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Alles Geschichte - Der History-Podcast

FUSSBALL! - Deutschland, vom Nachzügler zum Weltmeister

Jun 14, 2024
23:29

Heute kaum vorstellbar: Es gab eine Zeit, da war der deutsche Fußball nur eine Sportart neben vielen anderen. Aber in den letzten hundert Jahren hat er sich schwer gemausert. Heute kommt keine andere Sportart mehr an ihn heran - finanziell, zuschauermäßig, medial. Von Erich Wartusch (BR 2021)

Credits
Autor: Erich Wartusch
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Katja Amberger
Technik: Adele Kurdziel, Robin Geigenscheder
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Manuel Neukirchner, Markwart Herzog

Besonderer Linktipp der Redaktion:

ARD (2024): Wild Crimes

Das Verbrechen lauert überall – auch zwischen Mensch und Tier. "Wild Crimes" liefert packende Storys von True Crime im Tierreich. In Staffel eins erzählen wir euch vom "Problembären" Bruno. Der war erst bei uns willkommen, dann wurde er gejagt und getötet. Wie kam es zu dieser dramatischen Wende? Wer hat ihn abgeschossen? Und war es gerechtfertigt, ihn zu töten? JETZT ANHÖREN

Linktipps:

ARD (2024): Deutschland. Fußball. Sommermärchen 2024?

Deutschland. Sommer. Fußball-WM 2006: Eine Nation erlebt ein Sommermärchen. Deutschland, 18 Jahre später. Die UEFA Euro 2024. Ein verändertes Land. Und doch wieder ein fröhlich-friedliches Sommermärchen?  Esther Sedlaczek nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch Deutschland 2024 und zeichnet ein sportliches, unterhaltendes und nachdenkliches Bild zur Lage der „Fußball-Nation“. Sie trifft unter anderem Bundestrainer Julian Nagelsmann, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, den ARD-Fußball-Experten Bastian Schweinsteiger und Weltmeistertrainer Jogi Löw. Sie begegnet Fans und besucht die Alpengemeinde Garmisch-Partenkirchen, die sich auf Tausende Schotten während der Fußball-EM freut. Sie beschäftigt sich aber auch mit der Frage, ob der Fußball im Jahr 2024 wirklich noch eine Gesellschaft verbinden kann, die sich in vielem fast schon unversöhnlich gegenübersteht. IN DER MEDIATHEK

ARD alpha (2024): Fußball und Fans (1978)

Ein Reporterteam des Fernsehens der DDR war 1978 unterwegs mit Fans von Dynamo Dresden zu einem Auswärtsspiel. Die Rabauken entpuppten sich dabei als mehr oder weniger brave Bürger der DDR. Von Hooliganismus war damals - noch - nichts zu spüren. Der Film zeigt auf, wie das damals war in der DDR mit dem Fußballfan-Sein, welche Probleme das bereitete und wie man in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. JETZT ANSEHEN

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro
TC 01:47 – Von der Fußlümmelei
TC 07:39 – Das Wunder von Bern
TC 10:57 – Scheitern &  Skandale
TC 14:45 – FC Bayern: Man liebt sie oder hasst sie
TC 16:37 – Europameisterinnen mit Kaffeeservice
TC 19:11 – Geld regiert die Fußballwelt
TC 22:13 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro

Atmo Fußballspiel, Ansage des Stadionsprechers

MUSIK

Erzählerin:
Ein Freitagabend in Köln. Südstadion. Das Duell zweier Traditionsmannschaften: Fortuna Köln – Preußen Münster. Beide haben in der Fußball-Bundesliga gespielt. Münster war sogar Gründungsmitglied. Das ist lange her. Nun sind sie in den Niederungen des Amateurfußballs angekommen.

MUSIK

OT 01 / 0.31 (Fans)
„Es kommen immer mehr Clubs nach oben, die da eigentlich nichts verloren haben. Und die Traditionsvereine bleiben leider auf der Strecke. Wir leben noch ziemlich traditionell. Also man lebt immer noch in guten alten Zeiten klar, auf jeden Fall. / Da herrscht genauso viel Leben wie in den anderen Vereinen. Nur es ist nicht mehr so massig. / Hört sich jetzt doof an, aber es ist eine Familie. Man kennt die Leute hier zum Teil seit 20, 30 Jahren, und das ist einfach toll. /  Also ich bin in Münster: Als 13-Jähriger durfte ich dann zum ersten Mal alleine ins Stadion. Seitdem renne ich dahin. Da gibt es viele von der Sorte, die inzwischen graue Haare haben. Aber da gehörst du hin.“

MUSIK

Erzählerin:
Fußball – ein Sport für ein ganzes Leben: Die Jüngsten steigen als Bambini oder G-Junioren mit wenigen Jahren in den Verein ein, selbst bei den Über-60-Jährigen werden noch Turniere und Meisterschaften ausgetragen. In Deutschland betreiben derzeit etwa 1,8 Millionen Menschen den Sport in Vereinen. Eine ganze Menge, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Fußball in Deutschland lange Zeit verrufen war.

MUSIK aus

TC 01:47 – Von der Fußlümmelei

Erzählerin:
Während in England und Schottland Fußball oder artverwandte Ballspiele schon seit Jahrhunderten existierten, dauerte es eine ganze Weile, bis der Sport von der Insel auch in Deutschland richtig Fuß fassen konnte. Zum einen wurde alles argwöhnisch betrachtet, was vom großen europäischen Gegenspieler, dem britischen Empire, herüberkam. Zum anderen hatte der Sport vor mehr als hundert Jahren noch weitgehend eine andere Funktion, erklärt Manuel Neukirchner, der Leiter des Deutschen Fußballmuseums. 

OT 02 / 0.39  (Neukirchner)
„Die englische Fußlümmelei, die englische Krankheit, so wurde sie verschrien, kam so um 1830 erstmalig nach Deutschland und wurde abgelehnt, aus dem wilhelmischen Zeitverständnis heraus. Der Sport hatte eigentlich damals nur die Aufgabe, die jungen Menschen auf den Krieg vorzubereiten, zu Soldaten auszubilden. Der Wettkampfgedanke, den der Fußball in sich vereint, war verpönt. Sport war Drill, Sport war Turnen, überwiegend an den Geräten. Der Spielgedanke, der Homo ludens, der spielte eigentlich gar keine Rolle.“

Erzählerin:
Erst im Jahr 1874 rief der Braunschweiger Professor Konrad Koch den ersten Schüler-Fußballverein ins Leben. Die Jüngeren sollten die neue Sportart voranbringen…

OT 03 / 0.31 (Neukirchner)
„Und es waren einige Sportlehrer, die den Fußball dann doch allmählich hoffähig gemacht haben. Es wurden dann erste Fußballabteilungen in den Turnvereinen gegründet, also es gab noch keine Fußballvereine, aber Abteilungen. Koch war der erste, der Sportlehrer, der dann auch Spielnachmittage eingeräumt hatte, mit Fußball für die Kinder, und der dann auch das erste einheitliche Regelwerk vorgelegt hat für den Fußball. Und so kam der Fußball dann langsam in die Spur in Deutschland. Aber es war ein mühseliger Weg.“

MUSIK

Erzählerin:
Im Januar 1900 wurde schließlich in einer Gaststätte in Leipzig der Deutsche Fußball-Bund gegründet. Der Sport organisierte sich immer stärker. Es wurden regionale Strukturen geschaffen, eine Deutsche Meisterschaft eingeführt und die offiziellen englischen Spielregeln übernommen. Doch zunächst blieb der Fußball noch einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht vorenthalten, erklärt der Sporthistoriker Markwart Herzog:

OT 04 / 0.31 (Herzog)
„Die Menschen, die sich dann für das Fußballspiel begeistert haben und die Vereine gegründet haben, in der Kaiserzeit noch, das waren auch Leute, die dem Bürgertum angehört haben. Also Fußball ist kein Proletensport. Es ist kein Arbeitersport. Das war es weder in England noch in Deutschland. Wenn Sie sich Fotos von Spielen aus der Kaiserzeit anschauen: Da tragen die Leute Zylinder, sie haben ein Anzug an, ein weißes Hemd, das waren gesellschaftliche Ereignisse.“

Erzählerin:
Nach dem Ersten Weltkrieg begann die Hochzeit des Fußballsports. In der Weimarer Republik wurde er zusammen mit Boxen und Radfahren extrem populär. Zehntausende strömten in die Stadien. Große Mannschaften prägten das Spiel, langjährige Duelle. Die Rivalität war vor allem zwischen Nürnberg und Fürth extrem - zwei der dominierenden Mannschaften jener Jahre. Die deutsche Nationalmannschaft bestand sogar zweimal ausschließlich aus Nürnbergern und Fürthern. An der Feindseligkeit zwischen den beiden Vereinen änderte das aber nichts. Die Nürnberger Torwartlegende Heiner Stuhlfauth erinnert sich an ein Länderspiel auswärts gegen die Niederlande: 

OT 05 / (Stuhlfauth) (liegt in zwei Längen vor: KURZ 0.38 / LANG 0.50)
„Und so trafen wir in Nürnberg zusammen, die Fürther stiegen in die hinteren Waggons des D-Zugs ein. Und als wir das gesehen haben, sind wir in den vorderen Waggon eingestiegen, nur um damit wir mit den Fürther Spielern nicht zusammengekommen sind. Gesprochen wurde untereinander gar nichts. Blaschke hat zu mir gesagt: Ihr müsst doch wieder einig werden, Ihr müsst noch mal miteinander spielen. Ich habe gesagt: wir werden spielen, als ob wir zusammengehören. Und so war es auch - ein wunderbares Spiel  - das erste Länderspiel, das Deutschland gegen Holland gewonnen hat, mit eins zu null.“

Erzählerin:
Trotzdem ließen die großen internationalen Erfolge für Deutschland noch auf sich warten.

MUSIK

Erzählerin:
Besonders ernüchternd verlief das olympische Fußballturnier 1936 in Berlin, das wegweisend war für die Jahre des Nationalsozialismus. DFB-Museumsleiter Manuel Neukirchner:

OT 06 / 0.43  (Neukirchner)
„Fußball hat dann aber im Dritten Reich sehr schnell an Strahlkraft verloren. Das hat natürlich auch mit 36 zu tun, als Adolf Hitler das erste Spiel im Fußball überhaupt besuchte: Deutschland gegen Norwegen. Und das ging kräftig in die Hose. Ein frühes Gegentor der Norweger, dann ein spätes Tor. Und dann war Adolf Hitler aus dem Stadion verschwunden und er hat nie wieder ein Spiel gesehen. Goebbels hat später auch während des Krieges Fußballspiele verboten, Länderspiele verboten, weil Goebbels gesagt hat: Man weiß nie, wie es ausgeht. Und er kann im Deutschen Reich für die Propaganda eigentlich nur Spiele akzeptieren, wo Deutschland ganz klar gewinnt. Und deswegen will er keine offiziellen Länderspiele mehr haben.“

Erzählerin:
Trotzdem rollte auch während des Krieges der Ball weiter:

OT 07 / 0.30  (Neukirchner)
„Für die Aufrechterhaltung der Moral wurde Fußball weiterhin stark eingesetzt auf regionaler und nationaler Ebene. Er wurde sogar auch auf ganz perfide Weise teilweise in Konzentrationslagern eingesetzt. In Theresienstadt, dem Durchgangslager, da wollten die Nazis einfach demonstrieren: „Schaut mal, hier wird Fußball gespielt, so schlimm ist das alles gar nicht!“

TC 07:39 – Das Wunder von Bern

MUSIK

Erzählerin:
Der Zweite Weltkrieg war zuende. Es folgte die Nachkriegszeit und der deutsche Fußball musste sich in der internationalen Sportwelt erst wieder um Akzeptanz bemühen. Dann kam 1954 das Wunder von Bern.

OT 08 / 0.17  (Neukirchner)
„Es wird nie wieder ein Fußballspiel geben in Deutschland, das diese historische und gesellschaftliche Bedeutung für die Bundesrepublik erlangen wird wie dieses Spiel am 4. Juli 1954. Und es gibt viele, die in diesem Spiel auch die Geburtsstunde der jungen Bundesrepublik ausmachen.“

MUSIK

OT 09 / 1.50   Collage aus Reportage von 1954 + O-Ton-Nacherzählung (Neukirchner)

„Deutschland ist in der Welt isoliert. Deutschland ist beladen mit Schuld. Eine Nation sucht eine neue Identität, und in dieser schweren Zeit der Not, der materiellen Not kommt dann diese Fußball-Weltmeisterschaft, […] und Deutschland war ein Allerweltsgegner im internationalen Fußball. Und Ungarn war die Übermannschaft, die vier Jahre nicht mehr verloren hatte. Das war das Nonplusultra im Fußball weltweit. In einem vorherigen Spiel hat Ungarn schon gegen Deutschland acht zu drei gewonnen. Also da war ganz klar, wer da Chef war im Ring. […] Und dann hat diese Mannschaft um Fritz Walter nicht aufgegeben, immer weitergemacht, immer weitergemacht, hat den Anschlusstreffer geschafft, den Ausgleich geschafft und dann natürlich durch: -

OT 09   Collage aus Reportage von 1954

MUSIK

+ O-Ton-Nacherzählung (Neukirchner)
Und Deutschland wird wirklich als Riesen-Überraschungsmannschaft Weltmeister und zeigt sich dann auch in dem Erfolg auf dem Platz bescheiden. Deutschland war so ein Stück zurück in der in der Weltgemeinschaft mit diesem Fußballspiel. Das war der erste kleine Mini-Schritt zurück.“

TC 10:57 – Scheitern &  Skandale

Erzählerin:
Doch bald schon hatte Fußball-Deutschland Nachholbedarf: die Ligen waren regional zersplittert. Wer sind die besten Spieler für die Nationalmannschaft? Bei so vielen Ligen, so vielen Spielern behielten auch die Verantwortlichen kaum einen guten Überblick. Außerdem gab es selbst in den frühen 1960er Jahren offiziell ausschließlich Amateure, also keine bezahlten Berufsspieler. Ein Trugbild, weil die Realität anders aussah, weiß der Fußballforscher Markwart Herzog, der Leiter der Schwabenakademie Irsee:

OT 10 / 0.23  (Herzog)
„Schon in der Weimarer Zeit haben gerade bei den Spitzen-Fußballmannschaften sicher alle Spieler Geld bekommen, ein Handgeld. Und das haben die Vereine aus schwarzen Kassen ausbezahlt. Das lag daran, dass der DFB den Berufsfußball verboten hat. Also ein Spieler durfte kein Geld dafür annehmen, dass er gespielt hat. Aber trotzdem haben die Vereine die Spieler bezahlen müssen, weil sie eben sonst anderswohin abgewandert wären.“

Erzählerin:
Schon 1930 war der erste Versuch, eine nationale Liga zu gründen, gescheitert – und auch nach dem Krieg wollten die regionalen Fußballfürsten immer noch ihre eigenen Ligen nicht aufgeben. Erst das Scheitern bei der WM 1962 führte zu einem Umdenken. 1963 ging die Bundesliga an den Start:

Ausschnitt Moderation Bundesliga 1963 / MUSIK

OT 11 / 0.45 (Neukirchner)
„Da gab es zunächst noch eine Deckelung des Gehaltes. Ich glaube, man durfte 1200 Mark verdienen. Aber man konnte das ausüben, ohne einen bürgerlichen Beruf nachweisen zu müssen. Und das war der erste Schritt in Richtung Professionalisierung. Die Clubs hatten auch Angst, die Gründungsvereine, ob sie das wirtschaftlich wirklich alles so tragen konnten, diese oberste Spielklasse, weil die Fahrtwege waren natürlich länger. Das bedeutete für die Klubs ja auch einen erhöhten Aufwand. Aber es hat sich gezeigt, dass es genau der richtige Weg war. Und nur so konnte Deutschland dann eben auch den Weg einschlagen, den Deutschland als Fußballnation eingeschlagen hat.“

Erzählerin:
Deutschland wurde 1966 Vize-Weltmeister. Vier Jahre später WM-Dritter. Doch dann drohte der Höhenflug des Profifußballs in Deutschland jäh abzustürzen. Der Präsident der abgestiegenen Offenbacher Kickers, Horst Gregorio Canellas, ließ bei einer Geburtstags-Sommerparty plötzlich ein Tonband laufen:

MUSIK

OT 12 Canellas
„…(mitgeschnittenes Tonband mit Spielabsprachen…)“

Erzählerin:
Spielabsprachen, Bestechung. Fast ein Drittel der Bundesliga-Vereine war in den Bundesliga-Skandal verwickelt. Zahlreiche Spieler und Vereine wurden bestraft:

OT 13 DFB-Gericht
„…(„Urteile werden vorgelesen“)

Erzählerin:
Später gab es Begnadigungen. Doch die Fans wandten sich in Scharen ab. Die Zuschauerzahlen gingen stark zurück.

MUSIK aus

Auch der Fußball in der DDR hatte immer wieder mit Problemen zu kämpfen. In den ersten Jahren griff die Staatsmacht beherzt ein: Vereine wurden gegründet, umbenannt oder sogar umgesiedelt. Später entstand bei Fußballanhängern viel Frust, weil der Lieblingsverein des Stasi-Chefs Erich Mielke, Dynamo Berlin, ganz unverhohlen von den Schiedsrichtern bevorzugt wurde und Titel dadurch serienweise einfuhr. In und außerhalb der Stadien waren – wie auch im Westen -  gewaltbereite Hooligans aktiv, die es im Arbeiter- und Bauernstaat jedoch offiziell nicht geben durfte. Der DDR-Fußball war aber auch erfolgreich: Magdeburg holte eine Europapokal-Trophäe, die Olympia-Auswahl 1976 gewann Gold und dann war da noch das einzige Spiel zwischen der DDR und der Bundesrepublik bei einem großen Turnier – bei der Weltmeisterschaft 1974 in Hamburg:

MUSIK

03 – Ausschnitt BRD-DDR Kommentar

Erzählerin:
Obwohl der Gastgeber mit 0:1 gegen die DDR verlor, wurde die Bundesrepublik dennoch Weltmeister. Vor allem dank der Spieler des FC Bayern München, der sich in den 1970er Jahren zum dominanten Verein in Deutschland aufschwang, dreimal den Europapokal der Landesmeister gewann und den Grundstein legte für bis die bis heute andauernde Polarisierung der deutschen Fußballfans.

TC 14:45 – FC Bayern: Man liebt sie oder hasst sie

Die Bayern liebt man - wegen ihres Erfolges. Oder man hasst sie – ebenfalls wegen ihres Erfolges und der darum gewachsenen Arroganz – wie viele Fans anderer Vereine behaupten. In dieser Zeit spielten bei den Münchnern Stars, die den Fußball über Jahrzehnte prägten: Gerd Müller, der einen wohl unerreichbaren Torrekord in der Bundesliga aufstellte, Sepp Maier, der als Torhüter und Spaßvogel die Menschen begeisterte, Uli Hoeneß, der als Manager und Präsident den Verein jahrzehntelang steuerte, und nicht zuletzt Franz Beckenbauer, der dann 1990 als Bundestrainer die deutsche Nationalmannschaft zum dritten WM-Titel führte und mit umstrittenen Mitteln dank seiner internationalen Beziehungen die Weltmeisterschaft 2006 ins eigene Land holte. Paul Breitner, ebenfalls einer aus dem Kerngehäuse des Vereins, versucht zu erklären, warum es damals so gut lief:

OT 14 / 0.37 (Breitner)
„Es gab natürlich auch in dieser Mannschaft Freundschaften, aber es gab etwas viel Wichtigeres fürs Berufsleben, nämlich absolute Kollegialität, Verantwortungsbewusstsein bei jedem, dass er nicht nur für sich, sondern auch für zehn, 15 oder 18 Kollegen zuständig ist. Das Entscheidende ist, dass eine erfolgreiche Mannschaft die Probleme, die sie hat, die auch nur im Entstehen sind, selbst erledigen muss. Das heißt, sie muss sich selbst reinigen. Und jede Mannschaft, die dazu jemand braucht, die wird keinen großen Erfolg haben können.“

Erzählerin:
Die Titel brachten dem FC Bayern Popularität und eine steile sportliche und wirtschaftliche Entwicklung mit sich: Inzwischen ist er bei einem Jahresumsatz von mehr als 700 Millionen Euro angekommen. Der Verein: ein nicht mehr zu übersehender Wirtschaftsfaktor.

TC 16:37 – Europameisterinnen mit Kaffeeservice

Obwohl die Münchner auch eine eigene Frauenmannschaft stellen, die ebenso regelmäßig Titel abräumt, ist der Frauenfußball in Deutschland von solchen Zahlen meilenweit entfernt. Sicherlich auch historisch bedingt: Erst 1970 wurde der Frauenfußball in Deutschland überhaupt zugelassen. Als 1989 die Nationalmannschaft erstmals Europameister wurde, bekamen Doris Fitschen und ihre Kolleginnen als Prämie ein Kaffeeservice. Als die Männer-Nationalmannschaft ein Jahr später Weltmeister wurde, gab es pro Spieler umgerechnet etwa 60.000 Euro.

OT 15 / 0.20 (Fitschen)
„Ja, es frustet natürlich schon, wenn ich mir das noch mal vor Augen führe: 100 Länderspiele und ich habe quasi kein Penny dadurch verdient. Und die Männer, die haben nach ihrem zweiten Länderspiel schon ausgesorgt, das ist schon ein bisschen frustrierend. Aber andererseits kannte ich es auch nicht anders. Und es entwickelt sich ja doch. Aber es ist natürlich nicht mit dem Herrenfußball zu vergleichen.“

Erzählerin:
Das Kaffeeservice von Doris Fitschen steht inzwischen im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Manuel Neukirchner zeigt es seinen Gästen gern, um zu illustrieren, wie schwierig es für die Frauen in Deutschland war:

OT 16  / 0.40 (Neukirchner)
„Frauenfußball war lange Zeit verpönt, weil es sehr kampfbetonter Sport ist. Es war 1930, eine Metzgerstochter, Lotte Specht, die den Mut aufbrachte, per Zeitungsannonce nach Mitstreiterinnen zu suchen für den ersten Damen-Fußball-Club Frankfurt. Und daraufhin haben sich auch viele gemeldet: 30 Spielerinnen. Das war so das erste Mal, dass sich der Frauenfußball in Deutschland organisieren wollte. Und dann standen die Männer am Spielfeldrand, bewarfen die Frauen teilweise mit Steinen, bespuckten sie, verhöhnten sie. Und nach einem Jahr hat sich der Frauenfußball in Frankfurt, dieser Klub, auch schon wieder aufgelöst.“

Erzählerin:
Inzwischen sind die deutschen Frauen erfolgreicher als die Männer: acht EM-Titel, zwei WM-Titel und ein Olympiasieg zeugen davon. Die deutsche Männer-Nationalmannschaft hatte dagegen nach dem WM-Titel 1990 und der der Wiedervereinigung zwar ein Übermaß an guten Spielern. Franz Beckenbauers Prophezeiung, der deutsche Fußball werde nun auf Jahre unschlagbar sein, erfüllte sich aber nicht. Und der DDR-Fußball wurde ebenso schnell abgewickelt wie viele der Industrien in den neuen Bundesländern: Hunderte von Spielern gingen in den Westen, die Traditionsvereine im Osten hatten weder die wirtschaftlichen noch die sportlichen Möglichkeiten mitzuhalten.

TC 19:11 – Geld regiert die Fußballwelt

MUSIK

Erzählerin:
Die 1990er Jahre trieben stattdessen eine Entwicklung voran, die den Fußball bis heute prägt: die Kommerzialisierung nimmt immer mehr zu, es gibt Fan-Artikel vom Türvorleger bis zur Unterhose, Fans zahlen Geld, um bei verschiedensten Fernseh- und Internetanbietern Spiele verfolgen zu können. Der Fußball dominiert die Sportberichterstattung in den Medien. Als Deutschland in Brasilien 2014 Weltmeister wird, sitzen hierzulande mehr als 34 Millionen Menschen vor dem Fernseher. In der Bundesliga wächst die finanzielle und damit auch die sportliche Kluft zwischen den großen und den kleinen Vereinen. Es gibt viele Fußball-Anhänger, die sich damit nicht mehr wohlfühlen:

OT 17 / 0.39  (Fans)
„Es geht alles nur noch ums Geld, um Einfluss, und da finde ich, dass die Fans und der eigentliche Fußball teilweise schon auf der Strecke bleiben. / Dieses Getue ist mir einfach zu viel geworden. Die Experten, die vor und nach jedem Spiel eine Stunde, zwei Stunden oder auch während des Spiels dazugeschaltet werden, die interessieren mich alle kein Stück. / Alles wird noch mehr ausgebeutet. Im Fernsehen du kannst heutzutage, glaube ich, jeden Tag fünf Stunden Fußball schauen, musst halt dafür zahlen, sind kleine Beträge, das läppert sich insgesamt. Doch so dass dann eben jeder Spieler, auch wenn er nur ein Tor schießt, das das entscheidende Tor ist, einfach 100 Millionen mehr wert ist.“

Erzählerin:
Der Sport entwickelt sich allmählich weg von den kleinen Plätzen hin zum globalen Medienphänomen. Zuletzt haben die kleineren Vereine deutschlandweit jedes Jahr rund 100.000 aktive Spieler verloren. Im Profibereich sind dagegen Ablösesummen für einzelne Akteure im zweistelligen Millionenbereich keine Seltenheit mehr. Manuel Neukirchner vom Deutschen Fußballmuseum:

OT 18 / 0.38 (Neukirchner)
„Heute ist der Fußball einfach nur noch im wirtschaftlichen Zusammenhang zu denken. Angebot und Nachfrage bestimmt das gesellschaftliche Leben - auch im Fußball. Der Fußball löst unglaubliche Umsätze aus und davon profitieren alle die Akteure auf dem Platz, die Vereine, die Fernsehsender, die Medien, die Lizenzrechteinhaber. Das ist nicht mehr zurückzudrehen. Und wir haben in den letzten Jahren eigentlich gemerkt, dass auch wenn der Fußball immer wieder totgesagt worden ist, er nicht gestorben ist. Und ich glaube, dass auch in Zukunft das der Fall sein wird. Natürlich müssen wir aufpassen, dass die Spirale nicht überdreht wird.“

MUSIK

Erzählerin:
Damit der Fußball in Deutschland auch weiterhin die Menschen trauern, jubeln und feiern lässt…

Collage Reporter-Torschreie aus Bundesliga-Saison / MUSIK

TC 22:13 – Outro




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