
SWR Kultur lesenswert - Literatur „Wenn man Ross Thomas liest, ist das wie eine Impfung gegen politische Naivität“
Jul 18, 2025
07:06
Es ist eine verlegerische Großtat: 25 Bände in 20 Jahren. Der kleine unabhängige Alexander Verlag gibt seit 2005 das Gesamtwerk des US-Amerikaners Ross Thomas heraus – eines des wichtigsten Politthriller-Autors des 20. Jahrhunderts.
Jetzt ist die Edition abgeschlossen. Alles durchgesehene, vervollständigte oder sogar komplett neue Übersetzungen. Am Anfang dieses Mammutprojekts stand ein Zufallsfund. „Ich habe 2004 mit einer neunbändigen Jörg-Fauser-Werkausgabe begonnen und relativ früh entdeckt, dass er, wie ich finde, zum Teil seine schönsten Texte über andere Autoren geschrieben hat,“ erzählt Verleger Alexander Wewerka.
„Irgendwann tauchte ein Text auf über Ross Thomas und den fand ich so interessant und toll, dass ich dachte, okay, wer ist Ross Thomas?“
Sicherlich merkt man gelegentlich, dass die Romane mittlerweile einige Jahrzehnte alt sind. So sind beispielsweise Ross Thomas‘ Frauenfiguren zwar aktiver als bei vielen seinen Zeitgenossen, aber ihr hervorstechendstes Merkmal ist oft weiterhin ihr Sex-Appeal. Dennoch sind seine Romane unserer heutigen Realität erstaunlich nah.
Alexander Wewerka erinnert sich
Von den 1960er bis in die 1990er Jahre schrieb Ross Thomas scharfsinnige und genau beobachtete Romane über politische Intrigen und Korruption – mit einem messerscharfen Blick auf die Realität jener Zeit. Viele seiner Bücher sind in den 1970er Jahren im Ullstein Verlag erschienen. „Leider in zweifelhaften Übersetzungen, was einerseits der Zeit geschuldet ist, weil natürlich nach 50 Jahren redet man anders, aber viel schlimmer: Sie haben gekürzt.“ Alexander Wewerka besorgte sich die berühmten gelben Taschenbücher antiquarisch und nahm sie mit in den Urlaub. „Und ich bin immer begeisterter geworden, egal wie die Übersetzungen waren, ob da was fehlte. Aber dieser Grundton bei ihm, diese Haltung, dass alle, die sich anlächeln, im gleichen Augenblick hinten schon das Messer wetzen.“Ich hätte Sie kaum wiedererkannt, Captain Millwed, mit all den neuen grauen Haaren.“ „Colonel Millwed.“ „Mein Gott. Die Army würde doch nie – aber klar, doch, sie würde. Und sie hat. Glückwunsch.“Quelle: Ross Thomas – Die im Dunkeln
„Wie mache ich es denn?“: Der Weg zur Werkausgabe
Bekannt ist Ross Thomas für seine sorgsam verwickelten, kaum nachzuerzählenden Plots. Es geht um Wahlmanipulationen, Erpressungen oder den Versuch, eine ganze Stadt finanziell auszunehmen. Er hat sogar einen spannenden Roman über Insidergeschäfte auf dem Rohstoffmarkt geschrieben. Politik, Wirtschaft und Verbrechen sind bei ihm nicht zu unterscheiden – seine Romane sind intelligent und unterhaltsam. Verständlich, dass sich Alexander Wewerka um die deutschen Rechte bemühte – und dank Ross Thomas‘ Witwe auch bekam. „Und jetzt hatte ich das Problem: wie mache ich es denn? Denn die Bücher gab es ja auf Deutsch. Aber eben nicht gut.“ Er kontaktierte Gisbert Haefs, der 1995 eine gute Übersetzung von Ross Thomas‘ letztem Roman „Die im Dunkeln“ im Haffmanns Verlag gemacht hat. Darin sollen kurz vor der Amtseinführung von Präsident Clinton die Spuren einer Unterschlagung und diverser anderer Schweinereien verwischt werden. „Und dann haben wir uns in Köln getroffen in so einer Kölsch-Kneipe und ich habe gesagt, Herr Haefs, ich habe die Möglichkeit, Ross Thomas zu machen. Ich wäre auch bereit, alles zu bringen. Wenn schon, denn schon. Aber ökonomisch stehe ich da vor einem kleinen Problem und wollte Sie mal fragen, weil Sie haben ja den letzten übersetzt, auch sehr gut, vollständig ... Und dann strahlte er und sagte, Ross Thomas! Und er hat mir dann angeboten, zu extrem guten Konditionen, mich dabei zu unterstützen.“ Deshalb war der erste Band der Werkausgabe dann 2005 eine Neuauflage von Ross Thomas‘ letztem Roman. „Ich gebe zu, es gab keinen editorischen Plan. Das ist vielleicht ein kleiner Schönheitsfleck, aber mein Anspruch war jetzt auch nicht eine literaturkritisch-wissenschaftliche Edition, sondern ich wollte das Werk zugänglich machen.“Lebenserfahrung als Voraussetzung für intelligente Unterhaltung
Und das ist ihm gelungen! Die Bücher sind in keiner vorher festgelegten Reihenfolge, also nicht chronologisch erschienen – deshalb ist der Abschluss nun Ross Thomas‘ dritter Roman, 1967 im Original erschienen. „Stimmenfang“ erzählt die Geschichte eines Wahlkampfs in einem fiktiven afrikanischen Staat.„Man kann ein Gerücht nicht bestreiten – sonst verleiht man ihm nur Glaubwürdigkeit“
Bei diesem Buch ist offensichtlich: Der US-Amerikaner Ross Thomas weiß, wovon er erzählt. Bevor er Romane geschrieben hat, war er Soldat auf den Philippinen, baute den Radiosender der American Forces Networks in Bonn auf, war als Berater, Redenschreiber und politischer Stratege in den USA tätig – und hat sogar selbst mal einen Wahlkampf in Nigeria gemanagt. Ein politischer Insider, zweifellos, der überzeugt ist, dass es keine Gewissheiten oder moralisch einwandfreie Menschen gibt.Die Trommeln sollen die Ängste vor Impotenz und Tod verbreiten“, sage Diokadu. „Zwei sehr starke Ängste, Mr. Shartelle. Aber angenommen, die Opposition bestreitet es.“ „Fragen Sie den PR-Fachmann“, sagte Shartelle und deutete mit seiner Zigarre auf mich. „Man kann ein Gerücht nicht bestreiten – sonst verleiht man ihm nur Glaubwürdigkeit“, sagte ich.Wie sein Lebenslauf, so sind auch seine Romane kosmopolitisch: Die Handlungsorte reichen vom Nachkriegs-Bonn über Manila bis ins Oval Office. Seine Figuren folgen – und das ist für die Entstehungszeit der Romane bemerkenswert – keiner Ideologie. Charakterisiert werden sie über ihre fast schon pedantisch erwähnten Vorlieben. Und seine Beschreibung liefert den ironischen Kommentar oftmals gleich mit.Quelle: Ross Thomas - Stimmenfang
Bewegung war Mickey Dellas einziger Fluch. Die Aussicht auf einen Spaziergang von sechs Häuserblocks konnte eine tiefe Depression bei ihm auslösen. Bekanntlich hatte er einmal ein Taxi genommen, um eine Straße zu überqueren, aber es hatte sich um die Constitution Avenue gehandelt, die eine breite Straße ist, und außerdem hatte es geregnet.Und auch in jedem Dialog steckt etwas mindestens Zweideutiges. Herrlich!Quelle: Ross Thomas – Porkchoppers
Sicherlich merkt man gelegentlich, dass die Romane mittlerweile einige Jahrzehnte alt sind. So sind beispielsweise Ross Thomas‘ Frauenfiguren zwar aktiver als bei vielen seinen Zeitgenossen, aber ihr hervorstechendstes Merkmal ist oft weiterhin ihr Sex-Appeal. Dennoch sind seine Romane unserer heutigen Realität erstaunlich nah.
