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Alles Geschichte - Der History-Podcast

DER HITLERPUTSCH - Anfang vom Ende der Demokratie

Nov 9, 2023
23:25

München, 9. November 1923. Vor der Münchner Feldherrnhalle scheitert Adolf Hitlers Putschversuch kläglich. Doch die Folgen sollten sich als drastisch erweisen - für Deutschland und die Welt. Von Astrid Freyeisen (BR 2014)

Credits
Autor/in dieser Folge: Astrid Freyeisen
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Rainer Bock, Guntram Brattia, Katja Amberger
Technik: Christiane Schmidbauer-Huber
Redaktion: Thomas Morawetz

Linktipps:

Paula sucht Paula
Podcast / Alles Geschichte / ARD Audiothek
Das Tagebuch der jungen Undercover-Journalistin Paula Schlier gibt uns heute, 100 Jahre später, einen seltenen Einblick in die Anfänge des Nationalsozialismus in München. Aber wer war diese Frau, was hat sie motiviert, war sie überhaupt eine Heldin? Die BR-Reporterin Paula Lochte begibt sich auf Spurensuche:

Paula Schlier und der Hitlerputsch 1923 (1/3)
FOLGE 1 JETZT ANHÖREN

Paula Schlier und #MeToo vor 100 Jahren (2/3)
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Paula Schlier und die Gestapo (3/3)
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Hitlerputsch 1923: Das Tagebuch der Paula Schlier
Dokumentation / ARD History / BR Fernsehen / Geschichte im Ersten
Deutschland 1923: Inflation, Hunger, instabile politische Verhältnisse. In dieser Zeit schleicht sich die 24-jährige Paula Schlier undercover beim "Völkischen Beobachter", dem Kampfblatt der NSDAP, ein und gerät mitten in Hitlers Putschversuch.
(Verfügbar bis 07.11.2025)
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Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

00:15 – Intro 
02:22 – Die Stenotypistin Paula Schlier 
04:48 – Das Krisenjahr 1923 
06:21 – Der Aufstieg Hitlers
08:39 – Die Unterstützer des Putschs
10:37 – Die Landtagsabgeordnete Ellen Ammann
11:47 – Der Marsch auf die Feldherrnhalle 
15:47 – Ein Putsch mit Nachspiel 

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro 

MUSIK: Z8003086 101 (00‘36‘‘)

Erzähler:

Es muss eine gespenstische Szene gewesen sein: Da sitzt die Elite der bayerischen Politik im überfüllten Münchner Bürgerbräukeller. Am Rednerpult steht der sogenannte Generalstaatskommissar, ein Mann mit diktatorischer Macht: Gustav Ritter von Kahr, ein nuschelnder Redner mit Schnauzbart. Plötzlich stürmen Bewaffnete den Saal. Es sind Rechtsradikale. Darunter der Chefredakteur des Nazi-Blattes Völkischer Beobachter Alfred Rosenberg. Er würde sich später so erinnern:

MUSIK ENDE

O-Ton Alfred Rosenberg:

Und als mit einem großen Krach das erste Maschinengewehr in den Saal rollte, zogen wir unsere entsicherten Pistolen aus den Taschen und gingen durch die Versammlung zum Rednerpult.

MUSIK: Z8003086 101 (00‘15‘‘)

Erzähler:

An der Spitze: Adolf Hitler, 34 Jahre, Österreicher, vorbestraft wegen Landfriedensbruchs. Er steigt auf einen Stuhl, schießt in die Decke erklärt die Regierung für abgesetzt: 

MUSIK ENDE

Zitator:

Eine deutsche nationale Regierung wird in Bayern hier in München heute noch ernannt. Ich schlage vor: Bis zum Ende der Abrechnung mit den Verbrechern, die Deutschland tief zugrunde richten, übernehme die Leitung der Politik ich.

Erzähler:

Es ist der Abend des 8. November 1923. Adolf Hitlers Putsch hat begonnen. In der rechtsradikalen Szene brodelte es. Hitler hatte der bayerischen Regierung eigentlich versprochen, nicht gegen sie vorzugehen. Jetzt aber nahm Hitler den Diktator Kahr, dessen Militärkommandanten und den Polizeichef in einem Hinterzimmer des Bierkellers als Geiseln. Sie gaben ihm ihr Wort, an seiner Regierung mitzuwirken. Zu der sich auch Erich Ludendorff bekannte, der Weltkriegsheld vieler Deutscher – Hitlers Trumpf-As, der große Name, den er unbedingt brauchte für seinen Plan vom Sturm auf das sündhafte Berlin und die verhasste Demokratie. Denn Hitler beherrschte die rechte Szene noch nicht alleine.

TC 02:22 – Die Stenotypistin Paula Schlier 

Atmo Schreibmaschine

Erzähler:

Paula Schlier war 24, als sie sich als Stenotypistin beim Völkischen Beobachter einschlich. Sie, die normalerweise für den Nürnberger Anzeiger Artikel gegen die Nazis verfasste. Die junge Frau aus Neuburg an der Donau wollte wissen, wie der Gegner denkt. Ihre Erlebnisse beim Parteiorgan der Nazis veröffentlichte sie 1926 als Buch. Es heißt "Petras Aufzeichnungen", heute einsehbar im Nachlass der Paula Schlier, den die Universität Innsbruck verwaltet. Hitlers Adjutanten Hermann Esser beschrieb die junge Frau als jähzornigen, unwissenden, naiven Knaben. Er ist erst 23, ein Jahr jünger noch als Paula Schlier. Sie nennt ihn E. 

Zitatorin:

Hinter dem schreienden und heftig gestikulierenden E. taucht plötzlich ein Mann im gelben Gummimantel auf. Es ist Hitler selbst. „Dieses dreimal, als Plakat, als erste Seite für den Anschlag und in die Zeitung! Darüber meine Fotografie  und mein Name dick darunter!“ brüllt er, lauter noch als E., aber mit tiefer Stimme und mit Gebärden, als wolle er den ganzen Raum durchfegen. Blitzartig, wie er gekommen, war er wieder verschwunden. Unten hupte das Auto, ein neuer Benz-Wagen, und staute sich das Volk.

Atmo Schreibmaschine

Erzähler:

Dieser Vorfall ereignete sich Anfang Oktober 1923. Zu dieser Zeit versuchte Hitler noch, jene Männer zu einem Putsch zu überreden, die er vier Wochen später im Bürgerbräukeller dazu zwingen würde. Darunter General Otto von Lossow, den Befehlshaber der Reichswehr in Bayern:

Zitator:

Die bekannte hinreißende und suggestive Beredsamkeit Hitlers hat auf mich anfangs einen großen Eindruck gemacht. Je öfter ich aber Hitler hörte, desto mehr schwächte sich der erste Eindruck ab. Ich merkte, daß die langen Reden doch fast immer das Gleiche enthielten, und daß Hitler der Wirklichkeitssinn abgeht. Im Allgemeinen führt Hitler bei derartigen Gesprächen allein das Wort. Einwendungen sind schwer zu machen, sie sind auch vergeblich. Hitler hielt sich für den deutschen Mussolini, und seine Gefolgschaft bezeichnete ihn als den deutschen Messias. Er war der Berufene, und die damalige Misere verstärkte natürlich diesen Glauben. 

TC 04:48 – Das Krisenjahr 1923 

MUSIK: Z8003086 106 (00‘50‘‘)

Erzähler:

Die damalige Misere – 1923 war in vieler Hinsicht ein Krisenjahr. Als Spätfolge des Ersten Weltkriegs besetzten die Franzosen zu Jahresbeginn das Ruhrgebiet – den Alliierten ging es um die dortige Kohle als Zahlungsmittel für überfällige Reparationszahlungen. Die Franzosen wollten das Herz der deutschen Industrieproduktion unter ihre Kontrolle bekommen. Monatelang herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Regierung in Berlin rief zu Generalstreik und passivem Widerstand auf. Was sie in große Schwierigkeiten brachte: Denn nun musste der Staat zwei Millionen streikenden Arbeitern die Löhne zahlen. Berlin druckte deshalb Geld. Es folgte eine Inflation, die immer atemberaubender Tempo aufnahm. Paula Schlier beschreibt die Lage so:

MUSIK ENDE

Atmo Schreibmaschine

Zitatorin:

20. Oktober 1923: Es ist wahr, das Verhängnis, dass ein ganzes Volk vor dem Verhungern steht, schreit nach einer erlösenden Tat. Heute gingen die Leute mit leeren Händen aus den Bäckerläden heim, weil sie eine Milliarde Mark für ein Pfund Brot nicht zahlen konnten (Atmo Schreibmaschine). Niemand in München schien mehr einen Gedanken fassen, ein Wort aussprechen zu können, ohne die Erwägung, wie er das Vaterland retten könne. Kein Vater war so stolz wie der, dessen Sprössling gar schon singen konnte: „Sieg-reich woll’n m’r Frank-reich schla-gen, sterben als ein tapf-rer Held!“

Atmo Schreibmaschine

MUSIK: Z8003765 110 (00‘42‘‘)

TC 06:21 – Der Aufstieg Hitlers

Erzähler:

Das war die Stimmung im Herbst 1923. Zwischen den Machthabern in München und Berlin knirschte es gewaltig. Der vom Reich als Generalstaatskommissar eingesetzte Kahr war nicht der richtige Mann, antidemokratische Tendenzen einzudämmen. Dies trug sicher zum rasanten Aufstieg Adolf Hitlers bei. Zunächst war er bloß einer in der Masse der Kriegsrückkehrer in München. Er blieb in der Reichswehr, ließ sich dort zum Propagandaredner gegen die Revolution von 1919 ausbilden. Und nicht nur das, sagt Andreas Heusler, Leiter der Abteilung Zeitgeschichte im Münchner Stadtarchiv:

MUSIK ENDE

O-Ton Andreas Heusler:

Ja, also soweit ich das beurteilen kann und die Vita von Hitler kenne, wurde er auch gezielt eingesetzt, um vor Ort als informeller Mitarbeiter Erkenntnisse über politische Entwicklungen zu sammeln und die dann an seine vorgesetzten Dienststellen weiterzugeben. Also er war so was wie ein Spion, ein Agent im Dienste der Militärs.

Erzähler:

Klar ist: Der V-Mann Hitler entschied sich für eine Seite. Er schloss sich der grade gegründeten deutschen Arbeiterpartei DAP an, der Urzelle der Nationalsozialisten. Dies ist ein Schlüsselmoment für Thomas Weber. Der Historiker von der renommierten US-Universität Harvard sucht nach Erklärungen für Hitlers plötzlich enorm aufgeblähtes Selbstbewusstsein:

O-Ton Thomas Weber:

Auch im Reichswehrgruppenkommando 4 scheint es so gewesen zu sein, dass nach einiger Zeit Hitler einfach in ein Einzelzimmer verlegt wird, weil er den anderen ein bisschen auf die Nerven geht. Auch wenn sie ihn vielleicht jetzt politisch nicht blöd finden oder grundsätzlich, aber die wollen nicht mit ihm auf einem Zimmer sein. Und jetzt taucht er auf einmal, dieser suchende Mensch, im Herbst 1919 bei der DAP auf. Und merkt auf einmal, hier sind Leute, wenn ich den Mund aufmache, lachen die nicht, sondern die finden das gut. Bei Hitler war es ja durchaus schon so, auch während des Ersten Weltkrieges und so, dass er immer vor sich her geredet hat, auch durchaus mal politisch geredet hat, aber sich eigentlich niemand dafür interessiert hat, so: Lasst den Adolf mal reden. Ich glaube, von daher ist die DAP für ihn auch erst mal ein neues Zuhause, was über das Politische hinaus eine Bedeutung hat.

MUSIK: Z8003086 107 (00‘31‘‘)

TC 08:39 – Die Unterstützer des Putschs

Erzähler:

Viele frühe Nationalsozialisten stammen aus kleinen Verhältnissen. Doch Hitler gelingt es, die Münchner Oberschicht zu gewinnen. Mit viel Pathos schließt sich im Bürgerbräukeller Erich Ludendorff dem Putsch an - also jener trotz der Kriegsniederlage verehrte General, der sich sogar mit Exzellenz anreden lässt. Für Historiker Andreas Heusler ist das bis heute eins der großen Rätsel in der Geschichte des Hitlerputsches:

MUSIK ENDE

O-Ton Andreas Heusler:

Das ist schwer zu deuten, wie diese Weltkriegsikone, die Ludendorff ja war, also jetzt plötzlich diesem Gefreiten nachläuft, der – ja – ihm nicht auf Augenhöhe begegnen kann. Ludendorff ist ja nicht der Einzige. Es gibt ja unglaublich viele sehr arrivierte, großbürgerliche Persönlichkeiten, die diesen Emporkömmling plötzlich zum Mittelpunkt ihres bürgerlichen Lebens machen, denken sie an den Herrn Hanfstaengl, die Bruckmanns, die Bechsteins, und so weiter, also das ist sehr rätselhaft. Und ich denke, es ist ein ähnliches Phänomen wie bei Ludendorff auch.

Erzähler:

Die Verlegerfamilien Hanfstaengl und Bruckmann, die Klavierbauer Bechstein - Hitler war in den Villen der Münchner Reichen ein gern gesehener Gast, viele unterstützten ihn finanziell. Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, der jüngere Bruder des renommierten Verlegers von Kunst, stürmte am Abend des 8. November an Hitlers Seite in den Bürgerbräukeller. 

Atmo Druckerpresse

Erzähler:

Sofort ließen die Putschisten Plakate drucken. Sie erklärten die sogenannte Regierung der Novemberverbrecher in Berlin für abgesetzt und Ludendorff, Hitler, den Militärkommandanten Lossow und den Polizeichef von Seißer zur provisorischen Reichsregierung. Was die siegessicheren Nationalsozialisten nicht ahnten: Im Hintergrund entwickelte sich die Sache ganz anders, als sie dachten. 

TC 10:37 – Die Landtagsabgeordnete Ellen Ammann

Atmo Telefon

MUSIK: Z8003086 110 (01‘02‘‘)

Erzähler:

Als Hitler im Bürgerbräukeller losschlug, bekam die Landtagsabgeordnete der Bayerischen Volkspartei Ellen Ammann einen warnenden Anruf. Sie reagierte sofort. Schon im Frühjahr hatte die Sozialpolitikerin vergeblich versucht, den Österreicher Hitler aus Bayern ausweisen zu lassen. Jetzt trommelte sie ihre Parteifreunde und Regierungsmitglieder zusammen. Um den stellvertretenden Ministerpräsidenten Franz Matt zu warnen, schickte Ellen Ammann einen ihrer Söhne mit dem Fahrrad los. Ellen Ammann versammelte die Politiker in der karitativen Frauenschule, die sie gegründet hatte. Gemeinsam formulierte man eine Resolution, die den Putsch als verbrecherisch verurteilte. Die Reichswehr in Berlin wurde verständigt – vielleicht der entscheidende Schachzug. Ellen Ammann besorgte ein Auto, um die Regierung nach Regensburg und somit aus der Schusslinie zu bringen. Franz Matt würde später urteilen:

MUSIK ENDE

Zitator:

Ellen Ammann hatte damals mehr Mut bewiesen als manche Herren.

MUSIK: Z8003086 110 (00‘19‘‘)

TC 11:47 – Der Marsch auf die Feldherrnhalle 

Erzähler:

Gleichzeitig zeigte sich, dass Hitler seine Mit-Putschisten nicht im Griff hatte. So entließ er Kahr, Lossow und Seißer, von denen er eben noch die Zusage erpresst hatte, sich an seiner Regierung zu beteiligen, aus dem Bürgerbräukeller (MUSIK ENDE). Doch anstatt den Putsch durchzuziehen, entschlossen die sich nun, ihn niederzuschlagen. Sie tauchten ab, besetzten Kasernen und waren nicht mehr zu sprechen für die selbsterklärten neuen Machthaber. Einem Boten Ludendorffs sagte Militärkommandant Lossow, Hitler habe sein Wort gebrochen, nicht zu putschen. Weitere Verständigung - ausgeschlossen. Aber schon rückten rechtsradikale Kampfverbände vor. Polizeimajor Sigmund Freiherr von Imhoff wollte gerade in den Feierabend aufbrechen, als ein schockierter Kollege die Nachricht vom Putsch in die Polizeidirektion brachte. Imhoff wartete keine Befehle von oben ab:

Zitator:

Das erste, was ich tat, war, daß ich die Landespolizei alarmierte, um weitere Kräfte bereitzustellen. Außerdem beauftragte ich den Führer der Stationsverstärkung in der alten Schwere-Reiter-Kaserne mit Einleitung der Erkundung. Außerdem veranlasste ich auf eigene Verantwortung die Besetzung von Hauptpost und Telegrafenamt, um die Fernleitungen in der Hand zu haben.

Erzähler:

Kahr, Lossow und Seißer erklärten am Morgen des Putsches öffentlich auf Plakaten, sie hätten sich im Bürgerbräukeller nur zum Schein Hitler angeschlossen. Den Putschisten wurde langsam klar, dass sie voreilig triumphiert hatten. Es muss eine seltsame Stimmung geherrscht haben in dieser Stadt, deren Bürger sich noch allzu gut an die blutige Revolution von 1919 erinnerten. Carl Christian Bry, 31, Korrespondent des Argentinischen Tag- und Wochenblatts, schrieb:

Zitator:

Auf meiner Bank wird das Ereignis ruhig und nüchtern aufgenommen, obwohl bekannt ist, dass Hitler wirtschafts- und währungspolitische Mitarbeiter mit finsteren Plänen hat. Man glaubt, dass wenn irgendetwas Ernstes an der Sache wäre, Hitler jetzt nicht im Münchner Bürgerbräu, sondern in der Berliner Wilhelmstraße sein müßte. Prachtvoll benehmen sich die Straßenbahnen. Nur auf ganz kurze Zeit ist streckenweise der Verkehr unterbrochen. 

MUSIK: Z8003765 (00‘36‘‘)

Erzähler:

Fassungslos beschrieb Carl Christian Bry jedoch die Enttäuschung vieler Münchner. Sie empfanden es als Verrat, dass sich Kahr, Lossow und Seißer doch noch gegen Hitler stellten. Der marschierte am Mittag an der Spitze seiner etwa 2.000 Mann starken Kampftruppen auf den Odeonsplatz. Vor der Feldherrnhalle trafen sie auf die Landespolizei. Oberleutnant Michael von Godin, 26, berichtete hinterher im bayerischen Kurier:

MUSIK ENDE

Zitator:

Ich hatte sofort den Eindruck: Hier liegt die Entscheidung des Tages und trat mit meinen Leuten zum Gegenstoß gegen den gelungenen Durchbruch der Hitlertruppen an. Beim Einbruch in den Gegner wurden wir mit gefälltem Bajonett, entsichertem Gewehr und vorgehaltenen Revolvern empfangen. Plötzlich gab ein Hitlermann einen Pistolenschuss auf meinen Kopf ab. Der Schuss ging an meinem Gesicht vorbei und tötete den hinter mir stehenden Unterwachtmeister Hollweg. Noch bevor es mir möglich gewesen wäre, einen Befehl zu geben, gaben meine Leute Feuer, was die Wirkung einer Salve hatte. Zu gleicher Zeit feuerten die Hitlertruppen und es entspann sich ein regelrechter Feuerkampf, der ungefähr 25 Sekunden dauerte. 

Erzähler:

Wer vor der Feldherrnhalle zuerst schoss, das sollte später für Spekulationen sorgen. Die Putschisten behaupteten nämlich, die Polizei habe das Feuer eröffnet. Die Bilanz des Putsches an der Feldherrnhalle: 20 Tote. Ein unbeteiligter Passant, vier Polizisten, 15 Rechtsradikale. Ludendorff wurde festgenommen, Hitler floh. Er versteckte sich in der Villa seines Gönners Hanfstaengl in Uffing am Staffelsee. Am 11. November wurde er festgenommen, NSDAP und Völkischer Beobachter verboten. 

Atmo Marschieren

MUSIK: Z8003765 (00‘36‘‘)

TC 15:47 – Ein Putsch mit Nachspiel 

Erzähler:

Ist dies das Ende des Hitlerputsches? Nein. Es folgte ein Nachspiel, das auf lange Sicht das Ende der Demokratie einleiten sollte.

MUSIK ENDE

Erzähler:

Am 18. November 1923 schrieb Paula Schlier:

Zitatorin:

Da in der Redaktion zu arbeiten polizeilich verboten ist, werden im Geheimen Flugblätter herausgegeben. Die Freunde der Bewegung stellen dafür gerne Privatsalons im vornehmsten Stadtviertel, nahe dem Englischen Garten, zur Verfügung. 

Atmo Schreibmaschine

Erzähler:

Was das verbotene Naziblatt berichtete, begeisterte seine Anhänger: Hitler werde in der Untersuchungshaft überschüttet mit Geschenken und sei der Alte geblieben. Unterdessen geriet Generalstaatskommissar Kahr immer stärker unter Druck. Die Schmähungen, Kahr sei ein Verräter, nahmen kein Ende, und so trat er am 24. Februar 1924 zurück. Zwei Tage später begann vor dem sogenannten Volksgericht in München der Prozess gegen die Putschisten – ein Justizskandal, denn allein schon die Existenz dieses Sondergerichts war ein Bruch der Weimarer Verfassung. Andreas Heusler vom Stadtarchiv München:

O-Ton Andreas Heusler:

Vom Delikt her, es war ein Hochverratsverfahren, hätte das beim Reichsgericht in Leipzig stattfinden müssen. Die Münchner haben dieses Verfahren an sich gezogen und hatten dadurch natürlich Einfluss auf die Prozessgestaltung. In diesen völkisch-reaktionären Kreisen, zu denen auch der Richter Neithart zu rechnen ist, galt Hitlers Hochverrats-Handeln als respektables Handeln. Es war ja auch kein Geheimnis, wie dieser Prozess geführt wird. Er wurde in den Tageszeitungen unglaublich breit und intensiv dargestellt. Es wurde berichtet. Ich denke auch, die Prozessführung hat gewusst und hat sehenden Auges akzeptiert, dass dieses Prozessgeschehen politisch instrumentalisiert wird.

O-Ton Adolf Hitler:

Der scheinbare Fehlschlag ist trotzdem zur Geburt der großen nationalsozialistischen Freiheitsbewegung geworden. Denn in der Folge dieses Fehlschlags kam der berühmte Prozess, der es uns ermöglichte, zum ersten Mal vor aller Öffentlichkeit große Massen unseres Volkes mit unserem Gedankengut vertraut zu machen. 

Erzähler:

Hitler als Rädelsführer wurde nur zu einer Minimalstrafe verurteilt, von der er grade einmal ein halbes Jahr verbüßte. Sein Adjutant Fritz Wiedemann berichtete später:

Zitator:

Bezeichnend war, dass Hitler sich wiederholt über die bayerische Regierung lustig machte, die ihn für einige Zeit auf die Festung Landsberg schickte und dann wieder freiließ, anstatt ihn zu liquidieren. Er selbst ließ keine Zweifel daran, dass er im umgekehrten Falle restlos durchgegriffen hätte.

Erzähler:

1933 würden die herrschenden Eliten auch deshalb die Regierungsgewalt an Hitler übergeben, weil sie ihn als Person unterschätzten, sich aber vor der schieren Masse seiner Anhänger fürchteten. Hitler nutzte diese Konstellation, um ganz legal an sein Ziel zu kommen. Für Historiker Thomas Weber ist der Putsch eine wichtige Lektion:

O-Ton Thomas Weber:

Hitler lernt 1923, dass er es halt doch nicht richtig kann, und vor allen Dingen, dass er vieles dilettantisch angegangen ist und taktisch nicht richtig angegangen ist. Und ich glaub, man muss wirklich die Jahre danach als Versuch sehen, aus den Fehlern zu lernen. 

O-Ton Adolf Hitler:

Das Schicksal selber hat es dann gut gemeint mit uns. Es hat eine Aktion nicht gelingen lassen, die wenn sie gelungen wäre, am Ende an der inneren Unreife der Bewegung und ihrer ganzen organisatorischen und geistigen Grundlagen hätte scheitern müssen. Das wissen wir heute ganz genau.

Atmo „Helden“gedenken: Am Siegestor tritt die Spitze des Zuges an… 

Erzähler:

Das jährliche Spektakel vor der Feldherrnhalle zur Erinnerung an den Putsch wurde während des Dritten Reiches live im Radio übertragen. Historiker Andreas Heusler:

O-Ton Andreas Heusler:

Für das Selbstverständnis des Nationalsozialismus oder der NS-Bewegung spielt das Ereignis November 1923 und auch der Prozess selber, vor allem aber das Ereignis eine Schlüsselrolle in der Inszenierung. So dass man die Menschen quasi – ja – einer Gehirnwäsche unterzogen hat. Das ist etwas, was man vielleicht auch nochmal verfolgen müsste, wie geht diese Bewegung mit diesem Schlüsseldatum um, um den Menschen irgendetwas vorzugaukeln, über die Größe, über die Bedeutung der Bewegung

Atmo „Helden“gedenken: …dass ich für meine Heimat tapfer kämpfen und lieber sterben werde

MUSIK: Z8003086 (00‘29‘‘)

Erzähler:

Der Putsch und seine Folgen werfen zentrale Fragen im Umgang mit dem Nationalsozialismus auf: Hätte man damals nicht schon erkennen können, welch tödliche Brutalität später kommen würde? In seinem Zeitungsartikel über die Stimmung in München am Tag des Putsches schreibt Carl Christian Bry:

MUSIK ENDE

Zitator:

Ein junger jüdischer Gehilfe, also einer der von Hitler unmittelbar Bedrohten, treibt den Scherz soweit, für den Nachmittag um Urlaub zu bitten: Er müsse sich doch noch Kochgeschirr und Proviant für das Konzentrationslager kaufen, das Hitler und seine Leute seit langem allen „jüdischen Blutsaugern“ verheißen haben.

MUSIK: Z8003086 (00‘53‘‘

Erzähler:

Allerdings glaubte der junge Journalist Bry, dass Hitler nach dem Putsch erledigt sei. Eine fatale Fehleinschätzung. Noch einmal Andreas Heusler vom Stadtarchiv München:

O-Ton Andreas Heusler:

Der Prozess stellt sicher im negativen Sinne ne Zäsur dar in der Geschichte der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn dieser Prozess anders gelaufen wäre, wenn man diesem Hauptangeklagten Hitler nicht so viel Raum gegeben hätte, dann hätte die deutsche, die europäische und die Weltgeschichte sicher einen anderen Verlauf genommen.

Erzähler:

Der Putsch vor der Feldherrnhalle war also der Anfang vom Ende der Demokratie. 

TC 22:13 - Outro


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