
Eigentlich Podcast EGL090 Body Horror 2: The Substance und Together
"People always ask for something new. It's inevitable." -- Harvey (aka Dennis Quaid) in The Substance
Weiter geht's mit dem Halloween-Special zu Body Horror. Reinhard ist wieder dabei, Chris jedoch nicht. Der hat sich mit Zelt und Isomatte in die Wildnis verabschiedet. In dieser Episode widmen wir uns zwei weiteren Filmen des Genres: "The Substance" und "Together". Laufen beim Reden und laufend reden. Unterwegs im Treptower Park, wo uns zum Schluss ein ganz anderer Horror einholt: das dritte Aufnahmegerät hat nicht aufgenommen (Micz vergaß den Hold-Schieber auf eben jenes "Hold" zu schieben). Wir mussten Reinhards Tonspur akribisch aus den anderen beiden Spuren herausschneiden. In "The Substance" von Coralie Fargeat steht der weibliche Körper im Zentrum einer von Außen auf den Körper projizierten Selbstoptimierungsspirale. Elizabeth Sparkle, einst gefeierte Schauspielerin, wird älter – und damit für die Kamera untauglich. Ein mysteriöses Serum namens „The Substance“ verspricht Verjüngung. Ein zweites Ich, jung, schön, makellos, bricht durch den Rücken in die Welt. Die Gebrauchsanweisung sagt deutlich: alle sieben Tage müssen sich jung und alt abwechseln. Doch dieses zweite Selbst beginnt, das erste zu verdrängen – bis Identität, Fleisch und Selbstbild in einem grausamen Machtkampf verschmelzen. Fargeat inszeniert diese Verwandlung als blutiges Schauspiel über Körperbesitz, Leistungsdruck und das Begehren, gesehen zu werden. Im Anschluss reibt Flo Lacans Konzept des "Realen" am Schleim und Formlosen des Films. Wo "The Substance" Körpergrenzen auflöst, wird das Reale zum Ort des Unbegreiflichen – jener Überschuss, der sich der Symbolisierung entzieht. Der Film lässt uns körperlich spüren, was Lacan nur andeuten konnte: dass das Reale keine äußere Bedrohung ist, sondern etwas, das unaufhörlich in uns arbeitet. Der zweite Film, "Together" von Michael Shanks, erweitert das Thema Körperhorror um eine groteske Komödiennote. Alison Brie und Dave Franco spielen ein Paar, dessen Beziehung nach dem Umzug auf's Land zerbröselt, als ein bizarrer Selbstfindungstrip zur physischen Eskalation führt. Durch ein unerklärliches Phänomen werden die beiden aneinandergebunden, besser noch ineinanderverwickelt und -verstrickt. Die Geschichte ist in eine Farce über Abhängigkeit, Selbstauflösung und die möglicherweise Unmöglichkeit, wirklich „eins“ zu werden. Shanks inszeniert diesen Körper- und Beziehungsknoten als Mischung aus Beziehungsdrama und Splatter. Hier spricht Micz über Julia Kristevas Konzept des "Abjekts" – jenes Moments, in dem das Ich sich selbst nicht mehr von dem unterscheiden kann, was es abstößt. "Together" zeigt das Abjekt als Auflösung der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Ich und Du. Das eklig Verschmelzende wird zum Beweis dafür, dass unser Selbstbild auf einer dünnen Haut beruht.
Mitwirkende
- Micz Flor
- Florian Clauß
- Reinhard
Im Blog auf der Eigentlich-Podcast-Website steigen wir gerne noch ein Stück tiefer in die Themen ein, sezieren, und korrigieren gerne auch mal klammheimlich. Diesmal hatte ich (Micz) leider schlicht nicht die Zeit. In der Episode habe ich den zweiten Film, Together, besprochen. Wer es ganz genau wissen will, darf gerne in die Episode reinhören.
Das, was ich eigentlich noch weiter ausführen wollte, hat Flo ohnehin schon in seinem Text zu „The Substance“ eingewoben: Kristeva und der Begriff der Abjektion, dieses Auflösen von Grenzen, das Unreine, das sich zwischen Ich und Nicht-Ich schiebt. Damit schließe ich den Teil zu Together mit einer kleinen Anmerkung: Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte das dem Film vermutlich nicht gutgetan.
Over to Flo: „Take it home“.
The Substance – Körper als Vertrag, Bild als Gesetz
Coralie Fargeats zweiter Langfilm ist eine elegante Zumutung. The Substance verbindet grelle Pop-Ikonografie mit nüchterner Diagnose und treibt den Body-Horror in eine Zone, in der die Oberfläche nicht Täuschung, sondern Beweis wird: für eine Kultur, die den weiblichen Körper nach Regeln verwaltet, die sie selbst – großgeschrieben – an die Wand hängt. YOU ACTIVATE ONLY ONCE. YOU STABILIZE EVERY DAY. YOU SWITCH EVERY SEVEN DAYS WITHOUT EXCEPTION. REMEMBER YOU ARE ONE. Was wie eine Gebrauchsanweisung der Hoffnung aussieht, entpuppt sich als liturgische Form des Zwangs. Fargeat liefert damit nicht nur eine Genrearbeit, sondern ein präzises Bildregime über Ageismus, Selbstoptimierung und Selbsthass – nüchtern, kontrolliert, mit Absicht provozierend.
Regiehandschrift und Rahmen
Fargeat, französische Autorin-Regisseurin mit internationaler Praxis, hat bereits in Revenge (2017) Exploitation-Codes feministisch umcodiert. In The Substance führt sie diese Methode fort: knallige Paletten, pop-ikonische Tableaus, ein haptisches Sounddesign; praktische Effekte, die wie Argumente wirken. Das Produktionsprofil bleibt transnational (englischsprachiger Cast, Cannes-Premiere, Preis für das beste Drehbuch), in der Haltung jedoch dezidiert französisch: ein Kino, das Idee und Form zu gleichen Teilen ernst nimmt. Leitmotivisch verhandelt der Film weibliche Selbstbestimmung gegen die Ökonomie des Blicks; der Körper ist nicht Kulisse, sondern Schlachtfeld.
Handlung, Dramaturgie, Programm
Im Zentrum steht Elisabeth Sparkle (Demi Moore), eine Entertainerin und Fitness-Ikone, deren Marktwert an der Haut gemessen wird. Ein TV-Boss (Dennis Quaid) verjüngt das Format – und damit de facto den Körper, der es trägt. The Substance, ein illegales Verfahren, verspricht Abhilfe: Aus der Protagonistin tritt eine jüngere Version (Margaret Qualley) hervor. Fortan existieren zwei Körper parallel, verbunden durch ein strenges Zeitregime: sieben Tage alt, sieben Tage jung – ohne Ausnahme. Das Regelwerk erscheint im Film als klare Beschriftung in Großbuchstaben; es strukturiert Montage, Bild und Rhythmus. Dramaturgisch arbeitet The Substance bewusst nach „Malen nach Zahlen“: Sobald ein Punkt gesetzt ist (Aufstieg des Doubles, Regelbruch, Degeneration), erscheint stringent der nächste. Man kann das als Formelhaftigkeit lesen. Man kann darin aber auch das Kalkül erkennen, mit dem Fargeat die kapitalistische Logik der Optimierung in erzählerische Mechanik übersetzt. Das Ergebnis ist eine starke, einfache Bildsprache, die kaum Ambiguität lässt, dafür Schlagkraft gewinnt.
Bild, Ton, Körper
Die Filmsprache ist konsequent dual organisiert. Klinische Kälte in Laboren und Korridoren trifft auf den poppigen Glanz der Bühne, von Kosmetik-Pastells bis Neon. Spiegel, Glas und Bildschirme rahmen das Ich; Bildflächen vervielfältigen die Figur, die sich in ihnen wiedererkennt und zersplittert. Die Kamera sucht die Nähe – Poren, Schweiß, Kanten der Prothetik –, als wolle sie den Tastsinn ins Auge verschieben. Die Choreografien der Auftritte sind geschmeidig, nahezu tänzerisch; die Rückzugsräume werden atemnah, dokumentarisch, gelegentlich unruhig. Das Sounddesign legt Ekel in den Hörsinn: reibende Texturen, feuchte Kontaktgeräusche, kleinteilige Atemarbeit. Mediengeräusche – Applaus, Regierufe, Countdowns – fungieren als akustische Gewalt, die Körper formatiert. Praktische Effekte bleiben der Kern: Der Verfall hat Etappen; CGI akzentuiert, ersetzt aber nicht die Materialität.
Performances und Starimages
Demi Moore trägt den Film mit einer doppelten Schärfe: einer streng trainierten Körperhaltung und einer mimischen Mikroökonomie, die von professioneller Glätte in brüchige Verletzlichkeit übergeht. Ihre Starpersona – Sexsymbol, Ageismus-Erfahrungen – liefert eine Metaebene, die Fargeat kalkuliert nutzt: Casting als Argument. Margaret Qualley verkörpert performative Jugendlichkeit: federnde Bewegungen, hyperpräzise Posen, ein Timing, das zwischen Charme und Kälte oszilliert. Sie spielt die Verführbarkeit der Oberfläche ebenso wie deren instrumentelle Grausamkeit. Dennis Quaid zeichnet den Produzenten als joviales Monster: lächerlich und gefährlich zugleich, ein Gesicht der Maschine.
Selbstoptimierung, Selbsthass, Markt
Die klaren Anweisungen des Films – YOU ACTIVATE ONLY ONCE etc. – wirken wie Affirmationen aus einer Fitness-App. Als Regelsystem übersetzen sie Selbstoptimierung in Disziplin: Stabilisiere dich täglich, wechsle rechtzeitig, bleib eine Einheit. Was als Schutz versprochen wird, produziert Spaltung und den Hass auf das Unperfekte. Der Körper wird zur Ressource, Zeit zum verwalteten Gut. Verstöße sind „Unwirtschaftlichkeit“ und schreiben sich ins Fleisch. In dieser Logik ist der ältere Körper Restmüll, der jüngere Währung. The Substance behauptet das nicht nur; es zeigt die Mechanik, die dazu führt.
Lacan: Bild, Gesetz, Rest
Eine Lesart nach Lacan schärft die Ordnung, die Fargeat baut. Das Imaginäre liefert das Ideal-Ich: Sue ist die glatte Ganzheit, an der sich Identifikation entzündet. Das Symbolische setzt Grenzen: Der 7/7-Vertrag fungiert als Gesetz, das Begehren binden soll. Der große Andere – hier die Medien-/Schönheitsindustrie – stellt die Signifikantenkette bereit, nach der Wert verteilt wird: jung, frisch, fit, sexy, on brand, Quote, Verjüngung. Elisabeth richtet ihr Begehren an dieser Kette aus; die Kamera übernimmt oft die Position des Anderen. Das Reale dringt ein, sobald das Gesetz bricht: Degeneration, Flüssigkeiten, Wucherungen – das, was sich der Symbolisierung entzieht, schreibt mit. Die Substanz selbst lässt sich als objet petit a fassen: der dinglich gewordene Köder des Jugend-Glows, der Begehren verursacht und nie satt macht. Als kapitalistisches Gadget-Objekt verspricht sie, den Mangel (Alter, Endlichkeit) zu löschen, und erzeugt damit Plus-de-jouir: eine Exzess-Lust, die Leiden steigert. In dieser Sicht ist The Substance die Geschichte eines Subjekts, das die symbolische Grenze verleugnet und vom Realen überrollt wird. Die finale Jouissance-Explosion – der Blob – ist die Konsequenz: Das Symbolische kollabiert, das Imaginäre reißt, das Reale wuchert.
Kristeva: Abjektion als Wahrheitstest
Julia Kristevas Begriff des Abjekten ergänzt die Diagnose. Abjektion bezeichnet das Ausgestoßene, das Identität und Ordnung stört: das Dazwischen, das Ambige, das, was Grenzen missachtet. The Substance inszeniert Abjektion als Rückkehr des Verbannten. Der Blob ist weder Subjekt noch Objekt, sondern ein Zwischenrest, in dem innen/außen, rein/unrein, lebendig/tot kollabieren. Ritualisierte Reinheitspraktiken – Make-up, OP, Timer – sollen das Abjekte bannen; sie scheitern, und die Bühne des Symbolischen wird überflutet. In der amorphen Masse liegt auch die kulturell gefürchtete Figur der „archaischen Mutter“: umhüllend, verschlingend, entdifferenzierend – nicht als Naturphänomen, sondern als Projektionsfigur der Ordnung. Indem Fargeat das Abjekte ins Zentrum des Live-Raums verlegt, entlarvt sie die Blick-Ökonomie: Das Spektakel stabilisiert normalerweise die Norm durch Ausstoßung; hier sabotiert die ausgesonderte Materie das Spektakel selbst. Das ist die impure catharsis, von der Kristeva spricht: keine Reinigung, sondern das unübersehbare Erscheinen des Unreinen als Wahrheit.
Blickpolitik und Ambivalenz
Der Film spielt ein bewusst riskantes Doppelspiel: Er macht Glamour attraktiv und Ekel konkret. Daraus ergibt sich die zentrale Frage, die die Rezeption spaltet: Kritik oder Reproduktion des Blicks? Fargeats Kamera ist präzise, oft klinisch; sie vermeidet pornografische Wollust, ohne den Reiz der Oberfläche zu negieren. Die Ambivalenz ist kalkuliert: Verführung, um die Verführungsmaschine sichtbar zu machen. Dass die Instruktionen in Großbuchstaben erscheinen, verrät eine zweite Ebene: Das System ist nicht heimlich, es ist deklarativ. Was könnte schon schiefgehen? fragt die Bildfläche. Der Film beantwortet es, indem er die liturgische Ordnung (Aktivieren, Stabilisieren, Wechseln, Erinnern) in ein Katastrophenprotokoll überführt.
Form und Formel
Der Vorwurf des „Malen nach Zahlen“ ist in diesem Kontext nicht falsch, aber möglicherweise fehladressiert. Fargeat zeigt eine Welt, in der der Körper wie ein Projektplan behandelt wird. Dass die Erzählung nach dem Setzen eines Punktes den nächsten setzt, ist nicht Trägheit, sondern Spiegelung. Der Formelkern verweist auf die Formelhaftigkeit des Optimierungsregimes: Wenn A, dann B; wenn Regelbruch, dann Sanktion. Sichtbar wird das Verhältnis von Regel und Rest: Je strenger die Routine, desto größer der Überschuss, der sie unterläuft.
Ethik und Mechanik der Selbstoptimierung
The Substance steht in der Nachbarschaft zu Cronenberg (Die Fliege: Metamorphose als Tragödie; Dead Ringers: Chirurgie und Doppel; Crimes of the Future: Performance-Chirurgie und „Surgery is the new sex“), zu Ducournau (Raw, Titane: Zärtlichkeit im Extrem), zu Almodóvar (Die Haut, in der ich wohne: Haut als Identitätsmaterial). Gegenüber diesen Werken arbeitet Fargeat lauter und politischer: weniger Ambivalenz in der Diagnose, mehr Nachdruck in der Form. Das birgt Risiken (Reproduktion von Blickhierarchien, Spektakel des Ekels), gewinnt aber Klarheit. Selbstoptimierung und Selbsthass sind hier kein psychologisches Randphänomen, sondern Institutionslogik. The Substance zeigt, wie ein System seine Subjekte über klare, wiederholte Imperative formatiert: activate, stabilize, switch, remember. Diese vier Befehle sind zugleich Diätplan, Schönheitsprogramm und Glaubenssatz. Der Film legt offen, wie sich solche Schemata in Körper einschreiben: als Routinen, als Timer, als Angst vor dem Versagen. Dass die Dramaturgie „streng nach Plan“ verläuft, ist deshalb weniger Schwäche als Methode. Die Form imitiert das Protokoll, gegen das sie gleichzeitig anschreibt. Was als individuelle Sucht erscheint, ist die normale Betriebsweise eines Markts, der Abweichungen als Ausschuss definiert und in Bilder von Verfall übersetzt.
Diagnose statt Läuterung: Der Körper spricht
Am Ende bleibt The Substance ein Film über Verträge zwischen Körper und Bild: Fargeat orchestriert klare Zeichen und kalkulierte Ambivalenzen, um die Logik der Selbstoptimierung als liturgiehaftes Regime sichtbar zu machen. In lacanianischen Begriffen kollidieren Imaginäres, Symbolisches und Reales; in Kristevas Sinn kehrt das Abjekte als unübersehbarer Rest zurück und sabotiert das Spektakel, das es ausschließen wollte. Die Inszenierung riskiert dabei Spektakel und Reinszenierung von Blickregimen, gewinnt aber Erkenntnis, weil sie das Gesetz lesbar macht, an dem die Figuren zerbrechen. The Substance fordert das Publikum nicht zu Zustimmung, sondern zur Vermessung des eigenen Begehrens auf. Wer den Imperativen der Oberfläche misstraut und den Mangel – Zeit, Alter, Endlichkeit – als Bedingung akzeptiert, erkennt im Exzess weniger eine Pointe als eine Diagnose. Darin liegt die eigentliche Souveränität des Films: Er verspricht keine Läuterung, aber er gibt dem Körper seine Stimme zurück.




