"Commitment wird im blödsten Fall als Bedürftigkeit gesehen"
Aug 28, 2023
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Amel Rizvanović ist Psychologe und Paarcoach, der mit seiner Partnerin Paare berät. Felizitas Ambauen ist Paar- und Psychotherapeutin sowie Host eines eigenen Podcasts. In diesem Gespräch diskutieren sie den Druck, den Erwartungen in Beziehungen gerecht zu werden, und die Angst vor Abhängigkeit. Sie warnen vor unrealistischen Ansprüchen durch moderne Dating-Kulturen und betonen die Bedeutung von Selbstreflexion. Zudem wird die Kunst der Geduld in Beziehungen und der Umgang mit Verletzlichkeit thematisiert.
Die Erwartung an eine perfekte Beziehung erzeugt unnötigen Stress und kann echte Verbindungen zwischen Partnern gefährden.
Der gesellschaftliche Leistungsdruck beeinflusst Beziehungen stark, was oft zu einer Entfremdung und Ungleichheit im Partnerschaftsleben führt.
Selbstakzeptanz wird betont, während der Druck zur Authentizität auf sozialen Medien zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung führen kann.
Deep dives
Perfekte Beziehungen sind unerreichbar
Die Diskussion betont, dass die Vorstellung einer perfekten Beziehung unrealistisch ist und dass viele Menschen dennoch versuchen, dieses Ideal zu erreichen. Die beiden Therapeuten, Felicitas Ambaun und Amel Rizwanowitsch, stehen dem Ansatz skeptisch gegenüber und heben hervor, wie viel Stress und Druck diese Erwartungen erzeugen können. Eine gesunde Beziehung sollte sich stattdessen nicht auf Perfektion konzentrieren, sondern eher auf das, was 'gut genug' ist, und die kleinen Erfolge schätzen. Das Setzen von übermäßig hohen Standards kann zu Unzufriedenheit und Stress führen, anstatt eine erfüllte Partnerschaft zu fördern.
Der Einfluss von Leistungsdruck auf Beziehungen
Die Gespräche zeigen, dass Leistungsdruck nicht nur im Berufsleben, sondern auch in Beziehungen spürbar ist. Die Therapeuten betonen, dass der Druck, alles perfekt zu machen, Menschen oft davon abhält, echte Verbindung zu ihren Partnern zu erleben. Die Auswirkungen dieses Drucks sind komplex, da Paare gleichzeitig versuchen, authentisch zu sein, aber auch den hohen Erwartungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Anerkennung, dass Beziehungen bis zu einem gewissen Grad aufgrund gesellschaftlicher Normen belastet sind, ist ein wichtiger Schritt, um diese Belastungen zu verstehen und zu überwinden.
Der Weg zur Selbstverwirklichung
Die Notwendigkeit, sich ständig selbst zu optimieren und zu verwirklichen, wird als zunehmend problematisch dargestellt, da sie zu einer Überlastung führen kann. Felicitas und Amel diskutieren, dass viele Menschen sich durch den Drang, immer besser zu sein, unter Druck gesetzt fühlen, was sich negativ auf ihre Lebensqualität auswirkt. Selbstverwirklichung sollte nicht als unerreichbares Ziel angesehen werden, sondern vielmehr als ein kontinuierlicher Prozess, der Raum für Imperfektion zulässt. Es ist wichtig, ein Gleichgewicht zu finden und realistische Ziele zu setzen, um nicht in einen Zustand ständiger Unzufriedenheit zu geraten.
Die Komplexität von Dating und Verbindlichkeit
Die aktuelle Datinglandschaft wird als von einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten geprägt beschrieben, was zu Verwirrung und Unsicherheit führt. Die Therapeuten weisen darauf hin, dass das Streben nach 'der perfekten Wahl' viele Menschen davon abhält, sich wirklich auf eine Beziehung einzulassen. Beziehungen erfordern oft ein gewisses Maß an Verbindlichkeit und das Überwinden von Ängsten vor Verletzlichkeit, das jedoch schwer zu erreichen ist, wenn es ständig Alternativen gibt. Den Mut zu einer verbindlichen Beziehung zu finden, wird als entscheidend erachtet, um eine tiefere Verbindung und langfristige Zufriedenheit zu erreichen.
Selbstakzeptanz und die Fallstricke der Authentizität
In der Podcast-Diskussion wird die Bedeutung von Selbstakzeptanz hervorgehoben, während gleichzeitig die Falle der sogenannten Authentizität thematisiert wird. Viele Menschen fühlen den Druck, sich in sozialen Medien authentisch zu präsentieren, was oft zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung führt. Statt wirklicher Authentizität setzen sich die Leute unter Druck, ein Bild von sich selbst zu präsentieren, das oft nicht der Realität entspricht. Es wird betont, dass es wichtig ist, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und zu erkennen, dass wahre Authentizität auch ein gewisses Maß an Verletzlichkeit erfordert.
"Beziehungen bedeuten auch eine gewisse Abhängigkeit – das macht vielen Angst", sagt der Psychologe und Paarcoach Amel Rizvanović. Wer heute ein Date hat oder frisch in einer Beziehung ist, fragt sich oft: Was sind Red Flags, also die Verhaltensweisen des anderen, die gar nicht gehen und im Zweifel das Aus bedeuten? Manche haben dabei schon eine Checkliste im Kopf. Schließlich geht es ja darum, sich und seine Freiheit zu schützen. Oder bedeutet das manchmal auch, Konflikte zu scheuen? "Sich ehrlich zu zeigen, ist oft ein schlechter Deal, denn die Verletzungsgefahr ist so groß", sagt die Paar- und Psychotherapeutin Felizitas Ambauen. Für manche spiele auch das Nicht-aushalten-Können von unangenehmen Gefühlen eine Rolle.
Amel und Felizitas beraten seit Jahren Paare und Menschen in Beziehungen, gemeinsam als Paar und einzeln. Sie nehmen einen ungeheuren Leistungs- und Erwartungsdruck wahr, der heute auf Menschen lastet: Hauptsache alles richtig und gut machen. Mit den Podcasthosts Melanie Büttner und Sven Stockrahm sprechen Amel und Felizitas darüber, wie schwer es Menschen fällt, innezuhalten. In Beziehung gehen brauche Zeit und Langsamkeit, sagt Amel. Stattdessen werde nach schnellen Beziehungstipps auf Social Media, in Podcasts, Magazinen und Büchern gesucht. "Hinschauen bei sich heißt nicht, ständig mehr darüber zu lesen und zu hören", sagt Felizitas. "Ruhe muss man sich erst mal erlauben lernen, so sind viele nicht geprägt." Was braucht also eine Beziehung, die nicht danach strebt, perfekt zu sein, sondern einfach nur gut genug?
Mehr zu unseren Gästen
Sie sind ein Paar, das einzeln und gemeinsam Paare berät: die Paar- und Psychotherapeutin Felizitas Ambauen und der Psychologe und Paarcoach Amel Rizvanović. Mehr zu den beiden und ihrer Arbeit findet sich auf der Seite Ambauen Psychologie.
Felizitas spricht in ihrem Podcast Beziehungskosmos mit der Journalistin Sabine Meyer über den Alltag in Partnerschaften und wie Menschen wieder zueinanderfinden. Der Podcast ist einer der erfolgreichsten der Schweiz. Auch ein Buch ist daraus entstanden.
Gemeinsam mit Amel hat Felizitas einen weiteren Podcast, in dem die beiden über Beziehungsprobleme sprechen: Du so. Ich so.
Folgt den Sexpodcasthosts, der Ärztin und Sexualtherapeutin Melanie Büttner und dem ZEIT-ONLINE-Ressortleiter Wissen, Sven Stockrahm, auf Instagram unter @melaniebuettner1 und @svensonst sowie auf Twitter: @svensonst.
Seit dem 15.1.2025 sind alle Folgen von "Ist das normal?", die vor dem 31.3.2021 erschienen sind, nur noch exklusiv mit einem Digitalabo der ZEIT zu hören – auf ZEIT ONLINE, auf Apple Podcasts und auf Spotify. Ein kostenloses Probeabo kannst du hier abschließen. Wie du dein Abo mit Spotify oder Apple Podcasts verbindest, liest du hier.