Lena Gorelik, 1981 in Leningrad geboren und 1992 nach Deutschland ausgewandert, spricht über ihren autobiografischen Roman „Wer wir sind“. Sie teilt ihre eindrücklichen Erfahrungen als Kontingentflüchtling und beleuchtet die Herausforderungen der Integration. Besonders emotional wird der kreative Prozess des Schreibens reflektiert, der ihr half, ihre Identität zu verstehen. Zudem diskutiert sie die Bedeutung von Sprache und familiären Beziehungen, während auch die Integration von Kindern mit nicht deutschem Hintergrund kritisch betrachtet wird.
Lena Gorelik thematisiert in ihrem Roman die Herausforderungen von Migranten und die Auswirkungen von Flucht auf Identität und Kindheitserinnerungen.
Die Diskussion über die Bildungssysteme verdeutlicht, wie wichtig soziale Unterstützung für den Integrationserfolg von Migrantenkindern ist.
Deep dives
Der Umzug nach Deutschland
Die Familiengeschichte von Lena Gorelik beschreibt den Umzug ihrer Familie von Leningrad nach Deutschland während der Unsicherheit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Ängste vor Antisemitismus und wirtschaftlichen Schwierigkeiten führten dazu, dass viele jüdische Familien das Land verließen. Lena erinnerte sich, dass der Umzug zunächst wie ein Abenteuer wirkte, besonders bis der Abschied von ihrem geliebten Hund Realität wurde. Der Verlust der vertrauten Umgebung und der Rückblick auf die Tatsache, dass viele Familien in ähnlichen Situationen waren, prägten diese Erfahrungen nachhaltig.
Die Herausforderungen der Integration
Lena und ihre Familie wurden als Kontingentflüchtlinge aufgenommen, was bedeutete, dass sie in einem unklaren rechtlichen Status lebten und nicht richtig integriert wurden. Die Bedingungen waren schwierig; Studienabschlüsse wurden nicht anerkannt, und die Familie lebte vorübergehend in Baracken ohne ausreichende Unterstützung oder Information über ihre Rechte. Diese Erfahrungen verdeutlichten die Herausforderungen, mit denen viele Migranten zu kämpfen haben, wenn sie in ein neues Land kommen, oft ohne die benötigte Hilfe zu erhalten. Lena erinnerte sich, dass es nur vereinzelt hilfsbereite Menschen gab, die ihre Familie unterstützt haben.
Der innere Prozess des Schreibens
Lena Gorelik entschloss sich, ihre eigene Geschichte in Form eines Romans zu erzählen, was ein komplexer und langwieriger Prozess für sie war. Sie hatte anfangs Bedenken, dass es narzisstisch erscheinen könnte, über sich selbst zu schreiben, und kämpfte damit, ihre Erfahrungen nicht nur aus ihrer eigenen Perspektive zu schildern. Während des Schreibens stellte sie fest, dass die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit und den Erinnerungen an ihre Eltern eine Art Befreiung für sie darstellte. Diese ehrliche und authentische Herangehensweise an ihre Geschichte führte zu einer tieferen Reflexion über ihre Identität und die ihrer Familie.
Der Blick auf das Bildungssystem
Im Verlauf des Gesprächs wurde auch die Rolle des Bildungssystems für Migrantenkinder thematisiert, wobei Lena die Regregation, zum Beispiel durch die Einführung von Ausländerklassen, scharf kritisierte. Sie stellte fest, dass ihre Mutter intuitiv den besten Weg fand, um Lena in eine reguläre Klasse zu bringen, was ihr half, Deutsch schnell zu lernen. Lena reflektierte, dass Bildungshintergrund und soziale Unterstützung entscheidend für den Integrationserfolg von Migrantenkindern sind. Diese Diskussion verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Bildungssysteme sich für die Bedürfnisse aller Kinder öffnen und inklusiv sind.
In Folge 33 von „Besser lesen mit dem FALTER“ ist die Autorin Lena Gorelik mit ihrem autobiographischen Roman „Wer wird sind“ zu Gast, der sich wie alle ihre Werke irgendwie ums Anderssein dreht. Gorelik verließ gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer Großmutter und ihrem Bruder Russland in Richtung Westen, nach Deutschland. Zurück blieb die geliebte Hündin Asta, die Märchen-Telefonnummer, – letztlich ihre Kindheit. Mit Petra Hartlieb spricht die Autorin über Flucht, Identität und Kindheitserinnerungen. Schließlich hat Kirstin Breitenfellner, im FALTER für Kinder- und Sachbücher zuständig, noch zwei Buchempfehlungen für Sie.