Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das so eine Sache: Sie stehen für Geld und Glamour – aber auch für Überwachung und unverhohlene Autokratie. Es mangelt an der Wahrung der Menschenrechte und auch an wirklicher Freiheit des Wortes.
Und dennoch boomt und blüht dort die Kultur. Auch die Literatur. So spannende wie vielfältige Einblicke in die aktuelle Literatur- und Kunstszene vor Ort gibt jetzt die neue Ausgabe des britischen, in London beheimateten Literatur-Magazins Wasafiri.
Und sie macht vor allem eines klar: Die Vereinigten Arabischen Emirate sind kein Monolith – sondern ein plurales Gebilde. Zunächst einmal bestehen sie aus sieben Emiraten. Abu Dhabi und Dubai sind sicherlich die bekanntesten. Doch auch die Emirate Adschman, Fudschaira, Ra’s al-Chaima, Sharjah und Umm al-Qaiwain gehören dazu.
Und: Menschen aus 190 Nationen sind dort zuhause – mit ihnen zahlreiche Sprachen, Kulturen und Religionen. Viele der Menschen leben dort bereits ein Leben lang, andere sind zugezogen und bleiben, manche nur für eine Weile.
Im Dialog: unterschiedliche Generationen
Das Magazin – das sich stets aus Berichten, Reportagen, Rezensionen und Textauszügen zusammensetzt und ein angenehm schlichtes Design hat – stellt in dieser Ausgabe deshalb nicht nur Schriftsteller und Schriftstellerinnen und andere Kulturmacher und und -macherinnen bewusst unterschiedlicher Generationen vor, sondern bringt sie zum Teil auch miteinander ins Gespräch.
Verblüfft betrachtet man manche von ihnen übrigens auf den ergänzenden Porträtfotos: Sie könnten ebenso Kreative aus New York oder Berlin sein. Sie alle sind zudem als Freiberufler tätig – nicht zuletzt um sich der staatlich gelenkten Kunstproduktion zu entziehen.
Die meisten von ihnen leben und arbeiten in Abu Dhabi oder in Dubai, jenem Emirat, das sich schneller wandelt, als man denken kann. Und das man offenbar – so scheint es immer wieder in den unterschiedlichen Texten durch – nur schwer in seinen vielen Widersprüchlichkeiten zu fassen bekommt.
Fluidität als Kennzeichen der Literatur der Emirate
Dieses Fluide scheint für die Literatur der Emirate charakteristisch zu sein: Der aktuell in Sharjah ansässige Autor und Verleger Ahmed Makia etwa, der seit über 15 Jahren in der Literaturbranche der Emirate tätig ist, hat sich schon längst von der Idee der Langlebigkeit literarischer Kriterien und Projekte verabschiedet. So widerspricht für ihn das Konzept einer lokalen Literatur seiner Überzeugung, dass die Vereinigten Arabischen Emirate längst Teil der globalen Gesellschaft sind.
Auch seine jüngeren Kollegen bestätigen: Gerade die Tatsache, dass diese Föderation ein ethnisch so volatiles Gebilde ist, mache den Golf künstlerisch zu einem aufregenden Experiment in Echtzeit. Nicht alle, die zu dieser Ausgabe als Künstler und Künstlerinnen beigetragen haben, sehen das so gelassen.
Die in Kuwait in dritter Generation als Tochter syrischer Flüchtlinge aufgewachsene Autorin Nadeen Dannak etwa spürt den unterschiedlichen Arten nach, in denen Städte wie Dubai oder Kuwait Menschen wie sie beheimaten und spürbar auf Distanz halten zugleich.
Zwischen Selbstzensur und Aufbegehren
Und dann ist da noch die Selbstzensur als Folge der staatlichen Zensur – eine Frage, die alle bewegt. Die Herausgeber dieser Ausgabe Laure Assaf und Deepak Unnikrishnan, die beide an der New York University in Abu Dhabi lehren, gestehen im Editorial ehrlich ein: Jedes Wort in den Vereinigten Arabischen Emiraten muss abgewogen werden.
Aber sie betonen auch: Genau deshalb zählt die Kunst, zählt jedes Wort.
Umso aufmerksamer liest man daher die Gedichte und Prosa-Texte, die alternierend zu den Interviews und Berichten den Band ergänzen. Die bekannteste Autorin ist sicher die bilinguale Lyrikerin Mona Kareem. In Kuwait als Tochter von Beduinen staatenlos aufgewachsen, heute zwischen Kuwait und den USA lebend, bezeugen ihre Gedichte, was es bedeutet, sich vom Konzept einer „eigenen“ Geografie zu lösen.
Nada Almosas Gedichte greifen dagegen aus bis nach Jenin im Westjordanland, wo Menschen wieder und wieder bei Raketenangriffen sterben. Shayma al Harth träumt in ihrem Gedicht von der ägyptischen Sängerin Umm Kulthum – und begleitet sie im Traum nach Sansibar, wo der Vater der Sängerin begraben werden wird.
Die Lyrikerinnen Jill Magi und Aathma Nirmala Dious wiederum erzählen – wie auch der Prosa-Autor Ziad Abdullah – von heimlichen Lieben in der Stadt, von aufsässigen jungen Frauen und vom Versuch, sich wie eine Spinne aus dem Netz der Staatsmacht zu entziehen. Überhaupt überwiegen die weiblichen Stimmen!
Im Aufbruch. Im Wandel.
Denn: Es tut sich etwas in der literarischen Landschaft der Emirate. Und Frauen, heißt Autorinnen sind maßgeblich an dieser Veränderung beteiligt.
Das betont auch der abschließende Überblicksartikel im Magazin. Er stellt die aktuellen Gedichtbände dreier Autorinnen unterschiedlicher Generationen vor, die eins eint: Sie bilden den Auftakt eines anglophonen Lyrikkanons in den Emiraten. Tatsächlich ist Englisch die Sprache, in der die Lyrik in den Emiraten blüht und gedeiht – und in der vor allem jene, die fremd in das Land kamen und blieben, einen neuen Ausdruck finden.
Denn das herkömmliche Arabisch, in dem sie ebenso zuhause sind, verschmilzt bei ihnen zu etwas Neuem, zu einer Lyrik voller Übergänge: hybrid, vielsprachig und in der Lage, den fragwürdigen Status der Wurzellosigkeit in ein stolzes Ausrufezeichen zu verwandeln.
Bleibt zu hoffen, dass man in naher Zukunft auch in deutscher Sprache diese Literatur lesen kann. Bis es soweit ist: Lesen Sie Wasafiri!