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Licht spielt eine zentrale Rolle in der Glasmalerei, indem es die farbigen Glasfenster zum Leben erweckt. Diese Kunstform ermöglicht es, dass Sonnenstrahlen durch die Fenster strahlen und brillante Farbenspiele im Raum erzeugen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist das Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom, dessen 11.000 unterschiedlich gefärbte Quadrate bei Sonnenlicht eine fast magische Atmosphäre schaffen. Diese Wechselwirkung zwischen Licht und Glas verdeutlicht die spirituelle Dimension der Glasmalerei, die im Mittelalter mit der Verbindung von Göttlichem und Menschlichem assoziiert wurde.
Die Glasmalerei hat sich über die Jahrhunderte weiterentwickelt und ist sowohl in traditionellen als auch in modernen Kontexten präsent. Während im Mittelalter die Kunst vor allem in Kirchen und Kathedralen genutzt wurde, finden sich heute Glasfenster auch an Orten wie Flughäfen, Schulen und Krankenhäusern. Thierry Boissel, ein führender Künstler und Lehrer in der Glasmalerei, hat beeindruckende moderne Werke geschaffen, darunter Klangschutzwände mit poetischen Anordnungen von Farbflächen. Diese zeitgenössischen Ansätze zeigen, dass Glasmalerei ein lebendiges und dynamisches Medium bleibt, das sich an aktuelle Bedürfnisse anpassen kann.
Die Techniken der Glasmalerei sind vielfältig und reichen von der traditionellen Bleiverglasung bis zu modernen High-Tech-Verfahren. Historisch gesehen sind die Fenster oft aus farbigem Glas mit einem Bleinetz gefertigt, das sie zusammenhält und wie ein Mosaik wirken lässt. In jüngster Zeit haben Künstler neue Techniken entwickelt, die es erlauben, große, nahtlose Glasplatten zu schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend sind. Diese Innovationen erweitern die Ausdrucksmöglichkeiten der Glasmalerei und machen sie für zeitgenössische Künstler attraktiv, die mit Licht und Raum experimentieren möchten.
Farbige Kirchenfenster gehören zu den faszinierendsten Kunstwerken der Vergangenheit. Aber auch in der Moderne ist Glasmalerei aus vielen Gebäuden nicht wegzudenken. Technische Weiterentwicklungen haben dem uralten Handwerk in den letzten 20 Jahren weltweit zu einer neuen Blüte verholfen. Von Julie Metzdorf
Credits
Autorin dieser Folge: Julie Metzdorf
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Katja Schild, Johannes Hitzelberger, Florian Schwarz
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Thierry Boissel, Leiter Studien- und Experimentierwerkstatt für Glasmalerei, Licht und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste in München
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
Thierry Boissel ist Künstler und arbeitet vor allem mit Glas. Er wollte sich das neue Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom ansehen: Mehr als 11.000 gläserne Quadrate in 72 verschiedenen Farben, angeordnet nach dem Zufallsprinzip: abstrakte Kunst in einer mittelalterlichen Kirche.
1 OT Thierry Boissel
Die Kirche war proppevoll. Blechchor, echte Chor, Orgel, natürlich Weihrauch, tonnenweise, unten waren alle diese Menschen da, rote Käppi und also die ganzen Bischöfe Deutschlands waren da versammelt und ich stand da vor dem Fenster und hab gedacht, ja, nett, gut gemacht – und dann kommt die Sonne raus. Und dann sind alle diese Quadrate durch diesen Raum als Lichtschwert reingefallen. – Wow!
ERZÄHLER
Auf den ersten Blick ist das Richter-Fenster reines Ornament, wie große bunte Pixel breiten sich die Quadrate unter den Spitzbögen eines gotischen Maßwerkfensters aus.
2 OT Thierry Boissel
Dieses Fenster sagt erst einmal gar nichts, ist einfach nur da, schließt ab. Schön von der Farbe, nichts weiter.
ERZÄHLERIN
Dann trifft ein Sonnenstrahl auf das Glas: Die „Erleuchtung“ kommt mit der Sonne: Es ist das Licht, das die Fensterscheiben zum Leben erweckt. Es durchdringt die farbigen Gläser und wirft die Farbe quer durch das Kirchenschiff auf Menschen, Pfeiler, Fußboden.
MUSIK ENDE
3 OT Thierry Boissel 1’57
Das Licht ist die Essenz, ist die Grundlage der Glasmalerei.
ERZÄHLERIN
Das gilt für alle Glasmalerei, egal ob mittelalterlich oder modern, ob mit figürlichen Darstellungen oder abstrakt, minimalistisch oder expressiv. Eines der eindrucksvollsten Beispiele der Gotik ist die Saint-Chapelle in Paris, die Palastkapelle der früheren königlichen Residenz: Der größte Teil der hohen Oberkapelle wird von Maßwerkfenstern eingenommen, so groß, dass es mehr Fenster- als Wandflächen gibt. Es ist, als würde man sich in einem gläsernen Schrein befinden, ein mystischer Farbraum, frei von aller irdischen Schwere.
ERZÄHLER
Wissenschaftler gehen davon aus, dass im Mittelalter die Chorfenster aller wichtigen Kirchen mit Glasmalereien ausgeschmückt waren. Kriege und Brände haben den gläsernen Kunstwerken zugesetzt. Trotzdem sind viele an Ort und Stelle erhalten und erstrahlen in ungetrübter Farbenpracht. Glas ist lichtecht. Die Farbpigmente sind ins Glas eingebrannt. Sie verblassen oder vergilben auch in tausend Jahren nicht, Staub und Ruß kann man einfach abwaschen.
4 OT Thierry Boissel
Im Mittelalter haben die Menschen kein Fenster gehabt, und wenn sie eins hatten, das war zu, mit einer Haut oder eine Hautblase oder mit Pergament oder wie auch immer. Aber die hatten kein Licht, und auf einmal gehen sie in so ein Gebäude wie Kölner Dom... Es ist vielleicht 30 Meter hoch, und die Fenster sind da. Es gibt Licht. Was ist denn das? Also spätestens da musste man an Gott glauben.
MUSIK „Ave generosa“; ZEIT: 01:04
ERZÄHLERIN
Im christlichen Kontext steht die Transparenz des Glases symbolisch für die Transzendenz Gottes: Im Mittelalter hielten die Menschen Licht nicht für ein Phänomen der Natur, sondern glaubten an seinen göttlichen Ursprung. Nach damaligem Verständnis ging Gott mit dem Licht auf die Heiligen-Figuren in den Glasbildern über und war mit ihnen in der Kirche gegenwärtig. Die Glasfenster waren demnach der Ort, an dem sich Himmel und Erde, das Göttliche und das Profane berühren.
ERZÄHLER
Zugleich sah man in den wie Edelsteine leuchtenden Fenstern das Sinnbild des himmlischen Jerusalem.
ERZÄHLERIN
Durch ihre Transparenz und die Ähnlichkeit mit Edelsteinen sind farbige Glasfenster prädestiniert dafür, einen einfachen Raum in ein „Haus Gottes“ zu verwandeln. Für heutige Glasmalerinnen und Glasmaler ist das nicht nur von Vorteil:
MUSIK ENDE
5 OT Thierry Boissel
Das ist ein Fluch und ein Segen gleichzeitig, weil diese Glasmalerei ist so außerirdisch von der Farbwirkung im Raum, dass es natürlich gleich etwas Mystisches hat. Und sofort kommt man auf Kirchengestaltung, auf Kirchenfenster, ist aber nicht zwingend.
ERZÄHLER
Glasmalerei funktioniert überall: Auch in Bahnhöfen, Flughafen-Terminals, Firmenzentralen, Schulen oder Krankenhäusern, im Innen- und im Außenraum. Für eine an der S-Bahn-Stammstrecke in München liegende Schule hat Thierry Boissel einmal zwei Lärmschutzwände kreiert: Auf den mehr als 7 Meter hohen Wänden prangen große Farbtupfer in warmen Farben. Die Anordnung unterliegt einem bestimmten Rhythmus: Boissel hat die Farben den Buchstaben des Alphabetes zugeordnet und so zwei Gedichte gemalt: „Der Regenbogen“ von Josef Guggenmos und „Der Baum“ von Eugen Roth.
ERZÄHLERIN
Seit mehr als 30 Jahren leitet Thierry Boissel die Studien- und Experimentierwerkstatt für Glasmalerei, Licht und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste in München. Wobei das Wort „Glasmalerei“ die Sache nicht so ganz trifft:
6 OT Thierry Boissel 1’57
Erstmal mag ich diese Begriffe überhaupt nicht. Das ist ein Begriff, der finde ich antiquiert ist und vor allem klingt staubig und irreführend.
ERZÄHLER
Gemalt wird in der Glasmalerei mitunter gar nicht. Beispiel Grassi-Museum in Leipzig: Hier hat der Bauhaus-Lehrer Josef Albers 1926 die Fenster der Treppenhalle gestaltet: Bis zu 8 Meter hohe, schmale Fensterbahnen aus hunderten verschieden großen Rechtecken, teils gelblich-grün, teils weiß opak. Verschiedene Schliffe und Überzüge sorgen für feinste Abwandlungen der Grundfarben und verleihen der rein geometrischen Komposition eine vibrierende Lebendigkeit.
MUSIK „Dawn, aus: Pride and prejudice. Bearbeitung“; ZEIT:01:53
Glasmalerei ist zunächst einmal Teil der Architektur. Sie ist ortsgebunden und zielt auf die Gestaltung von Räumen.
7 OT Thierry Boissel
Wir arbeiten in der Architektur, wir arbeiten im Grenzbereich zwischen innen und außen, und wir arbeiten mit Licht.
ERZÄHLERIN
Während bei der Malerei auf Leinwand, Holz, Steinmauer oder Papier das Licht von vorn die Bildfläche fällt, kommt das Licht bei der Glasmalerei von hinten. Das Bild selbst wird zur Lichtquelle.
Historische Glasmalerei besteht aus drei Komponenten: den verschiedenfarbigen Glasplatten, einem Bleinetz, das die einzelnen Platten miteinander verbindet, und der eigentlichen Bemalung. Durch das Bleinetz wirken die Fenster oft wie Mosaike.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Zu den ältesten erhaltenen Glasmalereien in Deutschland gehören die Prophetenfenster im Augsburger Dom aus dem 12. Jahrhundert. Jeder der Propheten steht als Ganzkörperfigur frontal in einem Rundbogenfenster. Die vorherrschenden Farben sind Grün und Rot, hinzu kommen Gelb und Blau. Die dunklen Konturlinien der Verbleiung wurden geschickt für die Komposition genutzt: sie entsprechen dem Umriss eines Gesichts oder eines Umhangs zum Beispiel.
ERZÄHLERIN
Im Gesicht des Propheten Hosea verlaufen Bleilinien entlang der Nase: Aus der Ferne sehen sie aus wie Falten und verleihen dem Gesicht Strenge und Würde. Auf diese Grundstruktur von farbig aneinandergesetzten Platten kommt die eigentliche Malerei. Die Umrisse der Augen, die gekräuselten Haare, die Fingernägel wurden mit sogenanntem Schwarzlot aufgemalt.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Schwarzlot ist ein Gemisch aus oxidiertem Eisen- oder Kupferpulver und zu Pulver gestoßenem Glas. Bei Temperaturen von rund 600 Grad wird es in die gläserne Trägerplatte eingebrannt und ist fortan unlösbar mit ihr verbunden. Die Farbe funktioniert hier ganz anders als bei üblicher Malerei. Sie ist im Grunde ein Filter: die Farbe dosiert und dämpft das von hinten einfallende Licht.
ERZÄHLERIN
Ausgerechnet in der ach so farbenprächtigen Glasmalerei wurde im Grunde nur mit Schwarz gemalt. Erst im 14. Jahrhundert kam Gelb hinzu. Ein Gemisch aus Silber und Ockererde ergab beim Einbrennen in das Glas Töne von hellem Zitronengelb bis zu dunklem Braun, das sich ideal für Kronen, Heiligenscheine, Haare oder für das glänzende Metall an Wappen- und Rüstungen eignete.
ERZÄHLER
Doch bei comicartigen Umrisslinien und einzelnen Strichen blieb es nicht. Das Volckamer Fenster in der Nürnberger Lorenzkirche von 1480 wirkt geradezu plastisch modelliert. In unzähligen Arbeitsschritten wurde das Schwarzlot zunächst flächig und dünn aufgetragen und dann immer wieder teilweise abgeschabt oder weggeätzt. So ergaben sich unterschiedlichste Grauabstufungen: Die Nasenflügel, eine Kerbe im Kinn, Augenringe, hell und klar dagegen treten uns Stirn und Wangenknochen entgegen, vollkommen weiße Stellen wie die Diamanten in der Krone der Heiligen Barbara wirken blendend weiß.
ATMO Treppen, Tür, Werkstatt, Hallo
9 OT Mayer
Jetzt sind wir hier in der traditionellen Glasmalerei. … die zugeschnittenen Gläser werden dann appliziert auf eine Trägerscheibe. Wir haben hier immer diesen kleinen Steg dazwischen, hier kommt später das Blei rein, und … Und dann geht das in vielen Malschichten eben los und gestaltet diese Gläser. Das ist für eine kleine Kapelle in Fort Wayne in Amerika, und Sie sehen: sehr naturalistisch und sehr detailliert.
ERZÄHLERIN
Michael Mayer blickt auf einen Tisch mit einem halbfertigen Glasfenster. In 5. Generation leitet er die Mayer'schen Hofkunstanstalt beim Münchner Stiglmaierplatz.
10 OT Mayer
Wir waren jetzt hier auf Leuchttischen, in gewissen Arbeitsschritten wird es dann vor die Fenster gesetzt, dass ich auch natürliches Licht bekomme, dass auch dieses Helldunkelspiel, transparent, transluzent, matt, einfach funktioniert und dann auch den richtigen Ausdruck bekommt.
ERZÄHLERIN
Von der kleinen Skizze über einen Karton in Originalgröße bis zu den Schablonen für den Glaszuschnitt: Schritt für Schritt entsteht hier Glasmalerei wie in alten Zeiten.
ERZÄHLER
Der Aufwand ist immens. Die Glasfenster mittelalterlicher Kirchen waren oft genauso teuer wie der gesamte restliche Bau. Denn bevor man ein Fenster gestalten kann, muss erst mal das farbige Glas hergestellt werden…
ATMO Waldsassen Halle
12 OT Christian Baierl
Wir befinden uns jetzt hier mitten in der Produktion, Die Schmelztemperatur liegt bei 1430 Grad. … Der Ofen ist circa acht mal vier Meter groß und ungefähr mannshoch. Eine der ganz großen Stärken unserer Glashütte ist, dass wir jeden Tag auf 20 Schmelz-Ressourcen zugreifen können. Das heißt, wir können jeden Tag 20 verschiedene Farben schmelzen.
ERZÄHLERIN
Glashütte Lamberts in Waldsassen in der östlichen Oberpfalz. Geschäftsführer Christian Baierl steht in der riesigen Produktionshalle.
ERZÄHLER
Die manuelle Glasfertigung, wie sie die Glashütte Lamberts betreibt, wurde 2023 von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit ernannt. Das Glas unzähliger Glasfenster weltweit kommt noch heute aus dem bayerischen Waldsassen. Doch auch wenn das Glas am Ende in flachen Scheiben ausgeliefert und zu Fenstern weiterverarbeitet wird: Zunächst einmal wird es mit Hilfe einer langen metallenen Glasmacherpfeife zu Kugeln geblasen.
14 OT Christian Baierl
Gerade im Moment wurde der Ballon, beziehungsweise die Kugel, die vorgeblasene Kugel, an den Glasmachermeister übergeben, der jetzt in der Verantwortung steht, aus dieser hohlen Kugel einen Glaszylinder zu fertigen.
MUSIK „aus: Bram Stoker's Dracula“; ZEIT: 00:37
ERZÄHLERIN
Unter beständigem Drehen wird der Ballon immer weiter aufgeblasen und zu einem großen Zylinder geformt. Dann wird er abgelegt, gekühlt und aufgeschnitten und wieder erwärmt, bis sich das Glas langsam zu einer flachen Platte senkt. Mit industriellem Fensterglas hat das mundgeblasene Flachglas aus Waldsassen nicht viel zu tun. Kleine Lufteinschlüsse und minimale Wellen machen es lebendig, das Licht reflektiert anders, die Brillanz der Farben ist unübertroffen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Der Fachbegriff „Echt-Antik-Glas“ führt in die Irre: Die Gläser werden nicht nur in der Restaurierung eingesetzt, wie zum Beispiel für die Fenster der Dresdner Frauenkirche oder das milchig-weiße Ziffernblatt des Big Ben in London. Auch zeitgenössische Architekten und Künstler aus aller Welt arbeiten mit Glas aus Waldsassen. Von der Elbphilharmonie in Hamburg bis zum Rockefeller Center in New York: Überall ist mundgeblasenes Flachglas aus Waldsassen im Einsatz, auch die 11.000 Farbquadrate des Richter-Fensters im Kölner Dom kommen aus der Oberpfalz.
ERZÄHLERIN
Die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Glasmalerei sind enorm, die Ergebnisse immer wieder überwältigend. Und so ist es kein Wunder, dass immer mehr Künstler zumindest einmal im Leben ein Fenster gestalten wollen: David Hockney, Olafur Eliasson, Sean Scully oder Kiki Smith haben farbige Fenster gestaltet, mit Tony Cragg ist sogar ein Bildhauer dabei.
ERZÄHLER
Auch unter den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern aus Deutschland ist kaum einer, der noch kein Glasfenster gestaltet hat: Neo Rauch, Imi Knoebel, Sigmar Polke, Markus Lüpertz, selbst Georg Baselitz hat einen vom Himmel stürzenden Adler schon als Fenster für ein Privathaus umgesetzt.
ERZÄHLERIN
Religiöse Gründe hatten die wenigsten Künstler, auch um Geld ging es nicht. Gerhard Richter etwa hat nach dem abstrakten Fenster für den Kölner Dom noch kostenlos drei große Fenster für die Abtei Tholey im Saarland gestaltet in Deutschlands ältestem Kloster. Ganz anders als in Köln zeigen die Fenster hier fließende Formen, die ein bisschen an einen Rorschach-Test erinnern. Sie sind sein letztes Werk im Werksverzeichnis. Offenbar verstand er die Fenster als Kulminationspunkt seiner Arbeit oder zumindest als Schlusspunkt, dem er offiziell nichts mehr hinzufügen wollte.
15 OT Thierry Boissel
Es ist eine Arbeit für die Ewigkeit. Und genau das ist interessanterweise das, was der Richter auch gesagt hat, das Beste an der Arbeit ist, dass es nicht abgebaut werden kann und dieser Ewigkeitsgedanke.
ERZÄHLER
Glasmalerei ist immer an Architektur gebunden, einmal eingebaut verbleiben die Werke dadurch über Jahrhunderte vor Ort. Man denke nur an die Augsburger Prophetenfenster: Seit 900 Jahren befinden sie sich an Ort und Stelle, 900 Jahre Regen, Sonne, Sturm, Eis, Staub und Vogelkot. Glas ist stabiler als man meint. Gefährlich ist für Glasfenster vor allem die Luftverschmutzung bzw. der dadurch entstehende saure Regen, wertvolle historischen Glasfenster haben deshalb oft eine transparente Schutzverglasung von außen.
ERZÄHLERIN
Trotzdem gibt es aus bestimmten Epochen keine Glasfenster. In Renaissance und Barock entsprachen Buntglasfenster nicht mehr dem Zeitgeschmack, man baute lieber Butzenscheiben oder einfache Rautenfenster ein, die mehr Licht in den Kirchenraum ließen. Erst im 19. Jahrhundert besann man sich auf die Tradition, die Gotik wurde zum nachahmenswerten Baustil und in ganz Deutschland wurden alte und neue Kirchen wieder mit farbigen Fenstern ausgestattet.
ERZÄHLER
Durch die Bomben des 2. Weltkriegs wurden unzählige Fenster zerstört. Einige hatte man zum Glück rechtzeitig ausgebaut, die Glasfenster des Regensburger Doms etwa überstanden den Krieg fast unbeschadet in einem Nachbargebäude. Insgesamt waren die Zerstörungen aber erheblich – was allerdings positive Auswirkungen auf die weitere Entwicklung hatte.
16 OT Thierry Boissel SAM 3 15:15
Die deutsche Glasmalerei der Nachkriegszeit ist etwas, was weltweit ein Begriff ist, also Glück im Unglück. Deutschland wurde komplett zerstört, also gibt es Wiederaufbau. Und wenn es Wiederaufbau gibt, gibt es was Neues. Es wird neu gebaut, es wird neu konstruiert, es wird neu alles gemacht. … Die Fülle an Aufträgen der 50er, 60er, 70er Jahre ist kaum vorstellbar.
MUSIK „Lux aeterna (für 16 Singstimmen und gemischten Chor. a cappella)“; ZEIT: 02:00
ERZÄHLERIN
Neben seiner Arbeit als Werkstattleiter an der Münchner Kunstakademie ist Thierry Boissel vor allem Künstler und verwirklicht auch selbst große Glas-Arbeiten. Er denkt nicht so sehr in Bildflächen, sondern vielmehr in Räumen. Eine seiner jüngsten Arbeiten ist die Nagelfluh-Kapelle im Klinikum Wasserburg, die er gemeinsam mit Daniel Bräg gestaltet hat. Eine Wand der Kapelle besteht komplett aus Glas und ist leicht nach außen gewölbt, wie Farbtropfen verteilen sich einzelne Butzen unregelmäßig über die Fläche. Damit hebt sich die Kapelle vom Rest des Klinikums ab, das vor allem aus geraden Linien und rechten Winkeln besteht. Über den Terrazzo-Boden zieht sich ein Mäanderband, es ist dem Flusslauf des Inn nachempfunden. Bewegt und lebendig wirkt auch der steinerne Altar:
17 OT Thierry Boissel
Herrgottsbeton sagt man auf Bayerisch glaube ich, es sind unglaubliche Steine, groß und klein, die über die Eiszeit immer rund geschliffen worden sind und in einem Sediment zusammen gefangen worden sind. Aber diese Steine haben miteinander gar nichts zu tun. Das ist unter Umständen Granit, das ist Marmor. Die kommen von ich sage mal einfach groß aus aller Welt und versammeln sich da und machen einen Block zusammen, … symbolisch sehr schön hier, alle unterschiedlich zusammen in eine Sache, wunderbar.
ERZÄHLER
Raumform, Boden, Altar und Licht und Farbwirkung sind in dieser Kapelle aufs Engste aufeinander abgestimmt. Durch die große Glaswand fällt viel Licht herein, gleichzeitig ist das Glas ist so stark strukturiert, dass man nicht hindurchschauen kann. Die Struktur entspricht der Maserung des Altarblocks aus Nagelfluh.
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN
Boissel hat die Glasplatten dafür auf eine Matrize, also eine reliefartige Form, durch Erhitzen fällt das Glas in die Vertiefungen. Das Muster wirkt wie eingeprägt. Mit dieser Technik kann Thierry Boissel fast fotografische Illusionen schaffen. In anderen Arbeiten hat er damit auch figürlich gearbeitet, ganze Menschengruppen schälen sich da optisch aus dem Glas heraus.
ERZÄHLER
Mit Bleiverglasungen hat das alles längst nichts mehr zu tun. Die Techniken und Möglichkeiten der Glasbearbeitung haben sich enorm weiterentwickelt, heute können riesige Platten ganz ohne Querverstrebungen produziert werden, auch die Bearbeitungsmöglichkeiten sind enorm vielfältig geworden:
MUSIK „Revelation“; ZEIT: 01:04
18 OT Thierry Boissel
Kompliziert wird es Mitte der 80er Jahren, wo die Floatglasmalerei anfängt und sonstigen, alle anderen Sachen Verschmelzungen, heiß strukturieren, heiß verschmelzen, Malen, verkleben, aufkleben, Blabla. So diese ganzen Hightech Geschichten, die dann jetzt passieren, das meine ich mit Revolution. Es ist nie so viel neue Ausdrucksmöglichkeit im Glas gegeben wie jetzt, wie heute.
ERZÄHLERIN
Eine der größten Glasmalerei in Bayern befindet sich in St. Florian in der Messestadt Riem in München. Seit 2005 erfüllt hier ein riesiges Fenster der Künstlerin Hella Santarossa den Raum: Mehr als 17 Meter breit und 7 Meter hoch erhebt es sich als Explosion in Gelb hinter dem Altar. Titel der Arbeit: „Auferstehung“. Das strahlend goldene Licht, das den Kirchenraum vor allem am Nachmittag erfüllt, ist unbeschreiblich. Eines ist klar: Glasmalerei lebt.
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