
SWR Kultur lesenswert - Literatur Paul Theroux – Burma Sahib | Buchkritik
Jun 22, 2025
05:59
Ein Diener, der den großen Fächerwedel bedient, um die schwülheiße Luft erträglich zu machen. Die Bar, an der betrunkene Engländer über die Einheimischen schimpfen, die mal einen Hieb mit dem Bambusstock brauchen. Alltag für den jungen Kolonialbeamten Eric Blair in der britischen Kolonie Burma in den 1920er Jahren.
Es war ein richtiger Club mit Teakholzvertäfelung und dicken Balken, einem Billardzimmer, einer Lounge und einem Punkah-Wallah, der im Speisesaal hockte und mit seiner Schnur den an der Decke befestigten Fächerwedel in Schwingung versetzte, während auf der Veranda Kellner mit Turban und weißer Uniform, roter Schärpe und Kummerbund kalte Getränke servierten.Es ist eine ferne, vergangene Welt, die der amerikanische Schriftsteller Paul Theroux in seinem Roman „Burma Sahib“ heraufbeschwört. Als „Sahib“, also „Herr“ oder „Besitzer“, wurden auf dem indischen Subkontinent während der britischen Kolonialzeit Europäer angeredet.Quelle: Paul Theroux – Burma Sahib
Biografie trifft Fiktion
Auch Eric Blair wird so angesprochen. Den britischen Polizisten Eric Blair, der fünf Jahre in Burma lebte, gab es wirklich. Er nannte sich später George Orwell und wurde der Autor, den wir alle kennen. Aus der Lebensgeschichte des jungen George Orwell – damals noch Eric Blair - hat der US-Schriftsteller Paul Theroux jetzt einen fesselnden historischen Roman gemacht, der mit der britischen Kolonialherrschaft hart ins Gericht geht. Fasziniert folgt man den Spuren des jungen Eric Blair zu mehr als einem halben Dutzend verschiedener Einsatzorte quer durch Burma, die der ausgewiesene Reiseschriftsteller Paul Theroux auch sinnlich nachspürbar macht. Die Beschreibungen von Gerüchen, Speisen, Kleiderstoffen, exotischen Tieren und Musik tragen dazu bei, Zugang zur britischen Kolonie Burma und dem zunehmend isolierten Protagonisten in seinen Polizeijahren zu finden.Über seine geheimen Sehnsüchte sprach Blair mit überhaupt niemandem: die nach einer Frau, einem Hund, einer Versetzung.
Als die Nacht hereinbrach, stand die Luft. Die Wasseroberfläche des Flusses war spiegelglatt, kein Blatt und kein Grashalm bewegte sich, während die Wildenten zu ihren Nestern glitten, die Krähen mit heiserem Krächzen in ihre Reviere zurückkehrten und Flughunde aus dem oberen Geäst der Bäume in die Dunkelheit flogen, um nach Früchten zu suchen. Er war fasziniert von der Gesellschaft der Tiere, den Entenschwärmen und dem Himmel voller Flughunde.Quelle: Paul Theroux – Burma Sahib
Ein unsympathischer Protagonist
Eric Blair ist nicht unbedingt eine sympathische Hauptfigur. Der unbeholfene, verunsicherte Bücherwurm macht sich in der klassenbewussten britischen Kolonialgesellschaft mit seinen Kontakten zu Einheimischen bald unbeliebt. Andererseits ist Blair aber auch selbst nicht frei von rassistischen Vorurteilen. Seine eurasische Cousine verleugnet er und auf der Hochzeit eines Schulkameraden mit einer Einheimischen wird ihm klar: „Das könnte ich nie und nimmer.“ Der allwissende Erzähler erweckt im Roman den Eindruck, als kenne er jede Gefühlsregung des jungen Mannes bis ins Detail. Da der Roman aus der Er-Perspektive erzählt wird, sehen wir das koloniale Burma mit den Augen des verunsicherten Protagonisten, der hier keine Zukunft für sich sieht. Der Erzähler weiß im Gegensatz zur Hauptfigur aber, wo der Berufsweg des eifrigen Lesers und zukünftigen Schriftstellers hinführen wird und gibt vorausschauende Hinweise. Als Leserin blickt man deshalb mit gewisser Distanz auf die Hauptfigur und ihre quälenden Selbstzweifel.Zwischen Pflicht und Zweifel
Der Erzähler lässt uns teilhaben an den inneren Widersprüchen des Protagonisten. So wird Blair etwa angewiesen, Hassprediger zu überführen, die gegen den „weißen Affenkönig von England“ hetzen und damit die brutale Kolonialherrschaft angreifen. Blair selbst ist als Polizist natürlich Teil des Systems, zieht es aber zunehmend in Zweifel. Tatsächlich steht Britisch-Burma in den 1920er Jahren nach lokalen Aufständen zunehmend auf tönernen Füßen. Man kann es also symbolisch lesen, dass der hochgewachsene weiße Blair bei Ermittlungen in einem buddhistischen Kloster ins Stolpern gerät.Der Sturz hatte ihn schockiert und bei ihm ein Gefühl hinterlassen, als wäre er nicht gestürzt, sondern zu Boden geprügelt worden; und als er hilflos auf den Steinplatten lag, hatten sich kleine, wuselnde Männer auf ihn gestürzt, an ihm gezerrt und gerissen und ihn mit ihren nackten Zehen getreten – die Tritte waren nicht schmerzhaft gewesen, aber hässlich und beleidigend. Als er da vor ihnen auf dem Boden lag, hatte er sich einen Dah in der Hand gewünscht, mit dem er nach ihren dünnen Armen stechen und ihnen die Gesichter aufschlitzen könnte. Noch nie hatte er solche Mordlust empfunden.Quelle: Paul Theroux – Burma Sahib
