tl;dr #42: Franz Neumann: «Behemoth» | mit Fabian Virchow
Oct 2, 2024
auto_awesome
Fabian Virchow, Leiter des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus an der Hochschule Düsseldorf, diskutiert aufregende Aspekte des NS-Regimes und Franz Neumanns bedeutendes Werk 'Behemoth'. Er beleuchtet die dynamischen Machtstrukturen im Nationalsozialismus und die Rolle von Angst und Gewalt als Bindemittel des Regimes. Parallelen zu aktuellen rechtsextremen Bewegungen in Deutschland, speziell zur AfD, werden gezogen. Zusätzlich wird die Verbindung zwischen Kapitalakkumulation und imperialistischem Raub sowie die Bedrohungen für die Demokratie thematisiert.
Franz Neumanns Werk 'Behemoth' analysiert die komplexe Struktur und die diffuse Machtverhältnisse des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1944.
Der Nationalsozialismus wird von Neumann als eine reaktionäre Diktatur beschrieben, die durch ein enges Zusammenwirken von Finanzkapital und imperialistischen Kräften gestützt wird.
Antisemitismus wird als zentrales Element der nationalsozialistischen Strategie betrachtet, das zur Schaffung kollektiver Schuld und zur Minimierung des Widerstands diente.
Deep dives
Franz Neumanns Leben und Einfluss
Franz Neumann, geboren 1900 in Katowice, war ein einflussreicher politischer Theoretiker, der sich intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzte. Seine berufliche Laufbahn umfasste unter anderem Arbeit als Rechtsanwalt im Arbeitsrecht und Tätigkeiten an der Freien Universität in Berlin, wo er nach seiner Emigration in die USA weiterhin über die Gefahren des Nationalsozialismus forschte. Neumann war auch in die Erstellung von Berichten für den amerikanischen Geheimdienst während des Zweiten Weltkriegs involviert, in denen er tiefgreifende Analysen über das nationalsozialistische Regime lieferte. Seine Leistungen trugen dazu bei, dass er eine Schlüsselrolle in der Entnazifizierung und bei den Nürnberger Prozessen spielte.
Das Konzept des Behemoth
In seinem Werk 'Behemoth' beschäftigt sich Neumann mit der Struktur und Praxis des Nationalsozialismus, indem er eine Analogie zu mythischen Wesen wie Leviathan und Behemoth herstellt. Behemoth symbolisiert Chaos und Gesetzlosigkeit, während Leviathan Ordnung und Souveränität repräsentiert, was Neumann nutzt, um den Zustand des Nationalsozialismus zu beschreiben. Diese Differenzierung zwischen Land- und Seemacht könnte als Metapher für den Konflikt zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und anderen politischen Strömungen gesehen werden. Neumann argumentiert, dass die NS-Herrschaft weniger ein geordneter Staat, sondern vielmehr ein diffus strukturiertes Machtgebilde war.
Kritik an faschistischen Theorien
Neumann stellt verschiedene faschistische Theorien infrage, darunter die Sozialfaschismus-These, die besagt, dass Sozialdemokraten die Hauptgegner der Arbeiterbewegung seien. Er argumentiert, dass der Faschismus eine reaktionäre Diktatur darstellt, die vom Finanzkapital und imperialistischen Kräften getragen wird, was einen differenzierteren Blick auf die Ursachen und Strukturen des Nationalsozialismus ermöglicht. Diese Sichtweise erweitert die Diskussion um die Dynamiken des Faschismus, indem sie dessen Unterstützung in der breiten Bevölkerung und die nuancierten Beziehungen zwischen verschiedenen sozialen Klassen betrachtet. Neumann hebt hervor, dass der Nationalsozialismus eine machtpolitische Praxis ohne fundierte politische oder ökonomische Theorien darstellt.
Ökonomische Strukturen im Nationalsozialismus
Im Buch untersucht Neumann auch die kapitalistische Ökonomie unter nationalsozialistischen Bedingungen und betont, dass der Staat eine starke Rolle bei der politischen Organisation der Wirtschaft spielte, ohne jedoch das Privateigentum grundsätzlich anzugreifen. Stattdem blieben das Unternehmertum und die kapitalschaffenden Strukturen intakt, während der Staat seine Eingriffe als Führerprinzip durchsetzte. Dies führte zu einem Monopolkapitalismus, bei dem die Interessen der Arbeiterbewegung systematisch unterdrückt wurden. Neumann argumentiert weiter, dass die politische Organisation der wirtschaftlichen Kräfte entscheidend für das Funktionieren des nationalsozialistischen Regimes war.
Der Antisemitismus als soziale Herrschaftsstrategie
Neumann betrachtet den Antisemitismus als ein zentrales Element der nationalsozialistischen Herrschaftsstrategie, das sowohl als Testfeld für Repression als auch zur Schaffung kollektiver Schuld unter der deutschen Bevölkerung diente. Juden wurden gezielt als schwach wahrgenommen und machten daher einen idealen Feind aus, den das Regime gegen andere soziale Gruppen ins Feld führen konnte. Dieser Terror hätte nicht nur den Widerstand gegen den Totalitarismus minimiert, sondern auch die Massen in die Komplizenschaft mit dem Regime hineingezogen. Neumann warnt davor, dass die Ideologie und Gewalttaten des Regimes nur durch eine militärische Niederlage der Nazis wirklich beendet werden könnten.
«Behemoth – Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944» gilt als ein Standardwerk der Staats- und Faschismustheorie, es erschien 1944 in den USA. Es untersucht die Frage, wie die unterschiedlichen Machtblöcke im NS-Systems zusammengehalten und ausbalanciert wurden.
Der Titel Behemoth benennt sich nach einem mythischen Ungeheuer, das Chaos, Gesetzlosigkeit, Zerstörung mit sich bringt. Mit diesem Bild will Neumann die NS-Herrschaft charakterisieren. Neumann analysiert die vier Säulen der NS-Herrschaft: die Wirtschaft mit ihren politischen Organisationen, das Militär, die Bürokratie und die Partei. Nach Neumann reagiert der «Führer» Hitler auf diese Machtblöcke und vermittelt, um Widerstand zu verhindern, demnach ist die Herrschaft «formlos». Zusammengehalten wird das Regime durch Profit, Gewalt, Angst vor den Massen. Es handelt sich um eine ursprüngliche Akkumulation durch Gewalt, Terror und Raub.
Neumann betont die Kontinuität des Kapitalismus. Dieser ist nicht in Staats- oder Managerkapitalismus unter der Kontrolle der NSDAP übergegangen. Der NS ist für Neumann die Fortsetzung des Kapitalverhältnisses mit anderen Mitteln. Neumann beschreibt das als die Organisation des totalitären Monopolkapitalismus. Neumann fragt insbesondere nach der Frage der ökonomischen Bedingungen und auch der Bedeutung des imperialistischen und antisemitischen Raubzugs durch Europa und die Bindungskraft, die durch die Teilnahme an der Arisierung und Aneignung entsteht.
Zu Gast bei Alex Demirović ist in dieser Folge Prof. Dr. Fabian Virchow. Er leitet den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) der Hochschule Düsseldorf.