#9 Der Psychiater und der Bürgermeister – mit Reinhard Haller
Nov 20, 2024
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Prof. Reinhard Haller, ein bekannter Psychiater und Autor, teilt seine Einsichten über die psychologischen Herausforderungen, denen Bürgermeister begegnen. Er erörtert, wie Politiker oft auch Psychotherapeuten sind und mit gesellschaftlichen Krisen umgehen müssen. Themen wie Wutbürger und die Bedeutung von Toleranz werden thematisiert. Zudem betont er die Wichtigkeit von Ehrlichkeit in der Politik und wie Gemeinschaftsaktivitäten das Heimatgefühl stärken können. Haller skizziert den idealen Bürgermeister als charismatischen Leader mit Lebenserfahrung.
Bürgermeister sind oft erste Ansprechpartner für Bürger, die emotionale Unterstützung suchen, was zu einer zusätzlichen Belastung führen kann.
Die Kommunikation von persönlichen Themen und die Kunst des Zuhörens sind entscheidend, um Vertrauen und Anerkennung bei den Bürgern zu gewinnen.
Ein starkes Gemeinschaftsgefühl in kleinen Gemeinden fördert soziale Bindungen und hilft, Einsamkeit und gesellschaftliche Spannungen abzubauen.
Deep dives
Die Herausforderungen des Bürgermeisteramtes
Die Rolle als Bürgermeister bringt einzigartige Herausforderungen mit sich, insbesondere in schwierigen gesellschaftlichen Zeiten. Bürgermeister werden oft zur Zielscheibe für Anklagen und müssen mit den Projektionen der Bürger umgehen, was emotionale Belastungen mit sich bringt. Ein eindrückliches Beispiel ist die Reaktion auf eine Gewalttat im Müllviertel, welche die Erschütterungen in der Gemeindeführung verdeutlicht. Der Eindruck, dass Bürgermeister in ihrer Verantwortung für die Sicherheit der Gemeinschaft betont werden, führt oftmals zu einem Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit.
Psychologie hinter Verbrechen
Kränkungen und emotionale Verletzungen können zu extremen Verhaltensweisen führen, wie im Fall des Mörders im Müllviertel deutlich wurde. Solche Taten sind oft Reaktionen auf narzisstische Kränkungen, die das Gefühl der Gerechtigkeit verletzen und Menschen dazu bringen, Rache zu suchen. In der Gesellschaft manifestiert sich ein wachsendes Aggressionspotenzial, welches sich in den Interaktionen zwischen Bürgern und politischen Vertretern zeigt. Diese Dynamik erfordert ein umfassendes Verständnis der psychologischen Hintergründe von Konflikten und ihrer Auswirkungen auf das kommunale Leben.
Der Umgang mit Wutbürgern
Der Begriff 'Wutbürger' wird neu definiert und es wird herausgestellt, dass es sich oft um 'Zornbürger' handelt, deren Unmut tief verwurzelte gesellschaftliche Ursachen hat. Bürgermeister müssen die Aggression, die häufig in digitalen Räumen oder bei Protesten zum Ausdruck kommt, als Ventil für persönliche und gesellschaftliche Frustrationen erkennen. Die Fähigkeit, zuzuhören und Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen zu zeigen, ist für Bürgermeister wichtig, um das Gefühl der Anerkennung und Zugehörigkeit zu fördern. Durch einen offenen Dialog können Spannungen abgebaut und das Vertrauen der Bürger gestärkt werden.
Die Rolle der Gemeinschaft
Gemeinschaft spielt eine entscheidende Rolle beim Abbau von Zorn und Vereinsamung in der Gesellschaft. In kleinen Gemeinden kann ein starkes Gemeinschaftsgefühl helfen, das Einsamkeitsgefühl zu mildern und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Veranstaltungen, Vereine und gemeinschaftliche Aktivitäten fördern emotionale Bindungen und machen den Verlust an sozialer Interaktion in größeren Städten spürbar. Bürgermeister sollten daher Gemeinschaftsprojekte unterstützen, um das Heimatgefühl und die Identifikation der Bürger mit ihrer Gemeinde zu fördern.
Die Zukunft der Gemeindeverantwortung
Die Herausforderungen durch gesellschaftliche Veränderungen, wie der Pandemie oder dem Aufstieg narzisstischer Einstellungen, erfordern eine neue Perspektive auf die Gemeindeverantwortung. Bürgermeister müssen über reine Verwaltungsaufgaben hinauswachsen und als empathische Führungsfiguren auftreten, die Verständnis für die psychosozialen Bedürfnisse ihrer Bürger zeigen. Neben den politischen Aufgaben wird von ihnen auch erwartet, dass sie ein offenes Ohr für die Sorgen der Bürger haben und diese in ihrer menschlichen Dimension ernst nehmen. Dies könnte zu einer Stärkung des sozialen Gefüges und einer nachhaltigeren Gemeindekultur beitragen.
In der neuen Folge der „Amtsgeheimnisse“ diskutiert Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl mit dem bekannten Psychiater und Autor Prof. Reinhard Haller ganz offen über die menschliche Seele und die vielen Herausforderungen, mit denen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister tagtäglich zu kämpfen haben. Auf Politikerinnen und Politiker wird generell viel projiziert. Mitbürger sehen sich allzu oft in der Opferrolle, und suchen Schuldige. Und da sind Bürgermeister oder Gemeindepolitikerinnen oft erste Ansprechpartner und nehmen dabei auch die Rolle von Psychotherapeuten oder Sozialarbeitern ein. Jeder Politiker und jede Politikerin muss die Kunst des Zuhörens beherrschen, mit schwierigen zwischenmenschlichen Situationen umgehen lernen und dabei am besten nichts allzu persönlich nehmen. Er rät auch Politikern zu mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation von persönlichen Themen und Problemen, denn dafür werden sie von den Bürgern geschätzt. Gleichzeitig muss die Politik auch mit vielen Herausforderungen umgehen: Gemeinden sollen das Gemeinschaftsleben fördern, das Heimatgefühl stärken und gegen die Vereinsamung vieler älterer aber auch jüngerer Mitbürger aktiv werden. Als Idealbild eines Bürgermeisters sieht Haller einen charismatischen Narzissten, der sich mit Lebenserfahrung und viel Gelassenheit, wie ein moderner Seelsorger um seine Gemeinde kümmert.