat selten in seiner Wirkungsgeschichte aphrodisierende Wirkung gezeigt– aber zwischen der Heldin und Tosch funkt es ausgerechnet über die Erzählung „Tonka“. Sie schneidet eine Kopie der Geschichte zu Papierschnipseln, wirft sie auf den Boden und fischt daraus Schnipsel, um sie zu einer neuen Erzählung zu kompilieren. Sie bückt sich, er sieht ihren Hintern, als er ihr das sagt, erwidert sie: Du verarschst mich. Und damit sind wir beim zentralen Thema: Die Heldin schreibt, nach einem Gespräch mit der Psychotherapeutin:Ich war gern unten. Dr. T tippte das Thema an; verstanden habe ich es erst mit Tosch.Quelle: Katja Oskamp – Die vorletzte Frau
Ein Buch ganz nah an Oskamps Leben
Die Unterwerfung der Frau, teils gewollt, teils sozialisiert, ist eins der großen Themen im Buch. Sie rutscht vor den Männern herum, bückt sich, will die untere Hälfte vom Brötchen, saugt lieber den Boden, als den Staub von der Lampe zu wischen. Dem Mann dagegen, Toschbereitete es Freude ganz oben mitzuspielen. … Der Sohn eines Politikers kannte sich aus mit den ungeschriebenen Gesetzen der höheren Kreise.„Die vorletzte Frau“ wirkt beeindruckend ungestelzt und würde als reine Geschichte einer Mesalliance gut funktionieren, aber es gibt noch eine weitere Ebene. Denn gleichzeitig ist das Buch ja nun mal nah am Leben Katja Oskamps. Der Held, der Tosch genannt wird, ähnelt schon sehr Thomas Hürlimann, dem Schweizer Großschriftsteller, der z. B. durch „Fräulein Stark“ bekannt wurde und von dem man weiß, dass er sehr lange mit Katja Oskamp zusammen war. Das Buch erzählt von seiner schweren, mehrfach lebensgefährlichen Krebserkrankung.Quelle: Katja Oskamp – Die vorletzte Frau
