Linksterroristen auf der Flucht: Wann ist Zeit zu vergeben?
Dec 5, 2024
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Christoph Gurk, SZ-Lateinamerika-Korrespondent, erzählt von Peter Krauth und Thomas Walter, die nach einem gescheiterten Anschlag in Deutschland in Venezuela Asyl suchen. Sie leben dort friedlich auf einem Bauernhof, während hinter ihnen die deutsche Justiz droht. Die Diskussion dreht sich um Schuld, Verantwortung und die Frage der Vergebung. Gurk beleuchtet die ethischen Dilemmata ihrer Vergangenheit und die Herausforderungen, die das Leben im Exil mit sich bringt. Was bedeutet es, mit der eigenen Geschichte zu leben und könnte Versöhnung möglich sein?
Die Podcast-Episode analysiert die lange Flucht von Peter Kraut und Thomas Walter als politische Flüchtlinge in Venezuela und deren radikale Vergangenheit in Deutschland.
Es werden ethische Fragen behandelt, die sich mit der Verjährung von Schuld und der Verantwortung des Staates den Flüchtigen gegenüber befassen.
Deep dives
Der vereitelte Anschlag und seine Konsequenzen
Ein geplanter Bombenanschlag auf ein Abschiebegefängnis in Berlin wurde am 10. April 1995 vereitelt, als die Polizei einen gestohlenen Lieferwagen mit einer selbstgebastelten Bombe entdeckte. Im Fahrzeug befanden sich auch Warnzettel, die auf die bevorstehende Sprengung hinwiesen. Die Behörde fand Fingerabdrücke und Ausweispapiere von Thomas Walter, Bernd Heidbränder und Peter Kraut, was die Fahndung nach den mutmaßlichen Tätern einleitete. Trotz intensiver Ermittlungen sind Walter und Kraut seit fast drei Jahrzehnten auf der Flucht, und Heidbränder ist bereits verstorben.
Leben im Exil und der Wunsch zu bleiben
Peter Kraut und Thomas Walter leben heute als politische Flüchtlinge in der venezolanischen Stadt Merida, wo sie ein relativ beschauliches Leben führen. Sie haben sich Häuser in der Natur aufgebaut und ihre handwerklichen Fähigkeiten genutzt, um ein Existenzminimum zu erarbeiten. Kraut betreibt einen Gemüse- und Erdbeerhof, während Walter eine Kaffeeplantage betreibt, die er als seine Rente betrachtet. Trotz der friedlichen Umgebung sind sie aufgrund ihrer Vergangenheit immer noch gesuchte Terroristen in Deutschland.
Die politische Motivation und Radikalisierung
Die beiden Männer stammen aus einem Umfeld, das von der Polizei schikaniert wurde, und wurden durch den Linksterrorismus der 1970er Jahre politisiert. In Berlin suchten sie alternative Lebensformen und organisierten Demos gegen den Kapitalismus sowie gegen Waffenlieferungen. Ihre Radikalisierung kulminierte in der Gründung eines Komitees, das nach gewaltsamen Aktionen strebte, um auf ihre politischen Ziele aufmerksam zu machen. Sie waren überzeugt, dass neue Maßnahmen notwendig waren, um der aufkommenden rechten Gewalt entgegenzutreten.
Die Erbschaft der Vergangenheitsbewältigung
Die deutschen Behörden verfolgen Walter und Kraut bis heute wegen ihrer mutmaßlichen Taten, während die venezolanische Justiz ihnen Asyl gewährt hat. Ihr Fall wirft grundlegende Fragen nach Verjährung und der ethischen Verantwortung des Staates auf, der ihnen vorwirft, sich nicht zu ihren Schuld zu bekennen. Sie könnten theoretisch nach Deutschland zurückkehren, doch die Ungewissheit über potenzielle Konsequenzen bleibt bestehen. Beide Männer sehnen sich nach einem Ende ihrer Flucht, während sie gleichzeitig die Verantwortung für ihre Taten nicht übernehmen wollen.
1995 scheiterte ein Anschlag auf ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis bei Berlin. Die mutmaßlichen Täter der linken, militanten Untergrundorganisation "Das K.O.M.I.T.E.E." entkamen.In Venezuela erhielten Peter Krauth und Thomas Walter politisches Asyl. Heute leben sie dort in ländlicher Idylle, während die deutschen Behörden weiterhin nach ihnen fahnden.
In dem Recherchepodcast "Das Thema" beleuchtet SZ-Lateinamerika-Korrespondent Christoph Gurk ihre Biografie, ihre Radikalisierung in den 1970er-Jahren, ihre jahrzehntelange Flucht und ihr Leben im Exil. Dabei stellen sich auch ethische Fragen, wie lange sollte Schuld und Verfolgung andauern - oder wäre es an der Zeit, einen Schlussstrich unter die Geschichte der Flüchtigen zu ziehen?